Mietkautionsdarlehen und
deren Aufrechnung im SGB II (und SGB XII)
(7. März 2019)
Vorbemerkung
Die nachfolgend behandelte Rechtsprechung des
Bundessozialgerichts (BSG) zum SGB II („Hartz IV“) gilt teilweise auch für das
SGB XII (Sozialhilfe).
Trotz weiterhin bestehender wesentlicher Unterschiede
zwischen den beiden Sozialleistungssystemen wie der geringeren Regelleistung
für erwachsene im Alter von 18-25 Jahren im SGB II oder der horizontalen (§ 9
Abs. 2 SGB II) statt der dem Individualitätsgrundsatz (für das SGB II: BSG, Urteil
vom 7. November 2006, Az.: B 7b AS 8/06 R, Rdnr. 12) gerecht werdenden
vertikalen (§ 27 SGB XII) Einkommensanrechnung, so gibt es eine zunehmende
Angleichung beider Sozialleistungssysteme. Dies nicht nur aufgrund der in den
letzten Jahren vom Gesetzgeber vorgenommenen Angleichung beider
Sozialleistungssysteme – was an dieser Stelle nicht näher ausgeführt sein soll
–, sondern auch aufgrund der Rechtsprechung des BSG-Sozialhilfesenats zu den
Unterkunftskosten (KdU).
In der gundlegenden Entscheidung BSG, Urteil vom 23. März 2010,
Az.: B 8 SO 24/08 R hat sich der für die Sozialhilfe zuständige 8. BSG-Senat grundsätzlich
der Rechtsprechung der beiden für das SGB II zuständigen BSG-Senate
angeschlossen. (Rdnrn. 14-16). Bestätigt wurde dies durch BSG, Urteil vom 14.
April 2011, Az.: B 8 SO 19/09 R, Rdnr. 17:
„Die rechtliche
Beurteilung der Angemessenheit der Aufwendungen für die Kosten der Unterkunft
ist nach der Rechtsprechung der für die Grundsicherung für Arbeitsuchende
zuständigen Senate des Bundessozialgerichts, der sich der erkennende Senat
wegen der gleichen Rechtslage im SGB XII bereits angeschlossen hat (vgl
ausführlich BSG, Urteil vom 23.3.2010 - B 8 SO 24/08 R -, ...) in mehreren
Schritten zu prüfen (...) ... .“
Allerdings bleiben, wie noch nachfolgend gezeigt wird,
Unterschiede zwischen SGB II und SGB XII gerade im hier behandelten Thema Mietkautionsdarlehen.
Rechtsgrundlagen
Es gibt einerseits vorliegend keinen Grund, davon ausgehen
zu müssen, daß die weitere KdU-Rechtsprechung der SGB II-Senate des BSG nicht
auch auf das SGB XII zutreffen. Dies, zumal § 35 Abs. 2 Satz 5, 2. HS SGB XII hinsichtlich
der Mietkautionsdarlehen dem § 22 Abs. 6 Satz 3 SGB II entspricht.
Andererseits: Für die hier thematisch interessierenden Mietkautionsdarlehen
gelten für die beiden Sozialleistungssysteme SGB II und SGB XII hinsichtlich
der Rückzahlung des Mietkautionsdarlehens andere Regelungen.
Während im SGB II (§ 42a Abs. 2) Darlehen mit monatlich 10 %
der Regelleistung zu tilgen sind, sind sie im SGB XII nur mit 5 % der
Regelleistung zu tilgen (HLU: § 37 Abs. 4; Grundsicherung im Alter: § 37a Abs.
2).
