Herbert Masslau

SGB II-Regelleistung 2011 weiterhin verfassungswidrig!

(4. Dezember 2010; korr. F. 15. Dezember 2010)

 


Aktualisierung: Dieser Artikel ist in der hier vorliegenden Fassung auch nach der BVerfG-Entscheidung vom 23. Juli 2014 (Az.: 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13) weiterhin gültig. Daß das BVerfG statistische Erhebungsmethoden (s.u. Punkt 4. und Punkt 7.) ignoriert oder im Hinblick z.B. auf die Strompreisentwicklung und längerfristige Haushaltsgüter für eine nicht systematische generelle Öffnung des § 24 SGB II unter Weglassen der Anrechnungsregelung § 42a SGB II plädiert, zeugt nur von der Feigheit des BVerfG durchzuentscheiden, nicht aber von einer verfassungsgemäßen Entscheidung. Bis zur Berücksichtigung der EVS 2013 ab dem Jahr 2016 ist allerdings kein Rechtsweg mehr gegeben. (Herbert Masslau, 27. Juli 2015)

Aktualisierung: Dieser Artikel ist in der hier vorliegenden Fassung auch nach Verabschiedung des SGB II n.F. am 25. Februar 2011 uneingeschränkt gültig. (Herbert Masslau, 20. März 2011)

 

Der Bundestag verabschiedete am 3. Dezember 2010 die neue „Hartz IV“-Regelleistung.

Demnach sollen Alleinstehende und Alleinerziehende die Eckregelleistung in Höhe von 364 Euro statt bisher 359 Euro erhalten. Paare bekommen weiterhin 2x 90% der Eckregelleistung.

Kinder werden in die neuen Altersstufen 0-5 Jahre (213 Euro), 6-13 Jahre (242 Euro), 14-17 Jahre (275 Euro) und ab 18 Jahre (291 Euro) eingeteilt [BTDrs. 17/4032] statt bisher – unter Abänderung durch § 74 SGB II seit 1. Juli 2009 – 0-5 Jahre (215 Euro), 6-13 Jahre (251 Euro) und ab 14 Jahre (287 Euro). Damit bekommen die Kinder, bezogen auf die neue Eckregelleistung von 364 Euro und den sich daraus errechnenden Werten nach der alten Regelung (60%=218 Euro; 70%=255 Euro; 80%=291 Euro) in der Altersgruppe 0-5 Jahre 5 Euro weniger, in der Altersgruppe 6-13 Jahre 9 Euro weniger, in der (neuen) Altersgruppe 14-17 Jahre 12 Euro weniger und lediglich ab 18 Jahren genauso viel, wie ihnen nach der alten Regelung zugestanden hätte [Korrektur: Nach der Sonderregelung § 77 Abs. 4 SGB II lauten die Regelleistungen für 0-5 Jahre 215 Euro, für 6-13 Jahre 251 Euro, für 14-17 Jahre und ab 18 Jahre 287 Euro. Damit erhalten haushaltsangehörige Kinder unter 25 Jahren weiterhin die Regelleistungen in der Höhe wie bisher. Gemessen an der neuen Eckregelleistung von 364 Euro und den alten Prozentregelungen bedeutet dies aber für 0-5 Jahre minus 3 Euro, für 6-13 Jahre minus 4 Euro, für 14-17 Jahre und ab 18 Jahre minus 4 Euro.] Daß ihnen nach der EVS 2008 noch weniger zugestanden hätte, kann als Argument nicht herhalten angesichts der viel zu geringen, eigentlich statistisch nicht verwertbaren Fallzahlen und angesichts der Herausnahme bestimmter Bedarfspositionen (s.u. Pkt. 7) sowie überhaupt der willkürlichen Festlegung der Kinder-Regelleistung. De facto jedenfalls wird ein Teil des Mehr an Bildungsleistungen für Kinder (§ 28 neu SGB II) durch diese Kürzung der Regelleistung – wobei sich die 364 Euro an Hand nur der untersten 15 Einkommensprozent bemessen, so daß diese laut Stellungnahme des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes [BTDrs. 17/3404] somit um 18 Euro zu niedrig ausfallen – wieder aufgefressen.

