SGB XII – Änderungsgesetz
2016: Gesetz gegen Gerichtsentscheidungen
(26. September 2015)
Vorbemerkung
Die nachfolgenden Regelungen entstammen dem Gesetzentwurf
der Bundesregierung, den diese dem Bundesrat zwecks Zustimmung zugesandt hatte.
Der Bundesrat hatte den Gesetzentwurf als TOP 16 auf seiner Tagesordnung für
die Sitzung am 25. September 2015. Auf dieser Sitzung hat der Bundesrat hierzu
einen Beschluß gefaßt [BRatDrs. 344/15 (B)], welcher zwar zu anderen Aspekten
Änderungswünsche äußert, nicht jedoch zu den in diesem Artikel behandelten, so
daß davon auszugehen ist, daß diesbezüglich der Regierungsentwurf in einer der
nächsten Sitzungen des Bundestages unverändert mit der Regierungsmehrheit
beschlossen wird. Damit träten dann zum 1. Januar 2016 bzw. 1. Januar 2017
Neuregelungen in Kraft, die weitreichende Folgen haben. Weil diese Änderungen
so gravierende Folgen haben und davon auszugehen ist, daß das Gesetz erst kurz
vor dem 1. Januar 2016 beschlossen wird, um die Überlegenszeit für die
Betroffenen zu verkürzen, wird die kritische Auseinandersetzung mit den zwei
Änderungen, die der Autor dieses Artikels für am gravierendsten hält, entgegen
der sonstigen Übung schon jetzt veröffentlicht.
Zum einen geht es dabei um die Einkommensgrenze § 85 SGB XII
bei Leistungen nach dem Fünften bis Neunten Kapitel (z.B. Hilfe in besonderen
Lebenslagen, Hilfe zur Pflege) – hier sollen die Heizkosten bei den
Unterkunftskosten nicht mehr berücksichtigt werden, so daß sich ein höherer
Einkommensüberhang ergibt.
Zum anderen geht es bei Erstattungen von SGB XII-Leistungen
bezüglich des Dritten (Hilfe zum Lebensunterhalt) und Vierten Kapitels
(Grundsicherung im Alter) um den Übergang von Ansprüchen gegenüber
Unterhaltsverpflichteten (z.B. die eigenen Kinder) nach § 94 SGB XII – hier
soll den vom Sozialhilfeträger in Anspruch genommenen Unterhaltsverpflichteten
nicht auch die 56 %-Reduktion bei den Unterkunftskosten wegen des
ausgeschlossenen Bezuges von Wohngeld zugute kommen, wodurch sich der Erstattungsbetrag
an den Sozialhilfeträger zulasten der Unterhaltsverpflichteten erhöht, was bei
einer Rückforderung vom Hilfebedürftigen selber nicht der Fall wäre.
Die hier dargestellten Änderungen des SGB XII sind –
kontradiktorische – Folge höchstrichterlicher Rechtsprechung – einmal des
Bundessozialgerichts (BSG) zur Sozialhilfe (§ 85 SGB XII), einmal des
Bundesgerichtshofes zu Unterhaltspflichten im Zusammenhang mit Erstattungen von
SGB XII-Leistungen (§§ 94, 105 SGB XII). Die hier behandelten höchstrichterlichen
Entscheidungen vom April 2013 und Juni 2015 sind als Ursache für die
Verschärfungen im SGB XII durch Bundesregierung und Bundestag anzusehen.
Damit wird die Reihe des Autors „Gesetze gegen
Gerichtsentscheidungen“ weiter fortgesetzt.
1.1.2016
Keine Berücksichtigung der Heizkosten bei der Bestimmung der
Einkommensgrenze (§ 85 SGB XII).
Das BSG entschied bereits 2013:
„Bei seiner erneuten Entscheidung wird das LSG für die
Ermittlung der Einkommensgrenze auch die Angemessenheit der Kosten der Unterkunft
(…) zu ermitteln haben (…). Hierzu hat das LSG lediglich
ausgeführt, dass der Beklagte 288,62 Euro in seine Berechnung eingestellt habe.
