Herbert Masslau

Einkommen und Vermögen bei ‚Hartz IV’ – BSG übernimmt ‚Zuflußtheorie’

(1. Januar 2009)

 

 

 

 

„Sozialhilferechtlich ist Einkommen alles das, was jemand in der Bedarfszeit wertmäßig dazuerhält, und Vermögen das, was er in der Bedarfszeit bereits hat. Dabei ist grundsätzlich vom tatsächlichen Zufluß auszugehen, es sei denn, rechtlich wird ein anderer Zufluß als maßgeblich bestimmt (normativer Zufluß). – Aufgabe der sog. Identitätstheorie. Danach ist hier eine Steuererstattung Einkommen … .“ [BVerwG, Urteil vom 18. Februar 1999, Az.: BVerwG 5 C 35.97, Leitsatz]

„Die Auszahlung einer Steuererstattung ist ein Zufluß … . Der Zuordnung als Einkommemn im Jahr der Auszahlung steht nicht entgegen, daß Grund für die Steuererstattung die zuviel entrichtete Steuer im Vorjahr ist. Auch wenn bereits dem Anspruch auf Steuererstattung ein Vermögenswert zukommt, hindert das die Zuordnung ihrer Auszahlung als Einkunft … nicht, weil der Erstattungsgläubiger die zu hoch entrichtete Steuer nicht freiwillig ‚angespart’ hat, sondern die Steuererstattung nicht früher erhalten konnte.“ [a.a.O., Punkt II.]

 

„Nach der Rechtsprechung des 14. Senats des BSG (Urteil vom 30.7.2008 - B 14 AS 26/07 R) , der sich der erkennende Senat anschließt, ist Einkommen … grundsätzlich alles das, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält, und Vermögen das, was er vor Antragstellung bereits hatte. Dabei ist in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom tatsächlichen Zufluss auszugehen, es sei denn rechtlich wird ein anderer Zufluss als maßgeblich bestimmt (…). Nicht entscheidend ist das Schicksal der Forderung. Es wird auch im SGB II ausschließlich auf die Erzielung von Einkünften in Geld oder Geldeswert abgestellt. Von der Regelung des tatsächlichen Zuflusses als Differenzierungskriterium zwischen Einkommen und Vermögen ist im Falle der Einkommensteuererstattung daher auch nicht deswegen abzuweichen, weil es sich um Einkommen handelt, das zu einem früheren Zeitpunkt fällig gewesen wäre, wenn der Erstattungsberechtigte eine andere steuerrechtliche Disposition getroffen hätte. Die Steuererstattung gehört nicht zu den bereits erlangten Einkünften, mit denen Vermögen angespart wurde (…) . Mit dem BVerwG ist vielmehr davon auszugehen, dass der Erstattungsgläubiger die zu hoch entrichtete Steuer nicht freiwillig (…) ‚angespart’, sondern die Steuererstattung nicht früher erhalten hat (…).“ [BSG, Urteil vom 30. September 2008, Az.: B 4 AS 29/07 R, Rdnr. 18]

 

 

 

Vorbemerkung

Die seinerzeitige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes (BVerwG) änderte 1999 die seit drei Jahrzehnten (1968) bestehende Rechtsprechung des BVerwG ab.

Gerade am Beispiel der Steuererstattung läßt sich der Unterschied zwischen der von 1968 bis 1999 geltenden „Identitätstheorie“ (Zeitraumidentität, Zweckidentität) gegenüber der seit 1999 geltenden „Zuflußtheorie“ gut darstellen.

