Ersatzansprüche nach § 34 SGB
II – ab 2016 Bestrafungsparagraph gegen Zwangsverrentete
(2. Januar 2016)
Es entspricht nicht der
Vorgehensweise des Autors, einen Artikel über Gesetzesänderungen zu schreiben,
welche noch nicht in Kraft getreten sind. Allerdings erscheint es dem Autor
gerade im Hinblick auf die nachfolgende Abhandlung wichtig, den in 2016 von Zwangsverrentung
Betroffenen Informationen an die Hand zu geben.
Es ist nicht klar, wann das SGB
II-Rechtsvereinfachungsgesetz genannte SGB II-Rechtsverschärfungsgesetz in
Kraft tritt – aufgrund der Terminplanungen von Bundestag und Bundesrat ist
damit nicht vor dem 1. April 2016 zu rechnen –, auch kennt der Autor nicht den
Grund der Verschiebung des für den 1. Januar 2016 geplanten Inkrafttretens. Sollten
sich allerdings noch Änderungen ergeben, wird der nachfolgende Artikel
entsprechend aktualisiert. (Herbert Masslau, 2. Januar 2016)
Vorbemerkung
Nachfolgend findet ganz bewußt nur eine Auseinandersetzung
mit bestimmten Regelungen des Neunten Gesetzes zur Änderung des Zweiten
Buches Sozialgesetzbuch – Rechtsvereinfachung, kurz SGB
II-Rechtsvereinfachungsgesetz genannt, statt. Dies hat seinen Grund darin,
daß die Änderungen im Hinblick auf § 34 SGB II (Ersatzanspruch) und § 41a SGB
II (vorläufige Bewilligung) auf eine ganz bestimmte Gruppe zielen: die Zwangsverrenteten.
Es soll an dieser Stelle nicht unter den Tisch gekehrt
werden, daß auch eine zweite, wesentliche Gruppe von dieser Gesetzesänderung
betroffen ist, nämlich alle diejenigen, deren Unterkunftskosten (KdU) und/oder
Heizkosten angeblich zu hoch sind, aber schon die Abschaffung des § 35 SGB II
(Erbenhaftung) unter Beibehaltung der Erbenhaftung in § 34 Abs. 2 SGB II zeigt,
wer eigentlich gemeint ist mit dieser Verschärfung der Rechtslage, zumal bei
den KdU immer noch die gerichtliche Überprüfung der KdU-„Angemessenheitsgrenze“
und die Unmöglichkeit, zu den geforderten Grenzwerten Wohnraum zu finden, die
Anwendung des § 34 SGB II suspendieren könnten.
Der nachfolgende Artikel ist für die Leserinnen und Leser
keine leichte Kost. Auch dem Autor waren die möglichen Wirkungen des neuen § 34
SGB II zunächst nur intuitiv statt bewußt klar. Das liegt nicht an der
Gesetzesnorm daselbst. Die Gesetzesänderung zu § 34 SGB II ist eindeutig und
beinhaltet bereits, was mit den Betroffenen staatlicherseits geplant ist. Auch
liegt das Problem nicht darin, daß der Bezug zur Ersatzanspruch
auslösenden (nicht mehr) leistungsberechtigten Person verschleierter wäre als
beim Sanktionsparagraphen 31 SGB II, auch wenn § 34 SGB II nicht so einfach
durchsetzbar ist wie § 31 SGB II, weil abhängig von weiteren, „sachfremden“
Faktoren (Rentenbewilligung, Rentenhöhe, finanzielle Durchsetzbarkeit).
Das Problem liegt eher darin, daß der Ersatzanspruch
nach § 34 SGB II neben den Erstattungsanspruch nach §§ 102-107 SGB X tritt. Weiterhin
dürfen die „Flankierungsmaßnahmen“ §§ 41, 41a SGB II – und in Grenzfällen des
Erstattungsanspruchs nach § 43 SGB II – nicht unerwähnt bleiben. Die
Bundesregierung (Exekutive) will damit eine doppelte und dreifache Absicherung
des Zugriffs auf die nachträglich bewilligten Rentenleistungen gewährleisten.
Zuerst folgt eine kurze Darstellung der bisherigen
Rechtslage, dann der Änderungen beim § 34 SGB II und den flankierenden
Regelungen und dann eine kritische Auseinandersetzung damit, was dies
insbesondere im Hinblick auf die Zwangsverrenteten bedeutet.
bisherige Rechtslage
Der § 34 SGB II regelt den Ersatzanspruch des Staates
gegenüber SGB II-Leistungsbezieherinnen und -beziehern. Ersatzanspruch
heißt, daß sich der Staat die SGB II-Leistungen von den davon Betroffenen
ersetzen läßt.
