Herbert Masslau

Schulbuchkosten (+ tablet-PC): Bericht vom BSG am 8. Mai 2019



 

Ich war persönlich als Zuschauer auf der besagten Sitzung des 14. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) am 8. Mai 2019 in Kassel anwesend.

Dort verhandelte das BSG zwei Urteile des LSG Niedersachsen-Bremen (Az.: L 11 AS 349/17 und L 11 AS 1503/15) vom Dezember 2017. In diesen Entscheidungen hatte das LSG Niedersachsen-Bremen Kosten für Schulbücher auf der Grundlage des § 21 Abs. 6 SGB II zugesprochen.

 

Um es vorweg zu nehmen: das BSG hat diese beiden LSG-Entscheidungen bestätigt. Dabei wurde die zweite LSG-Entscheidung voll bestätigt, die erste dem Grunde nach, da die Sache wegen der ungeklärten Höhe der Schulbuchkosten an das LSG zurückverwiesen werden mußte. In beiden Fällen ging es um ungedeckte Schulbuchkosten in Höhe von bis zu 200 Euro.

 

Das BSG hat sich gleichsam im Ausschlußverfahren an die letztendlich gefundene Entscheidungsgrundlage herangetastet.

Und, um ein Weiteres vorweg zu nehmen: das BSG hat durch mehrmaliges Erwähnen des Begriffs „iPad“ deutlich gemacht – auch für den Fall, daß dies im späteren schriftlichen Urteil keine Erwähnung findet –, daß es für die Anschaffungskosten schulisch genutzter tablet-PCs eine Analogie zur Entscheidung über die Schulbuchkosten sieht!

 

Zu den einzelnen möglichen Anspruchsgrundlagen:

 

Die Übernahme der Schulbuchkosten via § 28 Abs. 3 SGB II scheidet aus, weil dieser evident unzureichend ist, was bei Kosten von ca. 200 Euro und einer Pauschale von 100 Euro pro Schuljahr mehr als einleuchtend ist.

In diesem Zusammenhang kam der Vorschlag des BSG, diesen Paragraphen um Schulbücher und - ! - iPads zu erweitern.

 

Obwohl die Regelleistung für Bücher einen Betrag von knapp 3 Euro pro Monat vorsieht, kommt dennoch eine Anwendung des § 24 Abs. 1 SGB II samt Darlehensregelung nicht in Frage, weil dieser eine richtig ermittelte Regelleistung voraussetzt, die Regelleistung selbst also nicht verfassungswidrig unzureichend sein darf.

Hier warf das BSG ein, daß die Regelleistung für das gesamte Bundesgebiet errechnet sei, also nicht evident unzureichend, da in der Mehrzahl der Bundesländer Lernmittelfreiheit herrsche; evident unzureichend sei die Regelleistung aber in den Bundesländern, in denen keine Lernmittelfreiheit herrsche. Unter Hinweis auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes vom 9. Februar 2010 (Az.: 1 BvL 1/09 u.a.) wies das BSG darauf hin, daß unter dem Aspekt der bestehenden Schulpflicht die damit verbundenen Kosten zum existenznotwendigen Bedarf gehörten, welcher pflichtgemäß vom Staat zu decken sei.

In diesem Zusammenhang erwähnte der vorsitzende Richter des BSG, daß das BSG bei den 16 Bundesländern angefragt hätte und das bei der Mehrheit der Bundesländer Lernmittelfreiheit herrsche, nicht jedoch in Niedersachsen. Angesichts der Länderhoheit im Bereich Kultus, aber der Verantwortlichkeit des Bundes für das SGB II stellte das BSG fest, daß ein hier bestehender Widerspruch, wenn ein Bundesland wie Niedersachsen zumindest in der Oberstufe keine Lernmittelfreiheit gewährt, dieser nicht auf dem Rücken der Betroffenen ausgetragen werden dürfte.

