Zunächst will ich klarstellen, daß ich nicht so vermessen bin,
die „Hartz IV“-Folter mit der Folter gleichzusetzen, die Menschen erfahren
haben, die in den Nazi-KZs gefoltert wurden und heute noch gefoltert werden in
vielen Staaten dieser Welt, sei es direkt staatlich organisiert durch
Geheimdienste und Geheimpolizeien, sei es mehr eigenständig durch „Schwarze
Schwadronen“, welche aber auch aus Soldaten und Polizisten bestehen. Selbst
demokratische Staaten lassen foltern, und sei es wie die USA mit ihren Folterungen
in Abu Ghraib im Irak 2003/2004, den CIA-Folterflügen (rendition flights)
nach Syrien al-Assad’s [1] und nach Libyen unter al-Ghaddafi [2], übrigens
Folterflüge via dem deutschen US-Militärstützpunkt Ramstein [3] [4] [5]. England
[6], Polen, Italien [5], die Türkei (bis 2016) waren bzw. sind einige der demokratischen
Länder, die in diese Folterflüge verwickelt waren (2003-2011). Mit
anderen Worten: die demokratischen Staaten dieser Welt, weil Folter in ihren
Verfassungen verboten, lassen foltern.
Deutlich wird allerdings, daß nicht nur historisch, sondern
auch gegenwärtig selbst bürgerlich-demokratische Staaten trotz des Folterverbots
in ihren Verfassungen (Art. 104 GG: „Festgehaltene Personen dürfen weder
seelisch noch körperlich mißhandelt werden“) oder in der EU über supranationales
Recht (Art. 3 EMRK; Art. 4 EU-Grundrechtecharta) in vielfältiger Weise die
unveräußerlichen Menschenrechte mit Füßen treten.
Diese grundsätzliche Bereitschaft zur Mißachtung der
unveräußerlichen Menschenrechte (Würde, körperliche Unversehrtheit) ist es, die
den Bezug zu „Hartz IV“ eröffnet.
Es ist nicht meine Absicht, eine Inflationierung des Begriffs
Folter zu betreiben. Der Folterbegriff der UN-Antifolterkonvention von
1984, durch Deutschland 1990 ratifiziert, umfaßt immerhin auch die Zufügung
seelischer Schmerzen durch Angehörige des Öffentlichen Dienstes [7]. In
Deutschland unterfällt die psychische Folter einfachgesetzlich der
Körperverletzung im Amt (§ 340 StGB).
Folter ist immer ein Ausdruck von MACHT (= machen können).
So, wie es bei der Folter fast nie darum geht, daß der Gefolterte den Folterern
Informationen über Vorhaben, über Mitstreiter liefert, sondern ausschließlich
um Machtausübung, nicht nur über die Gefolterten, sondern vorallem über
diejenigen, welche davon erfahren und aus Angst ihre eigenen Aktivitäten
einstellen. Letzteres ist von großer Bedeutung, um die die Macht bedrohenden gesellschaftlichen
Aktivitäten einzudämmen. Ich weiß aus eigener Erfahrung aus meiner Zeit als
Anti-AKW-Aktivist, daß in harten Situationen von der Polizei diejenigen am
härtesten angegangen wurden, die nicht in Schutzmontur und mit einer
Vorgehensstrategie für verschiedene Situationen gewappnet waren, sondern die
sog. Ökopaxe in Birkenstockschuhen, die den Polizeiknüppeln und Wasserwerfern
am schutzlosesten ausgeliefert waren. Das diente der Einschüchterung, denn der
Polizei war klar, das diejenigen, die sich auf das Polizei„angebot“ einstellen
konnten im Vorfeld, sich nicht einschüchtern ließen, also wurde mit
Abschreckung auf die anderen gesetzt.
MACHT heißt nicht nur Erlangung von Macht, sondern immer
auch Sicherung der bereits erlangten Macht.
Und auch hier ist wieder der Bezug zu „Hartz IV“
hergestellt: Ist der Kapitalismus historisch nach dem Handelskapitalismus in
Mittelalter und Absolutismus und dem Industriekapitalismus im 19. und 20.
