Herbert Masslau

Versicherungspauschale – neues Gesetz gegen „Hartz IV“-Kinder

(6. September 2009)

 

 

Vorbemerkung

Eine Pauschale ist zunächst einmal nur ein Betrag bestimmter Höhe, der für etwas Bestimmtes gewährt wird, sei es in Form einer Auszahlung wie das Kindergeld für Kinder, sei es als Abzug wie die Werbungskostenpauschale im Steuerrecht oder eben die Versicherungspauschale im Rechtssystem des SGB II.

Weiteres Wesensmerkmal einer Pauschale ist ihre allgemeine Anwendung, das heißt, unabhängig von den konkreten Bedingungen des oder der Begünstigten. So darf es zwar gewisse wiederum allgemein gültige Einschränkungen für die Anwendung einer Pauschale geben, hingegen keine „konkrete Berechnung“. Eine Kindergeldpauschale ist mithin allen, die Kinder haben (oder ersatzweise betreuen) zu gewähren und nicht nur zum Beispiel verheirateten Eltern. Eine Werbungskostenpauschale im Einkommenssteuerrecht ist als Abzug vom Einkommen allen Einkommensbeziehern zu gewähren und nicht nur Alleinstehenden oder Eltern.

Eine Beschränkung dieser dem Gleichbehandlungsgrundsatz Artikel 3 Grundgesetz entsprechenden rechtsstaatlichen Anwendung darf es nur im Hinblick auf externe Kriterien geben: wer kein Kind hat bekommt kein Kindergeld, wer kein Einkommen hat bekommt keine Werbungskostenpauschale, aber auch keine Versicherungspauschale abgezogen.

Damit sind wir hinsichtlich der Versicherungspauschale

– alt: § 3 Nr. 1 AlgII-V a.F. (1.1.2005-31.7.2006)/§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AlgII-V n.F. (1.8.2006-31.12.2007) und neu: § 6 Abs. 1 Nr. 1 AlgII-V a.F. (1.1.2008-31.7.2009)/§ 6 Abs. 1 Nr. 1 u. 2 AlgII-V n.F. (ab 1.8.2009) –

bei deren Einkommensbezogenheit angekommen.

Daß das Bundessozialgericht (BSG) diese bisher bei minderjährigen Kindern, deren Einkommen ausschließlich aus der Kindergeldzuordnung gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3 SGB II besteht, den Kindern (und dem Kindergeldberechtigten) nicht gewährt sehen will (BSG, Urteil vom 18. Juni 2008, Az.: B 14 AS 55/07 R)

„Dies könnte zwar dann der Fall sein, wennin einer Bedarfsgemeinschaft nur minderjährige Kinder Einkommen - in Form von Kindergeld - erzielen, während die Eltern bzw der Elternteil über keinerlei Einkommen verfügt. In diesem Fall ist einer Bedarfsgemeinschaft mithin ein Rückgriff auf den Pauschbetrag gänzlich verwehrt. Dies ist nicht zu beanstanden, denn dieser Pauschbetrag soll gerade keine zusätzliche den Bedarf erhöhende Leistung darstellen, sondern nur dann in Abzug gebracht werden, wenn auch tatsächlich Einkommen erzielt wird.“ [BSG, Urteil vom 7. November 2006, Az: B 7b AS 18/06 R, Rdnr. 28] –,

ist auch nicht teilweise folgerichtig, denn

„Das Kindergeld ist mithin im System des SGB II nicht "fremdes" Einkommen des Kindes, sondern wird umgekehrt erst dann Einkommen des Kindergeldberechtigten, wenn durch das Kindergeld die ihm eigene Funktion der Existenzsicherung des Kindes erfüllt worden ist. Hieraus folgt zugleich auch, dass ein Kind, das seinen eigenen Bedarf ua durch Kindergeld decken kann, nicht entgegen § 7 Abs 3 Nr 4 SGB II wegen des Kindergeldbezugs Mitglied der Bedarfsgemeinschaft ist.“ [BSG, Urteil vom 13. Mai 2009, B 4 AS 39/08 R, Rdnr. 23]

steht dazu im logischen Widerspruch.

