Das SGB II ist ein Bundesgesetz, und es sollte davon
ausgegangen werden können, daß „Hartz IV“-Leistungen beziehende Menschen
hinsichtlich der einzelnen Regelungen gleichbehandelt werden müssen. Dies
sollte nach dem Gleichbehandlungsgebot des Artikel 3 Grundgesetz (Art. 3 GG) für
gleiche Personengruppen so sein.
In diesem Zusammenhang wird von seiten der Sozialberatung
davon ausgegangen, daß die von der Bundesagentur für Arbeit (BA)
herausgegebenen Fachlichen Hinweise zwar nur direkt die Arbeitsagenturen und
die gemeinsamen Einrichtungen (§ 44b SGB II) binden, aber gerade wegen des
Gleichbehandlungsgebotes des Art. 3 GG auch im Bereich der Optionskommunen (§
6a SGB II) eine entsprechende Vorgehensweise der Jobcenter einforderbar
sei.
Eine aktuelle Entscheidung des Bundessozialgerichtes (BSG)
widerspricht dem nun ganz offen.
Daß die Sozialgerichte im Gegensatz zu den Jobcentern
an Verwaltungsrichtlinien nicht gebunden sind, ist klar und nichts Neues.
Eine aktuelle BSG-Entscheidung läßt nun aber Zweifel daran
aufkommen, ob das Gleichbehandlungsgebot überhaupt selbst innerhalb ein und
desselben Bundesgesetzes für den davon betroffenen Personenkreis gilt.
Dies ist umso fragwürdiger, weil das BSG selbst in der
Vergangenheit immer wieder den Eindruck erweckt hatte – BSG, Urteile vom 28.
November 2018, Az.: B 14 AS 31/17 R, Rdnrn. 44, 47; vom 28. November 2018, Az.:
B 4 AS 46/17 R, Rdnr. 25; vom 23. Juni 2016, Az.: B 14 AS 42/15 R, Rdnr. 16;
vom 9. November 2010, Az.: B 4 AS 7/10 R, Rdnrn. 17, 22, 25; vom 22. März 2010,
Az.: B 4 AS 39/09 R, Rdnr. 34; vom 22. März 2010, Az.: B 4 AS 69/09 R, Rdnr. 31
– die Fachlichen Hinweise der BA wären – soweit nicht gerichtlich für
rechtswidrig erklärt – allgemein zu berücksichtigen.
Soweit es die Recherchemöglichkeiten zuließen, handelte es
sich bei den Beklagten in diesen Entscheidungen aber jeweils um
Arbeitsagenturen bzw. deren Rechtsnachfolger (Jobcenter), womit wohl die
gemeinsamen Einrichtungen gemäß § 44b SGB II gemeint sind, mithin nicht um die
Optionskommunen gemäß § 6a SGB II.
Rechtsprechung
Bei der hier behandelten BSG-Entscheidung – BSG, Beschluß
vom 24. Juni 2020, Az.: B 4 AS 26/20 B – geht es um nicht mehr und nicht
weniger als die Frage, was das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 GG überhaupt
noch wert ist.
Es ging in der Sache um eine Aufforderung zur vorzeitigen
Rentenantragstellung. Beklagtes Jobcenter war eine Optionskommune. In diesem
Zusammenhang hatte das Sächsische LSG die vorzeitige Rentenantragstellung für
unbillig (§ 6 UnbilligkeitsV) erklärt und dabei die Rechtsauffassung vertreten,
daß wegen Art. 3 Abs. 1 GG auch die Optionskommunen die fachlichen Hinweise der
Bundesagentur für Arbeit ihrer Ermessenausübung zugrunde zu legen haben.
Die Revision der beklagten Optionskommune blieb aus anderen
Gründen vor dem BSG erfolglos, was aber vorliegend keine Rolle spielt.
Auch soll an dieser Stelle keine Rolle spielen, was mit dem
Begriff „in nächster Zukunft“ (§ 3 UnbilligkeitsV) gemeint ist; das Sächsische
LSG sah sogar 7 Monate noch als angemessen an (BSG: 4 Monate [BSG, Urteil vom
9. August 2018, Az.: B 14 AS 1/18 R, Rdnr. 9]).
Interessant an dieser Stelle sei nur, daß das BSG in dem
hier besprochenen Beschluß die Rechtsfragen, ob ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1
GG vorliege, wenn eine Optionskommune von den Fachlichen Hinweisen der BA
abwiche, und, wie der Begriff „in nächster Zukunft“ in § 3 UnbilligkeitsV zu
definieren sei, als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs. 2 Nr.
1 SGG) einstufte [BSG, Az.: B 4 AS 26/20 B, Rdnrn. 7, 8]. Damit sind Berufungen
und Revisionen, solange eine höchstrichterliche Klärung aussteht, in Zukunft
von den unteren sozialgerichtlichen Instanzen zuzulassen.