Ob der Bundesrat in seiner Sitzung am 17. Dezember 2010 den neuen SGB II-Regelleistungen zustimmt oder nicht, wird nichts daran ändern, daß diese zum 1. Januar 2011 zunächst einmal in Kraft treten werden, selbst wenn es im Frühjahr 2011 noch zu einer „Nachbesserung“ kommen sollte.

Nachfolgend sind die ersten verfassungsrechtlichen Argumente gegen die neuen SGB II-Regelleistungen aufgeführt. Die Punkte entsprechen meinem eigenen Vorbringen im Verfahren S 54 AS 2344/10 (SG Hildesheim) vom 24. November 2010. Die nachfolgend genannten Punkte erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern sind lediglich eine erste Argumentation auf Grund der offensichtlichen Rechtsmängel der neuen SGB II-Regelleistung in Bezug auf das Bundesverfassungsgerichtsurteil vom 9. Februar 2010.

1. Regelleistung 2011 stand schon 2008 fest

Schon im „Bericht über die Höhe des Existenzminimums von Erwachsenen und Kindern für das Jahr 2010 (Siebenter Existenzminimumbericht)“ hieß es unter dem Kapitel „Umfang und Höhe des Existenzminimums von Erwachsenen“ unter Punkt 4.1.1:
         
„Daher wird für 2010 ein Regelsatzniveau bei Alleinstehenden von 4.368 Euro (364
          Euro/Monat) und bei Ehepaaren von 7.860 Euro (655 Euro/Monat) in Ansatz ge-
          bracht.“

Damit ist klar – der Entwurf stammt vom 27. Oktober 2008 –, daß schon zwei Jahre vorher die Höhe der Eckregelleistung, wie sie ab 1. Januar 2011 gelten sollte, feststand, mithin schon vor der einschlägigen BVerfG-Entscheidung 1 BvL 1/09 u.A. Das ist kein Zufall, sondern politische Absicht, was auch daraus deutlich wird, daß, wie hier weiter dargestellt, die Höhe der RL nicht wirklich ermittelt, sondern willkür-lich festgelegt wurde.

 

2. Referenzgruppenfestlegung verstößt gegen Art. 3 Abs. 1 GG

§ 4 Nr. 1 RBEG bestimmt für Alleinstehende und Alleinerziehende die Bemessung der Regelleistung an Hand der untersten 15 % der Einkommensbezieher der EVS 2008; § 4 Nr. 2 RBEG bestimmt für Familien, also Haushalte mit Kindern, die untersten 20% der Einkommensbezieher als Referenzhaushalte zur Bemessung der Höhe der Regelleistung (BRatDrs. 661/10).

Unabhängig davon, daß diese Differenzierung nicht begründet ist – weil sie außer mit dem Kostenargument auch gar nicht begründbar wäre –, verstößt diese Ungleichbehandlung ansonsten gleicher SGB II/SGB XII-Leistungsempfänger gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG, was hier wegen der Offensichtlichkeit dieses Verstoßes nicht weiter begründet zu werden braucht.

 

3. Aufstocker u.A. sind nicht herausgerechnet, obwohl sie „Hartz IV“ bekommen

Nach § 3 Abs. 3 Nummern 1-4 RBEG (BRatDrs. 661/10) sind bei der Berücksichtigung als Referenzhaushalt für die Bestimmung der untersten 15% bzw. 20% nicht ausgenommen Haushalte, die
          
„1. zusätzlich Erwerbseinkommen bezogen haben, das nicht als Einkommen berück-
                sichtigt wurde,
            2. einen Zuschlag nach § 24 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch in der bis zum
                31. Dezember 2010 geltenden Fassung bezogen haben,
            3. Elterngeld nach dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz bezogen haben oder
            4. Anspruch auf eine Eigenheimzulage nach dem Eigenheimzulagengesetz gehabt
                haben.“

Damit sind sog. Aufstocker, aber auch nach SGB II anrechnungsfreie Leistungen beziehende Hilfeempfänger, die eigentlich „Hartz IV“-identisch sind, nicht aus der Referenzgruppe ausgeschlossen, so daß es hier eindeutig zu Zirkelschlüssen kommt, die die Festlegung der RL-Höhe verfälscht.

