Der nachfolgende Artikel will jenseits der öffentlichen Debatte über die Einführung einer Chipkarte für Schul- und Vereinskosten auf ein bisher nicht oder kaum wahrgenommenes Problem aufmerksam machen: die Einkommensanrechnung auf die einzelnen Leistungsarten und deren Folge für die Schulbeihilfe § 28 neu SGB II.
Die Einkommensanrechnung allgemein
Bei der Einkommensanrechnung nach SGB II neu sind insbesondere die Alleinerziehenden, die für ihr(e) Kind(er) relativ hohe Unterhaltsleistungen vom Ex-Partner bekommen, von der Neuregelung betroffen.
Die bereits in Erwartung der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung zur Regelleistung auf Grund der Vorlagebeschlüsse des Bundessozialgerichts schon zum 1. August 2009 eingeführte Schulbeihilfe § 24a SGB II bestimmte, daß Leistungsvoraussetzung lediglich war, daß das betreffende Kind oder ein Elternteil im laufenden SGB II-Leistungsbezug stand. Diese günstige Regelung entfällt nun mit dem § 28 neu SGB II. Es wird bei der Neuregelung ab 1. Januar 2011 nicht nur das Einkommen der Eltern, des Elternteiles angerechnet, es wird auch das Einkommen des Kindes selbst angerechnet.
Für das Folgende ist von großer Bedeutung, daß der § 28 neu SGB II nicht ohne die Neuregelungen bei den Unterkunftskosten (§ 22 SGB II) gedeutet werden kann.
Mit der zukünftig möglichen willkürlichen Festlegung der Kosten für Unterkunft und Heizung durch die Kommunen (neues Satzungsrecht gemäß § 22a und § 22b SGB II) dürfte es zu einer Absenkungswelle bei den KdU kommen.
Das wiederum bedeutet aber, daß das Unterhaltseinkommen des betreffenden Kindes plötzlich zu einer weitergehenden Bedarfsdeckung führt als vor dem 1. Januar 2011.
Wie das im konkreten Einzelfall aussieht, kann hier nicht erörtert werden, aber die Betroffenen sollten sich darauf einstellen, daß die von der Bundesregierung öffentlich so hochgelobte Schulbeihilfe § 28 neu SGB II in bestimmten Kategorien vor einer vollständigen Leistungsversagung nicht sicher ist.
Als einen konkreten Ansatzpunkt gebe ich Folgendes zu bedenken: Im Falle meiner Familie hat das SG Hildesheim seit 2005 kein einziges Hauptsacheverfahren zu den KdU entschieden, die seit 2008 gestellten Beweisanträge nicht bearbeitet; es liegen derzeit vier Menschenrechtsbeschwerden von uns beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte deswegen vor. Die Optionskommune Göttingen berechnet die KdU immer noch nach der Tabelle § 8 WoGG 2005 ohne Aufschlag. Allein gemäß der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009, Az.: B 4 AS 50/09 R, Rdnr. 27) bei nicht ermittelten „angemessenen“ KdU stände jedem von uns der Betrag von 33 Euro monatlich mehr an KdU zu gemäß Tabelle § 12 WoGG 2009 plus 10 Prozent Sicherheitsaufschlag. Das sind folglich 33 Euro jeden Monat an angeblich zu vielem Einkommen, welches real aber gar nicht vorhanden ist und dennoch bei den Kosten einer Klassenfahrt zur Anrechnung kommt. Dieses Problem wird sich in der Höhe der Geldbeträge und in der Menge der Betroffenen ab 1. Januar 2011 verschärfen.
Die Einkommensanrechnung konkret
Bisher wurde zwar schon so gehandelt, allerdings fehlte dafür die eindeutige gesetzliche Grundlage: Einkommen war zuerst auf die Bundesleistungen Regelleistungen §§ 20, 28 alt SGB II, die Mehrbedarfe § 21 SGB II, die Einmalleistungen § 23 alt SGB II und erst dann auf die Kommunalleistungen für Unterkunft und Heizung § 22 SGB II anzurechnen. Wegen des Gleichbehandlungsgebotes Art. 3 GG gilt dies selbstverständlich auch für die sog. Optionskommunen.
