Herbert Masslau

Ungleichbehandlung bei „Hartz IV“ ?

(5. August 2020)

 

 

Vorbemerkung

Das SGB II ist ein Bundesgesetz, und es sollte davon ausgegangen werden können, daß „Hartz IV“-Leistungen beziehende Menschen hinsichtlich der einzelnen Regelungen gleichbehandelt werden müssen. Dies sollte nach dem Gleichbehandlungsgebot des Artikel 3 Grundgesetz (Art. 3 GG) für gleiche Personengruppen so sein.

In diesem Zusammenhang wird von seiten der Sozialberatung davon ausgegangen, daß die von der Bundesagentur für Arbeit (BA) herausgegebenen Fachlichen Hinweise zwar nur direkt die Arbeitsagenturen und die gemeinsamen Einrichtungen (§ 44b SGB II) binden, aber gerade wegen des Gleichbehandlungsgebotes des Art. 3 GG auch im Bereich der Optionskommunen (§ 6a SGB II) eine entsprechende Vorgehensweise der Jobcenter einforderbar sei.

Eine aktuelle Entscheidung des Bundessozialgerichtes (BSG) widerspricht dem nun ganz offen.

Daß die Sozialgerichte im Gegensatz zu den Jobcentern an Verwaltungsrichtlinien nicht gebunden sind, ist klar und nichts Neues.

Eine aktuelle BSG-Entscheidung läßt nun aber Zweifel daran aufkommen, ob das Gleichbehandlungsgebot überhaupt selbst innerhalb ein und desselben Bundesgesetzes für den davon betroffenen Personenkreis gilt.

Dies ist umso fragwürdiger, weil das BSG selbst in der Vergangenheit immer wieder den Eindruck erweckt hatte – BSG, Urteile vom 28. November 2018, Az.: B 14 AS 31/17 R, Rdnrn. 44, 47; vom 28. November 2018, Az.: B 4 AS 46/17 R, Rdnr. 25; vom 23. Juni 2016, Az.: B 14 AS 42/15 R, Rdnr. 16; vom 9. November 2010, Az.: B 4 AS 7/10 R, Rdnrn. 17, 22, 25; vom 22. März 2010, Az.: B 4 AS 39/09 R, Rdnr. 34; vom 22. März 2010, Az.: B 4 AS 69/09 R, Rdnr. 31 – die Fachlichen Hinweise der BA wären – soweit nicht gerichtlich für rechtswidrig erklärt – allgemein zu berücksichtigen.

Soweit es die Recherchemöglichkeiten zuließen, handelte es sich bei den Beklagten in diesen Entscheidungen aber jeweils um Arbeitsagenturen bzw. deren Rechtsnachfolger (Jobcenter), womit wohl die gemeinsamen Einrichtungen gemäß § 44b SGB II gemeint sind, mithin nicht um die Optionskommunen gemäß § 6a SGB II.

 

Rechtsprechung

Bei der hier behandelten BSG-Entscheidung – BSG, Beschluß vom 24. Juni 2020, Az.: B 4 AS 26/20 B – geht es um nicht mehr und nicht weniger als die Frage, was das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 GG überhaupt noch wert ist.

Es ging in der Sache um eine Aufforderung zur vorzeitigen Rentenantragstellung. Beklagtes Jobcenter war eine Optionskommune. In diesem Zusammenhang hatte das Sächsische LSG die vorzeitige Rentenantragstellung für unbillig (§ 6 UnbilligkeitsV) erklärt und dabei die Rechtsauffassung vertreten, daß wegen Art. 3 Abs. 1 GG auch die Optionskommunen die fachlichen Hinweise der Bundesagentur für Arbeit ihrer Ermessenausübung zugrunde zu legen haben.

Die Revision der beklagten Optionskommune blieb aus anderen Gründen vor dem BSG erfolglos, was aber vorliegend keine Rolle spielt.

Auch soll an dieser Stelle keine Rolle spielen, was mit dem Begriff „in nächster Zukunft“ (§ 3 UnbilligkeitsV) gemeint ist; das Sächsische LSG sah sogar 7 Monate noch als angemessen an (BSG: 4 Monate [BSG, Urteil vom 9. August 2018, Az.: B 14 AS 1/18 R, Rdnr. 9]).

Interessant an dieser Stelle sei nur, daß das BSG in dem hier besprochenen Beschluß die Rechtsfragen, ob ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG vorliege, wenn eine Optionskommune von den Fachlichen Hinweisen der BA abwiche, und, wie der Begriff „in nächster Zukunft“ in § 3 UnbilligkeitsV zu definieren sei, als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG) einstufte [BSG, Az.: B 4 AS 26/20 B, Rdnrn. 7, 8]. Damit sind Berufungen und Revisionen, solange eine höchstrichterliche Klärung aussteht, in Zukunft von den unteren sozialgerichtlichen Instanzen zuzulassen.

