Herbert Masslau

Doppelmiete im SGB II (und SGB XII)

(15. Januar 2020)

 

 

Begrifflichkeit

Unter Doppelmiete – auch „Überschneidungskosten“ genannt – wird allgemein die Zahlung von Miete für zwei Wohnungen während des Wohnungswechsels verstanden. Damit ist also nicht gemeint, die Zahlung von Miete für eine Erstwohnsitzwohnung und eine Zweitwohnsitzwohnung, sondern der Anfall doppelter Mietzahlungen für die gekündigte alte Wohnung und die bereits angemietete neue Wohnung.

Dabei fällt die Doppelmiete mindestens für den Umzugsmonat an, aber auch für den dreimonatigen Kündigungszeitraum für Mieter/Mieterinnen (§ 573c Abs. 1 Satz 1 BGB).

 

Historie

Nachdem das Bundessozialgericht (BSG) bereits grundlegend über die Kosten eines Umzuges [BSG, Urteil vom 6. Mai 2010, Az.: B 14 AS 7/09 R] und die Kosten einer Auszugsrenovierung [BSG, Urteile vom 6. Oktober 2011, Az.: B 14 AS 66/11 R und 24. November 2011, Az.: B 14 AS 15/11 R] entschieden hatte, wurde es Zeit, höchstrichterlich auch über die Doppelmiete zu entscheiden, um Rechtssicherheit zu schaffen.

So war die Doppelmiete schon von Anfang an ein Problem, insbesondere dann, wenn Leistungsberechtigte nach dem SGB II (und SGB XII) von der Behörde aufgefordert wurden, wegen „unangemessener“ Unterkunftskosten (KdU), sich eine neue Wohnung zu suchen.

In der Vergangenheit waren dabei insbesondere zwei Streitpunkte von zentraler Bedeutung:

1. muß die doppelte Mietzahlung unvermeidbar gewesen sein?

2. nach welcher Rechtsgrundlage richtet sich die Kostenübernahme?

Während z.B. das SG Schleswig [Urteil vom 26. August 2010, Az.: S 25 AS 185/08] und das SG Dortmund [Urteil vom 24. April 2012, Az.: S 29 AS 17/09] der Rechtsauffassung waren, die Doppelmiete sei den Wohnungsbeschaffungskosten § 22 Abs. 3 SGB II (heute: § 22 Abs. 6 SGB II) zuzuordnen, war das LSG Berlin-Brandenburg [Urteil vom 31. Januar 2013, Az.: L 34 AS 90/11] der Rechtsauffassung, die Doppelmiete sei nicht den Wohnungsbeschaffungskosten zuzurechnen, sondern den Unterkunftskosten nach § 22 Abs. 1 SGB II.

Aber schon das hier angesprochene Urteil des SG Schleswig war der Rechtsauffassung, daß die Doppelmiete nur zu übernehmen sei, wenn sie unvermeidbar und angemessen“ ist [SG Schleswig, a.a.O, Seite 6 UA].

Das LSG Berlin-Brandenburg hielt die Doppelmieten nicht für vermeidbar, sah als Höchstzeitraum die dreimonatige Kündigungsfrist an und war zudem der Rechtsauffassung, den Hilfebedürftigen könne nicht abverlangt werden, Nachmieter zu suchen, die der Vermieter grundsätzlich nicht akzeptieren müsse [a.a.O.]. Anderer Auffassung war bereits das SG Berlin [Urteil vom 31. Mai 2012, Az.: S 150 AS 25169/09 – nicht Grundlage der Entscheidung des LSG], welches dem bzw. der Hilfebedürftigen Initiativen zur Vermeidung einer Doppelmiete abverlangte.

Durch die Entscheidung BSG, Urteil vom 30. Oktober 2019, Az.: B 14 AS 2/19 R ist die Rechtslage höchstrichterlich geklärt worden. Die Urteilsbegründung liegt nun im Volltext vor.

 

BSG, Az.: B 14 AS 2/19 R

Rechtsgrundlage

Mit seiner Entscheidung hat das BSG zunächst einmal für den Regelfall festgelegt, daß als Rechtsgrundlage für die Übernahme einer Doppelmiete § 22 Abs. 1 SGB II in Frage kommt.