Auch der Tilgungsmodus ist im SGB XII im Gegensatz zum SGB
II ein anderer. Während in § 42a Abs. 2 SGB II die sofortige Tilgung des
Darlehens vorgesehen ist, gibt es im SGB XII keine entsprechende Regelung. Zwar
enthält das SGB XII mit Abschnitt 5 im 3. Kapitel (§§ 37, 37a, 38) eine
gesonderte Darlehensregelung für verschiedene Situationen, gleichwohl ist
nirgendwo von einer sofortigen Tilgung die Rede, mit Ausnahme von § 37a SGB
XII, einer Sondersituation für Personen, die erstmalig in Rente gehen, da die
Rente erst am Monatsende ausgezahlt wird. § 37 Abs. 1 SGB XII regelt analog zu
§ 24 Abs. 1 SGB II die darlehensweise Gewährung von Regelleistungsspitzen, § 38
SGB XII die darlehensweise Gewährung von Sozialhilfeleistungen bei absehbar
vorübergehender Notlage. Nur hier sind die Unterkunftskosten nach § 35 SGB XII
explizit genannt. Damit bleibt die Darlehenstilgung im SGB XII im Gegensatz zum
SGB II der Regelung auf Verwaltungsebene durch Verwaltungsakt überlassen.
Insofern ergeben sich hinsichtlich der an späterer Stelle
besprochenen verfassungsrechtlichen Problematik doch Unterschiede zwischen
beiden Sozialleistungssystemen. Dies liegt offensichtlich darin begründet,
obwohl es sich bei SGB II und SGB XII um zwei Sozialhilfesysteme handelt, daß
das SGB XII im Gefolge des BSHG (alte Sozialhilfe) eher an dem die Menschendwürde
garantieren sollende Existenzminimum (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG)
orientiert ist als das SGB II.
Mietkautionsdarlehen in der BSG-Rechtsprechung
Zunächst ist festzustellen, daß sich in der Datenbank des
BSG nur Entscheidungen der beiden SGB II-Senate zum Thema Mietkaution und
Darlehen finden. Soweit ersichtlich liegt diesbezüglich noch keine
höchstrichterliche Rechtsprechung des Sozialhilfe-Senats vor.
Bereits seit 2006 können im Rahmen des SGB II Mietkautionen
(§ 22 Abs. 3 Satz 1, jetzt: § 22 Abs. 6 Satz 1) als Darlehen (§ 22 Abs. 3 Satz
3, jetzt: § 22 Abs. 6 Satz 3) übernommen werden.
Bereits mit Urteil vom 22. März 2012 im Verfahren Az.: B 4
AS 26/10 R, einen Fall aus 2008 betreffend, hat das BSG Stellung bezogen zum
Mietkautionsdarlehen und dessen Rückzahlung. Im dortigen Fall hatte der SGB
II-Leistungsträger das Mietkautionsdarlehen mit 10 % der Regelleistung
aufgerechnet, begründet mit § 23 Abs. 1, jetzt § 24 Abs. 1 SGB II.
Dazu damals das BSG zur alten Rechtslage:
„Zudem ist die Regelung
des § 23 Abs 3 SGB II eng auszulegen, weil das verfassungsrechtliche
Existenzminimum nach Art 1 iVm Art 20 Abs 1 GG betroffen ist. Der vom BVerfG in
seinem Urteil vom 9.2.2010 (1 BvL 1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 - juris RdNr
136) betonte Grundsatz, dass die Gewährleistung eines menschenwürdigen
Existenzminimums durch einen gesetzlichen Anspruch gesichert sein muss,
betrifft - als Kehrseite der Anspruchsgewährung - auch den Eingriff in das gesetzlich
geregelte Existenzminimum, wie sich auch weiteren Regelungen des SGB II, etwa §
31 SGB II, entnehmen lässt. Eine analoge Anwendung des § 23 Abs 1 S 3 SGB II
auf andere Darlehen als solche nach § 23 Abs 1 S 1 SGB II beinhaltet die Gefahr
einer Bedarfsunterdeckung bei den laufenden Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts, die zumindest einer gesetzlichen Regelung bedarf.“ [BSG, a.a.O., Rdnr. 17]
Mit Urteil vom 25. Juni 2015, Az.: B 14 AS 28/14 R wies das
BSG die Aufrechnung von Mietkautionsdarlehen für Zeiträume vor dem 1. April
2011 (hier: 2009) zurück:
„Als Rechtsgrundlage für
den Aufrechnungsbescheid kommt allein § 42a Abs 2 SGB II in der zum 1.4.2011
mit dem Regelbedarfs-Ermittlungsgesetz vom 24.3.2011 eingeführten und bislang
unveränderten Fassung der Bekanntmachung vom 13.5.2011 (BGBl I 850) in
Betracht. Nach dessen Satz 1 werden, solange Darlehensnehmer Leistungen zur
Sicherung des Lebensunterhalts beziehen, Rückzahlungsansprüche aus Darlehen ab
dem Monat, der auf die Auszahlung folgt, durch monatliche Aufrechnung in Höhe
von 10 % des maßgebenden Regelbedarfs getilgt. Diese Vorschrift ist jedoch,
unabhängig von der hier nicht entscheidungsrelevanten Frage, ob die
Aufrechnungsregelung in § 42a Abs 2 SGB II für Mietkautionsdarlehen gilt, zumindest
auf Mietkautionsdarlehen, die vor dem Inkrafttreten des § 42a SGB II zum
1.4.2011 ausgezahlt wurden, nicht anwendbar.“ [BSG, a.a.O., Rdnr. 18]
Aber schon hier wird deutlich, daß sich das BSG an der
einfachgesetzlichen Lage zu orientieren gedenkt.