Jahrhundert nun bei sich selbst, nämlich dem Finanzkapitalismus, angekommen, so
ist er auch am Ende seiner Entwicklung. Da die eigene westliche Bevölkerung
nicht mehr benötigt wird für die „bessere Welt“ gegen den sog. Ostblock, kann
jetzt (seit 1991) die eigene Bevölkerung malträtiert werden bis zum
Geht-nicht-Mehr.
Dabei hat Deutschland auf der zweiten Ebene, unterhalb des
Weltkonflikts USA/EU versus Russland/China, die Imperialistenrolle innerhalb
Europas übernommen. Die zumindest ökonomische Herrschaft Deutschlands – der
letzte militärische Versuch der totalen Herrschaft ist ja 1945 gescheitert –
via seine Exporte unter Verdritteweltlichung der Länder Südeuropas von
Griechenland bis Portugal ist ohne „Hartz IV“ und die daraus resultierenden
flächendeckenden prekären Arbeitsverhältnisse nicht denkbar. Der Schulterschluß
mit Frankreich ist dabei ein sehr ambivalenter: einerseits kann Deutschland,
erst recht nach dem Austritt Englands, in Europa nicht gegen Frankreich
herrschen, andererseits gehört Frankreich teilweise auch zu den südeuropäischen
„Dritteweltländern“, vorallem aber hat es noch eine starke
Gewerkschaftsbewegung. Das Interesse der neuen französischen Regierung an
„Hartz IV“ ist hierbei von Bedeutung. Macron ist Vertreter des Kapitalismus
pur: Investmentbanker bei der Bank Rothschild, Vermittler bei Geschäften zwischen
dem US-Konzern Pfizer und dem schweizer Nestlé-Konzern und Tätigkeiten im
französischen Finanzministerium [8] [9].
Senkung der staatlichen Sozialausgaben um jeden Preis, um
dem Kapital durch Steuerleichterungen, Subventionen, Steuerflucht u.a. zu Profit
zu verhelfen, damit das kapitalistische Spiel weitergeht.
Den Menschen in Europa ging es im 19. Jahrhundert
(„Manchester-Kapitalismus“) schlechter als im 18. Jahrhundert. Die
Freiheitsrechte, die die Französische Revolution und anschließend die Napoleonische
Ära und andere bürgerliche Revolutionen in Europa brachten, dienten in erster Linie
dazu, die letzten feudalen Sozialbindungen zu lösen, um die absolut freie
Arbeitskraft zu haben, derer der Kapitalismus als Ware Arbeitskraft benötigte.
Der „Manchester-Kapitalismus“ stieß dabei schnell an seine Grenzen, da die
totale Ausbeutung von Mensch und Natur schnell zu Massenkämpfen führten; die
nun nicht mehr vereinzelten Bauern, sondern zentralisierten Arbeitermassen
waren auch organisatorisch hierzu in der Lage. Noch vor dem Ersten Weltkrieg
kam es in Deutschland zur Schaffung einer Kranken-, Unfall- und
Rentenversicherung (1883-1891) – Rente mit 70 Jahren (sic !) –, nach dem
Ersten Weltkrieg zur Einführung des Acht-Stunden-Tages (1918) und der Arbeitslosenversicherung
(1927). Nachdem der nackte Kapitalismus nochmal 1929 mit dem „Schwarzen
Freitag“ (Börsencrash) gezeigt hat, welche globale Zerstörungskraft in ihm
steckt, kam es in den sog. Industrienationen zur Keynes’schen (John Maynard
Keynes, 1883-1946) Politik, d.h. des zunehmend sozialpolitisch motivierten
staatlichen Lenkeingriffs, um zu verhindern, daß der Kapitalismus noch wie in
Zeiten von Karl Marx (1818-1883) sich selbst zerstört – und mit ihm Mensch und
Natur. Staatliche Einschränkung des Kapitalismus um seines Erhaltes willen, da
der Kapitalismus hierzu selbst nicht in der Lage ist.