Nach der „Identitätstheorie“ war eine Steuererstattung Vermögen und im Rahmen der Vermögensfreigrenzen der Sozialhilfe anrechnungsfrei, weil die Steuern in einem vor dem Sozialhilfebezug gelegenen Zeitraum gezahlt wurden. Nach der schon immer von den Sozialhilfeträgern geforderten „Zuflußtheorie“ sind zunächst einmal alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert unabhängig von Entstehung und Zweck Einkommen. Unter einem „normativen Zufluß“ wird dabei lediglich verstanden, daß das Einkommen zeitlich anders verteilt wird. So regelt etwa § 2 Abs. 3 Alg II-Verordnung, daß einmalige Einnahmen „auf einen angemessenen Zeitraum aufzuteilen und monatlich mit einem entsprechenden Teilbetrag anzusetzen“ sind. Mit „normativen Zufluß“ ist also nicht gemeint, daß eine Steuerstattung aus 2008, die 2009 zufließt, und steuerrechtlich zu 2008 gehört, Einkommen für 2008 (und damit  Vermögen in 2009) darstellt. Als Norm gilt hier nicht das Steuerrecht, sondern das Sozialrecht (hier: SGB II) und dessen normative Zuordnung.

Leider hat sich auch bewahrheitet, was der Autor bereits im Juni 2004 in einem Artikel schrieb:

„Ferner stellt sich die Frage der Übertragbarkeit des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts … Denn ab 1. Januar 2005 ist für die Leistungen nach dem SGB II (Arbeitslosengeld II) bzw. SGB XII (Sozialhilfe) die Sozialgerichtsbarkeit zuständig … . Der Autor bejaht die Übertragbarkeit.“

Damit soll nicht gesagt sein, daß das BSG komplett die Rechtsprechung des BVerwG zur Sozialhilfe übernommen hat bzw. übernimmt, denn es gibt gerade auch mit der Pauschalierung der Leistungen nach SGB II begründet Abweichungen. Dennoch hat im Falle der Einkommensanrechnung das BSG die vom BVerwG entwickelte „Zuflußtheorie“ übernommen. Hierbei ist dann noch zu beachten, daß im Gegensatz zur alten Sozialhilfe (BSHG) und teilweise neuen Sozialhilfe (SGB XII) der Leistungsbezug nach SGB II dem Antragserfordernis des § 37 SGB II unterliegt, d.h. nur auf Antrag gewährt wird, weshalb als Stichtag der Tag der Antragstellung gilt und nicht der erste Tag des Leistungsbezugs.

 

In diesem Artikel geht es um das Grundsätzliche. Deshalb sei an dieser Stelle auch und gerade hinsichtlich der Bestimmung dessen, was Einkommen und Vermögen ist, auf die Stichwortsammlung „Alg II-Katalog“ verwiesen.

Auch soll in diesem Artikel der Begriff des Vermögens nicht an Hand von Detailfragen aufgedröselt werden, sondern im Lichte des Begriffes des Einkommens betrachtet werden. Das heißt, der Begriff des Vermögens wird nicht im einzelnen Sinne von Vermögen betrachtet, sondern mehr in Abgrenzung zum Begriff des Einkommens, also eher als Nichteinkommen denn als Vermögen.

 

 

Einkommen und Vermögen

Wenn alles das, was in der Bedarfszeit, also der Zeit der Bedürftigkeit nach SGB II (und auch SGB XII), an Einnahmen zufließt, Einkommen ist, dann stellen sich nur noch zwei Fragen: die nach abweichenden Regelungen und die nach der Abgrenzung zum Vermögen 

Abweichende Regelungen

durch ganze oder teilweise Nichtanrechnung

– die komplette Nichtanrechnung von SGB II-Leistungen und der Grundrente und vergleichbarer Leistungen (§ 11 Abs. 1 SGB II)

– die Nichtanrechnung als Einkommen gemäß § 11 Abs. 3 SGB II (zweckbestimmte Einnahmen, Zuwendungen der Wohlfahrtspflege, Schadensersatz: Schmerzensgeld, Vermögensersatz bleibt Vermögen) und gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 7 Alg II-V (Eigenheimzulage – Anpassung an Rechtsprechung)

– die Nichtanrechnung von Einkommen der Höhe nach gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-V n.F./a.F. (einmalige Einnahmen von insgesamt weniger als 50 Euro pro Jahr), § 1 Abs. 1 Nr. 9 Alg II-V (die Verdienste von Kindern unter 15 Jahren von 100 Euro pro Monat), [neu !]* § 1 Abs. 1 Nr. 13 Alg II-V (60 Euro des Taschengeldes aus dem Jugendfreiwilligendienst)