Mit dem neuen SGB II ab 1. Januar 2011 wurde der § 19 SGB II geändert. Nicht nur wurde trotz Kritik aus der Richterschaft das Alg II und das Sozialgeld als einheitliche Leistung konzipiert (§ 19 Abs. 1 SGB II), so daß demnächst vor Gericht Regelleistung und KdU nicht mehr getrennt beklagt werden können, sondern es wurde in dem neu geschaffenen Absatz 3 auch die Rangfolge der Einkommensanrechnung festgelegt:
„Zu berücksichtigendes Einkommen und Vermögen deckt zunächst die Bedarfe nach den §§ 20, 21 und 23, darüber hinaus die Bedarfe nach § 22. Sind nur noch Leistungen für Bildung und Teilhabe zu leisten, deckt weiteres zu berücksichtigendes Einkommen und Vermögen die Bedarfe in der Reihenfolge der Absätze 2 bis 6 nach § 28.“
Hiernach wird Einkommen also zuerst auf die Regelleistungen §§ 20, 23 neu SGB II angerechnet, dann auf die Mehrbedarfe § 21 SGB II, dann auf die Kommunalleistungen für Unterkunft und Heizung § 22 SGB II und schließlich auf die auch Minderbemittelten, nicht laufend Hilfebedürftigen zustehenden Schulbeihilfen § 28 neu SGB II.
Dabei bedeutet die gesetzliche Festlegung in der Reihenfolge der Absätze des § 28 neu SGB II, daß Einkommen zuerst auf Schulausflüge und Klassenfahrten (Absatz 2), dann auf den allgemeinen Schulbedarf (Absatz 3), dann auf Nachhilfe (Absatz 4), dann auf das Schulmittagessen (Absatz 5) und schließlich auf die Kosten für Mitgliedsbeiträge bei Sportvereinen, für den Musikunterricht etc. (Absatz 6) angerechnet wird.
Schon die alte Sozialhilfe kannte bei ergänzender Sozialhilfe oder bei den sog. Minderbemittelten die Anrechnungsregel; hier hat das SGB II nur das BSHG übernommen. Auch wurde beim BSHG zuerst die Deckung von Regelsatz und Unterkunftskosten beachtet, bevor Einmalige Leistungen (Lernmittel, Schulranzen, Bekleidungspauschale, Wohnungseinrichtung, Kinderwagen, Weihnachtsgeld etc.) gemäß § 21 Abs. 1a BSHG beantragbar waren. Und auch die Anrechnung überschießenden Einkommens auf maximal sechs Monate nach dem Bescheidungsmonat findet sich schon in § 21 Abs. 2 BSHG. Allerdings galt zu Zeiten des BSHG: fiel die Beantragung einer weiteren Einmaligen Leistung in den Zeitraum der Einkommensanrechnung für eine bereits beantragte Einmalige Leistung, dann durfte nur einmal angerechnet werden und nicht Zeiträume addiert werden.