Die auch und besonders in Deutschland – einem Land im
Gegensatz zu England, Frankreich, Holland, Italien ohne bürgerliche Revolution
– geschaffenen Sozialrechte konnten vorallem aufgrund der Zerstörungen des
Zweiten Weltkriegs, des dadurch bedingten Wiederaufbaus und wiederum dadurch
geschaffenen allgemeinen Wohlstands, aber auch aufgrund des auch ideologisch
geführten Ost-West-Konflikts weiter ausgebaut werden (Einführung der
Sozialhilfe 1961).
Der Mauerfall 1989 in Deutschland ist nicht nur ein
Mauerfall, er ist ein Dammbruch für den Kapitalismus weltweit. Krieg ist
seitdem weltweit, nicht nur punktuell wie der Korea-Krieg (1950-1953), der
Vietnam-Krieg (1945-1954 Indochina-Krieg, 1955-1975 Vietnam-Krieg), wenn auch
noch kein Weltkrieg, aber auch in Europa wieder angekommen (Jugoslawien-Krieg
1991-1995, Kosovo-Krieg 1999; Ukraїne-Krieg seit 2014).
Und er ist ein Sozialkrieg.
Zwar begann der Sozialraubbau schon 1982 bei Wohngeld und
Sozialhilfe, aber erst die Einführung von „Hartz IV“ 2005 und in dessen Vorfeld
die Stornierung der Sozialhilfe bis 2004, der enorme Leistungsabbau im
Krankenversicherungsrecht 2004, ermöglichte, was bei der alten Sozialhilfe noch
nicht erlaubt war: prekäre Arbeitsverhältnisse mit Übernahme von Lohnanteilen
durch die Sozialhilfe, „Arbeitslosengeld II“ genannt. Dieses „Arbeitslosengeld
II“ war von Anfang an konzipiert nicht als Geld für die Arbeitslosen, sondern
als Geld für die Kapitalisten in Form von Aufstockerlohn, und damit sind nicht
nur die 75 Prozent Lohnanteile gemäß § 16e Abs. 2 SGB II gemeint, die der Staat
übernimmt, wenn auch zeitlich begrenzt.
Der größere Batzen zugunsten des unter sinkender Profitrate
„leidenden“ Kapitals erfolgt durch Steuererleichterungen, Subventionen u.a.m.,
die über Sozialraubbau finanziert werden.
Bei „Hartz IV“ findet dieser Sozialraubbau nicht nur statt
über die Verweigerung spezifischer, zum Lebensunterhalt notwendiger Güter (z.B.
Waschmaschine als Ersatzbeschaffung), nicht nur bei der Quasi-Deckelung der
Regelleistung, die inzwischen fast komplett für Nahrung, Energie und ÖPNV draufgeht,
sondern vorallem über die „Kosten der Unterkunft“ (KdU), die so bemessen sind,
daß die permanente Drohung mit Obdachlosigkeit im Raume steht.
Während der Zähne bleckende Kapitalismus den Staat, erst
recht den deutschen Parteibuch-Staat vor sich hertreibt, wobei sich der
korrupte deutsche Parteibuch-Staat gerne treiben läßt, nähert sich das untere
Drittel der deutschen Bevölkerung langsam aber sicher den Verhältnissen im 19.
Jahrhundert an.
Es ist nicht nur seelische Grausamkeit, die nach
bundesdeutschem Strafrecht zur Körperverletzung zählt, wenn Menschen immer
wieder von Neuem gezwungen werden, ihre Wohnungen zu wechseln, weil sie
angeblich „unangemessen“ wohnen, wenn sie also permanent unter der sehr
konkreten Angst – Realangst im Sinne von Sigmund Freud – stehen, obdachlos, den
Unbillen der Witterung ausgesetzt zu sein, nicht zu wissen, wo sie ihr Hab und
Gut lassen können, das ihnen (z.B. Bücher oder Musikinstrumente oder Bilder)
etwas Besonderes bedeutet, sondern angesichts der Wohnungsknappheit, angesichts
der unrealistisch niedrigen Werte für angeblich „angemessene“
Unterkunftskosten, angesichts der realen Bedingungen bei Notunterkünften auch
körperliche Qual, nicht nur im Zusammenhang mit sog. Straßenobdachlosigkeit
erleiden. Ganz besonders schlimm ist dies bei Alleinerziehenden mit Kindern,
deretwegen die Angst um ein Vielfaches gesteigert wird.