Ebenfalls schon hier findet sich die Auffassung des BSG, mit
§ 42a SGB II sollte eine einheitliche Rechtsgrundlage für alle Darlehen im
Rahmen des SGB II geschaffen werden:
„Für diese Auslegung
spricht auch der aus den Gesetzesmaterialien deutlich werdende Sinn und Zweck
des § 42a SGB II, eine neue und umfassende Regelung ‚für alle Darlehen im SGB
II’ zu schaffen (BT-Drucks 17/3404 S 115).“ [BSG, a.a.O., Rdnr. 21]
So nun auch BSG, Urteil vom 28. November 2018, Az.: B 14 AS 31/17 R, Rdnr. 16:
„Nach § 42a Abs 2 Satz 1
SGB II werden ‚Rückzahlungsansprüche aus Darlehen’ durch Aufrechnung getilgt.
Ein Ausschluss bestimmter Darlehen oder eine Begrenzung auf bestimmte Darlehen
lassen sich weder diesem Wortlaut noch der amtlichen Überschrift des § 42a SGB
II – ‚Darlehen’ - entnehmen. Vielmehr erfasst der Wortlaut mit seiner Verwendung
des Begriffs ‚Darlehen’ alle nach dem SGB II erbrachten Darlehen, zu denen auch
die Darlehen gehören, die nach § 22 Abs 6 Satz 1 Halbsatz 2, Satz 3 SGB II für
Aufwendungen für eine Mietkaution erbracht werden sollen.“
Diese Beurteilung des BSG entspricht genau der
einfachgesetzlichen Rechtslage und ist daher – in diesem Punkt – nicht zu
kritisieren.
Mit BSG, Urteil vom 28. November 2018, Az.: B 14 AS 31/17 R
hat sich nun das BSG erstmals umfassend zum Thema Mietkautionsdarlehen
geäußert. Eine bereits vorhergehende Revision, die einen Zeitraum nach dem 1.
April 2011 betraf, kam nicht zur Entscheidung, da die dortige Klägerin die
Revision zurückzog [BSG, Az.: B 4 AS 14/15 R, Rdnr. 4].
Ausführlich setzt sich das BSG entlang der
einfachgesetzlichen Regelung auch mit den Rückzahlungsmodalitäten, sprich: der
Aufrechunung, während des laufenden Leistungsbezuges, auseinander.