§ 22 Abs. 6 SGB II, der die Wohnungsbeschaffungskosten regelt, ist unter bestimmten Umständen aber ebenfalls heranzuziehen.

Dabei gilt der Monat des Umzugs als Unterscheidungsmerkmal. Bewohnen Hilfebedürftige im Monat des Umzuges noch erst die alte Wohnung, machen dann den Umzug in die neue Wohnung und bewohnen diese und machen dann noch im Monat des Umzuges die Auszugsrenovierung für die alte Wohnung, dann ist Rechtsgrundlage für die Übernahme der Kosten der Doppelmiete ausschließlich § 22 Abs. 1 SGB II.

Wird – z.B. während der dreimonatigen Kündigungsfrist – eine der beiden Wohnungen im Überscheidungszeitraum genutzt, so sind die KdU für die tatsächlich genutzte Wohnung gemäß § 22 Abs. 1 SGB II zu übernehmen, während die Kosten für die andere Wohnung – egal, ob die alte oder die neue – gemäß § 22 Abs. 6 SGB II zu übernehmen sind, aber nur (!), wenn vorher ein entsprechendes Zusicherungsverfahren stattgefunden hat und die Kosten in beiden Fällen „angemessen“ sind [BSG, a.a.O., Rdnr. 18].

Also:

„Abgrenzungsmerkmal mit Blick auf die Aufwendungen für eine Unterkunft ist, ob diese in dem Umzugsmonat, für den Leistungen begehrt werden, tatsächlich genutzt wird. Bei einer zeitlichen Überschneidung allein der vertraglichen Verpflichtungen zu Zahlungen für Unterkunft und Heizung für die alte und die neue Wohnung kommt die Anerkennung der Aufwendungen für die nicht tatsächlich genutzte Unterkunft nur im Rahmen des § 22 Abs 6 Satz 1 SGB II in Betracht, was insbesondere eine vorherige Zusicherung erfordert. Die Aufwendungen für die tatsächlich genutzte Unterkunft, sei es die alte oder die neue, sind dagegen als Bedarf im Rahmen des § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II anzuerkennen. Insoweit stehen die Regelungen in § 22 Abs 1 Satz 1 und Abs 6 Satz 1 SGB II hinsichtlich der Unterkunftsbedarfe in Umzugssituationen nicht in einem Entweder-Oder-Verhältnis.“ [BSG, a.a.O., Rdnr. 17]

Damit ist diese Rechtsfrage höchstrichterlich geklärt, wenn auch nicht als Entweder-Oder-Verhältnis, so doch als Sowohl-Als auch-Verhältnis in Abhängigkeit von den konkreten Bedingungen des Einzelfalles.

 

Unvermeidbarkeit der Doppelzahlung, Angemessenheit der KdU und Obliegenheiten der Hilfebedürftigen

Ein wesentliches Merkmal der Übernahme der Kosten für die Doppelmiete ist deren Unvermeidbarkeit [BSG, a.a.O., Rdnr. 15].

„Dies ist der Fall, wenn nach den konkreten Umständen des Einzelfalls es nicht zumutbar möglich war, die Laufzeiten der vertraglichen Verpflichtungen für beide Unterkünfte so aufeinander abzustimmen, dass keine ‚Doppelmiete’ entsteht, und die tatsächliche Nutzung beider Wohnungen im Umzugsmonat zu unterlassen. Zu diesen Umständen zählen neben den individuellen Mietverhältnissen ua die konkreten Verhältnisse auf dem örtlichen Wohnungsmarkt, die persönlichen Lebensverhältnisse der leistungsberechtigten Personen (insbesondere Alleinerziehung, Gesundheitszustand, soziale Schwierigkeiten) und deren Unterstützung (Beratung) durch das Jobcenter oder Dritte beim Wohnungswechsel.“ [BSG, a.a.O., Rdnr. 19]

Im Gegensatz zu der oben erwähnten Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg zählt für das BSG hierzu auch die Unmöglichkeit der Stellung eines Nachmieters, einer Nachmieterin [BSG, a.a.O., Rdnr. 22].

Nur im Falle der Unvermeidbarkeit ist die Doppelmiete zu übernehmen [BSG, a.a.O., Rdnr. 23].