Daß sich daraus der Sonderfall ergeben konnte, daß trotz Einkommens, nämlich dem Kindergeld, wegen dessen gesetzlich gewollter anderweitigen Zuordnung niemand die Versicherungspauschale realisieren kann, ist der vertrakten „Hartz IV“-Gesetzgebung zu verdanken. Hier wird das Kindergeld einmal als Sozialleistung betrachtet, ansonsten aber als Einkommen. Die kritische Diskussion hinsichtlich des Dualismus „sozialrechtliches Kindergeld contra steuerrechtliches Kindergeld“ ist schon viele Jahre alt, seit der Einordnung des Kindergeldes als Teil X in das Einkommensteuergesetz (EStG).

Ebenso vertrakt ist, daß im Grenzfall, daß ein auf Grund eigenen Einkommens nicht hilfebedürftiges minderjähriges Kind durch den Abzug der Versicherungspauschale vom Einkommen innerhalb der Marge 0 bis 30 Euro wieder hilfebedürftig wird.

Allerdings müssen konkret vorhandene, dem Grunde und der Höhe nach angemessene Versicherungen unabhängig von dieser Pauschale übernommen werden. Auch bleiben die Abzüge vom Einkommen, wie sie in § 11 Abs. 2 Nr. 2 und 3 SGB II geregelt sind, davon unberührt.

Dies macht aber gerade deutlich, daß die Versicherungspauschale als Pauschale eben unabhängig vom Vorhandensein einer Versicherung und unabhängig von deren Höhe als Abzug vom Einkommen zu gewähren ist.

 

Die BSG-Rechtsprechung

Bisher unstrittig war, daß dem Kindergeldberechtigten (Elternteil) für die Anrechnung von Kindergeld als vom Bedarf abzuziehendes Einkommen die Versicherungspauschale in Höhe von 30 Euro monatlich zugestanden wurde.

Allerdings war die gesetzliche Formulierung – „von dem Einkommen volljähriger Hilfebedürftiger und von dem Einkommen minderjähriger Hilfebedürftiger, soweit diese nicht mit volljährigen Hilfebedürftigen in Bedarfsgemeinschaft leben“ – eher auf Sonderfälle bezogen verstanden worden, nicht jedoch generell darauf, daß Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft nur ist innerhalb einer Haushaltsgemeinschaft (Familie), wer seinen SGB II-Bedarf nicht durch eigenes Einkommen und Vermögen decken kann.

Das Bundessozialgericht (BSG) hat in mehreren Entscheidungen diese Rechtsfrage zu Gunsten minderjähriger Kinder mit eigenem Einkommen (Unterhalt plus Kindergeld in der Regel) geklärt:

BSG, Urteil vom 18. Juni 2008, Az.: B 14 AS 55/07 R

BSG, Urteil vom 25. Juni 2008, Az.: B 11b AS 45/06 R

BSG, Urteil vom 19. September 2008, Az.: B 14 AS 56/07 R

BSG, Urteil vom 13. Mai 2009, B 4 AS 39/08 R.

Dazu im Einzelnen ein paar Passagen aus den BSG-Entscheidungen, die für sich sprechen:

„Verfügt das minderjährige Kind über hinreichendes Einkommen, um seinen Bedarf nach dem SGB II zu decken, scheidet es aus der Bedarfsgemeinschaft aus. Der nicht zur eigenen Unterhaltssicherung benötigte Teil des Kindergeldes wird sodann dem Kindergeldberechtigten - entsprechend den Regeln des EStG - als Einkommen zugerechnet.“ [BSG, Urteil vom 13. Mai 2009, B 4 AS 39/08 R, Rdnr. 18]

„Zur Ermittlung des Umfangs des Hilfebedarfs der Kinder ist von deren Einkommen - hier der Unterhaltszahlungen - eine Versicherungspauschale von je 30 Euro monatlich vorab in Abzug zu bringen.“ [BSG, Urteil vom 13. Mai 2009, B 4 AS 39/08 R, Rdnr. 19]