Wie sich dieser Betrag zusammensetzt, steht nicht fest; insbesondere ist nicht
erkennbar, ob darin ggf auch Tilgungsanteile aus dem Kauf der Eigentumswohnung
- wofür nach dem eigenen Vortrag der Klägerin in der Revision vieles spricht -
enthalten sind (…). Nicht
erkennbar ist auch, inwieweit in diesem Betrag Heizkosten enthalten sind, die
nach Sinn und Zweck der Vorschrift gleichermaßen als Kosten der Unterkunft zu
berücksichtigen sind. Dem widerspricht nicht, dass in § 29 SGB XII aF bzw § 35
SGB XII nF formal zwischen ‚Leistungen für die Unterkunft’ und ‚Leistungen für
Heizung’ unterschieden wird. Bereits vom Wortlaut her ist § 85 Abs 1 Nr 2 SGB
XII mit den Formulierungen dieser Vorschriften nicht identisch, wenn dort die ‚Kosten
der Unterkunft’ aufgeführt sind (…).
Es ist kein Grund ersichtlich, warum Gelder für angemessene Heizkosten, die
normativ und auch tatsächlich notwendigerweise für den allgemeinen
Lebensunterhalt zur Verfügung stehen müssen, von § 85 Abs 1 Nr 2 SGB XII nicht
erfasst sein sollten. Eine Korrektur über § 87 SGB XII (…) wäre systemwidrig, weil es sich bei
den Heizkosten gerade nicht um besondere, sondern übliche Belastungen handelt,
die bei jedem unabhängig von den in § 87 Abs 1 Satz 2 und 3 SGB XII
bezeichneten Kriterien entstehen.“
[BSG, Urteil vom 25. April 2013, Az.: B 8 SO 8/12 R, Rdnr.
25]
Dazu heißt es nun in der
gesetzlichen Änderung:
„Zu Nummer 18 (§ 85 SGB XII)
Zu Buchstabe a
[…] Außerdem ermöglicht die Änderung auch die Klärung
einer Auslegungsfrage: In § 35 SGB XII wird unterschieden zwischen Bedarfen für
Unterkunft nach den Absätzen 1 bis 3 und Bedarfen für Heizung nach Absatz 4.
Soweit sich ein Regelungsinhalt auf Aufwendungen für Unterkunft und Heizung
bezieht (Bruttowarmmiete), sind beide Aufwendungen zu benennen (so in der
Überschrift von § 35 SGB XII und in § 42 Nummer 4 SGB XII in den sich jeweils
aus diesem Gesetzentwurf ergebenden Fassungen.
Damit werden künftig zugleich Mehrkosten der Träger
vermieden, die infolge der anderslautenden Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
(Urteil vom 25.4.2013, B 8 SO 8/12 R) bei den Hilfen nach dem Fünften bis
Neunten Kapitel des SGB XII entstehen. Damit sind künftig Aufwendungen für
Heizung nicht mehr bei der Ermittlung der Einkommensgrenze nach § 85 SGB XII zu
berücksichtigen.“
[BRatDrs. 344/15, Seite 30 – Hervorh. d.d.A.]
1.1.2017
Keine Berücksichtigung der 56%-Regelung bezüglich der
Unterkunftskosten (§ 105 Abs. 2 SGB XII) bei Erstattungsforderungen (§ 94 SGB
XII).
Der BGH entschied 2015:
„d) Jedoch hat das Oberlandesgericht die Anwendung des §
94 Abs. 1 Satz 6 i.V.m. § 105 Abs. 2 SGB XII zu Unrecht ausgeschlossen.
aa) Gemäß § 94 Abs. 1 Satz 6 SGB XII gilt für
Leistungsempfänger nach dem Dritten Kapitel (Hilfe zum Lebensunterhalt) und dem
Vierten Kapitel (Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung) für den
Übergang des Anspruchs § 105 Abs. 2 SGB XII entsprechend.