Aus einfachgesetzlicher Sicht ist auch die Auffassung des
BSG richtig, daß eine Aufrechnung auch in dem Fall mit der Regelleistung möglich
ist, wo es sich um Darlehen der nicht in der Regelleistung enthaltenen KdU
handelt:
„Eine einschränkende
Auslegung ist nicht deshalb vorzunehmen, weil die Aufwendungen für
Mietkautionen als Aufwendungen für die Unterkunft nach § 22 SGB II keinen Eingang
in die Bemessung des Regelbedarfs nach § 20 SGB II gefunden haben, aber mit
Rückzahlungsansprüchen aus Mietkautionsdarlehen gegen Ansprüche auf die zur
Deckung des Regelbedarfs erbrachten Leistungen aufgerechnet werden kann (und in
aller Regel wird, wenn nicht nur aufstockende Leistungen für Mehrbedarfe und
die Bedarfe für Unterkunft und Heizung bezogen werden). Denn es lässt sich dem
Regelungskonzept des SGB II weder entnehmen, dass Aufrechnungen nach § 42a Abs
2 Satz 1 SGB II nur Darlehen erfassen dürfen, die für vom Regelbedarf umfasste
Bedarfe geleistet werden, noch dass Aufrechnungen bei Darlehen für andere als
vom Regelbedarf umfasste Bedarfe nicht auch Regelbedarfsleistungen erfassen
dürfen (...).“ [BSG, Az.: B 14 AS
31/17 R, Rdnr. 26; so auch: Rdnr. 41]
„Würden gar alle
unterkunftsbezogenen Darlehen aus dem Anwendungsbereich des § 42a Abs 2 Satz 1
SGB II herausgenommen, blieben - neben § 16c Abs 1 Satz 1 SGB II - als dessen
Anwendungsbereich nur übrig die Darlehen nach § 24 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB II,
die als Nachfolgeregelung zu § 23 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB II aF schon zuvor der
Aufrechnung nach § 23 Abs 1 Satz 3 SGB II aF unterlagen; diese Regelung aber
sollte durch § 42a SGB II mit Wirkung für alle Darlehen gerade ersetzt werden.“
[BSG, a.a.O., Rdnr. 27]
Auch sieht das BSG in Übereinstimmung mit der
einfachgesetzlichen Regelung für Mietkautionsdarlehen keine Ausnahme im
Hinblick auf die sofortige Aufrechnung, obwohl es sich im Gegensatz zum
Darlehen nach § 24 Abs. 1 SGB II nicht um eine Mehrleistung einer bereits
zugestandenen, aber vorzeitig verbrauchten Leistung – auch weil zeitlich noch
nicht genügend angespart werden konnte – handelt, wie bei einer punktuell
auftretenden Spitze:
„Eine teleologische
Reduktion ist auch nicht dadurch veranlasst, dass die Aufrechnung von
Mietkautionsdarlehen zu einer echten Bedarfsunterdeckung führt, weil sie nicht
ein Darlehen tilgt, mit dem eine bereits erbrachte aber vorzeitig verbrauchte
Leistung abweichend erneut als Darlehen erbracht wird, wie dies typisierend bei
§ 24 Abs 1 Satz 1 und 2 SGB II der Fall ist. Dort wird mit der Aufrechnung
grundsätzlich die Lage wiederhergestellt, die nach der Ansparkonzeption des SGB
II von vornherein hätte bestehen sollen und werden Beträge getilgt, die sich
als Mehrleistung darstellen.“ [BSG,
a.a.O., Rdnr. 28]
Allerdings deutet sich hier schon ein Wertungswiderspruch
zum verfassungsrechtlich geschützten Existenzminimum an:
„Demgegenüber werden
Aufwendungen für Mietkautionen nach der Soll-Regelung des § 22 Abs 6 Satz 3 SGB
II von vornherein als Darlehen erbracht und gleicht ihre Tilgung durch
Aufrechnung keine Mehrleistung aus. Dieser Unterschied rechtfertigt indes keine
Herausnahme von Mietkautionsdarlehen aus dem Anwendungsbereich des § 42a Abs 2
Satz 1 SGB II, da sich dem Regelungskonzept des SGB II nicht entnehmen lässt,
dass Aufrechnungen - ebenso wie Leistungsminderungen nach §§ 31 ff SGB II -
nicht zu echten Bedarfsunterdeckungen führen dürfen (...).“ [BSG, a.a.O., Rdnr. 29]
An dieser Stelle darf die Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) zur Sanktionierung im SGB II (§§ 31 ff.) mit
Spannung erwartet werden.
