Herbert Masslau

KdU-Chaos Vergleichsraum

anhand von „Analyse&Konzepte“-Rechtsprechung

(1. Januar 2019)

 

Aktualisierung: Das BSG hat am 30.1.2019 in sechs Revisionen ausschließlich zum Thema „Vergleichsraum“ verhandelt.

Ich war selbst bei den ersten drei Verfahren anwesend beim BSG. Zumindest die Methodik von „Analyse&Konzepte“ - ein Landkreis als „Vergleichsraum“ der Datenerhebung und dann Unterteilung anhand der BSG-Kriterien wie homogener Wohnungsmarkt, verkehrstechnische Angebundenheit anhand von Clustern in sog. Wohnungsmarkttypen - ist mit den BSG-Entscheidungen, die zudem zu „Analyse&Konzepte“ waren, vom Tisch.

Zunächst hat das BSG statt von „MethodenFREIHEIT“ von „MethodenVIELFALT“ gesprochen.

Dann hat es § 22b SGB II zuhilfe genommen, worin geregelt ist, daß der für die KdU zuständige kommunale Träger sein Gebiet (hier: Landkreis) in mehrere „Vergleichsräume“ unterteilen kann.

Dann hat das BSG davon gesprochen, daß der „Vergleichsraum“ relevant ist für die KdU-„Angemessenheitsgrenze“. D.h. der „Vergleichsraum“ und die „Angemessenheitsgrenze“ sind zwei unbestimmte Rechtsbegriffe, die in vollem Umfange von den Sozialgerichten überprüfbar sein müssen, weil es sonst ein Problem mit Art. 19 Abs. 4 GG gäbe. Es erwähnte dann noch, daß das Satzungsrecht nach §§ 22a-c SGB II nicht 1 : 1 auf das Verwaltungsrecht nach § 22 Abs. 1 SGB II zu übertragen sei.

Art. 19 Abs. 4 GG spielt insofern eine Rolle, als daß für die Betroffenen erkennbar sein muß im Hinblick auf Art. 11 GG (freie Wahl des Wohnsitzes) und im Hinblick auf die Kostendeckelung nach § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II bei einem nicht notwendigen Umzug innerhalb des „Vergleichsraumes“, was auf ihn bzw. sie zukommt. Nur bei einem „schlüssigen Konzept“ darf die KdU-Deckelung erfolgen.

Und: Das BSG stellte die Frage, warum im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG ein Verwaltungskonzept nur eingeschränkt überprüfbar sein sollte.

Also: Der „Vergleichsraum“ ist an die „Angemessenheitsgrenze“ gekoppelt.

Das bedeutet, daß man nicht zur Datenerhebung den gesamten Landkreis als „Vergleichsraum“ definieren kann und ihn aufgrund des unterschiedlichen Mietpreisiveaus anhand von Clustern in verschiedene Wohnungsmarkttypen mit unterschiedlichen „Angemessenheitsgrenzen“ unterteilt.

Und, es klang noch an, daß die „Vergleichsräume“ vorab festzulegen seien, und zwar von der Verwaltung.

Daraus resultiert auch das Verbot für die Sozialgerichte, die „Vergleichsräume“ selbst festzulegen, wie es das LSG Sachsen-Anhalt getan hat.

Damit hat das BSG, wie im nachfolgenden Artikel dargestellt, die KdU-„Angemessenheitsgrenze“ („Referenzmiete“) an den „Vergleichsraum“ gekoppelt

(Herbert Masslau, 31. Januar 2019)

 

 

Vorbemerkung

Um das geographische Spektrum zu umreißen: ich habe mich mit Entscheidungen der Sozialgerichte – in alphabetischer Reihenfolge: Aachen, Bayreuth, Dresden, Dessau-Roßlau, Detmold, Dortmund, Frankfurt/Oder, Gießen, Hildesheim, Kassel, Leipzig, Magdeburg sowie der Landessozialgerichte Bayern, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein, Thüringen – beschäftigt. Damit sind die Bundesländer Schleswig-Holstein, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, Sachsen, Thüringen, Hessen, Rheinland-Pfalz und Bayern umfaßt.

Die hier genutzten Entscheidungen – „Analyse&Konzepte“ veröffentlicht auf seiner website nur für sie positive Gerichtsentscheidungen – enthalten bei den Sozialgerichten überwiegend negative Entscheidungen, bei den Landessozialgerichten ist das Verhältnis in etwa ausgeglichen. Weiterhin sind auch Entscheidungen zur Sozialhilfe enthalten, so daß das hier Beschriebene sowohl für Leistungsempfängerinnen und -empfänger nach dem SGB II, als auch nach dem SGB XII gilt.

Weiterhin ist noch anzumerken, daß die KdU-Gutachten von „Analyse&Konzepte“ nicht einheitlich sind, was dazu führt, daß die Sozialgerichte unterschiedlich urteilen, ohne sich in ihrer Gesamtheit mit dem hier gewählten Thema Vergleichsraum auseinanderzusetzen. So hat das SG Bayreuth der Klage stattgegeben [1], weil „[d]ie Bestimmung der angemessenen Kosten durch den Beklagten durch ein schlüssiges Konzept [...] unwirksam [war], da dieses nicht öffentlich bekannt gemacht worden ist.“

 

Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG)

Das BSG hat Millionenstädte wie Berlin [2] und München [3] als einen Vergleichsraum angesehen. Eine entsprechende höchstrichterliche Rechtsprechung für ganze Landkreise gibt es bisher nicht. Allerdings sind inzwischen Revisionen hierzu anhängig: BSG, Az.: B 14 AS 24/18 R (Landkreis Börde), B 14 AS 12/18 R (Landkreis Harz), B 14 AS 11/18 R (Landkreis Salzlandkreis), B 14 AS 10/18 R, B 14 AS 41/18 R (Kreis Segeberg).