Bisher regelte § 34 SGB II, daß wer „nach Vollendung des
18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig“ die Leistungen nach dem
SGB II erheischte, zum Ersatz dieser Leistungen gesetzlich verpflichtet war,
(es sei denn ein besonderer Härtefall wäre gegeben). Dieser Ersatzanspruch
umfaßt auch die Leistungen des SGB II-Trägers für die Kranken- und Pflegeversicherung
und – nur für Altfälle vor 2011 – Rentenversicherung sowie weiterer Mitglieder der
„Bedarfsgemeinschaft“ (Ehegatten, U-25-Kinder).
Dieser Rechtsanspruch des Staates geht auf den Erben einer
SGB II-Leistungsempfängerin bzw. eines SGB II-Leistungsempfängers über und
erlischt erst drei Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem die Leistungen erbracht
wurden (§ 34 Abs. 3 SGB II) und erst vier Jahre nach Ablauf des Jahres, in
welchem der Verwaltungsakt, mit dem der Ersatzanspruch begehrt wurde,
rechtskräftig geworden ist (§ 34a Abs. 2 SGB II).
§ 34b SGB II a.F. (jetzt: § 34c SGB II n.F.) regelte auch
den Ersatzanspruch im Hinblick auf anderweitig Ersatzpflichtige, wobei
auch die Leistungen für die Ehegatten und die U-25-Kinder der
leistungsberechtigten Person zu erstatten sind.
Eine weitere Auseinandersetzung über einzelne Regelungen
erübrigt sich an dieser Stelle.
höchstrichterliche Rechtsprechung
Das Bundessozialgericht (BSG) fügt immer mal wieder in
ablehnenden Entscheidungen gegen die sog. Jobcenter den Satz ein, es bestünde
eventuell ein Ersatzanspruch nach § 34 SGB II. Direkt zu § 34 SGB II hat
das BSG auch schon eine Entscheidung getroffen [BSG, Urteil vom 16. April 2013,
Az.: B 14 AS 55/12 R].
Dort ging es um einen wegen Drogenhandels Inhaftierten, für
den nach seiner Inhaftierung und für dessen Ehegattin und zwei Kinder auch
während der Inhaftierung SGB II-Leistungen gezahlt wurden. Die Begründung des
sog. Jobcenter lautete auf durch Drogenhandel selbstverschuldete Inhaftierung
mit dem entsprechenden Verlust von Arbeitseinkommen (= Verstoß gegen die
Pflicht zur Minderung der SGB II-Leistungen).
Dabei stellte das BSG klar, daß tatsächlich der SGB
II-Anspruch der Familienangehörigen des Klägers durch dessen Drogenhandel mit
anschließender Inhaftierung verursacht worden ist. Allerdings, so das BSG,
spielten bei der Feststellung des Hilfebedarfs Verschuldengesichtspunkte keine
Rolle. Und weiter: „Dieser Grundsatz einer verschuldensunabhängigen Deckung
des Existenzminimums darf nicht durch eine weitreichende und nicht nur auf
begründete und eng zu fassende Ausnahmefälle begrenzte Ersatzpflicht
konterkariert werden (BSG Urteil vom 2.11.2012 - B 4 AS 39/12 R - …).“ [BSG,
a.a.O., Rdnr. 18]
Das sozialwidrige Verhalten muß objektiv sein, nicht nur
schuldhaft, zumal der Ersatzanspruch der Höhe nach nicht begrenzt ist
[BSG, a.a.O., Rdnr. 19].
„Verwendet der Leistungsberechtigte etwa erzielte
Einnahmen nicht zur Sicherung des Lebensunterhalts und wird dadurch die
(teilweise) Hilfebedürftigkeit herbeigeführt, kann dies einen Ersatzanspruch
nach § 34 SGB II auslösen, wenn ein anderes Ausgabeverhalten
grundsicherungsrechtlich abverlangt war (BSG Urteil vom 29.11.2012 - B 14 AS
33/12 R - …), obwohl ein solches Verhalten regelmäßig keinen Straftatbestand erfüllt.