Daß sich „Jobcenter“ die Rückzahlung von
Mietkautionsdarlehen auch über die spätere Auszahlung der Mietkaution an sich
bei Beendigung des entsprechenden Mietverhältnisses sichern könnten, sieht das
BSG nicht als Einschränkung für eine sofortige Aufrechnung:
„Zudem hängt die
Rückzahlung der Kaution in voller Höhe durch den Vermieter von Umständen im
Rahmen des Mietverhältnisses ab, auf die die Jobcenter in aller Regel keinen
Einfluss haben, sodass eine echte Übersicherung ohnehin ungewiss ist;
demgegenüber steht mit Tilgung des Mietkautionsdarlehens durch Aufrechnung dem
Leistungsberechtigten der Rückzahlungsanspruch gegen den Vermieter bei
Beendigung des Mietverhältnisses zu.“ [BSG,
a.a.O., Rdnr. 32]
Dieses mag insoweit gerechtfertigt sein, als ein Fall
selbstverschuldeter Mietschulden vorliegt, nicht jedoch, wenn Vermieter z.B mit
Kosten einer Auszugsrenovierung bezüglich der Mietkaution aufrechnen, weil das
„Jobcenter“ die Übernahme der Renovierungskosten verweigert. Je nach
Fallgestaltung ginge diese pauschale Entscheidung des BSG zulasten der
hilfebeziehenden Person aus, wenn das Mietkautionsdarlehen bereits vollständig
durch Aufrechnung getilgt ist und die zivilrechtliche Rechtsprechung zugunsten
des Vermieters ausgeht.
Schließlich setzt sich das BSG mit der sofortigen
Aufrechnung eines Mietkautionsdarlehens aus verfassungsrechtlicher Sicht auseinander.
Verletzung von Verfassungsrecht
Hier allerdings läßt das BSG eine ernsthafte
verfassungsrechtliche Auseinandersetzung mit dem Thema Aufrechnung von
Mietkautionsdarlehen vermissen, weil es in der einfachgesetzlichen
Betrachtungsweise verhaftet bleibt.
Damit dieses möglich ist, muß zunächst wieder der
„Gestaltungsspielraum“ des Gesetzgebers herhalten [BSG, a.a.O., Rdnr. 37].
Trotz Einschränkung
„Für ihre
verfassungsrechtliche Prüfung ist dem Grundrecht als Gewährleistungsrecht
insbesondere zu entnehmen, dass dem Gesetzgeber die Aufrechnung jedenfalls
solange nicht verwehrt ist, wie sichergestellt ist, dass den Betroffenen die
auch in dieser Lage unerlässlichen Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts
zeitgerecht zur Verfügung stehen (...).“
[BSG, a.a.O., Rdnr. 38]
meint das BSG:
„Gemessen hieran ist die
Aufrechnung nach § 42a Abs 2 Satz 1 SGB II, die die Höhe der
Leistungsbewilligung unberührt lässt, aber die bewilligten Leistungen nicht
ungekürzt dem Leistungsberechtigten zur eigenverantwortlichen Verwendung zur
Verfügung stellt, eine Ausgestaltung des Gewährleistungsrechts, der
durchgreifende verfassungsrechtliche Bedenken nicht grundsätzlich
entgegenstehen. Allerdings ist die Unterdeckung existenznotwendiger Bedarfe zu
vermeiden (vgl BVerfG vom 23.7.2014 - 1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13 -
...).“ [BSG, a.a.O., Rdnr. 39]
Der Verweis des BSG, daß in atypischen Fällen eine
Mietkaution auch als Zuschuß geleistet werden kann [BSG, a.a.O., Rdnr. 40] ist
kein ernsthaftes Gegenargument, da es in der Regel einfachgesetzlich eben beim
Darlehen mit der entsprechenden Aufrechnung gemäß § 42a SGB II bleibt.
Auch hält das BSG verfassungsrechtliche Aspekte dadurch
berücksichtigt, daß eine Aufrechnung gemäß § 42a SGB II „nur“ in Höhe von 10 %
der Regelleistung erfolgt und nicht wie beim auf Verschulden ausgerichteten §
43 SGB II in Höhe von 30 % der Regelleistung [BSG, a.a.O., Rdnr. 43]. Auch beim
Zusammentreffen von mehreren Aufrechnungen nach § 42a und § 43 SGB II sieht das
BSG durch die Deckelung auf insgesamt 30 % der Regelleistung kein Problem [BSG,
a.a.O., Rdnr. 47].