(1) Nach § 105 Abs. 2 SGB XII unterliegen von den - bei
den Leistungen nach § 27 a SGB XII oder § 42 SGB XII berücksichtigten - Kosten
der Unterkunft, mit Ausnahme der Kosten für Heizungs- und Warmwasserversorgung,
56 % nicht der Rückforderung.“
„(2) Die
Verweisung in § 94 Abs. 1 Satz 6 SGB XII auf § 105 Abs. 2 SGB XII schließt auch
die Kosten für die Unterkunft im Rahmen einer stationären Einrichtung ein.
Deshalb gehen 56 % der Wohnkosten (mit Ausnahme für Warmwasser und Heizung)
auch dann nicht auf den Sozialhilfeträger über, wenn der Hilfeempfänger - wie
hier - in einem Heim lebt (…).“
[BGH, Versäumnisbeschluß vom 17. Juni 2015, Az.: XII ZB
458/14, Rdnrn. 42-44, 45]
Dazu heißt es nun in der
gesetzlichen Änderung:
„Zu Nummer 19 (§ 94 SGB XII)
Mit § 105 Absatz 2 SGB XII, dessen entsprechende
Anwendung in § 94 Absatz 1 Satz 6 SGB XII geregelt wird, sollen Personen, die
Leistungen nach dem Dritten oder Vierten Kapitel des SGB XII unter
Berücksichtigung von Bedarfen für Unterkunft erhalten haben und die deswegen
vom Wohngeldbezug ausgeschlossen sind (§ 7 Absatz 1 Satz 1 Nummer 5 und 6
WoGG), durch die Einschränkung der Erstattung dieser Leistungen pauschal so
gestellt werden, als ob sie Wohngeld empfangen hätten (BT-Drucksache 15/1761,
S. 7). Da § 94 SGB XII auf die Erstattung von Sozialhilfeleistungen durch einen
Dritten und nicht durch die leistungsberechtigte Person abzielt, geht die
Verweisung auf § 105 Absatz 2 SGB XII systematisch fehl.
Zudem folgt bei der in § 94 SGB XII angeordneten
entsprechenden Anwendung von § 105 Absatz 2 SGB XII, dass der Träger der
Sozialhilfe den Unterhaltsanspruch nicht in voller Höhe auf sich überleiten
kann. Gleichzeitig folgt aus dem Nachranggrundsatz des SGB XII, dass die
leistungsberechtigte Person ihrerseits den verbleibenden Unterhaltsanspruch zur
Beseitigung von Hilfebedürftigkeit gegen die unterhaltsverpflichtete Person
geltend zu machen hat. Für die anteilige Durchsetzung eines einheitlichen
Unterhaltsanspruchs sowohl durch den zuständigen Träger als auch durch die
unterhaltsberechtigte Person besteht kein Bedürfnis.“
[BRatDrs. 344/15, Seite 30]
Fazit:
Es bleibt dabei. Für die Betroffenen positive
höchstrichterliche Entscheidungen führen immer noch und immer wieder zu
negativen Gesetzesänderungen zulasten der Betroffenen. Es darf an dieser Stelle
durchaus spekuliert werden, ob es mittlerweile Funktion vorwiegend des BSG,
über das Unterhaltsrecht auch des BGH ist, die Lücken in den Gesetzen
aufzuspüren, um der Exekutive und Legislative aufzuzeigen, wo sie noch zulasten
der Betroffenen „nachbessern“ müssen. In den hier geschilderten Fällen führen
diese „Nachbesserungen“ nicht nur zur Leistungsentsagung, sondern zu einem zusätzlichen
finanziellen Schaden. Zumindest punktuell bleibt einzelnen konkreten
Betroffenen durch die höchstrichterlichen Entscheidungen diese zusätzliche
Belastung erspart.