Unter Doppelmiete – auch „Überschneidungskosten“
genannt – wird allgemein die Zahlung von Miete für zwei Wohnungen während des
Wohnungswechsels verstanden. Damit ist also nicht gemeint, die Zahlung von
Miete für eine Erstwohnsitzwohnung und eine Zweitwohnsitzwohnung, sondern der
Anfall doppelter Mietzahlungen für die gekündigte alte Wohnung und die bereits
angemietete neue Wohnung.
Dabei fällt die Doppelmiete mindestens für den
Umzugsmonat an, aber auch für den dreimonatigen Kündigungszeitraum für
Mieter/Mieterinnen (§ 573c Abs. 1 Satz 1 BGB).
Historie
Nachdem das Bundessozialgericht (BSG) bereits grundlegend
über die Kosten eines Umzuges [BSG, Urteil vom 6. Mai 2010, Az.: B 14 AS 7/09
R] und die Kosten einer Auszugsrenovierung [BSG, Urteile vom 6. Oktober 2011,
Az.: B 14 AS 66/11 R und 24. November 2011, Az.: B 14 AS 15/11 R] entschieden
hatte, wurde es Zeit, höchstrichterlich auch über die Doppelmiete zu
entscheiden, um Rechtssicherheit zu schaffen.
So war die Doppelmiete schon von Anfang an ein
Problem, insbesondere dann, wenn Leistungsberechtigte nach dem SGB II (und SGB
XII) von der Behörde aufgefordert wurden, wegen „unangemessener“
Unterkunftskosten (KdU), sich eine neue Wohnung zu suchen.
In der Vergangenheit waren dabei insbesondere zwei
Streitpunkte von zentraler Bedeutung:
1. muß die doppelte Mietzahlung unvermeidbar gewesen sein?
2. nach welcher Rechtsgrundlage richtet sich die
Kostenübernahme?
Während z.B. das SG Schleswig [Urteil vom 26. August 2010,
Az.: S 25 AS 185/08] und das SG Dortmund [Urteil vom 24. April 2012, Az.: S 29
AS 17/09] der Rechtsauffassung waren, die Doppelmiete sei den
Wohnungsbeschaffungskosten § 22 Abs. 3 SGB II (heute: § 22 Abs. 6 SGB II)
zuzuordnen, war das LSG Berlin-Brandenburg [Urteil vom 31. Januar 2013, Az.: L
34 AS 90/11] der Rechtsauffassung, die Doppelmiete sei nicht den
Wohnungsbeschaffungskosten zuzurechnen, sondern den Unterkunftskosten nach § 22
Abs. 1 SGB II.
Aber schon das hier angesprochene Urteil des SG Schleswig
war der Rechtsauffassung, daß die Doppelmiete nur zu übernehmen sei, „wenn
sie unvermeidbar und angemessen“ ist [SG Schleswig, a.a.O, Seite 6
UA].
Das LSG Berlin-Brandenburg hielt die Doppelmieten
nicht für vermeidbar, sah als Höchstzeitraum die dreimonatige Kündigungsfrist
an und war zudem der Rechtsauffassung, den Hilfebedürftigen könne nicht
abverlangt werden, Nachmieter zu suchen, die der Vermieter grundsätzlich nicht
akzeptieren müsse [a.a.O.]. Anderer Auffassung war bereits das SG Berlin
[Urteil vom 31. Mai 2012, Az.: S 150 AS 25169/09 – nicht Grundlage der
Entscheidung des LSG], welches dem bzw. der Hilfebedürftigen Initiativen zur
Vermeidung einer Doppelmiete abverlangte.
Durch die Entscheidung BSG, Urteil vom 30. Oktober 2019,
Az.: B 14 AS 2/19 R ist die Rechtslage höchstrichterlich geklärt worden. Die
Urteilsbegründung liegt nun im Volltext vor.
BSG, Az.: B 14 AS 2/19 R
Rechtsgrundlage
Mit seiner Entscheidung hat das BSG zunächst einmal für den
Regelfall festgelegt, daß als Rechtsgrundlage für die Übernahme einer Doppelmiete
§ 22 Abs. 1 SGB II in Frage kommt.
§ 22 Abs. 6 SGB II, der die Wohnungsbeschaffungskosten
regelt, ist unter bestimmten Umständen aber ebenfalls heranzuziehen.