„Aus dem Gesamtzusammenhang, in dem § 3 Nr 1 Alg II-V steht, sowie dem Sinn und Zweck der Norm iVm §§ 9 und 11 SGB II folgt, dass bereits zur Ermittlung des Hilfebedarfs die Versicherungspauschale vom Einkommen in Abzug zu bringen ist.“ [BSG, Urteil vom 13. Mai 2009, B 4 AS 39/08 R, Rdnr. 21]

„… der Sinn der Versicherungspauschale besteht gerade darin, nicht die individuellen Kosten privat abgeschlossener Versicherungen - seien sie gesetzlich vorgeschrieben oder nicht - abzudecken, sondern den Hilfebedürftigen einen Betrag pauschal zur Verfügung zu stellen, der erfahrungsgemäß die Kosten einer üblichen Versicherung abdeckt.“ [BSG, Urteil vom 25. Juni 2008, Az.: B 11b AS 45/06 R, Rdnr. 44]

„Ein Vergleich mit den Regelungen in anderen Rechtsgebieten, wie etwa dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch oder dem Steuerrecht, zeigt, dass auch dort das Wesen von Pauschalen (wie etwa der Werbungskostenpauschalen für Arbeitnehmer) gerade darin besteht, dass diese ohne jeden weiteren Nachweis vom Finanzamt bzw zuständigen Leistungsträger zu berücksichtigen sind.“ [BSG, Urteil vom 19. September 2008, Az.: B 14 AS 56/07 R, Rdnr. 14]

Diese vier BSG-Entscheidungen innerhalb eines Jahres – Juni 2008 bis Mai 2009 – machten die bisher nur als obiter dictum formulierte Rechtsauffassung des BSG (BSG, Urteil vom 7. November 2006, Az: B 7b AS 18/06 R, Rdnr. 28) endgültig zur Behörden und untere Gerichtsinstanzen bindenden höchstrichterlichen Rechtsauffassung.

Und damit war sie all denen, die keine Woche brauchten, um einer Bank und ihren zockenden Bankern 100 Mrd. Euro Steuergelder in den Arsch zu schieben, die aber „Hartz IV“-Kindern nicht einmal den völlig kostenlosen Schulbesuch gönnen, ein Dorn im Auge.

 

Die neue Gesetzeslage

Veranlaßt durch die durch ständige Rechtsprechung beider für das SGB II zuständigen BSG-Senate (7b bzw. 14 und 11b bzw. 4) festgezurrte Rechtswirklichkeit wurde kurzerhand nach der letzten BSG-Entscheidung vom Mai 2009 vom Gesetzgeber eine neue Rechtslage ab 1. August 2009 eingeführt (BGBl. I, 2009, Nr. 48, S. 2340).

Der bisherige Gesetzestext § 6 Abs. 1 Nr. 1 AlgII-V

„Als Pauschbeträge sind abzusetzen

1. von dem Einkommen volljähriger Hilfebedürftiger und von dem Einkommen minderjähriger Hilfebedürftiger, soweit diese nicht mit volljährigen Hilfebedürftigen in Bedarfsgemeinschaft leben, ein Betrag in Höhe von 30 Euro monatlich für die Beiträge zu privaten Versicherungen nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch, die nach Grund und Höhe angemessen sind“

wurde nun aufgeteilt zwischen erwachsenen Hilfebedürftigen einerseits und minderjährigen Hilfebedürftigen andererseits und um eine Nr. 2 ergänzt:

„Als Pauschbeträge sind abzusetzen

1. von dem Einkommen volljähriger Hilfebedürftiger ein Betrag in Höhe von 30 Euro monatlich für die Beiträge zu privaten Versicherungen nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch, die nach Grund und Höhe angemessen sind,

2. von dem Einkommen Minderjähriger ein Betrag in Höhe von 30 Euro monatlich für die Beiträge zu privaten Versicherungen nach § 11 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch, die nach Grund und Höhe angemessen sind, wenn der oder die Minderjährige eine entsprechende Versicherung abgeschlossen hat[Hervorhebung von mir, H.M.].

