SGB II: Nachforderungen von
Heiz- und sog. kalten Nebenkosten
(16. März 2016)
Vorbemerkung
In diesem Artikel geht es um die Anrechnungsmodalitäten von
Nachforderungen entweder von Vermietern oder sogenannten Drittversorgern (z.B.
Stadtwerke) oder bei Wohneigentum von kommunalen Abgaben.
Diese Nachforderungen entstehen in der Regel, wenn bei der
Jahresabrechnung die Verbrauchskosten höher ausfallen als die Summe der
gezahlten – in der Regel monatlichen – pauschalen Abschläge.
Diese Nachforderungen gehören zu den Kosten für Unterkunft
und Heizung gemäß § 22 SGB II und werden von den „Hartz IV“-Behörden
(neudeutsch: Jobcenter) oft kopfteilig auf die Bedarfsgemeinschafts- bzw.
Haushaltsmitglieder aufgeteilt.
Dies ist so nicht ohne Weiteres zulässig, wie das
Bundessozialgericht (BSG) mit insbesondere einer auf Kinder bezogenen guten
Begründung entschieden hat.
Dies gilt allerdings nicht für Guthaben; diese werden kopfteilig
berücksichtigt [BSG, Urteil vom 22. März 2012, Az.: B 4 AS 139/11, Rdnr. 18].
Relevant ist die nachfolgende Rechtsdarstellung vor allem
für Familien, insbesondere für solche mit minderjährigen Kindern, die gemäß § 7
Abs. 3 Nr. 4 SGB II nicht zur Bedarfsgemeinschaft gehören. Nicht betroffen sind
selbstredend Alleinstehende und nichteheliche Paare, wo beide Partner den
Mietvertrag bzw. den Versorgungsvertrag unterschrieben haben oder
gemeinschaftlich Eigentümer der Wohnung sind.
Die Nachforderung ist Bedarf im Fälligkeitsmonat
Es handelt sich nachfolgend um Nachforderungen bezüglich der
Heizkosten (HK; z.B. Gaslieferung, Fernwärme) bzw. der Heiz- und
Warmwasserkosten. Weiterhin handelt es sich um Nachforderungen bezüglich der
kommunalen Abgaben (z.B. Müllabfuhr, Abwasser, Straßenreinigung) sowie der
Kosten für Frischwasser (Trinkwasser), den sog. kalten
Nebenkosten/Betriebskosten (NK/BK).
Diese Kosten können entweder komplett vom Vermieter erhoben
werden oder teilweise vom Vermieter und teilweise von Drittversorgern. Bei
Wohneigentum werden sie in der Regel direkt von den Kommunen (Abgaben) bzw. den
Drittversorgern erhoben.
Die Nachforderung gehört zunächst einmal zum aktuellen
Bedarf in dem Monat, in dem sie fällig wird [BSG, Az.: B 4 AS 62/09 R, Rdnr.
13; B 4 AS 12/10 R, Rdnr. 15].
Das heißt, hier sind keine Aufteilungen vorzunehmen, weder
für den aktuellen Bewilligungszeitraum von sechs Monaten noch für die zwölf
Kalendermonate des abgelaufenen Jahres, auf welche sich in der Regel die
Jahresabrechnung bezieht.
Die Nachforderung ist Bedarf des zivilrechtlich
Verantwortlichen
Weiterhin ist die Nachforderung nicht wie die laufende
Vorauszahlung einfach kopfteilig auf die Haushalts- bzw.
Bedarfsgemeinschaftsmitglieder aufzuteilen.
Einerseits ist das Kopfteilprinzip auf die Mitglieder der
Bedarfsgemeinschaft beschränkt. Die BSG-Rechtsprechung ist allerdings nicht
konsistent im Hinblick auf den Begriff „Bedarfsgemeinschaft“. So werden
laufende Bedarfe für Unterkunft und Heizung kopfteilig aufgeteilt, ebenso
Guthaben hieraus [BSG, Urteil vom 22. März 2012, Az.: B 4 AS 139/11, Rdnr. 18].
