Der Bundesgerichtshof (BGH) hat eine auch für „Hartz IV“
beziehende Menschen [siehe Artikelende] interessante Entscheidung gefällt: BGH,
Beschluß vom 5. Juli 2018, Az.: VII ZB 40/17.
Es ging dabei um den Mietkostenanteil eines Unterhaltsschuldners.
Letztlich geht es darum, daß ein Unterhaltsschuldner, welcher in einer (neuen)
Familie lebt, nicht schlechter gestellt wird als ein alleinstehender Unterhaltsschuldner.
Die zentrale Aussage der BGH-Entscheidung lautet schlicht
und ergreifend: keine Berücksichtigung der Kosten für Unterkunft und Heizung
nach dem sozialgerichtlichen „Kopfteilprinzip“ im Rahmen der
Zwangsvollstreckung, sondern Berücksichtigung der für eine Einzelperson angemessenen
Kosten für Unterkunft und Heizung.
Bei Unterhaltsansprüchen (§ 850d Abs. 1 ZPO) gelten nicht
die höheren Pfändungsfreigrenzen gemäß § 850c Abs. 1 ZPO. Andererseits ist einem
Schuldner das für dessen notwendigen Unterhalt Unerläßliche zu belassen.
Im Zwangsvollstreckungsverfahren entspricht der unpfändbare
notwendige Unterhalt eines Schuldners im Sinne des § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO
grundsätzlich dem notwendigen Lebensunterhalt im Sinne des 3. (Hilfe zum
Lebensunterhalt) und 11. (Einsatz von Einkommen und Vermögen) Kapitels des SGB
XII (Sozialhilfe) [hier nur: BGH, Beschluß vom 25. November 2010, Az.: VII ZB
111/09, Rdnr.9]. Dabei werden im Regelfall der Regelsatz und die Kosten für
Unterkunft und Heizung zugrunde gelegt.
Der Fall
Ausgangspunkt war die Klage einer Sozialbehörde als
Gläubiger, auf die gemäß § 7 Abs. 1 UVG die Ansprüche eines nicht-ehelichen
minderjährigen Kindes übergegangen waren.
Bei dem Schuldner handelte es sich um einen Mann, der mit
seiner Ehefrau und dem gemeinsamen ehelichen minderjährigen Kind eine
Mietwohnung bewohnte.
Das Amtsgericht Eckernförde hatte dem Schuldner auf dessen
Antrag hin statt des Pfändungsfreibetrages vom Nettoeinkommen gemäß § 850d ZPO
in Höhe von € 870,- einen Pfändungsfreibetrag in Höhe von € 944,66 zuerkannt..
Hierbei berücksichtigte das AG Eckernförde als Mietanteil des Schuldners €
471,46 entsprechend seinem Einkommensanteil am gesamten Familieneinkommen in
Höhe von ca. 65 Prozent.
Die sofortige Beschwerde des Gläubigers gegen diese
Entscheidung blieb vor dem Landgericht Kiel erfolglos, weswegen der Gläubiger
Rechtsbeschwerde vor dem BGH erhob.
Die BGH-Entscheidung
Der Bundesgerichtshof schloß sich in seiner Entscheidung der
Rechtsauffassung des LG Kiel an.
Danach seien die Kosten für Unterkunft und Heizung nicht
entsprechend der sozialgerichtlichen Rechtsprechung gemäß dem „Kopfteilprinzip“
auf die im Haushalt lebenden Personen zu verteilen.
„Vielmehr seien bei der Berechnung des fiktiven
Sozialhilfebedarfs des jeweiligen Schuldners grundsätzlich dessen tatsächliche
Aufwendungen für Unterkunft und Heizung zu berücksichtigen, soweit sie
angemessen seien.“ [BGH, Beschluß vom 5. Juli 2018, Az.: VII ZB 40/17,
Rdnr. 5]
In Fällen, in denen der Schuldner allein die Kosten für
Unterkunft und Heizung trage, was für eine einzelne Person unangemessen sein
dürfte, „seien bei der Berechnung des fiktiven Sozialhilfebedarfs des Schuldners
die angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung zu berücksichtigen, die
anzusetzen wären, lebte er tatsächlich allein in einem Haushalt.“ [BGH,
a.a.O., Rdnr. 5] Hierbei sei von einer Wohnungsgröße von 40-50 m² auszugehen
[BGH, a.a.O., Rdnr. 6].
Die Angemessenheit der Kosten für Unterkunft und Heizung
seien anhand des konkreten Einzelfalles und der örtlichen Gegebenheiten zu
ermitteln.
