Herbert Masslau

Alg II : Erreichbarkeitsanordnung (EAO)

(3. Oktober 2006)

 

 

Grundsätzlich kann schon die Frage gestellt werden, warum die früher auch bei der Arbeitslosenhilfe gegolten habende Erreichbarkeitsanordnung (z.B. 3 Wochen Urlaub im Jahr bei Fortzahlung der Sozialleistung) nicht ins SGB II übernommen wurde. Vielleicht einer dieser vielen handwerklichen Fehler in der Eile des Durchpeitschens von „Hartz IV“.

Jedenfalls führte dies dazu, daß als einziger Regelungsrahmen die Eingliederungsvereinbahrung gemäß § 15 SGB II in Frage kam, mit der Folge, daß bei denen, die noch keine Eingliederungsvereinbarung hatten, eine Sanktionierung von Ortsabwesenheit rechtlich nicht möglich war, „da … das Recht der Grundsicherung für Arbeitssuchende die Leistungsberechtigung – anders als das SGB III – nicht von der Frage der Verfügbarkeit abhängig macht“ [SG Bayreuth, Urteil vom 3. Mai 2006, Az.: S 5 AS 608/05 – http://www.sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/export.php?modul=esgb&id=55275&exportformat=PDF – indirekt mit gleichem Tenor: SG Hamburg, Beschluß vom 30. Januar 2006, Az.: S 62 AS 133/06 ER].

Denn anders als das SGB III, daß bei der Definition des Begriffes „Arbeitslosigkeit“ in § 119 Abs. 1 Nr. 3 diese Verfügbarkeit voraussetzt, enthielt § 7 Abs. 1 Nr. 4 SGB II lediglich die Bestimmung, daß der gewöhnliche Aufenthaltsort eines „Hartz IV“-Empfängers in Deutschland zu sein habe.

Um diese für die „Hartz IV“-Empfängerinnen und -empfänger günstige Rechtsprechung auszuschalten, wurde das sog. Optimierungsgesetz selber noch kurzfristig geändert durch einen Änderungsantrag der CDUCSUSPD und ein Absatz 4a in § 7 SGB II eingefügt, der, geltend seit dem 1. August 2006, bestimmt: „Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer sich ohne Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners außerhalb des in der Erreichbarkeits-Anordnung … definierten zeit- und ortsnahen Bereiches aufhält“ [Ausschuß für Arbeit und Soziales Drs. 16(11)275 vom 30. Mai 2006].

Hiergegen dürfte es kein rechtliches Argument geben, da dies schon früher für die alte Arbeitslosenhilfe und auch, übertragen, für die alte Sozialhilfe galt.

Bei alledem sollten die Betroffenen jedoch nicht aufstecken.

So etwa ist die heute gültige Regelung in § 1 Abs. 1 Satz 3 EAO –

„(d)iese Voraussetzung ist auch erfüllt, wenn der Arbeitslose die an einem Samstag oder an einem Tag vor einem gesetzlichen Feiertag eingehende Post erst am folgenden Sonn- bzw. Feiertag zur Kenntnis nehmen kann“

nicht Ausfluß von Anflügen von Humanität bei Behörden und Politikern, sondern von einer Arbeitslosen im Jahre 2001 vor dem Bundessozialgericht (BSG) erstritten worden.

BSG-Urteil vom 3. Mai 2001 (Az.: B 11 AL 71/00 R):

„(D)er Senat folgt dem LSG in seiner Auffassung, der Arbeitslose entspreche den insoweit bestehenden Anforderungen, wenn er die an einem Samstag eingehende Briefpost am folgenden Sonntag zur Kenntnis nehmen kann (…).“

„… an jedem Samstag nach dem Eingang der Briefpost in die Wohnung zurückzukehren. Ein derartiges Verständnis der Aufenthaltsbestimmung verstieße gegen die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Übermaßverbotes...“

„Zutreffend hat das LSG darauf hingewiesen, daß das Erfordernis, das Arbeitsamt … aufzusuchen, an einem Sonntag wegen der fehlenden Dienstbereitschaft des Arbeitsamtes entfällt.“

„Die Zahl der denkbaren Fälle von Vermittlungshandlungen an einem Sonntag rechtfertigt es nicht, deshalb alle Arbeitslose für verpflichtet zu halten, etwaige Briefpost des Arbeitsamtes noch am Samstag zur Kenntnis zu nehmen.“

„Folglich reicht eine Kenntnisnahme im Laufe des Sonntags aus, um Vorschlägen des Arbeitsamtes am Montag nachzukommen.“

„Die Klägerin war folglich nicht gehalten, für ihren Aufenthalt außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs die Zustimmung des Arbeitsamtes nach § 3 EAO einzuholen.“

Damit ist es auch Arbeitslosen und nunmehr „Hartz IV“-Empfängerinnen  und -empfängern erlaubt, fürs Wochenende, also vom späten Freitagnachmittag bis zum Sonntagabend Verwandte und Freunde zu besuchen oder auch einen Wochenendausflug zu unternehmen. Der Tendenz der Politiker, die selber auf Steuergroschen in aller Welt rumfliegen, Arbeitslose quasi unter Hausarrest zu stellen, ist damit zunächst höchstrichterlich ein Riegel vorgeschoben.

Ich habe diese BSG-Entscheidung aber auch noch aus einem anderen Grund erwähnt:

Denn mit dieser in die EAO eingeflossenen BSG-Entscheidung ist noch nicht die Frage höchstrichterlich geklärt, ob es Arbeitslosen bzw. „Hartz IV“-Empfängerinnen und -empfängern erlaubt ist, zum Beispiel nach Eingang der Briefpost am Vormittag eines Werktages mit dem Zug von Hamburg nach Bremen oder von Dortmund nach Düsseldorf zu fahren, um für den Nachmittag desselben Tages Bekannte zu besuchen und am selben Tag noch wieder in die eigene Wohnung zurückzukehren.

Die Behörden werden – jenseits der Frage, daß das Arbeitslosengeld II eine solche Fahrt finanziell eigentlich gar nicht hergibt – dies mit einer Leistungskürzung sanktionieren. Gleichwohl sollte, angesichts der heutzutage schnellen Verbindungen auch über eine Entfernung von einhundert oder zweihundert Kilometer hinweg, auch hier die Frage gestellt werden, ob bei einer Sanktionierung durch die Behörde nicht „die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Übermaßverbotes“ verletzt sind und eine höchstrichterliche Entscheidung angestrebt werden.

 

 

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