Diesem Verständnis von ‚sozialwidrigem Verhalten’ entsprechen ferner die in §
31 SGB II genannten Tatbestände, die zur Absenkung bzw des Wegfalls des
Arbeitslosengeldes II führen. In den dort genannten Fallgruppen drückt sich -
ähnlich wie im Sozialversicherungsrecht in den § 52 Sozialgesetzbuch Fünftes
Buch - Gesetzliche Krankenversicherung -, §§ 103 f Sechstes Buch
Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Rentenversicherung - und § 101 Siebtes Buch
Sozialgesetzbuch - Gesetzliche Unfallversicherung - aus, welches Verhalten als
dem Grundsatz der Eigenverantwortung vor Inanspruchnahme der Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zuwiderlaufend angesehen wird
und damit sozialwidrig ist (BSG Urteil vom 2.11.2012 - B 4 AS 39/12 R - …).“ [BSG,
a.a.O., Rdnr. 22]
„Weil es nach den genannten Maßstäben allein darauf
ankommt, ob durch das Verhalten selbst die Existenzgrundlage unmittelbar
beeinträchtigt wird oder wegfällt, liegt kein sozialwidriges Verhalten vor. Aus
dem gleichen Grunde stellt die Verbüßung der Haftstrafe als lediglich
mittelbare Folge eines (strafbaren) Verhaltens von vornherein kein ‚Verhalten’
dar, das für sich genommen als sozialwidrig gelten könnte.“ [BSG, a.a.O.,
Rdnr. 23]
Damit hat das BSG die Anwendbarkeit des § 34 SGB II derart
eingeschränkt, daß dieser aus Sicht der sog. Jobcenter, der Exekutive
(Bundesregierung) als quasi nicht anwendbar erscheinen mußte.
Rechtsverschärfung §§ 34 SGB II ff. n.F.
Korrekt geht es nicht nur um § 34 SGB II, sondern auch um den
neu geschaffenen § 34b SGB II.
Hier die gesetzlichen Änderungen im Einzelnen:
§ 34 SGB II n.F.
In § 34 Abs. 1 SGB II wird folgender Satz eingefügt:
„Als Herbeiführung im Sinne des Satzes 1 gilt auch, wenn
die Hilfebedürftigkeit erhöht, aufrechterhalten oder nicht verringert wurde.
Sachleistungen sind in Geld oder durch Rückgabe des Gutscheins, soweit dieser
nicht in Anspruch genommen wurde, zu ersetzen.“
Damit wird der bisherige Tatbestand der „Herbeiführung“ der
Leistung an sich (= z.B. § 31 Abs. 2 SGB II durch absichtliche Verringerung von
Vermögen), um die Tatbestände der „Nichtverringerung“ (= mangelnde KdU-Senkung)
und vor allem der „Aufrechterhaltung“ (= Weigerung bei der Zwangsverrentung
mitzuwirken) ergänzt.
§ 34b SGB II n.F.
§ 34b SGB II wird neu eingeführt. Der bisherige § 34b SGB II
wird neuer § 34c SGB II.
Der Titel des neuen § 34b SGB II lautet wegweisend
„Herausgabeanspruch bei Doppelleistungen“. Damit soll die für die Zwangsverrenteten
günstige BSG-Rechtsprechung [BSG, Urteile vom 31. Dezember 2012, Az.: B 13 R
9/12 R und B 13 R 11/11 R] konterkariert werden. Der 13. Rentensenat des BSG
hatte nämlich die von den sog. Jobcentern geltend gemachten
Erstattungsansprüche bei rückwirkend zuerkannter Altersrente bzw. Erwerbsminderungsrente
für unwirksam erklärt.
Der neue § 34b Abs. 1 SGB II lautet daher:
„Hat ein vorrangig verpflichteter Leistungsträger in
Unkenntnis der Leistung der Träger nach diesem Buch an die leistungsberechtigte
Person geleistet, ist diese zur Herausgabe der Leistung des vorrangigen Trägers
an die Träger nach diesem Buch verpflichtet. Der Herausgabeanspruch besteht in
der Höhe, in der ein Erstattungsanspruch nach dem Zweiten Abschnitt des Dritten
Kapitels des Zehnten Buches bestanden hätte.“
Damit ist der zentrale Inhalt des neuen § 34b SGB II erfaßt.
flankierende Gesetzesverschärfungen §§ 41, 41a SGB II
n.F.
§ 41 SGB II n.F.
§ 41 SGB II regelt die Berechnung der Leistung und die Länge
des Bewilligungszeitraumes. Die bisherigen Sätze 1 und 2 des Absatzes 1 und der
Absatz 2 bilden die neuen Absätze 1 und 2. Angefügt wird ein neuer Absatz 3,
welcher die Länge des Bewilligungszeitraumes regelt.
Dabei wird der bisherige 6-monatige
Regelbewilligungszeitraum mit der Erweiterungsmöglichkeit im Einzelfall auf 12
Monate umgekehrt in einen 12-monatigen Regelbewilligungszeitraum mit der
Möglichkeit der Verkürzung auf 6 Monate 1. bei vorläufiger Bescheidung und 2.
bei „unangemessenen“ Unterkunfts- und Heizkosten.
§ 41a SGB II n.F.
[Für das Nachfolgende wird zum Verständnis hier schon mal
auf die kritische Interpretation am Schluß verwiesen.]