Andererseits, wie gleich noch gezeigt wird, werden Schulden/Nachforderungen
nicht kopfteilig als Bedarf im Fälligkeitsmonat berücksichtigt. Einerseits
werden minderjährige Kinder – und seit der Gesetzesänderung zum 1. April 2006
auch U-25-Kinder – dann nicht zur Bedarfsgemeinschaft gezählt, wenn sie ihren
Bedarf aus eigenem Einkommen und Vermögen decken können (§ 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB
II) [BSG, Urteile vom 28. Oktober 2014, Az.: B 14 AS 61/13 R, Rdnr. 10; vom 20.
Februar 2014, Az.: B 14 AS 53/12 R, Rdnrn. 14, 15; vom 13. Mai 2009, Az.: B 4
AS 39/08 R, Rdnr. 15], andererseits wird die Familie gleichwohl, obwohl
Haushaltsgemeinschaft und nicht Bedarfsgemeinschaft, wie eine
Bedarfsgemeinschaft behandelt samt Kopfteilprinzip [BSG, Urteil vom 29.
November 2012, Az.: B 14 AS 36/12 R, Rdnr. 26]. Sonst müßten nämlich für
Familienmitglieder, die nicht Mitglied der Bedarfsgemeinschaft sind, z.B. bei
den KdU die Regeln für Wohngemeinschaften gelten. Ganz chaotisch wird das
Bedarfsgemeinschaftsprinzip dann, wenn mehrere unterschiedliche oder gar eine
Drei-Generationen-Bedarfsgemeinschaft bildbar sind [BSG, Urteil vom 17. Juli
2014, Az.: B 14 AS 54/13 R, Rdnr. 18]. Für Ehepaare, für gemischte
Bedarfsgemeinschaften (z.B. SGB II und SGB XII-Anspruchsberechtigte) gilt nach
§ 7 Abs. 3 Nr. 3 SGB II allerdings das Bedarfsgemeinschaftsprinzip ohne
Einschränkung.
Von Bedeutung ist nun aber, daß bei Nachforderungen der
zivilrechtlich Verantwortliche der Schuldner ist gegenüber dem Gläubiger der
Nachforderung (Vermieter, Drittversorger, Kommune). Es gibt keine Gesamtschuldnerschaft
der Bedarfsgemeinschaft [so schon: BSG, Urteil vom 7. November 2006, Az.: B 7b
AS 10/06 R, Rdnr. 13; so auch bzgl. Rückforderungen: BSG, Urteil vom 16. Mai
2012, Az.: B 4 AS 154/11 R, Rdnr. 16].
Wichtig in diesem Zusammenhang ist, daß diese
Nachforderungen für die Bedarfsgemeinschaftsmitglieder zwar zunächst keine
Schulden im sozialrechtlichen im Gegensatz zum zivilrechtlichen Sinne sind,
sondern, soweit „angemessen“ für jedes Mitglied der Bedarfsgemeinschaft zu
übernehmen sind als noch nicht getätigte Leistungen gemäß § 22 Abs. 1 SGB II
[so: BSG, Urteil vom 24. November 2011, Az.: B 14 AS 121/10 R, Rdnr. 15]. Dies
gilt aber nicht für insbesondere gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II aufgrund von
Einkommen und Vermögen nicht leistungsbrechtigte Haushaltsmitglieder/Familienmitglieder;
für diese stellen die Nachforderungen bereits Schulden im Sinne von § 22 Abs. 8
SGB II (Vorgängerregelung § 22 Abs. 5 SGB II) dar, weil diese entstehen
außerhalb des Zeitraumes der Hilfebedürftigkeit [analog: BSG, Urteil vom 24. November
2011, Az.: B 14 AS 121/10 R, Rdnr. 15].