Auf Grund der Neuregelung ab 1. Januar 2011 läßt sich nun folgender Fall denken: Das durch entsprechend verteiltes Elterneinkommen oder entsprechend hohe Unterhaltszahlungen nicht laufend hilfebedürftige Kind kann seinen Regelbedarf, seine Unterkunfts- und Heizkosten decken. Es bleibt noch etwas übrig, sagen wir 50 Euro. Gleichzeitig findet keine Klassenfahrt und kein Schulausflug in dem Bewilligungszeitraum statt, und, gleichzeitig beginnt der Bewilligungszeitraum am 1. Februar, so daß die 70 Euro Schulbeihilfe zum 1. August nicht berücksichtigt werden, sondern nur die 30 Euro zum 1. Februar. Damit muß kein Bedarf nach § 28 Abs. 2 für Schulausflug oder Klassenfahrt gedeckt werden. Die 50 Euro reichen zur Deckung der allgemeinen Schulbeihilfe gemäß § 28 Abs. 3 SGB II. Nachhilfeunterricht gemäß § 28 Abs. 4 SGB II wird nicht benötigt. Auf das Schulmittagessen gemäß § 28 Abs. 5 SGB II wird zunächst die häusliche Ersparnis (Mittagessen aus der Regelleistung) pauschal in Höhe von einem Euro angerechnet, sagen wir 15 Euro auf den Schulmonat berechnet. Die noch übrigen 20 Euro Einkommen werden nun auch noch auf den verbleibenden Betrag für das Schulmittagessen angerechnet. Wenn es ganz schlecht läuft und das Kind dann auch noch nicht in irgendeinem Sportverein aktiv ist, dann gibt es gar nichts in dem Bewilligungszeitraum, während es vor dem 1. Januar 2011 immerhin den entsprechenden Betrag der Schulbeihilfe gemäß § 24a SGB II gab.
Der wahre Grund
Das Wie ergibt sich aus Bundesratsdrucksache 661/10 (Begründungsteil zu Artikel 7 Änderung der AlgII-Verordnung, zu Nummer 4 zu § 5a AlgII-V):
(eintägige Schulausflüge)
„Die Bedarfe nach § 28 Absatz 2 Nummer 1 des SGB II für die Schulausflüge werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen berücksichtigt. Dabei steht zu Beginn eines Bewilligungszeitraums nicht fest, wann und mit welchen tatsächlichen Kosten ein Schulausflug stattfindet. Um eine einfache Berechnung der zustehenden Ansprüche auf die Bedarfe nach § 28 Absatz 3 bis 5 SGB II zu ermöglichen, ist bei der Berechnung der Ansprüche nach § 5a Nummer 1 von einem Betrag von drei Euro monatlich auszugehen. Bei Gewährung der Leistung erfolgt keine Änderung der Bewilligungsentscheidung nach der Abrechnung durch die Schule. Die Leistung mit ihrem Wert von drei Euro monatlich ist durch die Ausstellung des Gutscheins erbracht. Die tatsächlich höheren oder geringeren Kosten stellen keine wesentliche Änderung des Leistungsverhältnisses dar.“
Konkret bedeutet das, daß jeden Monat 3 Euro in Anschlag gebracht werden, um keine Probleme mit der Einkommensanrechnung zu haben, da das Einkommen schwerlich auf den feststehenden allgemeinen Schulbedarf oder das Schulmittagessen angerechnet werden kann, wenn die vorrangige Anrechnung auf Schulausflüge nicht möglich ist, weil deren Kosten noch gar nicht feststehen. Daher wird ein fiktiver Pauschalbetrag von 3 Euro je Monat zu Grunde gelegt als Abzug, um eventuell weiteres vorhandenes Einkommen der Eltern oder des Kindes auf die nachfolgenden Leistungen anrechnen zu können.
Das Warum dieser umständlichen bürokratischen Handhabung, welche ja nicht nötig wäre, würden die feststehenden Kosten für die allgemeine Schulbeihilfe oder das Schulmittagessen vorrangig bei der Einkommensanrechnung berücksichtigt, erschließt sich nur aus weiterer Überlegung.
Während die allgemeine Schulbeihilfe mit 100 Euro je Schuljahr gemessen an der Realität mit einem Drittel der tatsächlichen Kosten viel zu niedrig angesetzt ist, während beim Schulmittagessen pauschal ein Euro als Haushaltsersparnis von dem (fiktiven) Sozialgeld abgezogen wird und die Kostentragung bei Nachhilfeunterricht ohnehin nur für extrem Wenige noch in Frage kommt wegen dem Vorrang schulischer Förderangebote und der zusätzlichen Begutachtung, werden die Kosten für Schulausflüge und Klassenfahrten in tatsächlicher Höhe übernommen.