Dieser wird neu eingefügt und regelt die vorläufige
Entscheidung in sieben Absätzen.
§ 41a Abs. 1 Nr. 1 SGB II n.F. regelt, daß eine Bewilligung
vorläufig ergeht, wenn zur Feststellung der Leistungsvoraussetzungen längere
Zeit erforderlich ist und ein Leistungsanspruch dem Grunde nach besteht. Die
Nr. 2, vorläufige Bewilligung, wenn ein Anspruch dem Grunde nach besteht, die
Feststellung der Höhe aber längere Zeit in Anspruch nimmt, betrifft den
bisherigen Fall vorläufiger Bewilligung im Hinblick auf die sog. Aufstocker mit
wechselnden Einkünften.
§ 41a Abs. 3 SGB II n.F. bestimmt, daß eine
leistungsberechtigte Person – die „Bedarfsgemeinschaftsmitglieder“ sind immer
mitgerechnet – nach Ablauf des Bewilligungszeitraumes verpflichtet ist, die für
die endgültige Leistungsfeststellung leistungserheblichen Tatsachen
nachzuweisen hat. Tut sie dies nicht, so werden nur die Monate – einzeln –
endgültig festgesetzt, welche die Behörde ohne Mitwirkung der Betreffenden
feststellen kann, ansonsten wird ein Leistungsanspruch negiert:
„Kommen die leistungsberechtigte Person oder die mit ihr
in Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen ihrer Nachweis- oder Auskunftspflicht
bis zur abschließenden Entscheidung nicht, nicht vollständig oder trotz
angemessener Fristsetzung und schriftlicher Belehrung über die Rechtsfolgen
nicht fristgemäß nach, setzen die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende
den Leistungsanspruch für Kalendermonate nur in der Höhe abschließend fest,
soweit seine Voraussetzungen ganz oder teilweise nachgewiesen wurden und er
ohne die Mitwirkung der Leistungsberechtigten festgestellt werden kann. Für die
übrigen Kalendermonate wird festgestellt, dass ein Leistungsanspruch nicht
bestand.“
Erst diese spezialgesetzliche Regelung einer vorläufigen
Leistungsgewährung ermöglicht einen späteren Erstattungsanspruch nach § 102 SGB
X.
§ 43 SGB II n.F.
Die Aufrechnung nach § 43 SGB II wird in Absatz 1 um den Ersatzanspruch
nach § 34b SGB II n.F. und den Erstattungsanspruch nach § 41a SGB II n.F. erweitert.
Die Aufrechnung setzt allerdings den weiteren SGB II-Leistungsbezug voraus, so
daß diese Regelung wegen des Leistungsausschlusses gemäß § 7 Abs. 4 SGB II
nicht auf die bereits Zwangsverrenteten zutrifft. Allerdings sind
Grenzfälle denkbar, etwa wenn der Rentenversicherungsträger die Bewilligung der
Rentenleistung nicht mehr innerhalb des Bewilligungszeitraumes schafft, sondern
erst in den ersten Monaten eines Nachfolgebewilligungszeitraumes.
Wider die Zwangsverrenteten
Zentraler Anknüpfungspunkt ist die Neuregelung in § 34 Abs.
1 SGB II – „Als Herbeiführung im Sinne des Satzes 1 gilt auch, wenn die
Hilfebedürftigkeit erhöht, aufrechterhalten oder nicht verringert wurde.“ –,
da, solange der bzw. die Hilfebedürftige die Mitwirkung bei der Zwangsverrentung
verweigert und damit die Hilfebedürftigkeit bis zum Rentenbescheid des SGB
VI-Leitungsträgers „aufrechterhält“, ein Ersatzanspruch zugunsten des
SGB II-Leistungsträgers generiert wird. Und zwar im SGB II daselbst. Das heißt,
der SGB II-Leistungsträger kann in jedem Falle aufgrund eigenen Rechtes schnell
an das Renteneinkommen und Vermögen des bzw. der Zwangsverrenteten ran. Einfacher
als über den Erstattungsanspruch gemäß §§ 102-107 SGB X in womöglich
sozialgerichtlicher Auseinandersetzung mit dem SGB VI-Leistungsträger. Die
Normierung im SGB II daselbst begünstigt den SGB II-Leistungsträger gegenüber
anderen Sozialleistungsträgern (hier: dem Rentenversicherungsträger).
Damit sollen Probleme vermieden werden, wie sie durch die
BSG-Rechtsprechung [BSG, Urteile vom 31. Dezember 2012, Az.: B 13 R 9/12 R und
B 13 R 11/11 R] offenbar wurden.