Gäbe es Wohnungen zu den KdU-Preisen, wäre der Druck „nur“
der Druck des Umzuges in eine andere Wohnung. Da es aber solche Wohnungen
spätestens seit der Finanzkrise 2007-2009, die heute noch andauert, nicht mehr
gibt – nicht nur München, Hamburg und Berlin als Gentrifizierungshochburgen
sind betroffen; so sind in Niedersachsen Göttingen, Hannover, Wolfsburg, Emden,
Lüneburg als sehr angespannter Wohnungsmarkt eingestuft [10] – haben die
Betroffenen keine Garantie mehr, grundsätzlich eine Ersatzwohnung finden zu
können. In Göttingen hieß das bisher konkret, daß die KdU der „Hartz
IV“-Behörde für Alleinerziehende mit einem Kind so niedrig waren, daß selbst
die Tabellenwerte des Wohngeldgesetzes mit 10 Prozent Sicherheitsaufschlag
gemäß ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes um 44 Prozent höher lagen.
In meinem Fall verweigerte die „Hartz IV“-Behörde trotz
dreimaliger Verurteilung hintereinander im Eilrechtsverfahren [11] mir als Alleinerziehenden
höhere KdU immer wieder von Neuem. Dies auch noch zu einer Zeit, als längst das
SG Hildesheim die Rechtswidrigkeit der durch die Optionskommune Landkreis
Göttingen angewandten KdU-Werte ausgeurteil hatte [12].
Ist die permanent drohende Obdachlosigkeit psychische
Folter, so ist aufgrund des realen Wohnungsmarktes – Verkauf und Privatisierung
der Sozialwohnungen seit dem Mauerfall und Neubau von Wohnungen nur im
gehobenen Preissegment –, die Unmöglichkeit eines Wohnungswechsels und damit
die erzwungene Finanzierung der KdU-Unterdeckung durch Zwangshungern, um Straßenobdachlosigkeit
zu vermeiden, erst recht mit Kindern, auch physische Folter.
Das durch „Hartz IV“ verursachte Zwangshungern hat noch
nicht die Dimension erreicht, wo Folter zum Tode führt. Gleichwohl scheint
dieses aber auch beim Zwangshungern immer durch und verstärkt damit die
Realangst, vom ständig knurrenden Magen mal abgesehen.
Es sind dieser Staat und die ihn tragenden Interessen – das
sind die Herrschenden, nicht die Regierenden –, welche diesen noch nicht
vollendeten Vernichtungsversuch an Menschen, an den „Hartz IV“-Empfängerinnen
und -Empfängern zu verantworten haben. Es sind die Sozialgerichte bis hin zum
Bundesverfassungsgericht, die durch jahrelanges Liegenlassen [13] oder
Offenlassen längst entscheidungsfähiger Fragen [14] den menschenverachtenden
Entscheidern in den „Hartz IV“-Behörden – sei es mit, sei es ohne
Gefälligkeitsgutachten – es erlauben, Menschen jahrelang und immer wieder von
Neuem mit Obdachlosigkeit, permanentem Wohnungswechsel oder alternativ
Zwangshungern in ihrer Existenz zu bedrohen. So gibt es keinen sachlichen
Grund, weswegen die Vorlagebeschlüsse des SG Mainz bezüglich KdU noch immer
nicht auf der Tagesordnung des Bundesverfassungsgerichts stehen – seit Anfang
2015 [15].