„Dabei ist vorrangig das ortsübliche Mietpreisniveau, wie
es sich aus einem qualifizierten Mietspiegel (§ 558d BGB), einem Mietspiegel (§
558c BGB) oder unmittelbar aus einer Mietdatenbank (§ 558e BGB) ableiten lässt,
heranzuziehen (...).“„Zutreffend stellt das Beschwerdegericht darauf
ab, dass hierzu die fiktiv anfallenden Wohn- und Heizkosten für eine
alleinstehende Person anzusetzen sind.“ [BGH, a.a.O., Rdnr. 10]
„Im formalisierten Zwangsvollstreckungsverfahren (...)
findet das Kopfteilprinzip einschließlich der hiervon bestehenden Ausnahmen
keine Anwendung.“ [BGH, a.a.O., Rdnr. 11]
Es sei, so der BGH weiter, nicht Aufgabe des
Vollstreckungsgerichtes „Feststellungen dazu zu treffen, ob der Schuldner in
einer Bedarfsgemeinschaft lebt und ob der Gesamtbedarf dieser
Bedarfsgemeinschaft auch unter Berücksichtigung des Einkommens der mit dem
Schuldner in dieser Gemeinschaft lebenden Personen nicht durch eigene Kräfte
und Mittel gedeckt ist und ob Umstände vorliegen, die im Einzelfall eine
Ausnahme vom Kopfteilprinzip rechtfertigen.“ [BGH, a.a.O., Rdnr. 11]
Der BGH nimmt dabei Bezug darauf, daß Ausnahmen vom
„Kopfteilprinzip“ in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung z.B. bei größerem
Raumbedarf aufgrund einer Behinderung oder Pflegebedürftigkeit gegeben sind,
oder wenn im Falle einer Sanktion die Anwendung des „Kopfteilprinzips“ zu
Mietschulden für die übrigen Mitglieder der „Bedarfsgemeinschaft“ führen würde
[BGH, a.a.O., Rdnr. 12]
Abschließend verweist der BGH noch darauf, daß auch im Falle
von Unterhaltspflichten gegenüber einem minderjährigen Kind einem
Unterhaltsschuldner nicht die freie Disposition über die ohnehin knappen Mittel
verwehrt werden könne, so daß ein Schuldner durch die Nichtanwendung des
„Kopfteilprinzips“ nicht in unzulässiger Weise begünstigt sei [BGH, a.a.O.,
Rdnr. 14].
Wertung
Grundsätzlich gilt: Das pfändungsfrei zu belassende Existenzminimum
„ist im Zwangsvollstreckungsrecht grundsätzlich ebenso zu bestimmen wie im
Sozialrecht“ [BGH, Beschluß vom 25. November 2010, Az.: VII ZB 111/09,
Rdnr. 13].
Seit August 2016 sind Leistungen nach dem SGB II („Hartz IV“)
ebenso pfändungsfrei (§ 42 Abs. 4 SGB II) wie bereits nach dem Sozialhilferecht
(§ 17 Abs. 1 SGB XII).
Allerdings müßte in all denjenigen Fällen, in denen „Hartz
IV“-Epfängerinnen und -empfänger etwas hinzuverdienen und ihnen gemäß § 11b
Abs. 3 SGB II (Freibeträge) davon etwas ohne Anrechnung auf die Sozialleistung
verbleibt, die hier behandelte BGH-Rechtsprechung ebenfalls anwendbar sein.
Das würde bedeuten, daß über den nicht kopfteiligen Betrag
für Unterkunft und Heizung hinaus ihnen etwas von ihrem Zuverdienst bleiben
müßte. Denn auch in diesen Fällen wären bei der Berücksichtigung der Kosten für
Unterkunft und Heizung demjenigen oder derjenigen gemäß seinem oder ihrem
Anteil am Gesamteinkommen der relative (prozentuale) Anteil zuzuordnen oder, je
nach dem wer Schuldner ist in einer solchen „Bedarfsgemeinschaft“, der KdU- und
Heizkostenbedarf für eine alleinstehende Person zu belassen.
Dem Autor ist dabei durchaus bewußt, daß die hier behandelte
Rechtssache bei oberflächlicher Betrachtung einen moralisch negativen
Beigeschmack hat. Aber erstens ging es im BGH-Fall um Regreßansprüche einer
staatlichen Behörde nach dem Unterhaltsvorschußgesetz und zweitens war der
Unterhaltsschuldner gegenüber seiner neuen Familie ebenfalls in der Pflicht. Der
Gesetzgeber hat die Unterhaltspflicht gegenüber anderen zivirechtlichen
Pflichten (z.B. Mietschulden) dadurch bevorzugt, daß er in § 850d ZPO eine geringere
Pfändungsfreigrenze eingezogen hat als im Regelfall des § 850c ZPO. Eigentlich
geht es im hier behandelten Fall um die Rechtsfrage, ob einem
Unterhaltsschuldner, der auch für seine neue Familie Verantwortung trägt,
weniger an Unterkunftskosten zu belassen ist, als einem alleinstehenden
Unterhaltsschuldner. Es muß dabei auch beachtet werden, daß es letztlich um
eine Differenz von ca. 75 Euro ging, nämlich um € 944,66 statt € 870,- Pfändungsfreibetrag.
Klar ist nun aber, daß ein Schuldner, welcher in einer Familie lebt, hinsichtlich
der Unterkunftskosten so zu behandeln ist wie ein Alleinstehender und nicht
nach dem sozialgerichtlichen „Kopfteilprinzip“.