Kostenübernahme Schul-PC/Tablet:
Bericht vom BSG am 12. Mai 2021
Ich war persönlich als Zuschauer auf der besagten Sitzung
des 4. Senats des Bundessozialgerichts (BSG) am 12. Mai 2021 in Kassel
anwesend.
Dort verhandelte das BSG ein Urteil des LSG
Niedersachsen-Bremen (Az.: L 7 AS 505/19) vom Oktober 2020 die Rechtsfrage der
Kostenübernahme für schulisch genutzte tablets
betreffend.
Das BSG hatte sich eines der drei anhängigen Verfahren – LSG
Niedersachsen-Bremen, Az.: L 7 AS 505/19 (B 4 AS 88/20 R); L 7 AS 66/19 (B 4 AS
84/20 R); L 7 AS 219/19 (B 4 AS 4/21 R) – herausgesucht. In allen drei
Verfahren hatte der 7. LSG-Senat den Kosten-Anspruch für ein Schul-tablet
auf Grundlage des § 21 Abs. 6 SGB II abgelehnt. Da alle drei Entscheidungen des
7. Senats des LSG Niedersachsen-Bremen gleichlautend waren, konnte sich das BSG
eines dieser Verfahren zur Entscheidung heraussuchen, welches dann auf die
anderen Verfahren übertragbar war (ist).
Zur Begründung des 7. Senats des LSG Niedersachsen-Bremen
siehe meinen Artikel „SGB II: Kostenübernahme Schul-PC/Tablet“ vom November
2020 [http://herbertmasslau.de/sgb-ii-schul-pc.html].
Im Gegensatz zum 11. Senat des LSG Niedersachen-Bremen,
welcher in zwei Urteilen (Az.: L 11 AS 349/17 und L 11 AS 1503/15) vom Dezember
2017 den Betroffenen die Kostenübernahme für Schulbücher auf der Grundlage des
§ 21 Abs. 6 SGB II zugesprochen hatte, bestätitgt durch die BSG-Entscheidungen
vom 8. Mai 2019 (Az.: B 14 AS 6/18 R und B 14 AS 13/18 R), hat der 7. LSG-Senat
den Betroffenen die Kostenübernahme für schulisch genutzte tablet’s
verweigert. Damit steht der 7. LSG-Senat im Gegensatz zu vielen
erstinstanzlichen Entscheidungen und auch zur Rechtsauffassung des LSG
Schleswig-Holstein.
Kurz die wesentlichen Argumente des 7. Senats des LSG
Niedersachsen-Bremen:
– digitale Geräte sind in der Regelleistung § 20 SGB II
enthalten
– digitale Geräte sind im BuT-Paket § 28 Abs. 3 SGB II
enthalten
– für Schul-PC/Tablet besteht keine Anspruchsgrundlage nach
Härtefallregelung § 21 Abs. 6 SGB II, weil keine gesetzliche Regelungslücke
vorliegt.
Während in 2020 die durchschnittliche Verfahrensdauer laut
BSG-Geschäftsbericht 12 Monate betrug, ist die heutige Entscheidung mit knapp 6
Monaten bemerkenswert.
Nun zur BSG-Entscheidung vom heutigen Tage selbst.
Die Kernaussage lautet:
Keine Berücksichtigung der Kosten für ein Schul-tablet als Mehrbedarf gemäß § 21 Abs. 6
SGB II.
Es ging um die alte Rechtslage (2016), nicht um die neue, durch
das "Starke-Familien-Gesetz" geänderte Rechtslage 2019 (150 Euro
statt 100 Euro, keinen Elternbeitrag mehr zum Schulessen).
Vor der Entscheidung stand die Frage im Raum, ob ein (Bundes-)Land
in Anspruch genommen werden könne (Stichwort: Digitalpakt-Gelder) oder ob der
Grundsicherungsträger quasi als Ausfallbürge herhalten müsse.
