Herbert Masslau

SGB II / SGB XII: Regelleistung 2017 verfassungswidrig

(1. März 2017)

 

 

Vorbemerkung

Nachfolgend soll anhand einzelner Positionen dargestellt werden, daß die Reglleistung 2017 – offizieller Neusprech-Euphemismus: Regelbedarf – im Hinblick auf das Existenzminimum nicht bedarfsdeckend sein kann.

Dies war eigentlich schon bei den Regelleistungen seit 2005 der Fall, da sich aber das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hinsichtlich der Höhe keine Mühe mit einem Realitätsabgleich gab, wurde sowohl mit der BVerfG-Entscheidungen vom 9. Februar 2010 als auch der vom 23. Juli 2014 die Regelleistung jeweils für nicht „evident unzureichend“ erklärt. Wie dieses geht, obwohl im ersten Fall die Regelleistung für verfassungswidrig erklärt [BVerfG, Urteil vom 9. Februar 2010, Az.: 1 BvL 1/09, 3/09, 4/09, Urteilstenor] wurde, im zweiten Fall die Sozialgerichte angemahnt wurden, das SGB II verfassungskonform auszulegen und den Aufrechnungsparagraphen 42a SGB II nicht anzuwenden [BVerfG, Beschluß vom 23. Juli 2014, Az.: 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13, Rdnr. 116], wobei das BVerfG die Gefahr der Unterdeckung bereits 2014 bei der „Anschaffung von Kühlschrank, Gefrierschrank und -truhe, Waschmaschine, Wäschetrockner, Geschirrspül- und Bügelmaschine“ [BVerfG, a.a.O., Rdnr. 120] sah wegen der sehr hohen „Differenz zwischen statistischem Durchschnittswert und Anschaffungspreis“, „[d]esgleichen kann eine Unterdeckung entstehen, wenn Gesundheitsleistungen wie Sehhilfen weder im Rahmen des Regelbedarfs gedeckt werden können noch anderweitig gesichert sind“, ist schleierhaft.

Ebenso stellt sich die Frage, wie die Kinderregelleistung durchgewunken werden konnte, obwohl hier eigentlich gar nichts mehr ermittelt ist aufgrund der zu niedrigen Fallzahlen, die eine statistische Aussage nicht mehr erlauben.

Nachfolgend soll deshalb auch nur die Eckregelleistung (100%-Regelleistung für Alleinstehende und Alleinerziehende) Gegenstand der Betrachtung sein. Der Autor weigert sich, seine Betrachtung auf die rein spekulativen Phantasiezahlen der Kinderregelleistungen auszudehnen.

Im Übrigen werden nur markante Beispiele – auch aus der Lebenswirklichkeit des Autors – herausgegriffen. Ein Auseinanderpflücken der einzelnen Positionen der Regelleistung sollte einem Fachgutachten überlassen bleiben.

Durch die Berücksichtigung der konkreten Erfahrungen des Autors ergeben sich logischerweise Abweichungen zu anderen Orten. Das soll vorliegend aber keine Rolle spielen, da, solange z.B. nicht bundeseinheitlich die Beziehrinnen und Bezieher von SGB II- und SGB XII-Leistungen Anspruch auf ein Sozialticket für den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) haben, es immer eine relevante Zahl von Personen gibt, die ihren Bedarf nicht aus der Regelleistung decken kann.

Die nachfolgend genannten Geldbeträge beziehen sich alle auf den Kalendermonat als kleinste Zeiteinheit.

Die einzelnen Beträge für die EVS 2013 sind entnommen der Bundestagsdrucksache [Korrektur: Bundesratsdrucksache] 541/16, Seite 1-5 (115-119). Der Wert für die Hochrechnung für die Regelleistung 2017 ist entnommen Bundesgesetzblatt I, 2016, Nr. 65, Seite 3161 (§ 7 Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz–RBEG). Die sog. regelbedarfsrelevanten Werte der einzelnen EVS-Abteilungen sind entnommen Bundesgesetzblatt I, 2016, Nr. 65, Seite 3160 (§ 5 Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz–RBEG).

 

Beispiel Nahrungsmittel (EVS-Abteilung 01)

Hier ist zunächst ein „Phänomen“ festzustellen. In der EVS 2013 sind für die Abteilung 01 (Nahrungsmittel, alkoholfreie Getränke) 134,03 Euro bzw. 120,04 Euro nur für Nahrungsmittel eingestellt. Hochgerechnet gemäß § 7 Abs. 2 RBEG mit dem Faktor 1,0346 ergibt sich ein Wert von 138,67 Euro statt 137,66 Euro laut § 5 RBEG. Auch von hinten nach vorne gerechnet, ergibt sich immer ein Euro als Fehlbetrag. Dieses soll deswegen nicht weiterverfolgt werden, weil in der EVS-Abteilung 07 32,90 Euro eingestellt sind in § 5 RBEG [BGBl., a.a.O., Seite 3160], während die hochgerechnete EVS-Abteilung 07 (Sonderauswertung) 31,89 Euro ergibt. Allerdings seien Zweifel an der Seriösität der Statistik erlaubt.