 

§ 24 Abs. 3 SGB II scheidet auch aus, weil es sich bei den Schulbuchkosten offensichtlich nicht um Erstausstattung für Wohnung und Bekleidung und auch nicht um orthopädische Schuhe handele. Gegen die Anwendbarkeit des § 24 Abs. 3 SGB II sprach also die abschließende Aufzählung.

 

Auch erwähnte das BSG, daß nachwievor der § 73 SGB XII auch für das SGB II immer noch in Frage käme. Da aber das BSG den zuständigen Sozialhilfeträger, um diesen nach § 73 SGB XII hätte verurteilen zu können, hätte notwendig gemäß § 75 SGG beiladen müssen, dies aber nicht getan hatte, war klar, daß das BSG auch diesen Weg nicht wählen würde.

 

Nun kam ein Zitat aus der BVerfG-Entscheidung vom 23. Juli 2014 zum Einsatz:

„Fehlt es aufgrund der vorliegend zugrunde gelegten Berechnung des Regelbedarfs an einer Deckung der existenzsichernden Bedarfe, haben die Sozialgerichte Regelungen wie § 24 SGB II über gesondert neben dem Regelbedarf zu erbringende einmalige, als Zuschuss gewährte Leistungen verfassungskonform auszulegen (...). [BVerfG, Beschluß vom 23. Juli 2014, Az.: 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13, Rdnr. 116]

Und der vorsitzende Richter fragte dann gleich den Klägervertreter, was denn mit der Formulierung „wie § 24 SGB II“ gemeint sein könnte. Daraufhin antwortete der Klägervertreter: es sei wohl gemeint „sucht mal was“. Dies befand der vorsitzende Richter für eine schöne Formulierung und übernahm sie.

„Gefunden“ hatte das BSG dann, wie schon vorher das LSG Niedersachsen-Bremen, den Paragraphen 21 Absatz 6 SGB II als Anspruchsgrundlage.

 

Zunächst wies das BSG darauf hin, daß § 21 Abs. 6 SGB II ja bereits aufgrund der BVerfG-Entscheidung vom 9. Februar 2010 (dort Rdnr. 204 ff.) eingefügt worden sei als Härtefall-Mehrbedarf, um nicht gedeckte, aber existenznotwendige Bedarfe abzudecken, wozu der Bund wegen seiner Gesetzgebungskompetenz im Bereich des SGB II verpflichtet sei.

Daraufhin nahm das BSG den § 21 Abs. 6 SGB II näher in Betrachtung hinsichtlich der Anspruchsvoraussetzungen, wobei es zunächst lapidar feststellte, daß der Bedarf aufgrund der Schulpflicht „unabweisbar“ sei, in der Höhe von einem durchschnittlichen Bedarf „erheblich abweiche“ und nicht durch Dritte oder Einsparmöglichkeiten – der Ansparbetrag von 3 Euro monatlich sei in Erinnerung gerufen – gedeckt sei. Blieb die Frage, ob es sich bei den Schulbuchkosten um einen „laufenden Bedarf“ handele, was bejaht wurde.

An dieser Stelle hilft die Entscheidung Schleswig-Holsteinisches LSG, Beschluß vom 11. Januar 2019, Az.: L 6 AS 238/18 B ER, mit welcher einem Schüler die Kosten eines schulisch zu nutzenden PC zugesprochen wurden, weiter. Das Schleswig-Holsteinische LSG hat unter ausdrücklichem Bezug auf die vor dem BSG verhandelten Entscheidungen des LSG Niedersachsen-Bremen erklärt:

„Der PC/Laptop wird zwar nur einmal bezahlt, er erfüllt jedoch einen laufenden Bedarf, und zwar den, sachgerecht eine Schule besuchen, gleichberechtigt am Unterricht teilnehmen und die Hausaufgaben erledigen zu können, ohne gegenüber Mitschülern benachteiligt zu sein.“

Welche Formulierung das BSG findet, bleibt den schriftlichen Urteilsbegründungen, die noch ausstehen, überlassen.

BSG, Urteile vom 8. Mai 2019, Az.: B 14 AS 6/18 R u. B 14 AS 13/18 R


 

 

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