Es könne dahinstehen, so das BSG, ob der Anwendung von § 21
Abs. 6 nicht schon der § 28 Abs. 3 SGB II entgegenstünde, jedenfalls sei nicht
zu belegen, daß der Gesetzgeber die Kostenübernahme für ein Schul-tablet bis zur gesetzlichen Neuregelung wollte.
Eine analoge Anwendung des § 21 Abs. 6 SGB II scheide
deshalb aus.
§ 21 Abs. 6 SGB II scheide auch aus, weil der Bedarf nur ein
einmaliger und kein laufender sei, das tablet
werde nicht mehrfach angeschafft.
Der BSG-Senat verwies auf die Verantwortung des (Bundes-)Landes
hin.
Meine Kritik:
Der 14. BSG-Senat hatte 2019 in seinem Schulbuch-Urteil noch
darauf hingewiesen, daß § 28 Abs. 3 SGB II ausscheide, weil evident
unzureichend.
Der 14. BSG-Senat hielt auch die Regelleistung § 20 SGB II
für evident unzureichend in jenen Bundesländern, in denen keine
Schulbuchfreiheit bestehe.
Der Gesetzgeber reagierte auf diese BSG-Entscheidung
schließlich mit der Einführung des § 21 Abs. 6a SGB II [BGBl. I, 2020, Nr. 61,
Seite 2860; In-Kraft-Treten: 1. Januar 2021].
Konsequenz:
Für Fälle der Vergangenheit gibt's kein Geld; seit August 2019
muß § 28 Abs. 3 SGB II, der mtl. 30 € für Digitales enthält, herhalten, also je
nach Gerät 12-24 Monate Ansparzeit.
Welche Formulierung das BSG letztlich findet, bleibt der
schriftlichen Urteilsbegründung, die noch aussteht, vorbehalten. Jedenfalls der
noch am Tage der Entscheidung veröffentlichte Termin-Bericht [https://www.bsg.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Terminberichte/2021_18_Terminbericht.html]
ist mehr als knapp gehalten im Gegensatz zu den anderen verhandelten Verfahren
vom selben Tage und ist nicht ergiebig.
Offensichtlich wollte der 4. BSG-Senat die Problematik der
Kostenübernahme schulisch genutzter PC und tablets
rein formal-juristisch – § 21 Abs. 6a SGB II für Schulbücher, für schulisch
genutzte PC und tablets der
sogenannte Digitalpakt – zur Entlastung des Bundes den Bundesländern in die
Verantwortung geben, ohne sich die Frage zu stellen, die sich seinerzeit der
14. BSG-Senat gestellt hatte, nämlich wie vorgehen, wenn nicht alle
Bundesländer die Schulbuchbefreiung haben. Der Anwalt der Klägerin stellte
jedenfalls in der mündlichen Verhandlung mehr als berechtigt die Frage, auf
welcher Rechtsgrundlage die Klägerin denn das Land hinsichtlich der tablet-Kosten in Anspruch nehmen könne.
Wir sind also wieder da angelangt, wo es schien anhand der
Schulbuchentscheidung des 14. BSG-Senats und der zwei Jahre danach erfolgten
Einführung des § 21 Abs. 6a SGB II, daß dieser Weg verlassen worden wäre,
nämlich da, wo die Betroffenen zwischen allen Stühlen sitzen gelassen werden –
jedenfalls die, welche vor der „Corona“-Pandemie mit homeschooling für die schulische Nutzung ein tablet selbst anschaffen mußten.
Das BSG macht es sich zu einfach, wenn es sich damit
herausredet, Länderrecht sei kein revisibles Recht (§ 162 SGG). Im Gegensatz zu
einigen anderen Bundesländern ist Niedersachsen erst sehr spät auf den
Digitalzug aufgesprungen, und im Gegensatz zu einigen anderen Bundesländern,
die ihren Schülerinnen und Schülern die PC oder tablets über die Schulen zur Verfügung stellen, wollte
Niedersachsen kein Geld in die Hand nehmen und bürdete die Anschaffungskosten
den Eltern auf.