Dabei gilt der Monat des Umzugs als Unterscheidungsmerkmal.
Bewohnen Hilfebedürftige im Monat des Umzuges noch erst die alte Wohnung,
machen dann den Umzug in die neue Wohnung und bewohnen diese und machen dann
noch im Monat des Umzuges die Auszugsrenovierung für die alte Wohnung, dann ist
Rechtsgrundlage für die Übernahme der Kosten der Doppelmiete
ausschließlich § 22 Abs. 1 SGB II.
Wird – z.B. während der dreimonatigen Kündigungsfrist – eine
der beiden Wohnungen im Überscheidungszeitraum genutzt, so sind die KdU für die
tatsächlich genutzte Wohnung gemäß § 22 Abs. 1 SGB II zu übernehmen, während
die Kosten für die andere Wohnung – egal, ob die alte oder die neue – gemäß §
22 Abs. 6 SGB II zu übernehmen sind, aber nur (!), wenn vorher ein
entsprechendes Zusicherungsverfahren stattgefunden hat und die Kosten in beiden
Fällen „angemessen“ sind [BSG, a.a.O., Rdnr. 18].
Also:
„Abgrenzungsmerkmal mit Blick auf die Aufwendungen für
eine Unterkunft ist, ob diese in dem Umzugsmonat, für den Leistungen begehrt
werden, tatsächlich genutzt wird. Bei einer zeitlichen Überschneidung allein
der vertraglichen Verpflichtungen zu Zahlungen für Unterkunft und Heizung für
die alte und die neue Wohnung kommt die Anerkennung der Aufwendungen für die
nicht tatsächlich genutzte Unterkunft nur im Rahmen des § 22 Abs 6 Satz 1 SGB
II in Betracht, was insbesondere eine vorherige Zusicherung erfordert. Die
Aufwendungen für die tatsächlich genutzte Unterkunft, sei es die alte oder die
neue, sind dagegen als Bedarf im Rahmen des § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II
anzuerkennen. Insoweit stehen die Regelungen in § 22 Abs 1 Satz 1 und Abs 6
Satz 1 SGB II hinsichtlich der Unterkunftsbedarfe in Umzugssituationen nicht in
einem Entweder-Oder-Verhältnis.“ [BSG, a.a.O., Rdnr. 17]
Damit ist diese Rechtsfrage höchstrichterlich geklärt, wenn
auch nicht als Entweder-Oder-Verhältnis, so doch als Sowohl-Als auch-Verhältnis
in Abhängigkeit von den konkreten Bedingungen des Einzelfalles.
Unvermeidbarkeit der
Doppelzahlung, Angemessenheit der KdU und Obliegenheiten der Hilfebedürftigen
Ein wesentliches Merkmal der Übernahme der Kosten für die Doppelmiete
ist deren Unvermeidbarkeit [BSG, a.a.O., Rdnr. 15].
„Dies ist der Fall, wenn nach den konkreten Umständen des
Einzelfalls es nicht zumutbar möglich war, die Laufzeiten der vertraglichen
Verpflichtungen für beide Unterkünfte so aufeinander abzustimmen, dass keine ‚Doppelmiete’
entsteht, und die tatsächliche Nutzung beider Wohnungen im Umzugsmonat zu
unterlassen. Zu diesen Umständen zählen neben den individuellen
Mietverhältnissen ua die konkreten Verhältnisse auf dem örtlichen
Wohnungsmarkt, die persönlichen Lebensverhältnisse der leistungsberechtigten
Personen (insbesondere Alleinerziehung, Gesundheitszustand, soziale
Schwierigkeiten) und deren Unterstützung (Beratung) durch das Jobcenter oder
Dritte beim Wohnungswechsel.“ [BSG, a.a.O., Rdnr. 19]
Im Gegensatz zu der oben erwähnten Entscheidung des LSG
Berlin-Brandenburg zählt für das BSG hierzu auch die Unmöglichkeit der Stellung
eines Nachmieters, einer Nachmieterin [BSG, a.a.O., Rdnr. 22].
Nur im Falle der Unvermeidbarkeit ist die Doppelmiete
zu übernehmen [BSG, a.a.O., Rdnr. 23].