Grundsätzlich gilt:

„Nach der Rechtsprechung der beiden für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG sind bei der Bestimmung des Vergleichsraumes ausreichend große Räume der Wohnbebauung aufgrund räumlicher Nähe, mit zusammenhängender Infrastruktur und insbesondere verkehrstechnischer Verbundenheit festzulegen. Der Vergleichsraum muss insgesamt betrachtet einen homogenen Lebens- und Wohnbereich darstellen.“ [4]

„Bei besonders kleinen Gemeinden, etwa im ländlichen Raum, die über keinen repräsentativen Wohnungsmarkt verfügen, kann es geboten sein, größere Gebiete als Vergleichsmaßstab zusammenzufassen. Entscheidend ist es, für die repräsentative Bestimmung des Mietpreisniveaus ausreichend große Räume der Wohnbebauung zu beschreiben, die aufgrund ihrer räumlichen Nähe zueinander, ihrer Infrastruktur und insbesondere ihrer verkehrstechnischen Verbundenheit einen insgesamt betrachtet homogenen Lebens- und Wohnbereich bilden ... .“ [5]

„Da es bei der Festlegung des Vergleichsraumes um die Ermittlung einer (angemessenen) Referenzmiete am Wohnort oder im weiteren Wohnumfeld des Hilfebedürftigen geht, sind die Grenzen des Vergleichsraumes insbesondere nach folgenden Kriterien abzustecken: Es geht darum zu beschreiben, welche ausreichend großen Räume (nicht bloße Orts- oder Stadtteile) der Wohnbebauung auf Grund ihrer räumlichen Nähe zueinander, ihrer Infrastruktur und insbesondere ihrer verkehrstechnischen Verbundenheit einen insgesamt betrachtet homogenen Lebens- und Wohnbereich bilden. Einer sog Ghettobildung wird dadurch begegnet, dass hinsichtlich der Referenzmieten zwar auf Mieten für ‚Wohnungen mit bescheidenem Zuschnitt’ abgestellt wird, insoweit aber nicht einzelne, besonders heruntergekommene und daher ‚billige’ Stadtteile herausgegriffen werden dürfen, sondern auf Durchschnittswerte des unteren Mietpreisniveaus im gesamten Stadtgebiet bzw räumlichen Vergleichsraum abzustellen ist.“ [6]

„Als räumlicher Vergleichsmaßstab ist, wie der Senat in seinem Urteil vom 7. November 2006 (B 7b AS 10/06 R) im Einzelnen dargelegt hat, in erster Linie der Wohnort des Hilfebedürftigen maßgebend. Ein Umzug in einen anderen Wohnort, der mit einer Aufgabe des sozialen Umfeldes verbunden wäre, kann von ihm im Regelfall nicht verlangt werden. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sich der räumliche Vergleichsmaßstab strikt am kommunalverfassungsrechtlichen Begriff der ‚Gemeinde’ nach dem jeweiligen landesrechtlichen Kommunalrecht orientieren muss. Bei der Bildung des räumlichen Vergleichsmaßstabs kann es - insbesondere im ländlichen Raum - geboten sein, größere Gebiete als Vergleichsgebiete zusammenzufassen, während in größeren Städten andererseits eine Unterteilung in mehrere kleinere Vergleichsgebiete, die kommunalverfassungsrechtlich keine selbständigen Einheiten darstellen, geboten sein kann.“ [7]

Mit dieser scheinbar konkreten, indes schwammigen „Definition“ des Vergleichsraumes hat das BSG wie üblich bei den KdU den Sozialgerichten unterer Instanzen keine klaren Vorgaben gemacht, sondern neue Problemfelder eröffnet. Dies wird deutlich an der „Umland Freiburg“-Entscheidung des BSG:

„Auch wenn davon auszugehen ist, dass jedenfalls die Gemeinde G als Wohnort der Kläger Teil des Vergleichsraums ist, muss das LSG als Tatsacheninstanz anhand der allgemeinen rechtlichen Vorgaben für die Festlegung des Vergleichsraums (...) bestimmen, ob hier weitere Umlandgemeinden, Teile von Freiburg bzw das gesamte Stadtgebiet von Freiburg in die Festlegung des Vergleichsraums einzubeziehen sind. Nur vor diesem Hintergrund ist erkennbar, ob die Feststellung des Erkenntnisausfalls auf einem zutreffenden rechtlichen Maßstab zur Bestimmung eines Vergleichsraums erfolgt ist. Das LSG wird mithin im wiedereröffneten Berufungsverfahren zunächst den Vergleichsraum zu bestimmen haben.“ [8]

Hierzu ist anzumerken, daß die Stadt Freiburg nicht zum Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald gehört und damit kommunalverfassungsrechtliche Grenzen überschritten wären bei der vom BSG vorgeschlagenen potentiellen Lösung. Und, damit könnte eine Vergleichsraumlösung Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG verletzen.

