Herbert Masslau

BGH: Unterkunftskosten bei Zwangsvollstreckung

(10. November 2018)

 

 

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat eine auch für „Hartz IV“ beziehende Menschen [siehe Artikelende] interessante Entscheidung gefällt: BGH, Beschluß vom 5. Juli 2018, Az.: VII ZB 40/17.

Es ging dabei um den Mietkostenanteil eines Unterhaltsschuldners. Letztlich geht es darum, daß ein Unterhaltsschuldner, welcher in einer (neuen) Familie lebt, nicht schlechter gestellt wird als ein alleinstehender Unterhaltsschuldner.

Die zentrale Aussage der BGH-Entscheidung lautet schlicht und ergreifend: keine Berücksichtigung der Kosten für Unterkunft und Heizung nach dem sozialgerichtlichen „Kopfteilprinzip“ im Rahmen der Zwangsvollstreckung, sondern Berücksichtigung der für eine Einzelperson angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung.

Bei Unterhaltsansprüchen (§ 850d Abs. 1 ZPO) gelten nicht die höheren Pfändungsfreigrenzen gemäß § 850c Abs. 1 ZPO. Andererseits ist einem Schuldner das für dessen notwendigen Unterhalt Unerläßliche zu belassen.

Im Zwangsvollstreckungsverfahren entspricht der unpfändbare notwendige Unterhalt eines Schuldners im Sinne des § 850d Abs. 1 Satz 2 ZPO grundsätzlich dem notwendigen Lebensunterhalt im Sinne des 3. (Hilfe zum Lebensunterhalt) und 11. (Einsatz von Einkommen und Vermögen) Kapitels des SGB XII (Sozialhilfe) [hier nur: BGH, Beschluß vom 25. November 2010, Az.: VII ZB 111/09, Rdnr.9]. Dabei werden im Regelfall der Regelsatz und die Kosten für Unterkunft und Heizung zugrunde gelegt.

 

Der Fall

Ausgangspunkt war die Klage einer Sozialbehörde als Gläubiger, auf die gemäß § 7 Abs. 1 UVG die Ansprüche eines nicht-ehelichen minderjährigen Kindes übergegangen waren.

Bei dem Schuldner handelte es sich um einen Mann, der mit seiner Ehefrau und dem gemeinsamen ehelichen minderjährigen Kind eine Mietwohnung bewohnte.

Das Amtsgericht Eckernförde hatte dem Schuldner auf dessen Antrag hin statt des Pfändungsfreibetrages vom Nettoeinkommen gemäß § 850d ZPO in Höhe von € 870,- einen Pfändungsfreibetrag in Höhe von € 944,66 zuerkannt.. Hierbei berücksichtigte das AG Eckernförde als Mietanteil des Schuldners € 471,46 entsprechend seinem Einkommensanteil am gesamten Familieneinkommen in Höhe von ca. 65 Prozent.

Die sofortige Beschwerde des Gläubigers gegen diese Entscheidung blieb vor dem Landgericht Kiel erfolglos, weswegen der Gläubiger Rechtsbeschwerde vor dem BGH erhob.

 

Die BGH-Entscheidung

Der Bundesgerichtshof schloß sich in seiner Entscheidung der Rechtsauffassung des LG Kiel an.

Danach seien die Kosten für Unterkunft und Heizung nicht entsprechend der sozialgerichtlichen Rechtsprechung gemäß dem „Kopfteilprinzip“ auf die im Haushalt lebenden Personen zu verteilen.

„Vielmehr seien bei der Berechnung des fiktiven Sozialhilfebedarfs des jeweiligen Schuldners grundsätzlich dessen tatsächliche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung zu berücksichtigen, soweit sie angemessen seien.“ [BGH, Beschluß vom 5. Juli 2018, Az.: VII ZB 40/17, Rdnr. 5]

In Fällen, in denen der Schuldner allein die Kosten für Unterkunft und Heizung trage, was für eine einzelne Person unangemessen sein dürfte, „seien bei der Berechnung des fiktiven Sozialhilfebedarfs des Schuldners die angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung zu berücksichtigen, die anzusetzen wären, lebte er tatsächlich allein in einem Haushalt.“ [BGH, a.a.O., Rdnr. 5] Hierbei sei von einer Wohnungsgröße von 40-50 m² auszugehen [BGH, a.a.O., Rdnr. 6].

Die Angemessenheit der Kosten für Unterkunft und Heizung seien anhand des konkreten Einzelfalles und der örtlichen Gegebenheiten zu ermitteln.