Das BSG hatte in zwei Entscheidungen, wo es allerdings um
Erwerbsminderungsrenten ging und zusätzlich zum SGB II-Leistungsträger
vorrangig der Arbeitslosengeld (Alg I)-Leistungsträger involviert war, dem sog.
Jobcenter die Geltendmachung einer Erstattung gemäß §§ 103, 104, 106 SGB X
bestritten, weil dem SGB II im Gegensatz zum SGB III (dort: § 142 SGB III a.F.,
§ 156 SGB III n.F.) eine Wegfallregelung fehlt [so: BSG, Az.: B 13 R 11/11 R,
Rdnr. 20; B 13 R 9/12 R, Rdnrn. 29, 41]. Gleichzeitig verneinte der 13.
Rentensenat des BSG Erstattungsansprüche des sog. Jobcenters aufgrund der §§
45, 48, 50 SGB X [BSG, Az.: B 13 R 9/12 R, Rdnr. 42], weil dem sog. Jobcenter
in dieser Frage kein Wahlrecht zustehe, ob es den vorrangig
leistungsverpflichteten Rentenversicherungsträger oder die nach SGB II leistungsberechtigte
Person angeht.
Eine Regelung wie die des § 142 SGB III a.F. bzw. § 156 SGB
III n.F. läßt sich aber nicht in das SGB II einfügen, weil es sich beim
Arbeitslosengeld II im Gegensatz zum Arbeitslosengeld I um Leistungen handelt,
die der Sicherung des Existenzminimums dienen. Das Problem dabei ist, daß der
SGB II-Leistungsträger trotz § 12a SGB II die SGB II-Leistung nicht einfach
einstellen kann. Dem steht BSG, Az.: B 14 AS 33/12 R, B 4 AS 89/12 R, B 14 AS
73/12 R, B 14 AS 38/12 entgegen, wonach es keine Anrechnung fiktiven Einkommens
(hier: noch nicht gezahlter Rentenleistungen) gibt. Muß aber der SGB
II-Leistungsträger Leistungen erbringen, so steht ihm kein Erstattungsanspruch
zu (§ 104 Abs. 1 Satz 3 SGB X). Zusätzlich bestimmt § 106 SGB X die Reihenfolge
der Erstattungsansprüche dergestalt, daß im Falle aufstockender SGB
II-Leistungen derjenige zuerst kommt, dessen Leistungspflicht nachträglich
entfallen ist, und dann erst der nachrangige Leistungsträger. In einem solchen
Fall – s. die o.g. Rechtsprechung des 13. Rentensenats des BSG – geht der SGB
III-Leistungsträger dem SGB II-Leistungsträger beim Erstattungsanspruch vor.
Die Begründung zu § 34b SGB II n.F. ist eindeutig:
„Die Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende haben
gegenüber dem vorrangig verpflichteten Sozialleistungsträger keinen
Erstattungsanspruch nach dem Zweiten Abschnitt des Dritten Kapitels des Zehnten
Buches, wenn eine nach dem SGB II leistungsberechtigte Person das Jobcenter von
einem möglichen, aber noch nicht durchgesetzten vorrangigen Anspruch nicht in
Kenntnis gesetzt und deshalb die Anmeldung eines Erstattungsanspruchs des
Jobcenters vereitelt hat. Die Realisierung einer Erstattung gegen den
vorrangigen Leistungsträger bleibt in diesen Fällen erfolglos, weil die vorrangige
Leistung bereits mit befreiender Wirkung an die leistungsberechtigte Person
ausgezahlt wurde.“ [Regierungsentwurf, Stand 12. Oktober 2015, Seite 50].
Für den Gesetzgeber, für die Bundesregierung ist es
einfacher, statt durch eine Änderung des SGB X Chaos in vielen Bereichen zu
stiften, eine spezialgesetzliche Regelung ins SGB II einzufügen, nämlich §§ 34
und 41a SGB II.
§ 41a SGB II spielt bereits an dieser Stelle eine Rolle, da
ein Erstattungsanspruch gegenüber dem Rentenversicherungsträger gemäß § 102 SGB
X nur möglich ist, wenn die SGB II-Leistungen vorläufig bewilligt wurden.
§ 40 Abs. 2 SGB II i.V.m. § 328 SGB III ist nicht
einschlägig, weil die hiernach mögliche vorläufige Leistungsbewilligung den
Leistungsanspruch dem Grunde nach voraussetzt, also nur die Höhe nicht von
Anfang an feststeht. Vorliegend geht es aber um den Wegfall des
Leistungsanspruchs gemäß § 7 Abs. 4 i.V.m. § 12a SGB II. Der Rentenbezug
schließt, egal ob ausreichend oder mit SGB XII-Aufstockung, den SGB
II-Leistungsbezug aus, allerdings erst ab dem Monat, ab dem die Rentenleistung
nach SGB VI laufend gezahlt wird.