Weiterhin sieht das BSG verfassungsrechtliche Aspekte
dadurch berücksichtigt, daß die Aufrechnung auf 10 % der Regelleistung
gedeckelt ist, so daß mehrere zu tilgende Darlehen nicht zu einer Akkumulation
führen [BSG, a.a.O., Rdnr. 44].
Auch wenn das BSG die verbleibende verfassungsrechtliche
Problematik grundsätzlich richtig einschätzt
„Von
verfassungsrechtlicher Relevanz bleibt danach insbesondere der Umgang mit
Aufrechnungen bei sehr hohen Rückzahlungspflichten aus Darlehen und mit
zeitlich unmittelbar nacheinander erfolgenden Aufrechnungen nach § 42a SGB II
aufgrund mehrerer Darlehen, die jeweils nicht nur eine ‚vorübergehende
monatliche Kürzung’ (so zu § 23 Abs 1 SGB II aF BVerfG vom 9.2.2010 - 1 BvL
1/09, 1 BvL 3/09, 1 BvL 4/09 - BVerfGE 125, 175 = SozR 4-4200 § 20 Nr 12 RdNr
150) der ausgezahlten Leistungen bewirken (...).“ [BSG, a.a.O., Rdnr. 45]
so ist die angegebene BSG-„Lösung“ ein schlechter Scherz.
Denn das BSG hält die einfachgesetzliche Regelung in § 43
Abs. 4 SGB II, wonach die Rückzahlung auf drei Jahre beschränkt ist, für
ausreichend [BSG, a.a.O., Rdnr. 46]. Dabei tut das BSG so, als sei diese
Kappungsgrenze von drei Jahren Aufrechnung verfassungskonform, ohne sich mit
dieser Frage inhaltlich auseinanderzusetzen. Also, das BSG kehrt die
Rangordnung um, indem es die verfassungsrechtliche Problematik
einfachgesetzlich beantwortet, als hätten sich nicht die Gesetze amG r u n d gesetz zu orientieren und nicht
umgekehrt.
Auf die weiteren vom BSG angesprochenen „Möglichkeiten“ der
vorzeitigen Beendigung der Darlehenstilgung gemäß § 48 SGB X bei „Eintritt
von gegen die Fortdauer der Aufrechnung sprechenden Umständen“ [BSG,
a.a.O., Rdnr. 46] oder bei Erlaß der Darlehenstilgung gemäß § 44 SGB II [BSG,
a.a.O., Rdnr. 46] braucht hier nicht weiter eingegangen zu werden, da diese die
verfassungsrechtliche Problematik und ihre Lösung gleichsam der
Sozialverwaltung überlassen.
Offensichtlich erkennt das BSG die Schwäche der eigenen
Argumentation im Hinblick auf die sich ergebende verfassungsrechtliche Problematik
der Unterdeckung des Existenzminimums, wenn es die nackte Behauptung aufstellt:
„Im Übrigen ist
sichergestellt, dass den Betroffenen trotz Einbehaltung von bewilligten
Leistungen zur Rückführung von Mietkautionsdarlehen und der hierdurch bewirkten
Auszahlung geringerer als zur Bedarfsdeckung bewilligter Leistungen die auch in
dieser Lage unerlässlichen Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts
zeitgerecht zur Verfügung stehen. Es bestehen hinreichende gesetzliche
Möglichkeiten zur Vermeidung der Unterdeckung existenznotwendiger Bedarfe, ggf
in verfassungskonformer Auslegung (zu deren Notwendigkeit mit Blick auf die
Grenzen der gesetzlichen Bedarfsdeckungskonstruktion vgl BVerfG vom 23.7.2014 -
1 BvL 10/12, 1 BvL 12/12, 1 BvR 1691/13 - ... RdNr 116, 119 ff).“ [BSG, a.a.O., Rdnr. 48]
Völlig absurd – und anders scheint das verfassungsrechtliche
Problem für das BSG nicht umschiffbar – wird es, wenn das BSG urteilt:
„Das SGB II enthält
Regelungen, auf deren Grundlage sonst nicht gedeckte, aber aus
verfassungsrechtlichen Gründen tatsächlich zu deckende existenznotwendige