Dem Einen oder der Anderen mag das obige Beispiel mit den
Folterflügen der CIA etwas weit hergeholt erscheinen – ist es aber nicht. Es
verdeutlicht, daß wir auf dem Weg sind, dort, wo es die Verfassungen
bürgerlicher Staaten im Interesse der Menschenrechte verbieten, die Folter
unter Umgehung der eigenen Verfassung in Diktaturen auszulagern. In die gleiche
Kategorie gehört das Verhalten der Staatsgewalt (Exekutive), wenn diese
Gerichtsentscheidungen willkürlich mißachtet. Dies beobachten wir immer wieder,
wenn die Bundesregierung (Exekutive) jedesmal, wenn das
Bundesverfasungsgericht (Judikative) den Großen Lauschangriff/die
Vorratsdatenspeicherung gekippt hat, diese erneut als Gesetz einbringt, von der
Mißachtung der Bürgerrechte auch ohne Rechtsgrundlage mal zu schweigen. Auch,
und nicht nur, denn ich habe Vergleichbares hinsichtlich der KdU und der
Mißachtung dreier obergerichtlicher Eilrechtsentscheidungen (Judikative) durch
die „Hartz IV“-Behörde (Exekutive) selbst erfahren. Andere Sozialgerichte (Judikative)
verhängen mittlerweile Verschuldenskosten (§ 192 SGG) gegen „Hartz IV“-Behörden
(Exekutive), weil diese wiederholt gerichtliche Entscheidungen mißachten [16].
Historisch gibt es noch das Beispiel, wo die Staatsgewalt
die demokratisch gewählten Volksvertreter (Legislative) gewaltsam durch
Verhaftungen am Abstimmungsprozeß hinderte: Ermächtigungsgesetz am 23. März
1933.
Die MACHT ist die Staatsgewalt (Exekutive/Polizei), welche
sich vom griechischen politeia ableitet (polis = Stadt-Staat).
Es ist auch sonst nicht zu weit hergeholt, das Vorgehen der
„Hartz IV“-Behörden hinsichtlich der KdU in Bezug auf die Betroffenen mit
Folter zu vergleichen. Mag es bei der Regelleistung vielleicht noch angehen,
daß Betroffene die unrealistisch zu niedrige Regelleistung dadurch „meistern“,
daß sie auf bestimmte Dinge, bestimmte Produkte des täglichen Lebens ganz
verzichten, sich zunehmender Mühsal aussetzen, so kann hinsichtlich der KdU die
drohende Obdachlosigkeit nicht umschifft werden. Eine Wohnung ist unabdingbar,
das privatkapitalistische Eigentumsrecht will der Staat nicht angreifen, so daß
die Mieten immer weiter überproportional steigen. Immer mehr Menschen ziehen in
die Stadt, die ländliche Infrastruktur ist teilweise schon zusammengebrochen,
die Dörfer nur noch Schlafstätte besserbetuchter Städter, die mit dem PKW
pendeln. Die Umkehrung, „Hartz IV“-Bezieherinnen und -Bezieher aufs Land zu
schicken, funktioniert nicht, da diese gerade wegen der fehlenden Infrastruktur
gezwungen wären, die geringeren Wohnkosten mit exorbitant erhöhten Verkehrskosten
„auszugleichen“, von den Problemen von Schulkindern mal abgesehen. Um es mal
überspitzt zu sagen: Landverschickung bedeutet heute „Gefängnis im Freien“ –
auch Natur findet heute, siehe das Beispiel der Singvögel, in der Stadt und
nicht auf dem Lande statt –; dies gilt nicht für Kinder Besserbetuchter, die
mit Muttis Zweit-SUV überall hingekarrt werden, aber schon allein angesichts
der ÖPNV-Verbindungen und -Preise für „Hartz IV“-Kinder.