Der Dreh- und Angelpunkt sind die „bereite Mittel“-Entscheidungen
des BSG [BSG, Az.: B 14 AS 165/10 R, B 14 AS 55/12 R], die es dem SGB
II-Leistungsträger nicht erlauben, durch Verweis auf einen fiktiven
Rentenanspruch – § 99 SGB VI verlangt die Antragstellung durch das versicherte
Mitglied – das Existenzminimum zu suspendieren. Hier nun erlaubt § 34 SGB II den
Rückgriff gegen die bzw. den bisher nach SGB II Hilfebedürftigen.
Sollte es trotz BSG, Az.: B 14 AS 1/15 R in Zukunft noch zu
Doppelleistungen kommen, also einmal des SGB II-Leistungsträgers an die
hilfebedürftige Person, zum anderen des SGB VI-Leistungsträgers ebenfalls an
die hilfebedürftige Person (Erstattung der Rentenleistung für die Vergangenheit
ab Bewilligung), dann greift jetzt § 34b Abs. 1 SGB II n.F., welcher den
Rückgriff gegen die nach SGB II leistungsberechtigte Person ermöglicht.
Hierbei ist zu beachten, daß § 34 SGB II einen Leistungsbescheid
(!) der „Hartz IV“-Behörde eröffnet, der, wenn er nicht mit Widerspruch und
Anfechtungsklage und nicht mit Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden
Wirkung von Widerspruch oder Anfechtungsklage im Falle der sofortigen
Vollziehung, weil § 39 SGB II nicht greift, angegangen wird, nach einem Monat
in Rechtskraft erwächst und dann im vereinfachten Wege der
Verwaltungsvollstreckung – z.B. § 2 Abs. 1 Satz 1 Niedersächsisches Verwaltungsvollstreckungsgesetz
i.d.F. vom 10. Oktober 2015 – durchsetzbar ist.
§ 34 SGB II a.F. war zusehr an ein „sozialwidriges
Verhalten“ gebunden. Wie schon weiter oben dargelegt, sah das
Bundessozialgericht selbst in dem Wegfall von Arbeitseinkommen durch die
Inhaftierung aufgrund von Drogenhandel, welches SGB II-Ansprüche der
Familienmitglieder des Inhaftierten auslöste, keinen Fall „sozialwidrigen
Verhaltens“. Die damit vom BSG gesetzten engen Grenzen für die Anwendbarkeit
des § 34 SGB II sollen durch die Neuregelung aufgeweicht und erheblich
erweitert werden.
Denn aus der Weigerung, der Verpflichtung gemäß § 12a SGB II
nachzukommen und eine Frühverrentung selbst einzuleiten, ergibt sich noch lange
kein „sozialwidriges Verhalten“. Der bzw. die Betroffene könnte einem solchen
Vorwurf ja zunächst entgegenhalten, daß er bzw. sie damit die nachfolgenden SGB
XII-Leistungen niedriger hält im Falle nicht bedarfsdeckender Rentenleistungen
oder durch die Zangsverrentung überhaupt erst verursachten ergänzenden
SGB XII-Bezug vermeidet. Auch kann in den Fällen, in denen dem SGB II-Leistungsträger
kein vorrangiger Anspruch gemäß SGB X gegen den Rentenversicherungsträger
zusteht, nicht von „sozialwidrigem Verhalten“ die Rede sein. „Sozialwidriges
Verhalten“ muß unter Vorsatz, bedingtem Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit,
also sehenden Auges begangen sein. Das wäre etwa der Fall, wenn jemand
Erbvermögen oder einen Lottogewinn in kurzer Zeit verpraßt, um (wieder)
bedürftig zu werden und damit in den Anspruch von SGB II-Leistungen zu
gelangen. Mit der Neuregelung des § 34 SGB II reicht jetzt bereits der
objektive Tatbestand der Nichtverringerung des SGB II-Leistungsanspruchs – bei Zwangsverrentung
heißt das: Aufrechterhaltung des Leistungsanspruchs – aus; auf einen
subjektiven Vorsatz kommt es nicht mehr an. Damit avanciert der § 34 SGB II n.F.
neben § 31 SGB II (Sanktionierung) zum großen Strafparagraphen im SGB II.
Interessant in diesem Gesamtzusammenhang ist, daß die
Erbenhaftung § 35 SGB II a.F. nunmehr aufgehoben ist, aber in § 34 Abs. 2 SGB
II im Hinblick auf den Ersatzanspruch weiter fortexistiert. Dies macht
allerdings nur Sinn, wenn der oder die Zwangsverrentete einen
Rentenanspruch reichlich oberhalb des Existenzminimums hat, weil sonst vererbbares
Schonvermögen – § 12 Abs. 2 Satz 2 SGB II ca. 10.000 Euro, hingegen § 1 Abs. 1
Nr. 1a DVO zu § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII nur 2.600 Euro – während der
Anfangszeit der Zwangsverrentung (63 Jahre bis 65+ Jahre) aufgefressen
wird.