„Dabei ist vorrangig das ortsübliche Mietpreisniveau, wie es sich aus einem qualifizierten Mietspiegel (§ 558d BGB), einem Mietspiegel (§ 558c BGB) oder unmittelbar aus einer Mietdatenbank (§ 558e BGB) ableiten lässt, heranzuziehen (...).“ „Zutreffend stellt das Beschwerdegericht darauf ab, dass hierzu die fiktiv anfallenden Wohn- und Heizkosten für eine alleinstehende Person anzusetzen sind.“ [BGH, a.a.O., Rdnr. 10]

„Im formalisierten Zwangsvollstreckungsverfahren (...) findet das Kopfteilprinzip einschließlich der hiervon bestehenden Ausnahmen keine Anwendung.“ [BGH, a.a.O., Rdnr. 11]

Es sei, so der BGH weiter, nicht Aufgabe des Vollstreckungsgerichtes „Feststellungen dazu zu treffen, ob der Schuldner in einer Bedarfsgemeinschaft lebt und ob der Gesamtbedarf dieser Bedarfsgemeinschaft auch unter Berücksichtigung des Einkommens der mit dem Schuldner in dieser Gemeinschaft lebenden Personen nicht durch eigene Kräfte und Mittel gedeckt ist und ob Umstände vorliegen, die im Einzelfall eine Ausnahme vom Kopfteilprinzip rechtfertigen.“ [BGH, a.a.O., Rdnr. 11]

Der BGH nimmt dabei Bezug darauf, daß Ausnahmen vom „Kopfteilprinzip“ in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung z.B. bei größerem Raumbedarf aufgrund einer Behinderung oder Pflegebedürftigkeit gegeben sind, oder wenn im Falle einer Sanktion die Anwendung des „Kopfteilprinzips“ zu Mietschulden für die übrigen Mitglieder der „Bedarfsgemeinschaft“ führen würde [BGH, a.a.O., Rdnr. 12]

Abschließend verweist der BGH noch darauf, daß auch im Falle von Unterhaltspflichten gegenüber einem minderjährigen Kind einem Unterhaltsschuldner nicht die freie Disposition über die ohnehin knappen Mittel verwehrt werden könne, so daß ein Schuldner durch die Nichtanwendung des „Kopfteilprinzips“ nicht in unzulässiger Weise begünstigt sei [BGH, a.a.O., Rdnr. 14].

 

Wertung

Grundsätzlich gilt: Das pfändungsfrei zu belassende Existenzminimum „ist im Zwangsvollstreckungsrecht grundsätzlich ebenso zu bestimmen wie im Sozialrecht“ [BGH, Beschluß vom 25. November 2010, Az.: VII ZB 111/09, Rdnr. 13].

Seit August 2016 sind Leistungen nach dem SGB II („Hartz IV“) ebenso pfändungsfrei (§ 42 Abs. 4 SGB II) wie bereits nach dem Sozialhilferecht (§ 17 Abs. 1 SGB XII).

Allerdings müßte in all denjenigen Fällen, in denen „Hartz IV“-Epfängerinnen und -empfänger etwas hinzuverdienen und ihnen gemäß § 11b Abs. 3 SGB II (Freibeträge) davon etwas ohne Anrechnung auf die Sozialleistung verbleibt, die hier behandelte BGH-Rechtsprechung ebenfalls anwendbar sein.

Das würde bedeuten, daß über den nicht kopfteiligen Betrag für Unterkunft und Heizung hinaus ihnen etwas von ihrem Zuverdienst bleiben müßte. Denn auch in diesen Fällen wären bei der Berücksichtigung der Kosten für Unterkunft und Heizung demjenigen oder derjenigen gemäß seinem oder ihrem Anteil am Gesamteinkommen der relative (prozentuale) Anteil zuzuordnen oder, je nach dem wer Schuldner ist in einer solchen „Bedarfsgemeinschaft“, der KdU- und Heizkostenbedarf für eine alleinstehende Person zu belassen.

Dem Autor ist dabei durchaus bewußt, daß die hier behandelte Rechtssache bei oberflächlicher Betrachtung einen moralisch negativen Beigeschmack hat. Aber erstens ging es im BGH-Fall um Regreßansprüche einer staatlichen Behörde nach dem Unterhaltsvorschußgesetz und zweitens war der Unterhaltsschuldner gegenüber seiner neuen Familie ebenfalls in der Pflicht. Der Gesetzgeber hat die Unterhaltspflicht gegenüber anderen zivirechtlichen Pflichten (z.B. Mietschulden) dadurch bevorzugt, daß er in § 850d ZPO eine geringere Pfändungsfreigrenze eingezogen hat als im Regelfall des § 850c ZPO. Eigentlich geht es im hier behandelten Fall um die Rechtsfrage, ob einem Unterhaltsschuldner, der auch für seine neue Familie Verantwortung trägt, weniger an Unterkunftskosten zu belassen ist, als einem alleinstehenden Unterhaltsschuldner. Es muß dabei auch beachtet werden, daß es letztlich um eine Differenz von ca. 75 Euro ging, nämlich um € 944,66 statt € 870,- Pfändungsfreibetrag. Klar ist nun aber, daß ein Schuldner, welcher in einer Familie lebt, hinsichtlich der Unterkunftskosten so zu behandeln ist wie ein Alleinstehender und nicht nach dem sozialgerichtlichen „Kopfteilprinzip“.

 

 

 

 

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