Andererseits sind laut der EVS 2008 [Statistisches Bundesamt, Fachserie 15, Heft 4 – www.destatis.de
         
„Haushalte, deren monatliches Einkommen 18 000 Euro und mehr beträgt, [werden]
          nicht in die Aufbereitung einbezogen, da diese nicht bzw. in viel zu geringer Zahl an
          der Erhebung teilnehmen.“

Oder anders ausgedrückt: Reiche, die keine Angaben über ihre Ausgaben machen wollen, werden erst gar nicht statistisch erfaßt, was die RL-Höhe logischerweise noch einmal nach unten drückt, da das untere Einkommensquantil von 15% bzw. 20% auf diese Weise geringer ausfällt. Hier kann auch nicht als Ersatz-Argument die Nichtberücksichtigung von Obdachlosen herangezogen werden, weil diese gar nicht über einen Haushalt im eigentlichen Sinne verfügen.

 

4. Quantität der EVS 2008-Haushalte geringer als behauptet

Schon die Aussage des Statistischen Bundesamtes, „An der EVS 2008 beteiligten sich rund 60 000 Haushalte“, wird von diesem selber widerlegt:
          „Aus den einzelnen Erhebungsteilen der EVS 2008 liegen auswertbare Unterlagen
          über folgende Haushaltsanzahlen vor:
          Erhebungsteil Anzahl Haushalte
          Allgemeine Angaben 58 984 Haushalte
          Geld- und Sachvermögen 56 274 Haushalte
          Haushaltsbuch 55 110 Haushalte
          Feinaufzeichnungsheft noch nicht bekannt“
          [Statistisches Bundesamt, Fachserie 15, Heft 4 –
www.destatis.de
].

Ein Haushaltsbuch haben 8% weniger als die behaupteten 60.000 Haushalte geführt. Aber noch gravierender ist die Tatsache, daß nicht 60.000 Haushalte absolut über das ganze Jahr teilgenommen haben, sondern nur 4x 15.000 Haushalte, d.h. je Quartal des Jahres waren nur 15.000 Haushalte beteiligt, aber eben immer andere 15.000 Haushalte. Hierzu zum Verständnis im Einzelnen:
     
      ZUMA-Arbeitsbericht Nr. 2006/01, Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 1998 –
          Design und Methodik sowie Veränderungen gegenüber den Vorgängererhebungen
          von Matthias Fleck, Georgios Papastefanou, Mai 2006 (ISSN 1437-4110)

Das ergibt aber übers Jahr gerechnet eben nicht nur nicht 60.000 Haushalte, sondern nur 15.000 Haushalte, und, es ermöglicht eine Datenverfälschung dergestalt, daß ein an der EVS 2008 beteiligter Haushalt im Grenzfall 3 Quartale „Hartz IV“-Leistungen beziehen kann, im 4. Untersuchungsquartal seiner Teilnahme an der EVS aber kein „Hartz IV“-Haushalt ist und so die Statistik nach unten verfälscht.

 

5. Verfassungswidriger Fortschreibungsmodus

In der Bundesratsdrucksache 661/10 heißt es im Begründungsteil (Seite 200):
         
„In den Mischindex geht die Preisentwicklung mit einem Anteil von 70 Prozent ein, die
          Bruttolohn- und Bruttogehaltsentwicklung jedoch nur mit einem Anteil von 30 Prozent.“

Damit wird die zukünftige Entwicklung der Höhe der Regelleistung nicht nur weiter nach unten verfälscht im Angesicht sinkender Reallöhne und der starken Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse, sondern diese Festlegung ist auch verfassungswidrig, weil das Existenzminimum kein variabler Wert ist, sondern einen unteren Limes darstellt, der sich in einem absoluten Betrag bemißt. Allein die große und zunehmende Anzahl der sog. Aufstocker beweist, daß es heute für viele Menschen Arbeit nicht zum existenzsichernden Lohn gibt. Eine Legislative und Exekutive, die in die Berechnung des Existenzminimums Lohnelemente hineinbringt, beabsichtigt im Profitinteresse des Kapitals sinkende Löhne mit einem zunehmenden Anteil an von allen Steuerzahlern bezahlten Lohnanteilen in Form aufstockender Sozialhilfe. Dies ist verfassungswidrig:
         