Hinsichtlich des hier interessierenden Gleichbehandlungsgebotes des Art. 3 GG bezüglich der Fachlichen Hinweise der BA und in bezug auf die Optionskommunen, entschied das BSG:

„Zweifel an der Auffassung des LSG, dass wegen Art 3 Abs 1 GG auch Optionskommunen die fachlichen Hinweise der Bundesagentur für Arbeit ihren Ermessensentscheidungen zugrunde zu legen haben, erwachsen insbesondere daraus, dass damit der Gewährleistungsgehalt des Art 3 Abs 1 GG unzutreffend beurteilt worden sein dürfte. Der allgemeine Gleichheitssatz erfasst nur Ungleichbehandlungen, die aus Handlungen ein- und desselben Hoheitsträgers resultieren (...). Die verschiedene Auslegung und Anwendung derselben Rechtsvorschriften durch verschiedene Behörden verletzen noch kein Verfassungsrecht (...). Ein kommunaler Träger nach § 6a SGB II ist daher nicht aufgrund Art 3 Abs 1 GG verpflichtet, sein Handeln an der Verwaltungspraxis anderer Behörden, hier der Bundesagentur für Arbeit, auszurichten (...). Die fachlichen Hinweise der Bundesagentur für Arbeit sind auch keine allgemeinen Verwaltungsvorschriften iS des Art 84 Abs 2 GG oder des § 48 Abs 2 Satz 2 SGB II, die (nur) die Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrates erlassen dürfte. Auch § 6b Abs 4 SGB II dient nicht der Gewährleistung eines grundsätzlich einheitlichen Gesetzesvollzuges (...).“ [BSG, a.a.O, Rdnr. 7]

Diese Rechtsauffassung des BSG wird offensichtlich vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gestützt:

„Hierzu gibt es Fachliche Hinweise beziehungsweise Weisungen der Bundesagentur für Arbeit, die als Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der §§ 31 ff. SGB II durch diejenigen Jobcenter (§ 6d SGB II) gelten, die als gemeinsame Einrichtungen (§§ 6, 44b SGB II) der Agentur für Arbeit und des kommunalen Trägers arbeiten, also nicht für die zugelassenen kommunalen Träger (§ 6a SGB II).“ [BVerfG, Urteil vom 5. November 2019, Az.: 1 BvL 7/16, Rdnr. 25]

Und:

„Die dem Bund durch § 6b Abs. 4 SGB II eröffnete Finanzkontrolle über die Optionskommunen unterscheidet sich schließlich auch von der Rechts- und Fachaufsicht. Die Vorschrift statuiert keine Aufsichtsbefugnisse des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Sie dient nicht der Rückkopplung des Gesetzesvollzugs an die Absichten des Gesetzgebers und insbesondere nicht der Gewährleistung eines grundsätzlich einheitlichen Gesetzesvollzugs, sondern beschränkt sich ausschließlich auf die Kontrolle der finanziellen Auswirkungen der gesetzgeberischen Entscheidung, von der Möglichkeit des Art. 91e Abs. 2 GG Gebrauch zu machen (...). Die Befugnisse des Bundes aus § 6b Abs. 4 SGB II erlauben es daher nicht, vertretbare Rechtsauffassungen des zugelassenen kommunalen Trägers zu beanstanden und auf dieser Grundlage Mittel vorzuenthalten oder Erstattungsansprüche durchzusetzen; die Durchsetzung einer einheitlichen Rechtsanwendung ist vielmehr der Rechts- und Fachaufsicht vorbehalten.“ [BVerfG, Urteil vom 7. Oktober 2014, Az.: 2 BvR 1641/11, Rdnr. 182]

Diese Rechts- und Fachaufsicht üben im Rahmen des § 6a SGB II hinsichtlich der Optionskommunen die einzelnen Bundesländer aus.

 

Fazit:

Damit ist die Sache eindeutig und höchstrichterlich entschieden, sowohl durch das oberste Fachgericht (BSG), als auch durch das höchste Gericht (BVerfG): die Fachlichen Hinweise der BA gelten nicht für die Optionskommunen.

Das ist allerdings nichts Neues, da solche Richtlinien ohnehin nur die eigene Verwaltung binden.

Und hier kommt dann das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG doch wieder zum Tragen, nämlich vor Gericht.

Zwar kann eine Optionskommune nicht gezwungen werden, schon auf der Verwaltungsebene dem Gleichbehandlungsgebot Folge zu leisten und Richtlinien einer „fremden“ Behörde auf der Handlungsebene (Bescheide) zu übernehmen, gleichwohl schützt Art. 3 Abs. 1 GG die Betroffenen vor Ungleichbehandlung.

Der aufgrund eines Bundesgesetzes gleiche Personenkreis muß gleich behandelt werden.

Allerdings wäre dies vor den Sozialgerichten und schließlich vor dem BVerfG durchzusetzen. Mit anderen Worten: Wer nicht klagt ist im Zweifelsfalle der bzw. die Geleimte.

 

 

 

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