Hier wird also in Zukunft die Frage nach der Übernahme der Kosten der Doppelmiete zulasten der Hilfebedürftigen nicht nach allgemeinen Kriterien entschieden, sondern nach der Qualität der Tatsachenermittlung im jeweiligen Einzelfall durch die Tatrichter (SG, LSG) und deren Wertung der Fakten.

Das kann bis dahin gehen, daß die Gerichte fragen, warum nur ein Nachmieter, eine Nachmieterin gefunden wurde und nicht drei für den Vermieter, die Vermieterin zur Auswahl, oder warum sich nicht um Beratung im Hinblick auf das zivilrechtliche Mietrecht an den Grundsicherungsträger gewandt wurde.

Auch werden Hilfebedürftige in Zukunft detailliert nachweisen müssen, daß sie sowohl beim Vermieter, der Vermieterin der alten Wohnung, als auch der neuen Wohnung ausreichend um eine Verkürzung des Doppelmiete-Zeitraumes sich bemüht haben.

Hinzu kommt, daß eine Doppelmiete nur übernommen wird bei Angemessenheit der KdU sowohl der alten, als auch der neuen Wohnung [BSG, a.a.O., Rdnr. 19].

Und in jedem Falle werden die Hilfebedürtigen für den Fall der rechtlichen Zuordnung der alten oder der neuen Wohnung zu § 22 Abs. 6 SGB II ein Zusicherungsverfahren gegenüber dem Grundsicherungsträger in Gang setzen müssen [BSG, a.a.O., Rdnr. 18]. Das erfordert Kenntnis über die rechtlichen Folgen eines Wohnungswechsels mit Doppelmiete im Vorfeld, um nicht „über den Tisch gezogen“ zu werden. Zwar läßt das BSG hier eine Härtefallregelung gelten, „aus Gründen der Verhältnismäßigkeit“ [BSG, a.a.O., Rdnr. 24] – gemeint ist damit wohl Art. 3 GG in seiner Ausformung als Verhältnismäßigkeitsgrundsatz –, konkret werden sich aber die Hilfebedürftigen selbst hierum kümmern müssen.

 

SGB XII

Grundsätzlich gilt die KdU-Rechtsprechung der „Hartz IV“-Senate des BSG auch für die Sozialhilfe [BSG, Urteile vom 23. März 2010, Az.: B 8 SO 24/08 R und vom 14. April 2011, Az.: B 8 SO 19/09 R; BSG, Beschluß vom 24. Februar 2016, Az.: B 8 SO 88/15 B, Rdnr. 7].

Zur konkreten Frage der Doppelmiete offen gelassen: BSG, Urteil vom 12. Mai 2017, Az.: B 8 SO 23/15 R, Rdnr. 31.

Damit gilt die hier besprochene Entscheidung eines „Hartz IV“-Senates des BSG auch für das Sozialhilferecht.

Vergleichbare Rechtsgrundlagen im SGB XII sind § 35 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 35 Abs. 2 Satz 1 für die angemesenen KdU (analog § 22 Abs. 1 SGB II) und § 35 Abs. 2 Satz 5 und 6 im Hiblick auf die Wohnungsbeschaffungskosten (analog § 22 Abs. 6 SGB II).

 

Fazit:

Nicht nur, daß die Betroffenen eine neue – „angemessene“ ! – Wohnung suchen müssen und hiermit angesichts des Wohnungsmangels zumindest in Großstädten schon extrem belastet sind, sie müssen bereits im Vorfeld, bevor es zu einem ablehnenden Bescheid, Widerspruchsbescheid und einer zu erhebenden Klage kommt, sich einer verweigernden Grundsicherungsbehörde ausliefern, sich im Regelfall Hilfe bei einem Rechtsanwalt, einer Rechtsanwältin suchen, mit all dem Streß, welcher mit einer Verweigerung der Beratungshilfe verbunden ist. Gerade Alleinerziehende, die daneben noch ihre Kinder betreuen müssen, dürften durch diese hier besprochene BSG-Entscheidung hinten runterfallen. Einzelne Richterinnen und Richter, einzelne Kammern oder Senate der Tatsacheninstanzen SG und LSG werden eine solche besondere Lage als Härtefall durchgehen lassen im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, viele aber womöglich nicht. Aber wie heißt es so schön: „Vor Gericht und auf Hoher See ...“.

 

 

 

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