„Dies rechtfertigt es jedoch nicht, auf die zur Bestimmung des Existenzminimums nicht
          geeignete Entwicklung des aktuellen Rentenwerts abzustellen. Vielmehr stehen
          andere, sachgerechtere Anpassungsmechanismen zur Verfügung, welche die
          Bedarfsentwicklung zwischen zwei Einkommens- und Verbrauchsstichproben in
          größerer Nähe zu den Kriterien der Regelleistungsfestlegung nachzeichnen können.“
          „Mit dem Statistikmodell eher vereinbar wäre beispielsweise eine Hochrechnung
          anhand der Preisentwicklung in den Ausgabepositionen, aus denen sich der regel-
          leistungsrelevante Verbrauch zusammensetzt.“
        
  [BVerfG, Urteil vom 9. Februar 2010, Az.: 1 BvL 1/09 u.A., Rdnrn. 185 u. 186]

Die an der Lohnentwicklung, aber auch politisch-wahltaktischen Vorgaben orientierte Festlegung des Rentenwertes wurde richtigerweise vom BVerfG als ungeeignet für die Fortschreibung der RL SGB II beurteilt. Damit stellt aber auch die Lohnentwicklung selber, und sei es nur zu einem Anteil von 30 Prozent, keinen geeigneten und keinen verfassungskonformen Maßstab für die RL-Fortentwicklung dar.

 

6. Verstoß gegen das sozio-kulturelle Existenzminimum

Schon das BVerfG hat in einer seiner sog. Familienentscheidungen vom 11. November 1998 (Az.: 2 BvR 1057/91) der Mitgliedschaft in Vereinen eine besondere Rolle bei der Entwicklung von Kindern zu verantwortlichem Leben in dieser Gesellschaft zugesprochen und damit die sozio-kulturelle Komponente des Existenzminimums betont. Auch in seiner Entscheidung zu den SGB II Regelleistungen hat es noch einmal ausdrücklich festgestellt: 
         
„Der unmittelbar verfassungsrechtliche Leistungsanspruch auf Gewährleistung eines
          menschenwürdigen Existenzminimums erstreckt sich nur auf diejenigen Mittel, die zur
          Aufrechterhaltung eines menschenwürdigen Daseins unbedingt erforderlich sind. Er
          gewährleistet das gesamte Existenzminimum durch eine einheitliche grundrechtliche
          Garantie, die sowohl die physische Existenz des Menschen, also Nahrung, Kleidung,
          Hausrat, Unterkunft, Heizung, Hygiene und Gesundheit (…), als auch die Sicherung
          der Möglichkeit zur Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und zu einem Mindest-
          maß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben umfasst,
          denn der Mensch als Person existiert notwendig in sozialen Bezügen (…).“
         
[BVerfG, Urteil vom 9. Februar 2010, Az.: 1 BvL 1/09 u.A., Rdnr. 135]

In der Gruppe 02 wird die Position 0210 000 Alkoholische Getränke in Höhe von € 8,11 auf Null gesetzt mit der Begründung, Alkohol zähle nicht zum physischen Existenzminimum und stattdessen unter Gruppe 01 die Position 0120 000 um Mineralwasser als Alkohol-Substitut in Höhe von € 2,99 erweitert.