Eine größere Rolle dürfte die vorläufige
Leistungsbewilligung gemäß § 41a SGB II n.F. spielen.
Folgender Fall ist denkbar:
Eine hilfebedürftige und
leistungsberechtigte Person bekommt einen Bewilligungsbescheid für den Zeitraum
1. April bis 30. September. Die leistungsberechtigte Person vollendet am 15.
Juni ihr 63. Lebensjahr. Der Bewilligungsbescheid ist gemäß § 41a SGB II n.F.
vorläufig, weil der SGB II-Leistungsträger die Zwangsverrentung
anstrebt. Mit dem Bewilligungsbescheid wird die leistungsberechtigte Person
gemäß § 12a SGB II aufgefordert, einen Rentenantrag beim zuständigen
Rentenversicherungsträger auf vorzeitigen Rentenbezug bis zum 30. Juni zu
stellen. Die leistungsberechtigte Person verweigert dies aber. Es kommt zur
Rentenantragsstellung durch den SGB II-Leistungsträger (§ 5 Abs. 3 SGB II) im
Laufe des Juli. Der Rentenversicherungsträger bewilligt die Rente, laufend ab
1. September, rückwirkend zum 1. Juli. Zum 1. September stellt der SGB
II-Leistungsträger die Zahlungen ein. Da der Bewilligungsbescheid vorläufig
erging, bedarf es keiner Aufhebung gemäß § 48 SGB X (s.u.). Für den Zeitraum 1.
April bis 30. Juni stellt der SGB II-Leistungsträger den Bewilligungsbescheid
als endgültig fest. Für den Zeitraum 1. Juli bis 31. August leitet der SGB
II-Leistungsträger gemäß § 102 SGB X die Rentenleistung auf sich über. Die
Rentenleistung liegt, sagen wir, 100 Euro über dem ursprünglichen SGB
II-Zahlbetrag. Im Ersatzanspruch enthalten sind aber auch die Kosten des
SGB II-Leistungsträgers für die Kranken- und Pflegeversicherung, sagen wir grob vereinfacht, in
Höhe von 150 Euro. Da die betreffende Person über den Rentenversicherungsträger
krankenversichert ist und die Beiträge bereits abgezogen sind, bleiben für
Juli und August jeweils 50 Euro trotz des Erstattungsanspruchs des SGB
II-Leistungsträgers gegenüber dem Rentenversicherungsträger ungedeckt. – Selbst
wenn jetzt noch die Überleitung des hälftigen KV-Beitrages bei der Krankenkasse
(SGB V-Leistungsträger) erwirkt würde, so funktioniert die Erstattung gemäß SGB
X nicht hinsichtlich der formalrechtlichen Hälfte des KV-Beitrages und des
vollen PV-Beitrages, den die zwangsverrentete Person zu leisten hat. – Diese
50 Euro je für zwei Monate sind der Betrag, welcher der SGB II-Leistungsträger
nun von der ehemals leistungsberechtigten Person im Wege des Ersatzanspruchs
gemäß § 34 SGB II n.F. fordert in Form eines Leistungsbescheides. Die
ehemals leistungsberechtigte, zwangsverrentete Person ist wütend und
verweigert die Zahlung. Der SGB II-Leistungsträger kann im Wege des
Verwaltungsvollstreckungsgesetzes seines Bundeslandes den
Leistungsbescheidbetrag pfänden.
Nachbemerkung:
Die sog. baby boomer-Generation wird derzeit nicht
nur zunehmend zur Erben-Generation, sondern auch zur Generation der Zwangsverrenteten,
sofern SGB II-leistungsberechtigt.
Mit dem „SGB II-Rechtsvereinfachungsgesetz“, welches korrekt
„SGB II-Rechtsverschärfungsgesetz“ heißen müßte, werden in Zukunft nicht, wie
mit der 12-Monate-Regel § 41 SGB II n.F. behauptet, „unnötige
Weiterbewilligungsverfahren vermieden“ [Regierungsentwurf, Stand 12.
Oktober 2015, Seite 56] – das wußten Exekutive und Legislative schon Ende 2003
bei der Verabschiedung der „Hartz IV“-Gesetze –, sondern nicht nur die
Belastung der Sozialgerichte und der „Hartz IV“-Behörden als
Widerspruchsbehörden wird zunehmen, auch die vorläufigen Bewilligungen gemäß §
41a SGB II n.F., und damit das genaue Gegenteil bewirken als in der
Regierungsbegründung behauptet.