Nebenbei bemerkt: der Begriff „Minderjähriger“ meint auch den zwangsverbedarfsgemeinschafteten Erwachsenen zwischen 18 und 25 Jahren.

Wesentlich ist hier aber, daß nicht mehr „minderjährige Hilfebedürftige“, sondern jetzt alle Minderjährigen von der Versicherungspauschale ausgeschlossen sein sollen, auch wenn sie durch ausreichendes eigenes Einkommen (Unterhalt plus Kindergeld) aus der Bedarfsgemeinschaft weiterhin herausfallen. Dadurch soll vermieden werden, daß der Abzug der Versicherungspauschale zu einer geringeren Kindergeldanrechnung und damit einem höheren Alg II beim Kindergeldberechtigten (Elternteil) führt, wie dies exemplarisch im BSG-Verfahren B 4 AS 39/08 R der Fall war, weil jedem minderjährigen, nicht hilfebedürftigen Kind die Versicherungspauschale zugesprochen wurde und sich dann, je nach Anzahl der in Frage kommenden Kinder, eine entsprechend höhere monatliche AlgII-Leistung ergibt.

Im Grunde ist dies die konsequente Fortführung der Gesetzesänderung beim § 33 SGB II (Überleitung von Unterhaltsansprüchen), wo in § 33 Abs. 1 SGB II ein neuer Satz 2 eingefügt wurde, der die Überleitung von Unterhaltsansprüchen schon dann ermöglichen soll, wenn zwar Unterhalt geleistet wird, aber noch ein Teil des Kindergeldes notwendig ist, damit das minderjährige Kind nicht hilfebedürftig ist.

Brutal gesagt: Sowohl die Neuformulierung des § 33 Abs. 1 SGB II als auch die Neuformulierung des § 6 Abs. 1 AlgII-V dienen einzig und allein dem Zweck durch möglichst volle Anrechnung des Kindergeldes als Einkommen beim Kindergeldberechtigten (Elternteil) die Staatskosten für AlgII zu verringern. Daß dies zwangsläufig in erster Linie und fast ausschließlich Alleinerziehende trifft, die es noch schwerer haben, Einkommen zu realisieren, paßt in die kinderfeindliche deutsche Sozialpolitik.

 

Ausblick

Die Lage ist aber nicht hoffnungslos.

Die Versicherungspauschale wird, wie oben dargestellt, als pauschaler Abzug vom Einkommen des Hilfebedürftigen gewährt. Erst recht muß sie dem nicht (mehr) Hilfebedürftigen bei der Berechnung innerhalb der Haushaltsgemeinschaft gewährt werden.

Und weil sie als pauschaler Abzug vom Einkommen gewährt wird, ist sie jedem in dieser Weise zu gewähren und verbietet der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG eine Ungleichbehandlung von erwachsenen Einkommensbeziehern und minderjährigen Einkommensbeziehern – dieses müßte entgegen der nicht ganz Eiertanz freien Rechtsprechung des BSG (siehe oben: B 7b AS 18/06 R, Rdnr. 28 versus B 4 AS 39/08 R, Rdnr. 23) eigentlich sogar für minderjährige Hilfebedürftige gelten.

In jedem Fall kann aber eine Pauschale, die nicht an konkrete Versicherungen geknüpft ist, sondern zwar für Versicherungen gewährt wird, aber eben unabhängig davon, ob sie tatsächlich eingerichtet werden oder nicht, nicht Erwachsenen ohne Nachweis einer Versicherung gewährt werden, Minderjährigen – und gemeint sind hier die nicht hilfebedürftigen Minderjährigen – aber nur bei Vorliegen konkreter individueller Versicherungen.

Hier sollten alle Betroffenen mit dem Gleichbehandlungsgebot Art. 3 GG als Argument klagen!

 

 

 

URL: http://www.HerbertMasslau.de/

Copyright by Herbert Masslau 2009. Frei zum nicht-kommerziellen Gebrauch.

 

 

 

Top