Nicht nur, daß dies Exekutive und Legislative die Senkung der Eckregelleistung um ganze 5 Euro ermöglicht, hier wird auch weiterer Ausgrenzung der „Hartz IV“-Empfänger vorschub geleistet. Denn der Betrag für alkoholische Getränke dient primär nicht der Förderung des Alkoholkonsums, sondern der gesellschaftlichen Teilhabe, also dem Bierchen in der geselligen Gruppe oder, regionalspezifisch, dem Schoppen Wein beim Abendessen. Diejenigen, die ihren RL-Anteil für Nahrungsmittel in Form eines Bierkastens im Kühlschrank stehen haben, lassen sich durch diese Reduzierung der Regelleistung nicht einschüchtern, aber diejenigen, die beim Treffen mit Freunden in der Eckkneipe beim gemeinsamen Bierchen dabei sein wollen, die werden nun finanziell zusätzlich in die Enge getrieben. Dabei hat die Regelleistung wie oben schon dargestellt nicht nur das physische, sondern auch das sozio-kulturelle Existenzminimum abzusichern.

Damit ist die neue Regelleistung bis hinein in einzelne EVS-Positionen politisch willkürlich festgelegt und entspricht nicht einmal dem Ausgabeverhalten der unteren 15% bzw. 20% der Einkommensbezieher. Dies verstößt gegen Art. 1 Abs. 1 GG (Menschenwürde) gleichermaßen wie gegen Art. 3 Abs. 1 GG (Gleichbehandlungsgebot).

 

7. Kinder-Regelleistung weiterhin nicht ermittelt und willkürlich gekürzt
         
„Eine Aufteilung der Verbrauchsausgaben auf das Kind und die Erwachsenen durch
          die in der EVS befragten Haushalte ist aus folgenden Gründen nicht möglich:
          • Es würde einen erheblichen Zusatzaufwand für die Befragten erfordern, wenn sie für
          jeden (Groß-) Einkauf eine solche Aufteilung vornehmen müssten.
          • Die Aufteilung wäre stets subjektiv, da konkrete und objektive Vorgaben seitens des
          Statistischen Bundesamtes nicht gemacht werden könnten. Die Aufteilung würde
          deshalb nach individuellen Einschätzungen erfolgen, was die Vergleichbarkeit der
          Ergebnisse in Frage stellen würde.
          • Angesichts der Anforderungen und des Aufwands einer Aufteilung auf Familienmit-
          glieder müsste damit gerechnet werden, dass die befragten Haushalte überfordert
          würden. Würde eine solche Überforderung auch subjektiv empfunden, könnte dies zu
          einer abnehmenden Bereitschaft der Teilnehmer kommen, bis zum Ende des
          Erhebungszeitraums eine möglichst exakte Aufteilung vorzunehmen.
          • Erhöhte Anforderungen an das Führen der Haushaltsbücher können zu einer sinken-
          den Bereitschaft zur freiwilligen Teilnahme an der EVS führen. Dies gilt es im
          Interesse der Aufrechterhaltung der Qualität der Ergebnisse einer EVS zu vermeiden.
          Im Ergebnis ist deshalb nur eine normative Festlegung für die Verteilung der Haus-
          haltsausgaben auf Erwachsene und Kinder im Haushalt möglich.“
         
[BRatDrs. 661/10, Seite 106]

Damit ist klar, daß entgegen der Vorgabe des BVerfG gehandelt wird: 
         
„Der gesetzliche Leistungsanspruch muss so ausgestaltet sein, dass er stets den
          gesamten existenznotwendigen Bedarf jedes individuellen Grundrechtsträgers deckt
          (…). Wenn der Gesetzgeber seiner verfassungsmäßigen Pflicht zur Bestimmung des
          Existenzminimums nicht hinreichend nachkommt, ist das einfache Recht im Umfang
          seiner defizitären Gestaltung verfassungswidrig.“
          [BVerfG, Urteil vom 9. Februar 2010, Az.: 1 BvL 1/09 u.A., Rdnr. 137]
          „Zur Konkretisierung des Anspruchs hat der Gesetzgeber alle existenznotwendigen
          Aufwendungen folgerichtig in einem transparenten und sachgerechten Verfahren nach
          dem tatsächlichen Bedarf, also realitätsgerecht, zu bemessen (…).“
          [BVerfG, a.a.O., Rdnr. 139]
          „Kinder sind keine kleinen Erwachsenen. Ihr Bedarf, der zur Sicherstellung eines
          menschenwürdigen Existenzminimums gedeckt werden muss, hat sich an kindlichen
          Entwicklungsphasen auszurichten und an dem, was für die Persönlichkeitsentfaltung
          eines Kindes erforderlich ist.“
          [BVerfG, a.a.O., Rdnr. 191]
          „Ein zusätzlicher Bedarf ist vor allem bei schulpflichtigen Kindern zu erwarten.“
         
[BVerfG, a.a.O., Rdnr. 192 – Hervorh. H.M.]