Die vom Kopfteilprinzip abweichende Regelung dient laut BSG
insbesondere dem Schutz minderjähriger Haushaltsmitglieder:
„Die laufenden
Aufwendungen für Unterkunft und Heizung sind nach gefestigter Rechtsprechung
des BSG im Regelfall unabhängig von Alter und Nutzungsintensität anteilig pro
Kopf aufzuteilen, wenn Hilfebedürftige eine Unterkunft gemeinsam mit anderen
Personen nutzen (…). Hintergrund für dieses auf die Rechtsprechung des BVerwG (…)
zurückgehende ‚Kopfteilprinzip’ sind Gründe der Verwaltungsvereinfachung sowie
die Überlegung, dass die gemeinsame Nutzung einer Wohnung durch mehrere
Personen deren Unterkunftsbedarf dem Grunde nach abdeckt und in aller Regel
eine an der unterschiedlichen Intensität der Nutzung ausgerichtete Aufteilung
der Aufwendungen für die Erfüllung des Grundbedürfnisses Wohnen nicht zulässt.“
[BSG, Urteil vom 18. November 2014,
Az.: B 4 AS 3/14 R, Rdnr. 26]
„Bei der Leistung für
Mietschulden als einmaliger Leistung für Unterkunft ist jedoch keine
Kopfteilung vorzunehmen. Die mit dem Grundsicherungsrecht nach dem SGB II
befassten Senate des BSG haben eine Abweichung vom Kopfteilprinzip für diejenigen
Fälle bejaht, in denen bei objektiver Betrachtung eine andere Aufteilung
angezeigt ist (…). So liegt es auch bei der Mietschuldenübernahme.“ [BSG, a.a.O., Rdnr. 27]
„Würde das Darlehen gemäß
§ 22 Abs 5 SGB II kopfteilig auf die Mitglieder beider - vom Beklagten
angenommener - Bedarfsgemeinschaften verteilt, so folgte hieraus letztlich eine
faktische Mithaftung der nicht am Mietvertrag Beteiligten, insbesondere auch
der Kinder einer Bedarfsgemeinschaft, für unerfüllte Mietvertragsforderungen.
Unter Berücksichtigung der Neuregelung des § 42a Abs 1 S 3 SGB II träfe eine
Rückzahlungsverpflichtung dann auch das nicht durch den Mietvertrag
verpflichtete Bedarfsgemeinschaftsmitglied unabhängig davon, ob eine
Einwirkungsmöglichkeit auf die Zahlungsmoral des mietvertraglich Verpflichteten
besteht. Abgesehen davon könnten sich aus der Möglichkeit, die Verpflichtungen
aus Mietverträgen auf Dritte zu verlagern, erhebliche Fehlanreize für die
Mietvertragspartner ergeben. Daher erscheint es allein sachgerecht, nur die
durch den Mietvertrag zivilrechtlich verpflichteten Personen - unter
Berücksichtigung des internen Schuldnerausgleichs bei gesamtschuldnerischer
Haftung - als Darlehensnehmer anzusehen (…), soweit sie - wie hier - die
Wohnung gemeinsam nutzen (…) und im Leistungsbezug nach dem SGB II stehen.“ [BSG, a.a.O., Rdnr. 28]
Hieraus folgt – diese Entscheidung hinsichtlich
mietvertraglicher Schulden ist übertragbar auf sog. kalte Betriebskosten und
auf Heiz- und Warmwasserkosten – , daß die HK/BK(NK)-Nachforderung als Bedarf
im Monat der Forderung ausschließlich bei dem zivilrechtlichen Vertragspartner
bzw. der Vertragspartnerin als Bedarf zu berücksichtigen ist, und zwar in
voller Höhe und eben nicht kopfteilig, wenn Familienmitglieder, insbesondere minderjährige
Kinder, die gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II keine SGB II-Leistungen beziehen und
deshalb nicht zur Bedarfsgemeinschaft gehören, mitbetroffen sind. Dies ist vor
allem für Alleinerziehende von Bedeutung, deren Kinder aufgrund von
Unterhaltsleistungen keine SGB II-Leistungen beziehen, aber nicht nur, auch in
sog. Patchwork-Familien können Kinder eines Partners bedarfsdeckende
Unterhaltsleistungen beziehen, die des anderen Partners nicht. Denn Praxis
vieler Jobcenter ist es, nur die Anteile an den Nachforderungen kopfteilig zu
übernehmen für diejenigen, die auch tatsächlich Leistungen des SGB II beziehen,
wohingegen Kinder (Minderjährige, U-25), die gemäß § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II von
SGB II-Leistungen ausgeschlossen sind, „ihren“ Kopfteil z.B. aus ihren
Unterhaltsleistungen – sozialrechtlich gesamtschuldnerisch – ganz oder
überwiegend leisten sollen, wobei zu berücksichtigen ist, daß das bereits dem
kindergeldberechtigten Elternteil ganz oder teilweise als Einkommen zugeordnete
Kindergeld nicht mehr als „bereites Mittel“ [stellvertretend: BSG, Urteil vom 19.