Das BSG hätte auch schon längst – immerhin nach 12 Jahren seit den ersten KdU-Entscheidungen 2006 – die Frage des Widerspruchs zwischen „[d]ies bedeutet jedoch nicht, dass sich der räumliche Vergleichsmaßstab strikt am kommunalverfassungsrechtlichen Begriff der ‚Gemeinde’ nach dem jeweiligen landesrechtlichen Kommunalrecht orientieren muss“ [7] einerseits und der Tatsache, daß die Verwaltung eines Landkreises nur Gewalt, Befugnis innerhalb eben dieses „kommunalverfassungsrechtlichen Begriff der ‚Gemeinde’“ hat, klären können. So aber bleibt es seit Jahren beim unbestimmten Rechtsbegriff Vergleichsraum, den insbesondere in den letzten Jahren einige Sozialgerichte und Landessozialgerichte als neues Einfallstor zulasten der Hilfebedürftigen „entdeckt“ haben und ausweiden.

Folge dieses Versagens sind auch – je nach „Mentalität“ der Richterinnen und Richter – einander widersprechende Entscheidungen zu ein und demselben Vergleichsraum und dem Vorgehen von „Analyse&Konzepte“. Besonders problematisch wird es, wenn sich nicht nur Landessozialgerichte hinsichtlich der Rechtsfrage des Vergleichsraumes auseinanderdividieren wie das LSG NRW [9] pro „Analyse&Konzepte“ und das Bayerische LSG [10] kontra „Analyse&Konzepte“, sondern diese Spaltung innerhalb ein und desselben Gerichts besteht wie im Falle des SG Dessau-Roßlau, wo die 11. Kammer pro „Analyse&Konzepte“ urteilt [11] und die 13. [12] und 30. [13] Kammer kontra „Analyse&Konzepte“ urteilen. Da entscheidet letztlich der Zufall, wo Betroffene gerade landen, ob sie die höheren KdU nach Tabelle Wohngeldgesetz plus Sicherheitsaufschlag oder die niedrigeren KdU nach Gutachten von „Analyse&Konzepte“ bekommen.

 

Vergleichsraum und Cluster/Wohnungsmarkttyp

Nicht nur „Analyse&Konzepte“, aber insbesondere „Analyse&Konzepte“ hat den vom BSG vorgegebenen Begriff Vergleichsraum eigenwillig interpretiert.

Der Begriff Vergleichsraum  ist ein juristischer, während ein Cluster eine räumliche Zusammenballung von Objekten mit gleichen Merkmalen ist, deren Zusammenstellung beliebig sein kann.

Wie willkürlich dabei die vorgebliche Vergleichsraumbildung – aufgrund der rechtlichen Wirkung gegen die Hilfebedürftigen hier dennoch Vergleichsraum genannt – ist, zeigt das Beispiel Göttingen:

Das KdU-Gutachten von „F+B“ (2009) hat den Altkreis Göttingen in sieben Vergleichsräume eingeteilt, das KdU-Gutachten von „Analyse&Konzepte“ (2013) in fünf Vergleichsräume und das „IWU“-Gutachten (2017) den neuen Landkreis Göttingen in sechs Vergleichsräume, weil der Altkreis Osterode dazu gekommen ist (IWU VI). Dabei zeigt ein Vergleich der Vergleichsräume der KdU-Gutachten von „Analyse& Konzepte“ mit dem vom „IWU“, daß offensichtlich die Vergleichsraumbildung ziemlich willkürlich ist. Die Vergleichsräume A&K I sind aufgeteilt in IWU I + II, IWU III entspricht A&K III, IWU V entspricht A&K V (Stadt Duderstadt), erweitert um eine Gemeinde aus A&K IV. Am deutlichsten ist der Unterschied bei den kleineren Gemeinden: IWU IV ist zusammengesetzt aus A&K II + IV, reduziert um die Gemeinde, die zum Vergleichsraum V gekommen ist.

Ein weiterer Begriff anstelle des Vergleichsraumes ist Wohnungsmarkttyp, der im Prinzip ein Synonym für Cluster ist und die Zusammenballung von Objekten mit gleichen Merkmalen meint.

Die unterschiedlichen KdU-Gutachten gehen dem problematischen Begriff Vergleichsraum aus zwei Gründen aus dem Weg: erstens, weil sie sich nicht trauen anstelle des BSG eine notwendige und hinreichende Begriffsdefinition vorzunehmen, zweitens, weil sie im Interesse ihrer Auftraggeber zu möglichst niedrigen KdU kommen sollen, möglichst auch noch unterhalb der Werte der Tabelle Wohngeldgesetz.

Dieser Artikel soll nicht anstelle des Gesetzgebers, der eigentlich dazu verpflichtet ist, und auch nicht anstelle des BSG, welches ebenfalls in der Verantwortung steht, den Begriff Vergleichsraum definieren.

Auch soll hier nicht auf die unterschiedlichen Begriffe und „Definitionen“ der diversen KdU-Gutachterfirmen eingegangen werden, sondern die Problematik des Begriffs Vergleichsraum anhand der Auseinandersetzung mit Gerichtsentscheidungen zur Vorgehensweise von „Analyse&Konzepte“ problematisiert werden.

Das Chaos wird deutlich, wenn schon innerhalb eines SG – hier: SG Dessau-Roßlau 13. [12] und 30. Kammer [13] gegen 11 Kammer [11] – die Rechtsfrage, ob es sich bei den Clustern/Wohnungsmarkttypen um Vergleichsräume handelt oder nicht, oder ob diese neben dem Landkreis als Vergleichsraum quasi als Untervergleichsraum fungieren können, diametral entgegengesetzt beantwortet wird.