Es ist eindeutig klar, daß der schulische Bedarf gesondert zu ermitteln ist und nicht mit dem kindspezifischen Bedarf vermengt werden darf bzw. an Stelle kindspezifischen anderweitigen Bedarfs wie Schreib- und Malsachen tritt (s.u.).

Da die Kinder-RL nicht gesondert ermittelt wurde, sondern willkürlich, weil nicht näher begründet, normativ festgelegt wurde, an Hand von Theorien Verteilungsschlüssel erstellt und angewendet wurden, mithin ein Bedarf herbeidefiniert statt ermittelt wurde, ist die Festlegung der Kinder-RL weiterhin verfassungswidrig.

Lediglich die Position 0321 300 Schuhe für Kinder und Jugendliche unter 14 Jahren stellt eine echte kindspezifische Regelleistungsposition analog der Position für Erwachsene und neben der Position 0931 900 Spielwaren die einzige kindspezifische RL-Position dar.

Die Position 0954 900 Sonstige Verbrauchsgüter (Schreibwaren, Zeichenmaterial u.Ä.) ist für Schulkinder komplett gestrichen, und zwar mit folgender Begründung:
         
„Die Position ‚sonstige Verbrauchsgüter’ (unter anderem Schreibwaren und Zeichen-
          material) ist nur für Kinder bis 5 Jahre voll regelbedarfsrelevant. Da Kinder von 6 bis
          17 Jahren diese Güter gesondert über das Schulbasispaket erhalten, werden diese
          Ausgaben für diese Altersgruppe nicht bei der Ermittlung des Regelbedarfs berück-
          sichtigt.“
         
[BRatDrs. 661/10, Seite 118]

Daß auch 7-Jährige und ältere Kinder gerne zu Hause malen und zeichnen, also außerhalb des Schulrahmens, soll nicht vorkommen?! Diese Kürzung ist willkürlich, die Begründung haarsträubend.

 

Für Eltern/Alleinerziehende mit Kindern im Alter von 12 und 13 Jahren sei noch folgender Punkt angefügt:

8. Die neuen Altersstufen bei der SGB II-Regelleistung entsprechen jetzt fast genau den Alterststufen, wie sie die „Düsseldorfer Tabelle“ im Rahmen des Unterhaltsrechts anwendet: 0-5 Jahre, 6-11 Jahre, 12-17 Jahre und ab 18 Jahren. Lediglich die Altersgruppen 6-11 Jahre („Düsseldorfer Tabelle“) und 6-13 Jahre ([Korrektur:] § 8 RBEG, § 23 neu SGB II) unterscheiden sich. Dieser Unterschied ist aber von großer Bedeutung. Das Unterhaltsrecht zählt die 12- und 13-Jährigen nicht umsonst zu einer monetär höheren Altersgruppe dazu, denn in diesem Alter beginnt bereits das pubertäre Wachstum mit der Folge vermehrt anfallender Ausgaben für Schuhwerk und Kleidung. Während dies im Unterhaltsrecht Berücksichtigung findet, verweigert das SGB II den Betroffenen dieses Recht. Eine sachliche Begründung gibt es dafür nicht. Und bei Alleinerziehenden hat dies eindeutig zur Folge, daß zwar die höheren Unterhaltsleistungen zu entpsrechend mehr Kindergeldanrechnung beim betreuenden Elternteil führen, dies aber nicht durch eine höhere Regelleistung kompensiert wird, so daß die höheren wachstumsbedingten Ausgaben voll negativ durchschlagen. Insgesamt stellt die willkürliche Altersstufenfestlegung im SGB II eine Verletzung von Art. 3 Grundgesetz dar.

 

 

 

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