– die normative Begrenzung der Einkommenshöhe gemäß § 11 Abs. 4 SGB II für Pflegegeld und für Ausbildungsleistungen (z.B. BAföG) gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 10 Alg II-V

[neu !]* Einnahmen aus Kommunion/Konfirmation u.Ä. werden bis zur Höhe des Schonvermögens nach § 12 SGB II (3100 Euro) gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 12 Alg II-V nicht angerechnet

[neu !]* die Kindergelderhöhung ab 1. Januar 2009 wird bis zum Ablauf des laufenden Bewilligungszeitraumes, maximal bis Ende Mai 2009 nicht als Einkommen berücksichtigt (§ 1 Abs. 3 Alg II-V)

durch Absetzbeträge/Freibeträge

– die Absetzbeträge vom Arbeitseinkommen gemäß § 11 Abs. 2 SGB II und § 6 Abs. 1 Nr. 2 Alg II-V n.F. bzw. § 3 Abs. 1 Nr. 3 Alg II-V a.F. und gemäß § 3 Alg II-V n.F. bzw. § 2a Alg II-V a.F. für Einkommen aus Selbständigkeit, Gewerbebetrieb, Land- u. Forstwirtschaft

– die besonderen Freibeträge vom Einkommen von nicht bedürftigen Haushaltsmitgliedern gemäß § 1 Abs. 2 Alg II-V i.V.m. § 9 Abs. 5 SGB II

– die für alle Einkommen geltende Absetzung der Versicherungspauschale nach § 6 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-V (früher: § 3 Abs. 1 Nr. 1 Alg II-V bzw. § 3 Nr. 1 Alg II-V)

durch Mittelung (bei unterschiedlicher Höhe)

– laufende Einnahmen wechselnder Höhe werden gemäß § 2 Abs. 3 Alg II-V (n.F. – fehlte vorher) als Durchschnittseinkommen angerechnet

durch Schätzung (bei erst später ermittelbarer Höhe)

– geschätztes Einkommen gemäß § 2 Abs. 7 Alg II-V n.F. bzw. § 2 Abs. 5 Alg II-V a.F. bei Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit und gemäß § 3 Abs. 6 Alg II-V n.F. bzw. § 2a Abs. 4 Alg II-V a.F. bei Einnahmen aus Selbständigkeit, Gewerbebetrieb, Land- u. Forstwirtschaft

durch normativen Zufluß

– einmalige Einnahmen werden gemäß § 2 Abs. 4 Alg II-V n.F. bzw. § 2 Abs. 3 Alg II-V a.F. auf einen „angemessenen“ Zeitraum aufgeteilt

durch normative Zuordnung

– Kindergeld wird gemäß § 11 Abs. 1 SGB II nicht dem Kindergeldberechtigten, sondern dem hilfebedürftigen Kind zugerechnet, soweit dies zur Bedarfsdeckung nötig ist.

Insoweit Teile des Arbeitseinkommens in Naturalleistungen erbracht werden, handelt es sich nicht um abweichende Regelungen, sondern um die Bestimmung des Geldwertes dieser Naturalleistungen. [neu !]* Aufgrund der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, welches wegen der Pauschalierung der Regelleistung eine Anrechnung von Verpflegung zum Beispiel während eines Krankenhausaufenthaltes als Einkommen ablehnte und auch die gesetzliche Nachregulierung (§ 4 i.V.m. § 2 Abs. 5 Alg II-V; früher: § 2b i.V.m. § 2 Abs. 4 Alg II-V) insoweit für problematisch hielt, wurde die diesbezüglich erst zum 1. Januar 2008 geänderte Alg II-Verordnung zum 1. Januar 2009 erneut geändert (BGBl. I, Nr. 62, vom 23. Dezember 2008, S. 2780/2781) und in § 1 Abs. 1 Alg II-V eine neue Nummer 11 angefügt, wonach Verpflegung nur noch im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses als Einkommen berücksichtigt wird.