Das SG Hildesheim sagt nein zu „Analyse&Konzepte“ [14], das SG Aachen stellt sich erst gar nicht die Frage nach dem Vergleichsraum im Sinne der BSG-Rechtsprechung, sondern gibt sich unkritisch den Clustern/Wohnungsmarkttypen als gerechtfertigt hin [15].

Da im Falle „Analyse&Konzepte“ die rechtliche Auseinandersetzung teilweise ziemlich unqualifiziert ist – Beispiel SG Aachen – wird hier auf einen Vergleich der erstinstanzlichen Rechtsprechung verzichtet und auf die aktuelle obergerichtliche Rechtsprechung beschränkt. Dies auch, weil „Analyse&Konzepte“ selbst methodisch unterschiedlich vorgegangen ist je nach Region. So etwa kritisiert das SG Magdeburg die Zusammenfassung des Landkreises Harz als einzigen Vergleichsraum, wobei aus der Rechtsprechung deutlich wird, daß in diesem Fall keine Cluster/Wohnungsmarkttypen gebildet wurden [16].

Nachfolgend soll auch nicht auf einzelne statistische Probleme, defizitäre Konzepthandlungen oder sonstige Spezifika eingegangen werden, sondern ausschließlich auf die Problematik Vergleichsraum.

 

Die Kritik des Bayerischen LSG

Das Bayerische LSG hat sich in seiner Entscheidung zum Landkreis Bayreuth [17] kritisch mit der Bildung von Clustern/Wohnungsmarkttypen anstelle von Vergleichsräumen auseinander gesetzt. So wird in den KdU-Konzepten nicht nur von „Analyse&Konzepte“ die gesamte kommunale Gebietskörperschaft als Vergleichsraum unterstellt, quasi als nicht hinterfragbares A-priori, als Axiom. Um dennoch die gegebene Ungleichheit berücksichtigen zu können, bildet „Analyse&Konzepte“ an Wohnungsmarkttypen orientierte Cluster. Dazu das Bayerische LSG:

„Schon diese Angaben im Konzept selbst sprechen gegen die Annahme, der ganze Landkreis B-Stadt könne einen Vergleichsraum darstellen. Aber auch die weiteren konkreten Umstände des vorliegenden Falles führen zu dem Ergebnis, dass der Landkreis B-Stadt in mehrere Vergleichsräume aufzuteilen ist.“ [17]. „Soweit im Rahmen der Clusterbildung zwar anhand von Indikatoren vergleichbare Kommunen mit vergleichbaren Strukturen zusammengefasst werden, bedeutet dies nicht, dass in den Kommunen das tatsächliche Mietniveau gleich sein muss.“ [17]

Weiterhin kritisiert das Bayerische LSG die fehlende Auseinandersetzung im Konzept mit der Problematik Vergleichsraum:

„Das Konzept, welches der Beklagte der Bestimmung der Angemessenheitsgrenze vorliegend zugrunde gelegt hat, enthält keine erkennbare Auseinandersetzung mit der Frage, ob der Landkreis oder Teile davon einen oder mehrere Vergleichsräume darstellt bzw darstellen. Es werden lediglich für das Gebiet des Landkreises zwei verschiedene Wohnungsmarkttypen festgelegt, die aber keine Vergleichsräume darstellen sollen.“ [17].

Abstruserweise werden ja die Cluster/Wohnungsmarkttypen mit der Festlegung unterschiedlicher „Referenzmieten“ (Quadratmeterpreise), welche das BSG fordert, die laut BSG aber nur für Vergleichsräume zulässig sind, wie Vergleichsräume behandelt.

Damit ist die Problematik, um die es hier geht, ausreichend umrissen.

 

Die unkritischen LSG-Entscheidungen

Nachfolgend erfolgt eine Auseinandersetzung mit den Entscheidungen des Schleswig-Holsteinischen LSG [18] (Kreis Segeberg, in der Revision: BSG, Az.: B 14 AS 41/18 R), des LSG Nordrhein-Westfalen [19] (Hochsauerlandkreis) und des LSG Sachsen-Anhalt [20] (Landkreis Börde, in der Revision: BSG, Az.: B 14 AS 24/18 R).

Von den im Zeitpunkt der Abfassung dieses Artikels anhängigen 5 Revisionen beim Bundessozialgericht sind alleine 4 das LSG Sachsen-Anhalt betreffend, welches mit Vorliebe sämtliche Landkreise zu einem einzigen Vergleichsraum deklariert. Das Schleswig-Holsteinische LSG versucht dem nachzueifern und erklärt ebenfalls alle möglichen Landkreise zu einem einzigen Vergleichsraum.

 

– Das Schleswig-Holsteinische LSG fängt seine Urteilsbegründung pro „Analyse&Konzepte“ mit einer Unwahrheit an. So begründet das LSG seine Entscheidung, den ganzen Landkreis Segeberg als Vergleichsraum zuzulassen, damit, daß das BSG Großstädte wie Berlin und München als einzigen Vergleichsraum zugelassen habe und den Landkreis Cuxhaven in der Entscheidung BSG, Az.: B 14 AS 91/10 R. Der Entscheidung BSG, Az.: B 14 AS 91/10 R ist im Tenor zunächst zu entnehmen, daß die Kläger keine höheren KdU beanspruchen könnten und im Übrigen das Urteil des SG Stade aufgehoben und an das LSG Niedersachsen-Bremen zurückverwiesen würde. Im Begründungsteil setzt sich das BSG weitläufig mit dem fehlenden „schlüssigen Konzept“ auseinander. Lediglich in Randnummer 21 findet sich folgende Passage:

„Zunächst bedarf es zur Bestimmung der abstrakten Angemessenheit der Wohnkosten der Feststellung, welche Größe die von der Bedarfsgemeinschaft bewohnte Wohnung hat (dazu unter a), sodann ist unter Berücksichtigung des angemessenen einfachen Wohnungsstandards festzustellen, welche Nettokaltmiete pro qm Wohnfläche für die angemessene Wohnungsgröße auf dem Wohnungsmarkt des maßgeblichen Vergleichsraums zu zahlen ist (dazu unter b).“ [21]

In Randnummer 23 heißt es dann, nachdem das BSG Ausführungen zur angemessenen Wohnungsgröße gemacht hat: „Es fehlt aber an Feststellungen zu den übrigen Parametern für die Ermittlung der abstrakten Angemessenheit der Unterkunftskosten.“ [21]

Daß das BSG dann auf bestimmte Aspekte der Datenermittlung eingeht, heißt nicht automatisch, daß es damit, wie vom Schleswig-Holsteinischen LSG behauptet, den ganzen Landkreis Cuxhaven als Vergleichsraum akzeptiert hätte.

 

Das Schleswig-Holsteinische LSG zum Vergleichsraum:

„Der Wohnungsmarkttyp ist nicht dem ‚homogenen Lebens- und Wohnbereich’ gleichzusetzen. Vielmehr stellt er eine empirische Differenzierung der Preisstruktur innerhalb des Vergleichsraums, d. h. des Landeskreises, dar. Ob dies sachgerecht ist, ist im Rahmen der Ermittlung der Referenzmiete zu beurteilen. Vor diesem Hintergrund vermag die Argumentation des Sozialgerichts, dass die im Wohnungsmarkttyp 1 zusammengefassten Städte Bad Bramstedt, Bad Segeberg und Kaltenkirchen im Hinblick auf Infrastruktur und verkehrstechnische Anbindung keinen einheitlichen Lebensbereich darstellen, nicht zu überzeugen.“ [18].

„Aus den \226 sich nach der Clusteranalyse ergebenden \226 Unterschieden in der Preisstruktur in den jeweiligen Wohnungsmarkttypen folgt auch nicht die Verpflichtung, das Kreisgebiet in unterschiedliche Vergleichsräume aufzugliedern, die für sich dann wiederum jeweils den Anforderungen an einen homogenen Wohn- und Lebensraum genügen müssten. Diesem Ansatz liegt offenbar die Vorstellung zugrunde, dass Unterschiede in der Preisstruktur zwischen einzelnen Gemeinden für sich genommen schon das Fehlen eines gemeinsamen homogenen Wohn- und Lebensraums nahelegen. Diese Vorstellung teilt der Senat nicht. Vielmehr ist davon auszugehen, dass bereits innerhalb kleiner und mittlerer Städte in der Form eines Unter- oder Mittelzentrums je nach räumlicher Gliederung unterschiedliche Mietpreisniveaus bestehen können und typischerweise auch bestehen, ohne dass dies zur Festlegung unterschiedlicher Vergleichsräume auf gemeindlicher Ebene führen müsste. Eine kleinteiligere Bestimmung des Vergleichsraums hätte \226 bezogen auf die konkrete Belegenheit der von der Klägerin bewohnten Wohnung \226 deshalb nicht zwingend ein höheres Maß an empirischer Richtigkeit der ermittelten Angemessenheitsgrenze zur Folge. Einer drohenden Ghettobildung wird in einer Stadt vielmehr dadurch begegnet, dass als Vergleichsmaßstab nicht einzelne, besonders heruntergekommene und daher billige Stadtteile herausgegriffen werden dürfen, sondern auf Durchschnittswerte des unteren Mietpreisniveaus im gesamten Stadtgebiet abzustellen ist (...). Gleiches gilt für größere Räume der Wohnbebauung wie das Gebiet eines Kreises. Auch hier kann der Träger auf Durchschnittswerte des unteren Mietpreisniveaus im gesamten räumlichen Vergleichsraum abstellen (...); es steht ihm aber \226 ohne dass dies seinen Entscheidungsspielraum bei der Bestimmung des Vergleichsraums von vornherein begrenzen würde \226 auch frei, aus Gründen einer sozialen Wohn- und Lebensraumgestaltung und mit dem Ziel, die Gefahren drohender Binnenwanderungen innerhalb eines insgesamt noch homogenen Wohn- und Lebensraums weiter zu minimieren, unterschiedliche Angemessenheitsgrenzen innerhalb ein und desselben Vergleichsraums festzusetzen (....).“ [18]

Nach ständiger Rechtsprechung des BSG muß die „Referenzmiete“ (Quadratmeterpreis) für den gesamten Vergleichsraum gelten. Es kann also in ein und demselben Vergleichsraum keine unterschiedlichen „Referenzmieten“ geben. Das ganze LSG-Urteil strotzt nur so vor Widersprüchen zu den BSG-Entscheidungen, worauf hier allerdings nicht weiter eingegangen werden soll, weil es andere Aspekte betrifft als den Vergleichsraum. Aber auch so wird die Willkürlichkeit, mit der das Schleswig-Holsteinische LSG vorgeht – der 3. Senat bezieht sich auf den 6. Senat –, deutlich. Und Willkür muß herhalten, wenn die Logik versagt. Es wird schon seinen Grund haben, warum trotz Nichtzulassung der Revision durch das Schleswig-Holsteinische LSG das Bundessozialgericht die Revision zugelassen hat.