Vorliegend wird von 124,19 Euro nur für Nahrungsmittel ausgegangen.

Erwähnt werden muß noch, daß § 5 RBEG zwar betitelt ist „Abteilung 1 und 2 (Nahrungsmittel, Getränke, Tabakwaren)“, dies aber vermissen läßt, daß alkoholische Getränke und Tabakwaren seit der vom Bundesverfassungsgericht erzwungenen Neuberechnung der Regelleistung (2011) herausgenommen sind. Weswegen hier dennoch die EVS-Bezeichnung beibehalten wurde kann wohl nur mit der Schlampigkeit der Ministerialbürokratie erklärt werden.

Die Position Nahrungsmittel – arithmetisches Mittel für Juli 2015 bis Juli 2016 : 24% für die Kartoffel als Grundnahrungsmittel und damit als Referenzwert [Quelle: die monatlichen ausgewählten Preissteigerungen laut www.destatis.de] – um 24% erhöht., was für 2017 154,00 Euro ergibt. Damit ergibt die Position 01 allein für Nahrungsmittel (Obst und Gemüse) eine Unterdeckung von 30,19 Euro.

 

Beispiel Waschmaschine (EVS-Abteilung 05)

Daß Bundesverfassungsgericht hatte ja bereits festgestellt, daß sich bei der sog. Weißen Ware eine Unterdeckung ergeben könnte, weil dort „lediglich ein Wert von unter 3 € berücksichtigt“ sei [BVerfG, Beschluß vom 23. Juli 2014, Az.: 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13, Rdnr. 120].

Hieran hat sich bis heute nichts geändert, obwohl die BVerfG-Entscheidung die Regelleistung ab 2011 (EVS 2008) betraf.

Auch 2017 sind in der Regelleistung nur – mit statistisch nicht verwertbaren Werten (!) – 2,69 Euro (EVS-Positionen 0531 200 und 0531 901) enthalten. Selbst hochgerechnet gemäß § 7 Abs. 2 RBEG mit dem Faktor 1,0346 ergibt sich nur ein Wert von 2,78 Euro.

Der Autor mußte sich vor kurzem schlau fragen, weil seine 22 Jahre alte MIELE-Waschmaschine kaputt gegangen war. Diese hatte 1995 2100,- DM, also 1074,- Euro gekostet. Vergleichbar gute Qualität kostet heute mindestens 1059,- Euro [bei einem Elektronik-Discounter] bis unter 1500,- Euro. Billig-Waschmaschinen kosten etwa 275,- / 319,- Euro für eine GORENJE-Waschmaschine, 339,- Euro für eine AEG-Waschmaschine oder 349,- bis 399,- Euro für eine BEKO-Waschmaschine. Der Autor hat eine BEKO-Waschmaschine für 328,- Euro bekommen.

Wird jetzt eine Haltbarkeit unterstellt, die MIELE mit 20 Jahren garantiert, dann ergibt das bei 1059,- Euro und 240 Monaten eine Rate von 4,41 Euro. Die alte Waschmaschine des Autors hatte eine Rate von 4,07 Euro.

Heutzutage wird nur eine zweijährige Garantiezeit gewährt, die gesetzlich vorgeschrieben ist. Verkäufer bieten z.B. bei einem Zusatzpreis von 70,- Euro eine 5-Jahre-Garantie an. Gehen wir also mal davon aus, daß so eine Billigwaschmaschine 5 Jahre hält, dann ergeben sich bei Preisen zwischen 275,- und 399,- Euro Raten von 4,58 Euro bis 6,65 Euro. Die neue Waschmaschine des Autors hätte eine Rate von 5,47 Euro. Unschwer zu erkennen, daß es billiger ist, sich eine teure gute Waschmaschine anzuschaffen denn eine billige.

Bei einer Waschmaschine – „Hartz IV“-Empfängerinnen und -empfänger dürfen sich nur Billigmodelle leisten – ergibt sich also eine Unterdeckung im Ansparbetrag von mindestens 1,80 Euro oder 65 % des in der Regelleistung hierfür vorgesehenen Betrages.