* BGBl. I, 2008, Nr. 62 vom 23. Dezember 2008, S. 2780/2781

 

Abgrenzung zum Vermögen

Zunächst einmal ist alles das Vermögen, was nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) als solches gilt: Geld, Sachen, Forderungen (Letztere im SGB II nur, soweit verwertbar).

Konkretes läßt sich aus § 12 SGB II nur indirekt ableiten: Wenn ein „angemessenes“ Kfz (Wert bis 7500 Euro) verwertungsfrei ist, dann ist ein Kfz grundsätzlich Vermögen. Das Gleiche gilt für Hausrat, Altersvorsorgekapital. Hier handelt es sich um Sachen bzw. Sparvermögen, wobei gerade bei der Altersvorsorge die „Zuflußtheorie“ die Schizophrenie nicht auflösen kann, daß das Vorsorgekapital, solange es angespart wird, Vermögen ist, wenn es aber im Alter ausgezahlt wird, Einkommen, also nicht: zu verwertendes Vermögen.

Eine weitere Schizophrenie ergibt sich z.B. beim Schmerzensgeld, welches gemäß § 11 Abs. 3 Nr. 2 SGB II privilegiert ist, das heißt nicht als Einkommen anrechenbar, aber als Vermögen nicht. Dazu das Bundessozialgericht in einer Entscheidung: „Das SGB II setzt insoweit allerdings einen Wertungswiderspruch fort, den bereits das Recht der Sozialhilfe und der Alhi enthielt. Dieser besteht darin, dass bestimmte Einnahmen zwar als Einkommen privilegiert werden, nicht jedoch als Vermögen. So regelt § 11 Abs 3 Nr 2 SGB II bei der Frage der Berücksichtigung von Einkommen, dass Entschädigungen, ‚die wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, nach § 253 Abs 2 BGB geleistet werden’ nicht als Einkommen berücksichtigt werden. Im Moment des Zuflusses einer Schmerzensgeldzahlung gemäß § 253 Abs 2 BGB ist diese mithin auf Grund des Privilegierungstatbestands des § 11 Abs 3 Nr 2 SGB II nicht zu Lasten des Grundsicherungsempfängers als Einkommen zu berücksichtigen. § 12 SGB II privilegiert hingegen Vermögensbestandteile nicht, die aus einer Schmerzensgeldzahlung herrühren.“ [BSG, Urteil vom 15. April 2008, Az.: B 14/7b AS 6/07 R, Rdnr. 16]. Das BSG löst dieses Problem über die Härtefallregelung (§ 12 Abs. 3 Nr. 6 SGB II), also der Unzumutbarkeit der Verwertung.

Forderungen sind im BGB Vermögen, im Rahmen des SGB II aber nur, soweit sie auch realisierbar sind, das heißt, so wie es kein „fiktives Einkommen“ gibt, so gibt es auch kein fiktiv zu verwertendes Vermögen: so die Mietkaution, solange sie sich in Händen des Vermieters befindet, so eine Erbschaft, solange sie durch Erbstreitigkeiten innerhalb einer Erbengemeinschaft nicht übergeht, so bei Testamentsvollstreckung, wenn das Erbe erst später, z.B. bei Eintreten der Volljährigkeit, übergeht – dies ist keine abschließende Aufzählung.

Um die Hauptrichtung dieses Artikels nicht zu verschlenkern wird bei diesen komplizierten Punkten auf eine konkrete Darstellung verzichtet.

Zur Abgrenzungsproblematik siehe auch meinen Artikel zum Thema „Erbschaft“.