Hinsichtlich des hier interessierenden
Gleichbehandlungsgebotes des Art. 3 GG bezüglich der Fachlichen Hinweise der BA
und in bezug auf die Optionskommunen, entschied das BSG:
„Zweifel an der Auffassung des LSG, dass wegen Art 3 Abs
1 GG auch Optionskommunen die fachlichen Hinweise der Bundesagentur für Arbeit
ihren Ermessensentscheidungen zugrunde zu legen haben, erwachsen insbesondere daraus,
dass damit der Gewährleistungsgehalt des Art 3 Abs 1 GG unzutreffend beurteilt
worden sein dürfte. Der allgemeine Gleichheitssatz erfasst nur
Ungleichbehandlungen, die aus Handlungen ein- und desselben Hoheitsträgers
resultieren (...). Die verschiedene Auslegung und Anwendung derselben
Rechtsvorschriften durch verschiedene Behörden verletzen noch kein
Verfassungsrecht (...). Ein kommunaler Träger nach § 6a SGB II ist daher nicht
aufgrund Art 3 Abs 1 GG verpflichtet, sein Handeln an der Verwaltungspraxis
anderer Behörden, hier der Bundesagentur für Arbeit, auszurichten (...). Die
fachlichen Hinweise der Bundesagentur für Arbeit sind auch keine allgemeinen
Verwaltungsvorschriften iS des Art 84 Abs 2 GG oder des § 48 Abs 2 Satz 2 SGB
II, die (nur) die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates erlassen
dürfte. Auch § 6b Abs 4 SGB II dient nicht der Gewährleistung eines
grundsätzlich einheitlichen Gesetzesvollzuges (...).“ [BSG, a.a.O, Rdnr. 7]
Diese Rechtsauffassung des BSG wird offensichtlich vom
Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gestützt:
„Hierzu gibt es Fachliche Hinweise beziehungsweise
Weisungen der Bundesagentur für Arbeit, die als Verwaltungsvorschriften für die
Anwendung der §§ 31 ff. SGB II durch diejenigen Jobcenter (§ 6d SGB II) gelten,
die als gemeinsame Einrichtungen (§§ 6, 44b SGB II) der Agentur für Arbeit und
des kommunalen Trägers arbeiten, also nicht für die zugelassenen kommunalen
Träger (§ 6a SGB II).“ [BVerfG, Urteil vom 5. November 2019, Az.: 1 BvL
7/16, Rdnr. 25]
Und:
„Die dem Bund durch § 6b Abs. 4 SGB II eröffnete
Finanzkontrolle über die Optionskommunen unterscheidet sich schließlich auch
von der Rechts- und Fachaufsicht. Die Vorschrift statuiert keine
Aufsichtsbefugnisse des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Sie dient
nicht der Rückkopplung des Gesetzesvollzugs an die Absichten des Gesetzgebers
und insbesondere nicht der Gewährleistung eines grundsätzlich einheitlichen
Gesetzesvollzugs, sondern beschränkt sich ausschließlich auf die Kontrolle der
finanziellen Auswirkungen der gesetzgeberischen Entscheidung, von der
Möglichkeit des Art. 91e Abs. 2 GG Gebrauch zu machen (...). Die Befugnisse des
Bundes aus § 6b Abs. 4 SGB II erlauben es daher nicht, vertretbare
Rechtsauffassungen des zugelassenen kommunalen Trägers zu beanstanden und auf
dieser Grundlage Mittel vorzuenthalten oder Erstattungsansprüche durchzusetzen;
die Durchsetzung einer einheitlichen Rechtsanwendung ist vielmehr der Rechts-
und Fachaufsicht vorbehalten.“ [BVerfG, Urteil vom 7. Oktober 2014, Az.: 2
BvR 1641/11, Rdnr. 182]
Diese Rechts- und Fachaufsicht üben im Rahmen des § 6a SGB
II hinsichtlich der Optionskommunen die einzelnen Bundesländer aus.
Fazit:
Damit ist die Sache eindeutig und höchstrichterlich
entschieden, sowohl durch das oberste Fachgericht (BSG), als auch durch das
höchste Gericht (BVerfG): die Fachlichen Hinweise der BA gelten nicht für die
Optionskommunen.
Das ist allerdings nichts Neues, da solche Richtlinien
ohnehin nur die eigene Verwaltung binden.
Und hier kommt dann das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3
Abs. 1 GG doch wieder zum Tragen, nämlich vor Gericht.
Zwar kann eine Optionskommune nicht gezwungen werden, schon
auf der Verwaltungsebene dem Gleichbehandlungsgebot Folge zu leisten und
Richtlinien einer „fremden“ Behörde auf der Handlungsebene (Bescheide) zu
übernehmen, gleichwohl schützt Art. 3 Abs. 1 GG die Betroffenen vor
Ungleichbehandlung.
Der aufgrund eines Bundesgesetzes gleiche Personenkreis muß
gleich behandelt werden.
Allerdings wäre dies vor den Sozialgerichten und schließlich
vor dem BVerfG durchzusetzen. Mit anderen Worten: Wer nicht klagt ist im
Zweifelsfalle der bzw. die Geleimte.