Das Thema stellt sich in einer Situation sadistischen Alleingelassenseins durch die Sozialleistungsbehörden.
Das sind in der Regel Situationen der völligen Leistungsverweigerung seitens der Behörden aufgrund von unbelegten Behauptungen, wo erst ein Antragsverfahren auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung vor dem Sozialgericht den Betroffenen zu ihrem Recht verhilft, oder aber auch, wenn nach einem zwar gewährten Vorschuß, die eigentliche Leistung oder weitere Leistungen längere Zeit oder für (geplant) immer auf sich warten lassen. Oder aber auch Situationen, in denen, häufig im Zusammenhang mit den Unterkunftskosten (KdU), den Betroffenen die ihnen zustehende Höhe nicht gewährt wird, sondern lediglich eine geringere.
Jeder einzelne Spezialfall soll und kann nicht genannt werden; vielleicht noch zwei wesentliche Gruppen: der Schulbedarf, der im Sozialgeld nach § 28 SGB II nicht enthalten ist und der krankheitsbedingte Mehrbedarf nach § 21 Abs. 5 SGB II, der als einziger der vom Gesetz vorgesehenen Mehrbedarfe einen behördlichen Interpretationsspielraum eröffnet und damit auch der behördlichen Willkür Tür und Tor öffnet.
In einer solchen Situation sind dann Freunde, gute Bekannte oder Verwandte die Einzigen, die Verhungern oder Obdachlosigkeit spontan verhindern.
Gerichtsentscheidungen
Viele sozialgerichtliche Entscheidungen zur sog. Nothilfe liegen nicht vor, deshalb nachfolgend auch nur eine beschränkte Auswahl, die dem Autor bekannt ist.
Es handelt sich dabei um Entscheidungen aus den Jahren 2006, 2007 und 2008, also immerhin über den ganzen bisherigen „Hartz IV“-Zeitraum mit Ausnahme der Anfangsphase.
Mit dem LSG Niedersachsen-Bremen, LSG Berlin-Brandenburg, dem SG Oldenburg und dem VG Bremen liegen dem Autor allerdings nur „norddeutsche“ Entscheidungen vor.
LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluß vom 31. Januar 2006, Az.: L 8 AS 361/05 ER [zit.n. Rechtsprechungsdatenbank auf www.tacheles-sozialhilfe.de]:
(In diesem Fall hatte die Leistungsbehörde Leistungen damit verweigert, der Antragsteller habe einen Unterhaltsanspruch gegen seine Eltern, die ihn dann tatsächlich vier Monate lang mit einer Nothilfe unterstützten.) „Sein Vater hat … bestätigt, dass er seinen Sohn mit Lebensmitteln und Getränken versorgt und Elektroenergie zur Verfügung gestellt habe….
Im Rahmen des ihm obliegenden Ermessens und unter Berücksichtigung der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 1998 geht der Senat hier von rund 45 vH der Regelleistung entsprechend ca. 155,00 € monatlich aus. Es ist nicht vorgetragen worden – und wäre im Übrigen auch nicht glaubhaft –, dass die Eltern des Antragstellers den Gegenwert dieser Sachleistungen umgehend zurückfordern,… .
Jedenfalls für die Zukunft sind entsprechende Einnahmen beim Antragsteller nicht zu berücksichtigen. Die Eltern des Antragstellers haben zur Überzeugung des Senats klargestellt, dass sie ausschließlich aus humanitären Gründen und nur für die Zeit, in der dem Antragsteller Leistungen des Antraggegners nicht gewährt werden, ihren Sohn mit dem Nötigsten unterstützen.“
LSG Berlin-Brandenburg, Beschluß vom 2. Februar 2006, Az.: L 14 B 1157/05 AS ER [zit.n. Rechtsprechungsdatenbank auf www.tacheles-sozialhilfe.de]:
(Im hier gegebenen Fall verweigerte die Behörde Leistungen mit der Begründung eines in 2004 aufgenommenen Darlehens und mit Verkäufen über ein Internet-Auktionshaus sowie angeblichem weiteren Vermögen. Die Leistungsbehörde hatte deshalb über die im November 2004 und März 2005 gestellten Anträge einfach nicht entschieden.) „Auch steht der Annahme der anhaltenden Hilfebedürtigkeit der Antragsteller nicht entgegen, dass ihnen Bekannte oder Freunde inzwischen Geld geliehen haben.“ … „Schließlich ergeben sich auch keine gesteigerten Mitwirkungspflichten daraus, dass die Antragsteller bis zum heutigen Tage [Februar 2006] noch nicht verhungert sind, obwohl ihnen die Antragsgegnerin seit Beginn des Jahres 2005 keine Leistungen gewährt.“
SG Oldenburg, Urteil vom 26. April 2007, Az.: S 46 AS 1124/05 [zit.n. www.behindertemenschen.de >SGB II >Rechtsprechung >5.Einkommen >15.Elterl.Zuwendungen]:
(Die Klägerin begehrte in diesem Fall eine Nachzahlung für August 2005, nachdem die Leistungsbehörde für diesen Monat Bedürftigkeit verneinte auf Grund einer Überbrückungshilfe in Höhe von 500 EUR (=Nothilfe) durch den Vater, die die Leistungsbehörde als elterlichen Unterhalt und damit Einkommen wertete. Das Gericht stellte in diesem Zusammenhang fest, daß § 33 SGB II es der bereits volljährigen und eine Erstausbildung abgeschlossen habenden Klägerin erlaube, keinen Unterhaltsanspruch gegen ihre Eltern geltend zu machen.) „Mittel aus einem Darlehen sind jedoch kein Einkommen, da sie mit Rücksicht auf die Rückzahlungsverpflichtung die Vermögenssituation des Hilfebedürftigen nicht verändern, es sei denn, die Verpflichtung zur Rückzahlung entfällt (…).“
„Dass dem Vater der Klägerin nicht in den Sinn kam, im Ergebnis den Beklagten entlasten zu wollen, darf unterstellt werden.“
VG Bremen, Urteil vom 20. Juli 2007, Az.: S 8 K 57/07 [zit.n. Rechtsprechungsdatenbank auf www.tacheles-sozialhilfe.de]:
(Hier wurde seitens der Leistungsbehörde die Leistung verweigert mit der Begründung, die Antragstellerin habe in einem Gespräch mitgeteilt, sie habe sich von den Eltern Geld geliehen, weshalb sie nicht bedürftig sei.) „Das von den Eltern empfangene Darlehen ist nicht als Einkommen … anzusehen. … Nicht als Einkommen zu berücksichtigen sind … darlehensweise zufließende Geldmittel, die von vorneherein einer Rückzahlungsverpflichtung unterliegen, da sie die Vermögenssituation des Hilfebedürftigen nicht verändern, es sei denn, die Verpflichtung zur Rückzahlung entfällt … .“
„Dass die Klägerin einen Zeitraum von mehr als zwei Monaten für die Beschaffung erforderlicher Unterlagen benötigte, ohne in der Zeit den Versuch zu unternehmen, von der Beklagten eine Zwischenzahlung zur Beendigung ihrer Notlage zu erlangen, lässt ihren Leistungsanspruch nicht entfallen. … Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, naiv an die Sache herangegangen zu sein, indem sie die lange Bearbeitungsdauer mit finanzieller Unterstützung ihrer Eltern überbrückt habe, anstatt sich um eine zügige Klärung der offenen Fragen zu kümmern. … Die Überbrückung der länger andauernden Notlage vermag – im Hinblick auf die glaubhafte Darstellung zur Darlehensgewährung durch die Eltern der Klägerin – jedenfalls für sich genommen keine Zweifel an ihrer Hilfebedürftigkeit zu begründen.“
LSG Berlin-Brandenburg, Beschluß vom 31. März 2008, Az.: L 10 B 545/08 AS ER [zit.n. Rechtsprechungsdatenbank auf www.sozialgerichtsbarkeit.de]:
(In diesem etwas komplizierteren Fall erhielt der Antragsteller im September 2007 eine Erbschaft, die er erst im Oktober 2007 angab und aus der er Schulden beglich, so daß das Geld nicht mehr zur Verfügung stand. Die Leistungsbehörde rechnete dennoch die Erbschaft fiktiv über 12 Monate an. Die Abgrenzung von Einkommen zu Vermögen und eine eventuell selbstverschuldete Bedürftigkeit mit Ersatzanspruch nach § 34 SGB II und andere Spezifika seien hier für das Thema Nothilfe nicht weiter ausgeführt.) „Unberücksichtigt bleiben die Darlehen der Tante des Ast aus Dezember 2007 und Januar 2008 in Höhe von 400,00 Euro bzw 231,56 Euro, da diese zum vorläufigen Ersatz der zu Unrecht ausgebliebenen Zahlung der Ag gewährt wurde (…).“
Fazit
Wie aus den einzelnen Gerichtsentscheidungen ersichtlich, werden geliehene Gelder zur Überbrückung der Notzeit, sog. Nothilfe, im Falle des LSG Berlin, des SG Oldenburg und des VG Bremen nicht auf das Alg II angerechnet, oder, wie im Falle des LSG Niedersachsen eben doch für den Zeitraum des tatsächlichen Zuflusses.
Aber, wenn es sich bei den geliehenen Geldern der Freunde und Bekannten, aber auch der Eltern, nicht um nachweisbare Schenkungen handelt, dann sollten diese Gelder auch nicht als Einkommen zur Anrechnung kommen. Denn, es kann unterstellt werden, daß nicht nur Freunde und Bekannte, sondern auch die eigenen Verwandten die Nothilfe nicht leisten, um die zuständige Leistungsbehörde zu entlasten, sondern um im Sinne einer echten Nothilfe den Betroffenen das nackte Überleben zu ermöglichen (SG Oldenburg: „Dass dem Vater der Klägerin nicht in den Sinn kam, im Ergebnis den Beklagten entlasten zu wollen, darf unterstellt werden.“). So sollte argumentiert werden, und in diesem Sinne ist die oben erwähnte Entscheidung des LSG Niedersachsen als Fehlentscheidung zu kritisieren.