Zu einzelnen Fragen hat das Bundessozialgericht bereits Entscheidungen getroffen: So sind Zinsen aus einem Sparguthaben wie schon unter der alten Sozialhilfe (BSHG) Einkommen, während das Sparguthaben selber – innerhalb der Grenzen des SchonvermögensVermögen ist. Bei Auszahlung des Vermögens bleibt es Vermögen, wird also nicht zu Einkommen: „Denn andernfalls wertete man den Rückgriff auf Erspartes unzulässig erneut als Einkommen. Dementsprechend bleibt ein auf längere Zeit angelegtes Sparguthaben auch bei seiner Auszahlung Vermögen (vgl BVerwG, Urteile vom 18.2.1999 – 5 C 16/98 … und 5 C 14/98 …). … Dies führt jedoch nicht dazu, dass die Früchte des Kapitals ebenfalls rechtlich dem Kapital bzw Vermögen iS von § 12 SGB II zuzurechnen sind.“ [BSG, Urteil vom 30. September 2008, Az.: B 4 AS 57/07 R, Rdnr. 17]

Eine Steuererstattung wird vom Bundessozialgericht mit derselben Begründung wie schon vom Bundesverwaltungsgericht zur alten Sozialhilfe (BSHG) – siehe die Eingangszitate – als Einkommen gewertet und nicht als Vermögen, weil es sich nicht um „freiwillig angespartes“ Geld handelt.

Eine viel größere Problematik tut sich mit der zeitlichen Zuordnung auf, die das BSG ebenfalls in seinen genannten Entscheidungen B 4 AS 29/07 R und B 4 AS 57/07 R ausgeurteilt hat.

Bei der alten Sozialhilfe (BSHG) galt das Monatsprinzip mit konkludenter Deutung, das heißt die einmal gewährte Sozialhilfe wurde solange weitergewährt (konkludent) bis Änderungen eintraten oder die Bedürftigkeit ganz entfiel. Aus diesem Monatsprinzip folgte, daß ein als im Bedarfsmonat als Einkommen gewerteter Geldzufluß – soweit nicht verbraucht – im Folgemonat Vermögen war und nur insoweit einzusetzen war als die Schonvermögensgrenze überschritten war.

Das SGB II hingegen kennt mehrere maßgebliche Zeiträume: den monatlichen Leistungszeitraum gemäß § 20 Abs. 2, § 23 Abs. 4, § 24 Abs. 1 und § 30 SGB II, den Regelbewilligungszeitraum von sechs Monaten gemäß § 41 Abs. 1 SGB II und dessen Ausdehnung auf zwölf Monate ebenfalls gemäß § 41 Abs. 1 SGB II, den Jahreszeitraum gemäß § 3 Abs. 5 Alg II-V, einen unbestimmten „angemessenen“ Zeitraum gezählt in Monaten gemäß § 2 Abs. 4 Alg II-V.

Mittlerweile hat das BSG zur Abgrenzung von Einkommen und Vermögen mit den Entscheidungen B 14/11b AS 17/07 R und B 14 AS 26/07 R vom 30. Juli 2008 und B 4 AS 29/07 R und B 4 AS 57/07 R vom 30. September 2008 folgenden Grundsatz aufgestellt: (Einmalige) Einnahmen sind, wenn sie vor Antragstellung auf SGB II-Leistungen zugeflossen sind, Vermögen, wenn sie nach Antragstellung zufließen, Einkommen, wobei dies nicht für direkt anschließende Wiederholungsanträge gilt, sondern nur, wenn mindestens ein Monat ohne Leistungebezug – ohne Berücksichtigung der betreffenden einmaligen Einnahme ! – dazwischen liegt, so daß der dann der erneute Antrag wie ein Erstantrag gewertet wird.