Nebenbeibemerkt: Der Autor geht davon aus, daß die Anschaffung einer gebrauchten Waschmaschine unzumutbar ist, allein schon daraus begründet, daß für gewöhnlich niemand eine noch funktionierende Waschmaschine aussondert.

 

Beispiel Busfahrkarte (EVS-Abteilung 07)

In der Regelleistung 2017 sind – hierzu gibt es eine Sonderauswertung Verkehr – 32,90 Euro berücksichtigt. Hierin enthalten sind aber auch andere Positionen als der ÖPNV, so daß die Betrachtung hier eingeschränkt werden soll auf die EVS-Positionen 0730 und 0733 (jeweils Verkehrsdienstleistungen).

Die hier aus der EVS 2013 stammende Summe von 25,85 Euro ist gemäß § 7 Abs. 2 RBEG mit dem Faktor 1,0346 zu multiplizieren, um auf den für 2017 maßgeblichen Wert zu kommen. Dieser beträgt 26,74 Euro.

Eine Monatskarte für den Stadtbus Göttingen – in Göttingen gibt es im Gegensatz zu einigen anderen Regionen kein Sozialticket – beträgt in der Verkaufsstelle 48,00 Euro [http://www.goevb.de/fahrkarten/fahrpreise/]. [Aktualisierung: Seit dem 1. August 2017 gibt es in der Stadt Göttingen die "BusCard E" für 25,00 Euro für Bezieherinnen und Bezieher von Leistungen nach dem SGB II, SGB XII und AsylbLG. Allerdings ist diese unter der Woche erst ab 9 Uhr gültig. Bleibt die Frage, was mit Terminen gemäß § 32 SGB II vor 9 Uhr und mit Terminen im Rahmen einer EGV vor 9 Uhr geschieht. - Herbert Masslau, 27. August 2017]

Daraus folgt ein Defizit von 21,26 Euro oder 80% des in der Regelleistung hierfür vorgesehenen Betrages.

 

Beispiel Telefon (EVS-Abteilung 08)

In der Regelleistung 2017 sind für Telekommunikationsdienstleistungen (EVS-Positionen 0830) insgesamt 26,26 Euro enthalten. Diese sind gemäß § 7 Abs. 2 RBEG hochzurechnen mit dem Faktor 1,0346, was 27,17 Euro ergibt.

Der Autor hat eine Flatrate, welche Telefon, Fax und Internetanschluß sowie die Mietgebühr für den Router abdeckt. Von dieser Flatrate sind nicht alle Gespräche erfaßt, auf der anderen Seite wird mit zunehmender Dauer die Mietgebühr für den Router weniger. Insgesamt hat der Autor runtergebrochen auf den Kalendermonat in 2015 und 2016 sowie bisher in 2017 38 Euro ausgegeben.

Daraus ergibt sich eine Unterdeckung von 11 Euro oder 40% des in der Regelleistung vorgesehenen Betrages.

 

Beispiel Kontogebühren (EVS-Abteilung 12)

In der Regelleistung 2017 sind für Bankdienstleistungen/Finanzdienstleistungen (EVS-Position 1262 900) 1,93 Euro vorgesehen. Diese sind gemäß § 7 Abs. 2 RBEG hochzurechnen mit dem Faktor 1,0346, was 2,00 Euro ergibt.

Die meisten Banken sind dazu übergegangen – die Nullzinspolitik der Europäischen Zentralbank mißbrauchend – nun selbst beim e-banking seit Ende 2016 Gebühren zu erheben. Die „Postbank“ erhebt derzeit für das bisher kostenlose e-banking 1,90 Euro, für das „analoge“ 3,90 Euro (Basiskonto).

Der Autor lehnt aus Sicherheitsgründen das e-banking ab. Das muß auch einem „Hartz IV“-Empfänger möglich sein.

Wer also e-banking macht, kann – eventuell – mit dem Regelleistungsanteil auskommen, die anderen zahlen drauf, im Falle des Autors 1,90 Euro oder 95% des in der Regelleistung 2017 vorgesehenen Betrages.

 

Fazit:

Allein die o.g. Beispiele ergeben mit 66,15 Euro und damit bezogen auf die Gesamtregelleistung von 409 Euro einen Betrag in Höhe des mit 16 % oder 65,44 Euro veranschlagten Ansparbetrages. Wie sollen also aus der Regelleistung sog. langlebige Komsumgüter angespart werden können. Es geht einfach nicht. Der auch vom Bundesverfassungsgericht geforderte mögliche interne Ausgleich innerhalb der Regelleistung ist perdu.

Die Regelleistung 2017 ist evident unzureichend!

 

 

 

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