Die staatliche KdU-Politik, gerade weil die KdU unter
anderem mit Gefälligkeitsgutachten mehr oder weniger unrealistisch niedrig
festgelegt und diese Werte ohne vorherige gerichtliche Kontrolle mehr oder
weniger sofort durchgesetzt werden können (sic !) durch schlichtes
Verwaltungshandeln durch entsprechend niedrige „Hartz IV“-Leistungen, ist das
eigentlich Bedrohliche. Also, ohne daß der Realitätsgehalt der KdU-Werte der
„Hartz IV“-Behörden überhaupt erst einmal gerichtlich überprüft wird, bevor es
zur Absenkung der KdU-Leistungen kommt, können die „Hartz IV“-Behörden die
KdU-Leistungen absenken und damit – erst recht bei Familien und
Alleinerziehenden, also mit mitbetroffenen Kindern ein Skandal – Menschen der
Obdachlosigkeit aussetzen. Die Kostensenkungsaufforderung gilt nicht einmal als
beklagbarer Verwaltungsakt [17] mit aufschiebender Wirkung von Widerspruch und
Klage, was den Weg der gerichtlichen Klärung vor Ausführung durch die Behörden
eröffnen würde. Dies wäre eine gangbare Alternative statt der sofortigen
Drohung mit Obdachlosigkeit. Das Eilrechtsverfahren ist keine Alternative,
weil, selbst wenn es zum Erfolg führt, ersteinmal zu einer Nichtdeckung der KdU
führt, mit der Folge entweder einer Räumungsklage und dem Wohnungsverlust [18]
[14] oder wie in meinem Fall dem Zwangshungern.
Da ich angesichts der Wohnungsknappheit in Göttingen [10]
und angesichts der unrealistisch zu niedrigen KdU, die bisher allein 176 Euro
unter dem Tabellenwert WoGG plus Sicherheitsaufschlag lagen, Eingehungsbetrug hätte
begehen müssen, konnte ich keine andere Wohnung für meine Familie anmieten. So war
ich gezwungen, immer erst drei Monate zu hungern, bis ich bzw. meine Familie zu
ihrem Recht kam [19]. Anderen steht eine Räumungsklage ins Haus, wobei die
zivilrechtliche Rechtslage zugunsten der Vermieter/Eigentümer so eindeutig ist,
daß ihnen keine Prozeßkostenhilfe gewährt wird, um sich zu verteidigen.
Das Schlimmste aber ist nicht das jeweils aktuelle
Zwangshungern, das Schlimmste ist das unumstößliche Wissen um die ständige
Wiederholung desselben rechtswidrigen Aktes durch die „Hartz IV“-Behörde bis in
alle Ewigkeit: da meine Rente in Zukunft nicht reichen wird, werde ich
ergänzende Sozialhilfe (SGB XII) von derselben Behörde erhalten. Erschwerend
hinzu kommt, daß das Bundesverfassungsgericht die Möglichkeit hatte, die
KdU-Frage grundlegend zu lösen, und immer noch hat angesichts der
Vorlagebeschlüsse des SG Mainz [15], diese für die Betroffenen so
lebenswichtige Rechtsfrage offensichtlich aber möglichst spät entscheiden will,
denn auch die an sich positive Entscheidung BVerfG, 1 BvR 1910/12, die es
nunmehr hinsichtlich des Vorgehens im Eilrechtsverfahren vor den
Sozialgerichten getroffen hat [14], macht den Sack noch nicht zu, sondern
schützt nur vor der Versagung von Eilrechtsschutz mit generalisierenden Pauschalargumenten,
was im Einzelfall eine Menschenrechtsverletzung zum rein fiskalischen Vorteil
für die Kommunen noch nicht verhindert.
Was bitte schön anderes als Psychofolter ist also die
permanente Drohung mit Obdachlosigkeit bei gleichzeitigem Mangel an billigem
Wohnraum?! Und was bitte anderes als physische Folter ist der Hungerzwang zur
Deckung der Unterkunftskosten?!
[7] https://www.antifolterkonvention.de/uebereinkommen-gegen-folter-und-andere-grausame-unmenschliche-oder-erniedrigende-behandlung-oder-strafe-3149/
– https://www.menschenrechtserklaerung.de/die-allgemeine-erklaerung-der-menschenrechte-3157/
– So wurde Deutschland vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte 2010
wegen Verstoßes gegen die UN-Antifolterkonvention verurteilt in einem Fall der
Androhung von Folter
[http://www.bmj.de/SharedDocs/EGMR/DE/20100601_22978-05.html]
[10]
160119_NBank_Analyse_MPD_NDS.pdf via www.niedersachsen.de/download/102835
[11] LSG
Niedersachsen-Bremen, Az.: L 9 AS 310/16 B ER, L 9 AS 941/16 B ER, L 9 AS
234/17 B ER
[12] SG Hildesheim, Az.: S 26 AS 1597/14, S
26 AS 1698/14, S 26 AS 1699/14, S 26 AS 1804/14, S 26 AS 602/16, S 26 AS
668/16, S 26 AS 1549/16, S 26 AS 220/16, S 26 AS 306/16, S 26 AS 307/16, S 26
AS 315/16, S 39 AS 1111/15, S 39 AS 187/16 und S 13 AS 1586/13.