Hierzu – und die Ausführungen des BSG sprechen für sich – im Einzelnen:

Die Bedeutung der Antragserfordernis § 37 SGB II

„Anders als unter der Geltung des BSHG ist maßgeblicher Zeitpunkt für die Unterscheidung von Einkommen und Vermögen im SGB II die Antragstellung gemäß § 37 SGB II (…). Einkommen iS des § 11 Abs 1 SGB II ist grundsätzlich alles das, was jemand nach Antragstellung wertmäßig dazu erhält und Vermögen das, was er vor Antragstellung bereits hatte. Da die Leistungsgewährung nach § 5 BSHG keinen Antrag voraussetzte, war Bedarfszeit nach der Rechtsprechung des BVerwG die Zeit, in der der Bedarf bestand und (grundsätzlich rechtzeitig) zu decken war. Bei der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem BSHG war in der Regel auf den jeweiligen Kalendermonat als der für die Abgrenzung von Einkommen und Vermögen maßgeblichen Bedarfszeit abzustellen (…). An diese Rechtsprechung kann für das SGB II nicht angeknüpft werden, weil § 37 SGB II ein konstitutives Antragserfordernis statuiert, sodass Leistungen erst ab Antragstellung zustehen. Auf die Kenntnis des Leistungsträgers von der Hilfebedürftigkeit kommt es anders als im Sozialhilferecht nicht an (…). Die ‚Bedarfszeit’ im Sinne der Rechtsprechung des BVerwG kann im SGB II damit erst mit der Antragstellung beginnen.“ [BSG, Urteil vom 30. Juli 2008, Az.: B 14 AS 26/07 R, Rdnr. 23; wortgleich: BSG, Urteil vom 30. Juli 2008, Az.: B 14/11b AS 17/07 R, Rdnr. 23]

Die Definition des Verteilzeitraums

„Die rechtliche Wirkung des ‚Zuflussprinzips’ endet nicht mit dem Monat des Zuflusses, sondern erstreckt sich über den so genannten ‚Verteilzeitraum’ (…). Der Verteilzeitraum beginnt grundsätzlich mit dem Zeitpunkt des Zuflusses der einmaligen Einnahme (Ausnahme § 2 Abs 3 Satz 2 Alg II-V idF vom 22.8.2005 [= Monat, der auf den Zuflußmonat folgt; H.M.]) und erfasst zunächst den gesamten Bewilligungszeitraum, … . Während dieses Zeitraums bleibt die als Einkommen zu qualifizierende Einnahme Einkommen …. Die einmalige Einnahme ist … als zu berücksichtigendes Einkommen und damit zur Deckung des Hilfebedarfs grundsätzlich bis zu ihrem Verbrauch aufzuteilen.“ [BSG, Urteil vom 30. September 2008, Az.: B 4 AS 29/07 R, Rdnr. 21]

„Die Berücksichtigung einer Einkommensteuererstattung als Einkommen endet weder mit dem Ablauf des laufenden Bewilligungszeitraums noch durch eine neue Antragstellung.“ [a.a.O., Rdnr. 26; ebenso: BSG, Urteil vom 30. September 2008, Az.: B 4 AS 57/07 R, Rdnr. 28 (Zinseinkommen)]

„Dem Bewilligungszeitraum für sich allein genommen kommt für die Begrenzung des Verteilzeitraums keine eigenständige Bedeutung zu. Bewilligungszeitraum und Verteilzeitraum sind zunächst identisch. Erst im Zusammenhang mit einer erneuten Antragstellung ist zu klären, ob der Verteilzeitraum sich auch auf den neuen Bewilligungszeitraum erstreckt.“ [a.a.O., Rdnr. 28]

„Auch die erneute Antragstellung - … - begrenzt den Verteilzeitraum für die einmalige Einnahme … nicht … . Die einmalige Einnahme bleibt nach der weiteren Antragstellung grundsätzlich Einkommen iS des § 11 Abs 1 SGB II und ist nach den Regeln des § 2 Abs 3 Alg II-V zu verteilen. Zwar gilt nach dem oben dargelegten Zuflussprinzip, dass ein Zufluss vor der Antragstellung nach der Antragstellung als Vermögen zu berücksichtigen ist. Wenn aber nach der Antragstellung eine als Einkommen zu berücksichtigende einmalige Einnahme zugeflossen ist, die bei Aufhebung der Bewilligungsentscheidung oder Ende des Bewilligungsabschnitts noch nicht völlig verbraucht war, ändert die erneute Antragstellung allein den ‚Aggregatzustand’ der Einnahme nicht. Sie ‚mutiert’ nicht gleichsam durch eine neue Antragstellung zum Vermögen (…).“ [a.a.O., Rdnr. 29]