Bedarfe während der Aufrechnung durch ergänzende Leistungen gedeckt werden
können. Für einmalige Bedarfsspitzen vom Regelbedarf umfasster Bedarfe sieht
insoweit § 24 Abs 1 SGB II zur Vermeidung von Deckungslücken eine
darlehensweise Leistung vor; nach § 44 SGB II kann der Rückzahlungsanspruch des
Jobcenters den Leistungsberechtigten erlassen werden, wenn dessen Einziehung
nach Lage des Falls unbillig wäre. Für Härtefallmehrbedarfe sieht § 21 Abs 6
SGB II einen zusätzlichen Leistungsanspruch zum Regelbedarf vor, der als Zuschuss
geleistet wird. Erwägen lassen sich zudem in besonderen Härtefällen ergänzende
Sachleistungen (...). Mit diesen Kompensationsmöglichkeiten bei besonderen
Bedarfslagen kann verfassungsrechtlich nicht hinnehmbaren Härten im Einzelfall
begegnet werden (vgl dazu bereits BSG vom 9.3.2016 - B 14 AS 20/15 R - ...; vgl
auch die auf ungedeckt gebliebene Bedarfe ausgerichtete Perspektive in BVerfG
<Kammer> vom 10.8.2017 - 1 BvR 1412/16).“ [BSG, a.a.O., Rdnr. 49]
Das BSG „übersieht“ dabei wohl absichtlich, daß das Erlassen
einer Aufrechnung durch die Anwendung der Regelung § 44 SGB II eine reine
Ermessensentscheidung der Sozialverwaltung ist, ebenso die uneinheitliche,
teilweise widersprechende Rechtsprechung unterer sozialgerichtlicher Instanzen
im Hinblick auf die Anwendbarkeit von § 21 Abs. 6 SGB II. Damit will das BSG
einen scheinbaren Rechtsanspruch konstruieren, der sich in der Realität nicht
als solcher erweist. Die fortgesetzte höchstrichterlich ungeklärte
verfassungsrechtliche Problematik, die mit der jahrelangen Aufrechnung
verbunden ist, wird damit durch das BSG nicht im Sinne einer echten
verfassungskonformen Lösung festgezurrt, sondern bleibt weiterhin ungeklärt
zulasten der Hilfeempfängerinnen und -empfänger.
Die im obigen Zitat vom BSG angeführte eigene Rechtsprechung
(Az.: B 14 AS 20/15 R) gibt nichts her, weil es dort um eine Aufrechung gemäß §
43 SGB II ging, welche Verschulden einer hilfebedürftigen Person voraussetzt,
was im Falle von § 42a SGB II nicht gegeben ist. Die im obigen Zitat angeführte
BVerfG-Rechtsprechung (Az.: 1 BvR 1412/16) soll zudem offensichtlich die
mangelhafte BSG-Rechtsprechung adeln. Allerdings geht dieser Schuß nach hinten
los, weil die BVerfG-Entscheidung zur BSG-Entscheidung Az.: B 14 AS 20/15 R,
also zu § 43 SGB II, ergangen ist, und das BVerfG gar keine inhaltliche
Entscheidung getroffen hat, sondern die Verfassungsbeschwerde wegen fehlender
substantiierter Darlegung der Verletzung von Verfassungsrechten für unzulässig
erklärt hat [BVerfG, Kammerbeschluß vom 10. August 2017, Az.: 1 BvR 1412/16,
Rdnr. 1].
Daß die Deckung eines Mietkautionsdarlehens und dessen
Aufrechnung gemäß § 42a SGB II durch ein Darlehen zur Deckung eines Darlehens
(s.o. BSG zu § 24 Abs. 1 SGB II) hinsichtlich der sofortigen Aufrechnung gemäß
§ 42a SGB II nur zur Verschachtelung der Problematik führt, analog der Tilgung
eines Kredits durch einen neuen Kredit, statt zu einer Lösung, scheint dem BSG
offensichtlich nicht aufgegangen zu sein.
Eine verfassungsgerichtliche Klärung der Darlehensaufrechnung
gemäß § 42a SGB II bleibt auch nach dieser BSG-Entscheidung unerläßlich.