[13] z.B. SG Hildesheim
hinsichtlich des KdU-Gutachtens von „Analyse&Konzepte“ von 2013 bis 2017
mit das alte Gutachten für rechtswidrig erklärenden Urteilen in 2017 kurz vor
dem neuen Gutachten
[14] BVerfG, Kammerbeschluß
vom 18. April 2016, Az.: 1 BvR 704/16, Rdnr. 5; inzwischen durch BVerfG,
Kammerbeschluß vom 1. August 2017, Az.: 1 BvR 1910/12 überholt
[15] SG Mainz, Az.: S 3 AS
130/14 jetzt: 1 BvL 2/15
[16] aktuell: SG Dortmund,
Urteil vom 13. Juni 2017, Az.: S 19 AS 2057/17 ER
[17] BSG, Urteil vom 15.
April 2008, Az.: B 14/7b AS 34/06 R, Rdnr. 37
[18] Der 6. und 7. Senat des LSG NRW haben ihre ursprüngliche
Rechtsprechung mit handfester Argumentation aufgegeben, weswegen die Regelung,
daß im Falle fristloser Kündigung diese rückgängig gemacht gilt, wenn innerhalb
von zwei Monaten die geschuldete Miete nachgezahlt wird, keinen wirklichen
Schutz für die Betroffenen darstellt: LSG NRW, Beschluß vom 25. März 2015, Az.:
L 6 AS 419/15 B ER; LSG NRW, Beschluß vom 4. Mai 2015, Az.: L 7 AS 139/15 B ER.
Diese Auffassung wird auch vom 11. und 13. Senat des LSG Niedersachsen-Bremen
vertreten: LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluß vom 26. Januar 2015, Az.: L 11 AS
261/14 B; LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluß vom 27. Juli 2015, Az.: L 13 AS
205/15 B ER. Der 16. Senat des Bayerischen LSG hatte schon vorher auf den
zivilrechtlichen Konflikt hingewiesen und daß das Abwarten einer Räumungsklage
unzumutbar sei: Bayerisches LSG, Beschluß vom 19. März 2013, Az.: L 16 AS 61/13
B ER. Und der Bundesgerichtshof liefert ebenfalls stichhaltige Argumente: „Eine
ordentliche Kündigung wegen Zahlungsverzugs ist auch unterhalb der für die
fristlose Kündigung geltenden Grenze des § 543 Abs. 2 Nr. 3 BGB möglich.“ [BGH, Urteil vom 10. Oktober 2912, Az.: VIII ZR 107/12, L.S.] und „Angesichts
dieser unterschiedlichen Anforderungen an die fristlose und die ordentliche
Kündigung besteht kein Grund, die vom Gesetzgeber für die fristlose Kündigung
wegen Zahlungsverzugs festgelegten Grenzen auf die ordentliche Kündigung zu
übertragen.“ (Rdnr. 19). Ob die nun – s.o. [14] – erfolgte
Rechtsprechung des BVerfG, wonach die schematische Versagung der vorläufigen
Leistung für Kosten der Unterkunft (KdU) in einem Eilrechtsverfahren (§ 86b
SGG) wegen fehlender Räumungsklage gegen Artikel 19 Absatz 4 Grundgesetz (GG)
verstößt, zu anderem Handeln bei den Sozialgerichten führt, muß abgewartet
werden.
[19] Die seit dem 1.
September 2017 erfolgte KdU-Anhebung um € 142,- pro Monat aufgrund eines neuen
KdU-Gutachtens hat hieran nur insofern etwas geändert, als daß die Unterdeckung
auf 10% der Regelleistung reduziert ist seitdem.