„Unter Berücksichtigung des sich aus § 7 Abs 1 Satz 1 Nr 3 SGB II ergebenden Grundsatzes, dass nur ein Hilfebedürftiger nach dem SGB II leistungsberechtigt ist, ist die Formulierung ‚Berechnung’ des Einkommens so zu verstehen, dass sie auch die zeitliche Verteilung des zugeflossenen Einkommens umfasst. Ohne diese zeitliche Komponente bliebe offen, in welchem Umfang Einkommen der ‚Hilfebedürftigkeit’ entgegensteht.“ [a.a.O., Rdnr. 30]

„Dieses bedeutet: Wird die Hilfebedürftigkeit überwunden, zB durch Erwerbseinkommen für mindestens einen Monat (… ) und ohne Berücksichtigung der zu verteilenden einmaligen Einnahme und ohne sonstige, nicht nachhaltige Zuwendungen Dritter, liegen bei erneutem Eintritt der Hilfebedürftigkeit geänderte Verhältnisse vor. Bei einer die Beendigung der Hilfebedürftigkeit für mindestens einen Monat bewirkenden Änderung ist es nicht mehr gerechtfertigt, die zuvor berücksichtigte einmalige Einnahme nach erneuter Antragstellung weiterhin als Einkommen leistungsmindernd anzusetzen. Es handelt sich um einen Zufluss vor der erneuten - vergleichbar der ersten (…) - Antragstellung und dem ‚Wiedereintritt’ von Hilfebedürftigkeit. Der Zufluss wäre daher ab diesem Zeitpunkt als Vermögen zu berücksichtigen.“ [a.a.O., Rdnr. 31]

Das Problem des Krankenversicherungsschutzes

Ist die einmalige Einnahme geringer als die monatliche Hilfeleistung nach SGB II so wird die einmalige Einnahme voll als Einkommen auf den SGB II-Bedarf angerechnet:

„Entfällt durch die Berücksichtigung der einmaligen Einnahme die Hilfebedürftigkeit des Leistungsberechtigten und die Leistungspflicht der Arbeitsgemeinschaft jedoch nicht in vollem Umfang und bleibt die Versicherungspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung bestehen, liegt kein Regelfall iS des § 2 Abs 2 Satz 3 Alg II-V vom 22.8.2005 [richtig: § 2 Abs. 3 Satz 3 Alg II-V – Aufteilung auf einen „angemessenen“ Zeitraum mit einem entsprechenden monatlichen Teilbetrag, H.M.] vor, der eine Aufteilung der einmaligen Einnahme über mehrere Monate rechtfertigen könnte.“ [BSG, Urteil vom 30. September 2008, Az.: B 4 AS 57/07 R, Rdnr. 30]

Ist die einmalige Einnahme größer als die monatliche Hilfeleistung nach SGB II, aber entfällt der Hilfebedarf nicht für den Restzeitraum des aktuellen Bewilligungszeitraumes, so ist zwecks Aufrechterhaltung des Krankenversicherungsschutzes die einmalige Einnahme so aufzuteilen und als Einkommen anzurechnen, daß ein minimaler SGB II-Zahlbetrag verbleibt, um auf diese Weise den KV-Schutz sicherzustellen, da die Übernahme von KV-Beiträgen gemäß § 26 SGB II nur stattfindet, wenn auch ein SGB II-Leistungsbezug gegeben ist:

„Die ursprüngliche Fassung des § 2 Alg II-V vom 20.10.2004 (…) sah die Möglichkeit, einmalige Einnahmen auf mehrere Kalendermonate zu verteilen, noch nicht vor. Dies konnte dazu führen, dass die einmaligen Einnahmen den Bedarf im Zuflussmonat überstiegen und die Hilfebedürftigkeit entfallen ließen. Damit entfiel für den Arbeitsuchenden in diesem Monat auch die Versicherungspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung (…), mit der Konsequenz, dass er sich ggf freiwillig krankenversichern musste. Dies und der damit auch für die beklagte Arbeitsgemeinschaft verbundene erhöhte Verwaltungsaufwand haben den Verordnungsgeber veranlasst, im Regelfall (des Entfallens der Krankenversicherungspflicht) eine Verteilung der einmaligen Einnahmen auf ‚angemessene Zeiträume’ zuzulassen (vgl § 2 Abs 3 Satz 3 Alg II-V idF vom 22.8.2005, …).“ [BSG, Urteil vom 30. September 2008, Az.: B 4 AS 57/07 R, Rdnr. 29]

„Danach sind einmalige Einnahmen, soweit nicht im Einzelfall eine andere Regelung angezeigt ist, auf einen angemessenen Zeitraum aufzuteilen und monatlich mit einem entsprechenden Teilbetrag anzusetzen. Im Regelfall ist mithin eine Aufteilung der einmaligen Einnahme vorzunehmen und zwar nicht vollständig auf die monatliche Leistung, vielmehr ist ein Restleistungsbetrag zu belassen, um die Aufrechterhaltung des Versicherungspflichtverhältnisses zu gewährleisten. Entfällt die Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung und sozialen Pflegeversicherung, wenn die einmalige Einnahme vollständig auf die Leistung eines Monats umgelegt wird, liegt der Regelfall der anteilmäßigen Aufteilung vor.“ [BSG, Urteil vom 30. September 2008, Az.: B 4 AS 29/07 R, Rdnr. 35]

Hat die einmalige Einnahme eine Größenordnung, die nicht nur den aktuellen Bedarfsmonat und mehr als den verbleibenden aktuellen Bewilligungszeitraum abdeckt, so ist die einmalige Einnahme auch in diesem Falle in voller Höhe aufzubrauchen. Weiter gilt, wie schon oben dargelegt:

„Erst im Zusammenhang mit einer erneuten Antragstellung ist zu klären, ob der Verteilzeitraum sich auch auf den neuen Bewilligungszeitraum erstreckt.“ [BSG, Urteil vom 30. September 2008, Az.: B 4 AS 29/07 R, Rdnr. 28]

 

Nachbemerkung

In den bisherigen Entscheidungen des BSG ging es um kleine Beträge bis etwa 5000 Euro (Lohnnachzahlung, Zinseinnahmen, Steuererstattung). Interessant wird es, wenn es um größere Beträge aus einer Erbschaft geht. Hier könnte ja theoretisch jahrelang die Hilfebedürftigkeit wegfallen. Es ist aber noch gar nicht geklärt, ob eine Erbschaft, bei der es sich ja um freiwillig angespartes Vermögen handelt, welches auf den Erben als Rechtsnachfolger übergeht, auch um Einkommen handelt, wenn es nach Antragstellung zugeht. Ein Verfahren liegt beim Bundessozialgericht (B 14 AS 62/08 R).

Dennoch, daß hier Menschen durch die Übernahme der „Zuflußtheorie“ durch das Bundessozialgericht die minimale Möglichkeit, einen „Notgroschen“ aufzubauen, verwehrt wird, muß, angesichts der Tatsache, daß derselbe Staat quasi von einem Tag auf den anderen 500 Mrd. Euro für Bankenzocker locker macht oder die Zockerei der staatlichen Landesbanken mit Milliardenbeträgen deckt, von denen in ganz Deutschland die Kindergärten ausgebaut, die Schulen saniert, das Kindergeld erhöht werden könnten, jede und jeder selber bewerten. Wovon bezahlen Familien die nicht in der Regelleistung enthaltenen Schulkosten ihrer Kinder, wenn sie dafür nicht einmal eine Steuererstattung als Schonvermögen zwischenzeitlich vorschießen dürfen, solange es keine kindspezifische Regelleistung gibt?

 

 

 

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