 

– Das LSG Nordrhein-Westfalen sieht „keine Verpflichtung eines kommunalen Grundsicherungsträgers, bei einer Heterogenität der Wohnungsmärkte innerhalb seines Zuständigkeitsbereichs unterschiedliche Vergleichsräume für die Datenerhebung zu bilden. Dies folgt schon aus der Vorschrift des § 22b Abs. 1 S. 4 SGB II, wonach Kreise und kreisfreie Städte bei Erlass einer Satzung ihr Gebiet in mehrere Vergleichsräume unterteilen können, für die sie jeweils eigene Angemessenheitswerte bestimmen. Aus dem Wortlaut dieser Vorschrift ergibt sich, dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass im Regelfall das kommunalverfassungsrechtliche Gebiet des kommunalen Grundsicherungsträgers den Vergleichsraum als Raum für die Datenerhebung bildet und es dem kommunalen Grundsicherungsträger im Rahmen seines Entscheidungsspielraums (‚können’) freisteht, sein Gebiet in mehrere Vergleichsräume zu unterteilen (siehe auch Arbeitshilfe zur Bestimmung der angemessen Aufwendungen der Unterkunft im Rahmen kommunaler Satzungen, hrsg. Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, nachfolgend: Arbeitshilfe, S. 31, wonach sich die Grenzen der Vergleichsräume i.d.R. an bestehenden statistischen oder administrativen Grenzziehungen orientieren müssen, da nur auf dieser Ebene eine gut handhabbare Zuordnung von Daten möglich ist).“ [19]

„Daher sieht der Senat die Bildung eines Vergleichsraums (als Raum der Datenerhebung) mit unterschiedlichen Preiszonen - Wohnungsmarkttypen - bei der Ermittlung der abstrakten Angemessenheitsgrenzen im Wege eines schlüssigen Konzepts als zulässig an (vgl. LSG NRW, Urteil vom 24.04.2017 - L 20 SO 418/14; LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 31.01.2017 - L 6 AS 134/15 und vom 19.01.2018 - L 3 AS 10/16; LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 29.11.2016 - L 3 AS 137/14; LSG Thüringen, Urteil vom 08.07.2015 - L 4 AS 718/14; a.A. LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 11.07.2017 - L 10 AS 333/16, LSG Sachsen, Beschluss vom 14.12.2017 - L 7 AS 513/16 B ER, LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 11.05.2017 - L 5 AS 547/16; LSG Bayern, Urteil vom 28.03.2018 - L 11 AS 620/16; siehe auch LSG Sachsen-Anhalt, Urteile vom 31.01.2018 - L 5 AS 201/17 und vom 07.03.2018 - L 5 AS 376/16 zur Zulässigkeit der Bildung von Wohnungsmarkttypen durch Clusteranalyse mehrere Vergleichsräume übergreifend). Dies gilt auch dann, wenn in den sog. Wohnungsmarkttypen Kommunen zusammengefasst sind, die ggf. räumlich nicht aneinandergrenzen, sofern der Heterogenität der Wohnungsmärkte im Konzept Rechnung getragen und der homogene Wohn- und Lebensbereich, in dem einem Leistungsberechtigten ein Umzug zugemutet werden kann, im Rahmen der Prüfung der konkreten Angemessenheit eigenständig geprüft wird.“ [19]

Auch nach Auffassung des LSG NRW – so auch der für das Sozialhilferecht zuständige 20. LSG-Senat – darf es demnach im Gegensatz zur BSG-Rechtsprechung unterschiedliche „Referenzmieten“ in ein und demselben Vergleichsraum geben. Damit schafft das LSG NRW aber das rechtliche Problem, daß Cluster/Wohnungsmarkttypen den höchstrichterlich geforderten Vergleichsraum ersetzen. Dem wiederum damit verbundenen Problem des bei KdU-Unangemessenheit zulässigen unzusammenhängenden Umzugsgebietes will das LSG NRW damit begegnen, daß es dieses von der „abstrakten Angemessenheit“ (Vergleichsraum, „Referenzmiete“) in die individuelle „konkrete Angemessenheit“ verlagert, damit aber nur umso mehr die betroffenen Hilfebedürftigen der Willkür der Verwaltung und der Einzelrichter auf Sozialgerichtsebene aussetzt.

„Die Entkoppelung von Preiszonen als Bereiche gleicher Angemessenheitsgrenzen von dem Vergleichsraum als Zone des zumutbaren Umzugs und des Kostendeckelungsbereichs i.S.v. § 22 Abs. 1 S. 2 SGB II sieht der Senat im Hinblick auf die dem Grundsicherungsträger eröffnete Methodenfreiheit bei Methodenvielfalt bei der Bildung der Angemessenheitsgrenzen als zulässig an (...). Daher kann dahinstehen, ob das Gebiet des Beigeladenen einen homogenen Lebens- und Wohnbereich i.S. der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 12.12.2013 - B 4 AS 87/12 R, ...) bildet, wonach die Grenzen des Vergleichsraums danach abzustecken sind, ob es sich um einen ausreichend großen Raum (...) der Wohnbebauung aufgrund räumlicher Nähe, mit zusammenhängender Infrastruktur und insbesondere verkehrstechnischer Verbundenheit handelt.“ [19]

„Ziel ist es, Wohnungsmarkttypen so zu definieren, dass sie in sich möglichst homogen und vergleichbar sind, untereinander aber eine möglichst große Unterschiedlichkeit aufweisen. Bei der von Analyse & Konzepte verwandten Methode der Clusteranalyse (Verfahren zur Entdeckung von Ähnlichkeitsstrukturen in Datenbeständen) zur Bildung der Preiszonen, der sog. Wohnungsmarkttypen, handelt es um ein geeignetes statistisches Verfahren, Vergleichsräume zu kategorisieren (...).“ [19]

Widersprüchliches Rumgeeiere des LSG NRW. Immerhin hat das LSG NRW die Revision zugelassen, welche aber allen Anschein nach von der Klägerin nicht eingelegt wurde.