Um auch hier Kosteneinsparungen staatlicherseits erheischen zu können, müssen innerhalb des § 28 neu SGB II die Kosten für Schulausflüge und Klassenfahrten bei der Einkommensanrechnung vorrangige Berücksichtigung finden. Das ist der einzige Grund, weswegen diese Umständlichkeit mit der fiktiven pauschalen Berücksichtigung noch nicht endgültig bekannter Kosten praktiziert wird.
(mehrtägige Klassenfahrten)
„Findet im Bewilligungszeitraum eine Klassenfahrt (§ 28 Absatz 2 Nummer 2 SGB II) statt, werden die als Bedarf anzuerkennenden Aufwendungen mit einem monatlichen Betrag in die Berechnung einbezogen. Der Betrag errechnet sich, in dem die Aufwendungen für die Klassenfahrt durch die Anzahl der Monate im Bewilligungszeitraum geteilt wird. Damit verbleibt es bei der bisherigen Betrachtung für den Anspruch auf Leistungen für die mehrtägige Klassenfahrt im Rahmen der schulrechtlichen Bestimmungen, wonach ein Anspruch nur besteht, soweit der Bedarf für die Klassenfahrt innerhalb von sechs Monaten nicht durch Einkommen gedeckt werden kann.“
Dies bedeutet, da ja wegen der längerfristigen Planung die Kosten einer Klassenfahrt in der Regel schon ein paar Monate vor Fahrtantritt feststehen, daß die (veranschlagten) Kosten der Klassenfahrt durch die 6 Monate des Regelbewilligungszeitraumes geteilt werden und für das hilfebedürftige oder minderbemittelte Kind jeden Monat ein Sechstel dieser Kosten als SGB II-Leistung ausbezahlt werden.
Nicht daraus hervor geht, ob diese direkt an die Schule gezahlt wird oder an die bedürftige Familie. Dies ist von großer Bedeutung, denn nur, wenn die Klassenfahrt in den letzten Monat des betreffenden Bewilligungszeitraumes fällt, wären die Kosten der Klassenfahrt vor deren Antritt von der SGB II-Behörde übernommen. Anderfalls aber müßte entweder die Schule oder die hilfebedürftige Familie in Vorleistung treten. Oder, die betroffene Familie müßte die Leistung erst als rückzahlbares Darlehen im vorhergehenden Bewilligungszeitraum beantragen, was aber die (Rück)zahlung noch mehr verkomplizieren würde, wenn die Sozialbehörde dann im Bewilligungszeitraum der Klassenfahrt das an sie rückzahlbare Darlehen mit den monatlich zu leistenden Teilbeiträgen verrechnen müßte.
Auch hier gilt: Um auch hier Kosteneinsparungen staatlicherseits erheischen zu können, müssen innerhalb des § 28 neu SGB II die Kosten für Schulausflüge und Klassenfahrten bei der Einkommensanrechnung vorrangige Berücksichtigung finden.
Dies ist umso bedeutender für die staatlichen Sozialausgaben als das allein schon auf Grund der ab 1. Januar 2011 geltenden Kürzungen beim Wohngeld weitere Familien in den „Hartz IV“-Bezug fallen. Aber auch ganz allgemein nimmt die Zahl der sog. Aufstocker, deren Arbeitseinkommen nicht für das Existenzminimum reicht, zu. Sind es jetzt schon ein Fünftel der „Hartz IV“-Bezieherinnen und -Bezieher, so werden es in Zukunft als Folge weiterer Sozialkürzungen und des weiteren Ausbaus des Niedriglohnsektors (working poor) immer mehr werden. Da lohnt sich die Einkommensanrechnung zuerst bei den realistischen tatsächlichen Kosten für Klassenfahrten und Schulausflüge als bei den unrealitischen Kosten für die allgemeine Schulbeihilfe oder bei den durch die Anrechnung häuslicher Ersparnis ohnehin abgesenkten Kosten für die Schulmittagsverpflegung.