August 2015, Az.: B 14 AS 43/14 R, Rdnrn. 15, 16] im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz
4 SGB II dem Kind zur Verfügung steht.
Nachtrag (17. März 2016)
Weiterhin angeregt durch Kritik, sehe ich mich zu einem
Nachtrag zum besseren Verständnis veranlaßt.
Zunächst einmal muß festgestellt werden, daß es sich bei dem
Kopfteilprinzip um ein Rechtskonstrukt handelt, welches, wie oben das BSG
feststellt, bereits vom Bundesverwaltungsgericht aus Gründen der
Verwaltungspraktikabilität entwickelt wurde. Das Kopfteilprinzip ist mithin
Konstrukt der Rechtsprechung und ergibt sich nicht aus § 22 SGB II. Die Frage,
inwieweit die fehlende gesetzliche Normierung verfassungsrechtlich zu
beanstanden ist, soll hier nicht weiter verfolgt werden. Die Kosten für
Unterkunft und Heizung hätten jedenfalls auch aufgeteilt werden können
proportional zu vorhandenem Einkommen oder proportional zu den SGB II-Regelleistungen.
Im vorliegend Dargestellten handelt es sich um einen Fall
von Atypik.
Vergleichbar den Fällen, wo kein SGB II-Leistungsbezug
besteht, obwohl SGB II-Leistungen bezogen werden – etwa für
Krankenversicherungsbeiträge gemäß § 26 SGB II oder für Leistungen des
Bildungspaketes gemäß § 28 SGB II oder für Auszubildende gemäß § 27 SGB II,
ebenso für Einmalige Leistungen gemäß § 24 Abs. 3 SGB II –, entsteht auch durch
den einmaligen Akt der Nachforderungen kein SGB II-Leistungsbezug. Letzteres hätte
z.B. bezüglich Kinder und dem Bildungspaket eine extrem verkomplizierende
Problematik: Genommen den Fall, ein Kind bezieht aufgrund der Regelung § 7 Abs.
3 Nr. 4 SGB II keine Leistungen nach dem SGB II, würde aber durch seinen
Kopfanteil an den Nachforderungen in den SGB II-Leistungsbezug rutschen, dann
hätte dies, bei gleichzeitigem Bezug von Wohngeldleistungen und in Folge dessen
von Leistungen für das Bildungspaket gemäß § 6b BKGG für den Zeitpunkt, wo die
Nachforderung Bedarf wird, Erstattungsansprüche der Wohngeldbehörde gemäß SGB X
gegen die „Hartz IV“-Behörde zur Folge.
Das hier Gesagte muß letztlich auch für Personen gelten, die
gesetzlich vom SGB II-Leistungsbezug ausgeschlossen und nicht im
zivilrechtlichen Sinne bezogen auf die Nachforderungen Schuldner sind wie z.B. (Ehe-)Partner
in Rentenbezug (§ 7 Abs. 4 SGB II) oder Auszubildende, die unter die Regelung §
7 Abs. 5 SGB II fallen.
All dies verdeutlicht letztendlich wie unausgegoren das SGB
II entwickelt wurde und wie notwendig eine wirklich verwaltungsvereinfachende
Regelung, diese allerdings zugunsten der Betroffenen und nicht zu deren Lasten,
ist.