 

– Das LSG Sachsen-Anhalt steht dem Schleswig-Holsteinischen LSG in nichts nach, hat aber immerhin ebenfalls die Revision zugelassen:

„Die Revision war zuzulassen. Es ist bislang nicht höchstrichterlich geklärt, ob für die Datenauswertung bei einem ‚schlüssigen Konzept’ zusätzlich zu den im Vergleichsraum erhobenen Daten im Wege der Clusteranalyse auch solche von anderen, hinsichtlich der Mietkosten aber ähnlichen Vergleichsräumen (‚Wohnungsmarkttypen’) herangezogen werden dürfen.“ [20].

Zunächst orientiert sich das LSG Sachsen-Anhalt – positiv zu bewerten – an der Rechtsprechung des BSG und an den verfassungsrechtlichen Vorgaben:

„Der Begriff des Vergleichsraums stellt einen richterrechtlich entwickelten unbestimmten Rechtsbegriff dar, der der vollen gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Dies ergibt sich schon aus der Garantie effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 Grundgesetz (GG). ... Für diesen Vorgang hat das BSG konkrete Kriterien entwickelt, die sich von den Tatsachengerichten in gleicher Weise anwenden lassen wie von den Grundsicherungsträgern. Für rechtsschutzverkürzende Gestaltungsspielräume der Verwaltung gibt es weder ein sachliches Bedürfnis noch \226 jedenfalls außerhalb des Anwendungsbereichs der §§ 22a ff. SGB II \226 einen gesetzlichen Anknüpfungspunkt. Insbesondere lassen sie sich nicht mit Verweis auf die kommunale Selbstverwaltungsgarantie aus Art. 28 Abs. 2 GG rechtfertigen. Denn die Bestimmung des maßgeblichen Vergleichsraums ist kein Instrument der Stadtplanung oder zur Steuerung des Wohnungsmarkts, sondern dient nach ihrer Funktion im Rahmen des § 22 SGB II ausschließlich der Konkretisierung eines existenzsichernden Sozialleistungsanspruchs.“ [20]

Aber dann geht das Chaos schon los: „Unter Anwendung dieser Maßstäbe ist der Landkreis Börde in 13 Vergleichsräume zu unterteilen.“ [20] Dies allerdings auf der Basis der Datenerhebung über den gesamten Landkreis Börde: „Der Bestimmung der angemessenen Unterkunftskosten für den hier maßgeblichen Vergleichsraum Hohe Börde liegt eine Datenerhebung zugrunde, die in diesem Vergleichsraum stattgefunden und die sich über den gesamten Vergleichsraum erstreckt hat. A. & K. erhob hierfür im gesamten Landkreis Börde relevante Mietdaten flächendeckend.“ [20]

Also, um es verständlich zu machen: Das LSG Sachsen-Anhalt teilt den Landkreis Börde in 13 Vergleichsräume ein, wohingen „Analyse&Konzepte“ die Datenerhebung über den gesamten Landkreis Börde als einzigen Vergleichsraum erhoben hat. Damit existieren zwei verschiedene Vergleichsraum-Bestimmungen nebeneinander. Das ist aber noch nicht das Ende der wirren Vermischung von Begrifflichkeiten:

„A. & K. hat mittels der Clusteranalyse im Landkreis Börde drei verschiedene Wohnungsmarkttypen gebildet.“ „Die in den einzelnen Vergleichsräumen vorhandenen Wohnungsmärkte konnten zu Clustern (Wohnungsmarkttypen) zusammengefasst und die Daten so konkreter validiert werden. Dies ermöglicht es, bspw. in Märkten mit einem geringen Anteil an Mietwohnungen einen höheren Anteil des Mietwohnungsmarktes als angemessen festzulegen. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass hier für kleine Gemeinden ohne eine ausreichende Fallzahl gute Ergebnisse erzielt werden können (...).“ [20]

Während die anderen LSG gleich den Vergleichsraum zum Cluster/Wohnungsmarkttyp umstempeln, leistet sich das LSG Sachsen-Anhalt nicht nur den Luxus, den Begriff Vergleichsraum mit den Begriffen Cluster und Wohnungsmarkttyp gleichzusetzen, sondern zudem noch parallel zwei verschiedene Begriffe Vergleichsraum zu verwenden, nämlich einmal für das gesamte Datenerhebungsgebiet eines Landkreises und zum anderen für die 13 unterteilten Mietmärkte.

Dieser Wirrwarr ist frei von letzten Resten an Logik.

 

Nachbemerkung

Als das BSG das Konstrukt Vergleichsraum schuf, ohne es zu definieren, eröffnete es nicht nur den unteren sozialgerichtlichen Instanzen die Möglichkeit willkürlich – auch mithilfe von Gutachten und (sic!) einer falsch verstandenen „Methodenvielfalt“ – Vergleichsräume festzulegen, sondern es schuf damit insbesondere ein verfassungsrechtliches Problem.