Hier wird also in Zukunft die Frage nach der Übernahme der
Kosten der Doppelmiete zulasten der Hilfebedürftigen nicht nach
allgemeinen Kriterien entschieden, sondern nach der Qualität der
Tatsachenermittlung im jeweiligen Einzelfall durch die Tatrichter (SG, LSG) und
deren Wertung der Fakten.
Das kann bis dahin gehen, daß die Gerichte fragen, warum nur
ein Nachmieter, eine Nachmieterin gefunden wurde und nicht drei für den
Vermieter, die Vermieterin zur Auswahl, oder warum sich nicht um Beratung im
Hinblick auf das zivilrechtliche Mietrecht an den Grundsicherungsträger gewandt
wurde.
Auch werden Hilfebedürftige in Zukunft detailliert
nachweisen müssen, daß sie sowohl beim Vermieter, der Vermieterin der alten
Wohnung, als auch der neuen Wohnung ausreichend um eine Verkürzung des Doppelmiete-Zeitraumes
sich bemüht haben.
Hinzu kommt, daß eine Doppelmiete nur übernommen wird
bei Angemessenheit der KdU sowohl der alten, als auch der neuen Wohnung [BSG,
a.a.O., Rdnr. 19].
Und in jedem Falle werden die Hilfebedürtigen für den Fall
der rechtlichen Zuordnung der alten oder der neuen Wohnung zu § 22 Abs. 6 SGB
II ein Zusicherungsverfahren gegenüber dem Grundsicherungsträger in Gang setzen
müssen [BSG, a.a.O., Rdnr. 18]. Das erfordert Kenntnis über die rechtlichen
Folgen eines Wohnungswechsels mit Doppelmiete im Vorfeld, um nicht „über
den Tisch gezogen“ zu werden. Zwar läßt das BSG hier eine Härtefallregelung
gelten, „aus Gründen der Verhältnismäßigkeit“ [BSG, a.a.O., Rdnr. 24] –
gemeint ist damit wohl Art. 3 GG in seiner Ausformung als
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz –, konkret werden sich aber die Hilfebedürftigen
selbst hierum kümmern müssen.
SGB XII
Grundsätzlich gilt die KdU-Rechtsprechung der „Hartz
IV“-Senate des BSG auch für die Sozialhilfe [BSG, Urteile vom 23. März 2010,
Az.: B 8 SO 24/08 R und vom 14. April 2011, Az.: B 8 SO 19/09 R; BSG, Beschluß
vom 24. Februar 2016, Az.: B 8 SO 88/15 B, Rdnr. 7].
Zur konkreten Frage der Doppelmiete offen gelassen:
BSG, Urteil vom 12. Mai 2017, Az.: B 8 SO 23/15 R, Rdnr. 31.
Damit gilt die hier besprochene Entscheidung eines „Hartz
IV“-Senates des BSG auch für das Sozialhilferecht.
Vergleichbare Rechtsgrundlagen im SGB XII sind § 35 Abs. 1
Satz 1 in Verbindung mit § 35 Abs. 2 Satz 1 für die angemesenen KdU (analog §
22 Abs. 1 SGB II) und § 35 Abs. 2 Satz 5 und 6 im Hiblick auf die
Wohnungsbeschaffungskosten (analog § 22 Abs. 6 SGB II).
Fazit:
Nicht nur, daß die Betroffenen eine neue – „angemessene“ ! –
Wohnung suchen müssen und hiermit angesichts des Wohnungsmangels zumindest in
Großstädten schon extrem belastet sind, sie müssen bereits im Vorfeld, bevor es
zu einem ablehnenden Bescheid, Widerspruchsbescheid und einer zu erhebenden
Klage kommt, sich einer verweigernden Grundsicherungsbehörde ausliefern, sich
im Regelfall Hilfe bei einem Rechtsanwalt, einer Rechtsanwältin suchen, mit all
dem Streß, welcher mit einer Verweigerung der Beratungshilfe verbunden ist.
Gerade Alleinerziehende, die daneben noch ihre Kinder betreuen müssen, dürften
durch diese hier besprochene BSG-Entscheidung hinten runterfallen. Einzelne Richterinnen
und Richter, einzelne Kammern oder Senate der Tatsacheninstanzen SG und LSG
werden eine solche besondere Lage als Härtefall durchgehen lassen im Sinne des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, viele aber womöglich nicht. Aber wie heißt es
so schön: „Vor Gericht und auf Hoher See ...“.