Die „Beschäftigungsförderung“ durch §§ 34, 34b und 41a SGB
II n.F. wird vor allem aber die Zwangsverrenteten treffen.
Diese müssen dann nicht nur mit Widerspruch und Antrag auf Wiederherstellung
der aufschiebenden Wirkung (§ 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG) und Anfechtungsklage
(§ 54 Abs. 1 SGG) gegen die Zwangsverrentung als solche vorgehen,
sondern parallel in gleicher Weise gegen den Rentenversicherungsträger (SGB VI)
und dessen Rentenbewilligungsbescheid sowie gegen den Ersatzanspruch-Leistungsbescheid.
Der Leistungsbescheid über die Geltendmachung des Ersatzanspruches
unterliegt nicht § 39 SGB II, so daß ein Widerspruch aufschiebende Wirkung
entfaltet. Es darf aber mit der Anordnung der sofortigen Vollziehung durch die
„Hartz IV“-Behörde gerechnet werden, so daß ein Eilrechtsantrag beim
zuständigen Sozialgericht auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung
nottut; ebenso, falls schon Anfechtungsklage erhoben ist.
Hinzu kommt – weil zwar sowohl vom Bestrafungscharakter her
als auch im Verständnis der Zwangsverrenteten so gesehen, aber
formalrechtlich dennoch ein anderer Streitgegenstand – eine Verpflichtungsklage
oder kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1
und Abs. 4 SGG) gegen den vorläufigen Bewilligungsbescheid und dessen Folgen
[so: BSG, Urteil vom 6. April 2011, Az.: B 4 AS 119/10 R, Rdnr. 21].
Wie schwierig das Ganze formalrechtlich korrekt
auseinanderzuhalten ist, beweist die Rechtsprechung des BSG bezüglich
vorläufiger Bewilligungsbescheide. In zwei Entscheidungen, in denen die „Hartz
IV“-Behörden vorläufige Bewilligungsbescheide gemäß §§ 45, 48, 50 SGB X
aufgehoben hatten und Erstattung verlangten, entschied das BSG: „Sind die
spezifischen Voraussetzungen für eine vorläufige Bewilligung nicht erfüllt,
liegt kein Grund für eine gerichtliche Entscheidung über vorläufige Leistungen
anstelle einer endgültigen Klärung des Streits vor. … Eine vorläufige
Bewilligung ist nur eine Zwischenlösung, die auf eine Ersetzung durch eine
endgültige Entscheidung nach dem Wegfall der Voraussetzungen für die
Vorläufigkeit angelegt ist (mit ausführlicher weiterer Begründung BSG Urteil
vom 29.4.2015 - B 14 AS 31/14 R - vorgesehen für SozR - RdNr 21-26).“ [BSG,
Urteil vom 19. August 2015, Az.: B 14 AS 13/14 R, Rdnr. 16 und die im Zitat
genannte BSG-Entscheidung]. Gerade in den bereits im Zusammenhang mit § 43 SGB
II n.F. genannten Grenzfällen, bei denen die Bearbeitung der Rentenbewilligung
durch den SGB VI-Leistungsträger auf sich warten läßt und zwischenzeitlich ein
neuer SGB II-Antrag und -Bewilligungsbescheid ansteht, dürfte dies für die
vorhergehende vorläufige Bewilligung von Bedeutung sein. Dann stünden
allerdings Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Aufrechnung gemäß § 43
SGB II beim neuen Bewilligungsbescheidin der zeitlichen Reihenfolge vor dem Angehen des
Rentenversicherungsträgers und dessen Rentenbescheid.
Wie schon die gerade genannten BSG-Entscheidungen zeigen,
müssen die Betroffenen mit fehlenden juristischen Kenntnissen der
Sachbearbeitungsbehörden rechnen. Zwar bekommen die Sachbearbeiterinnen und
Sachbearbeiter juristische Leitlinien an die Hand, aber gerade im Falle der Optionskommunen,
für die die Fachhinweise der Bundesanstalt für Arbeit nur über den Umweg Art. 3
GG gelten, dürften fiskalpolitisch motivierte Rechtswidrigkeiten greifen. Es
ist auch nicht auszuschließen, daß die entsprechenden Rechtsabteilungen die
Tragweite und Komplexität der Neuregelungen einfach nicht erfassen; die
zunehmenden Korrekturen aufgrund von BSG-Entscheidungen sind beredtes Zeugnis.
Wer da nicht fit ist und sich der Mühe paralleler
(Gerichts)Verfahren unterzieht oder unterziehen kann, geht im Strudel
behördlichen Bescheidbombardements unter.