Insbesondere mit seiner „Umland Freiburg“-Entscheidung – „Auch wenn davon auszugehen ist, dass jedenfalls die Gemeinde G als Wohnort der Kläger Teil des Vergleichsraums ist, muss das LSG als Tatsacheninstanz anhand der allgemeinen rechtlichen Vorgaben für die Festlegung des Vergleichsraums (...) bestimmen, ob hier weitere Umlandgemeinden, Teile von Freiburg bzw das gesamte Stadtgebiet von Freiburg in die Festlegung des Vergleichsraums einzubeziehen sind.“ [22] – mißachtete das BSG die Verfassungsnorm Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG.

Die Stadt Freiburg und der Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald oder die Stadt Osnabrück und der Landkreis Osnabrück sind zwei von einander getrennte kommunale Gebietskörperschaften. Während Landkreise für ihr Hoheitsgebiet die KdU-Angemessenheitsgrenze in Form der „Referenzmiete“ festlegen können, können sie dies nicht auch für andere Hoheitsgebiete. Das heißt, die einzige verfassungskonforme Möglichkeit bestände darin, daß sich z.B. die Stadt Freiburg und der Landkreis Breisgau-Hochschwarzwald oder die Stadt Osnabrück und der Landkreis Osnabrück an einen Tisch setzten und für sogenannte Umlandgemeinden eine gemeinsame Entscheidung treffen würden in zwangsläufig vertraglicher Form. Alles andere wäre hoheitliche Übergriffigkeit, die, weil rechtsgrundlos, nichtig wäre.

Gleichwohl ist der Vergleichsraum ein juristischer Begriff und durch das BSG zumindest soweit definiert, als daß es sich um eine Raumschaft gleicher „Referenzmiete“ (Quadratmeterpreis) als KdU-Angemessenheitsgrenze handelt, in welcher Mindestanforderungen [23] zu erfüllen sind – dieses mißachten all diejenigen Sozialgerichte unterer Instanzen, die den KdU-Gutachten von „Analyse&Konzepte“ zustimmen.

 

 

Fußnoten

  [1] SG Bayreuth, Urteil vom 26. Mai 2015, Az.: S 4 AS 102/15, S. 7 UA

  [2] BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010, Az.: B 14 AS 50/10 R, Rdnr. 24

  [3] BSG, Urteil vom 10. September 2013, Az.: B 4 AS 77/12 R, Rdnr. 22

  [4] BSG, Urteil vom 16. Juni 2015, Az.: B 4 AS 44/14 R, Rdnr. 16

  [5] BSG, Urteil vom 12. Dezember 2013, Az.: B 4 AS 87/12 R, Rdnr. 22

  [6] BSG, Urteil vom 19. Februar 2009, Az.: B 4 AS 30/08 R, Rdnr. 21

  [7] BSG, Urteil vom 7. November 2006, Az.: B 7b [14] AS 18/06 R, Rdnr. 21

  [8] BSG, Urteil vom 22. März 2012, Az.: B 4 AS 16/11 R, Rdnr. 17

  [9] LSG NRW, Urteil vom 16. August 2018, Az.: L 19 AS 2334/17

[10] Bayerisches LSG, Urteil vom 28. März 2018, Az.: L 11 AS 620/16

[11] SG Dessau-Roßlau, Urteil vom 13. März 2015, Az.: S 11 AS 1337/13

[12] SG Dessau-Roßlau, Urteil vom 14. Juni 2016, Az.: S 13 AS 1257/14

[13] SG Dessau-Roßlau, Urteil vom 26. Januar 2016, Az.: S 30 AS 2955/12

[14] SG Hildesheim, Az.: S 26 AS 1804/14, S 26 AS 1597/14, S 26 AS 1698/14, S 26 AS 1699/14, S 26 AS 1804/14, S 26 AS 602/16, S 26 AS 668/16, S 26 AS 1549/16, S 26 AS 220/16, S 26 AS 306/16, S 26 AS 307/16, S 26 AS 315/16, S 26 AS 1597/14, S 26 AS 1698/14, S 26 AS 220/16, S 26 AS 307/16, S 39 AS 1111/15, S 39 AS 187/16, S 39 AS 1382/17, 13 AS 1586/13

[15] SG Aachen, Urteil vom 13. Oktober 2015, Az.: S 11 AS 168/15]

[16] SG Magdeburg, Beschluß vom 21. Februar 2017, Az.: S 18 AS 193/17 ER, S. 11 EA; Urteil vom 10. Juni 2016, Az.: S 15 AS 2184/14, S. 3 u. 6 UA

[17] = [10] – zit.n. www.sozialgerichtsbarkeit.de

[18] Schleswig-Holsteinisches LSG, Urteil vom 15. Dezember 2017, Az.: L 3 AS 198/13 – zit.n. www.sozialgerichtsbarkeit.de

[19] = [9] – zit.n. www.sozialgerichtsbarkeit.de

[20] LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 24. April 2018, Az.: L 5 AS 408/17 – zit.n. www.sozialgerichtsbarkeit.de

[21] BSG, Urteil vom 23. August 2011, Az.: B 14 AS 91/10 R

[22] = [8]

[23] BSG, Urteile vom 22. September 2009, Az.: B 4 AS 18/09 R, Rdnr. 19; vom 17. Dezember 2009, Az.: B 4 AS 50/09 R, Rdnr. 23; vom 17. Dezember 2009, B 4 AS 27/09 R, Rdnr. 26; vom 10. September 2013, Az.: B 4 AS 77/12 R, Rdnr. 28; vom 16. Juni 2015, Az.: B 4 AS 44/14 R, Rdnr. 20

 

 

 

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