Herbert Masslau

Anhörungsrecht § 24 SGB X bei „Hartz IV“

(22. Januar 2011)

 

 

§ 24 Abs. 1 SGB X:

„Bevor ein Verwaltungsakt erlassen wird, der in Rechte eines Beteiligten eingreift, ist diesem Gelegenheit zu geben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern.“

 

Damit sollte ein Rechtsinstitut geschaffen sein, welches es im Allgemeinen den Betroffenen ermöglichen sollte, vor einer geplanten negativen Bescheidung durch eine Behörde hierzu angehört zu werden, wobei den Betroffenen Gelegenheit zur Stellungnahme hinsichtlich der tragenden (negativen) Entscheidungsgründe gewährt werden sollte.

Sinn eines solchen Rechtsinstituts kann nur sein, einen späteren Rechtsstreit dadurch zu vermeiden, daß in Kenntnis der tragenden Gründe der geplanten negativen Behördenentscheidung der oder die Betroffene (doch noch) einen gewichtigen Grund vorzubringen vermag, welcher zu einer positiven Behördenentscheidung oder auch dem Unterlassen einer negativen führen könnte.

Insofern spielt auch die Ausnahmeregelung des § 24 Abs. 2 SGB X hier keine Rolle und soll deshalb nicht mitbetrachtet werden.

 

Nun war es bisher so, daß im Regelfall, wenn eine solche Anhörung geboten schien, die zuständigen Behörden – vermutlich wegen der damit verbundenen Mehrarbeit – davon keinen Gebrauch machten und die dann wiederum zuständigen Sozialgerichte die Verletzung des Anhörungsrechts mit dem klägerischen Vorbringen der Hauptsache vor Gericht als im Nachhinein geheilt ansahen. So auch das LSG Schleswig-Holstein:

„Es hat zur Begründung ausgeführt, zwar sei der Bescheid […] verfahrensfehlerhaft zustande gekommen, denn der Kläger sei vor dem Erlass des Bescheides nicht angehört worden. Dieser Verfahrensfehler sei im Widerspruchsverfahren nicht geheilt worden, denn der Kläger habe sich zu dem Vorwurf des grob fahrlässigen Verhaltens nicht äußern können. Der Verfahrensmangel sei jedoch im Klageverfahren durch die Stellungnahme des Klägers zu dem Vorwurf der groben Fahrlässigkeit geheilt.“ [BSG, Urteil vom 9. November 2010, Az.: B 4 AS 37/09 R, Rdnr. 4]

Mit dieser Begründung, die im Grunde auf ein Leerlaufen des § 24 SGB X hinausläuft, hat das Bundessozialgericht (BSG) nun aufgeräumt und dem § 24 SGB X endlich seine Substanz zurückgegeben. Durch die Entscheidung des BSG ist eine Verletzung des Anhörungsrechts § 24 SGB X revisibel geworden und damit ein Verfahrensfehler im Sinne des § 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG und erfüllt im Falle der Zuwiderhandlung auch das Kriterium der Divergenz gemäß § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG.

 

Hintergrund des speziellen Falles, welcher der BSG-Entscheidung zu Grunde lag, ist ein nicht unüblicher Fall des Wechsels der Rechtsgrundlage zwischen Änderungs-, Rücknahme-, Rückforderungsbescheid einerseits und dem dazugehörigen Widerspruchsbescheid andererseits.

Der Autor dieses Artikels kann aus seiner eigenen Erfahrung mit „Hartz IV“ das Phänomen nachvollziehen, wenn von einem Bescheid auf den anderen die Rechtsgrundlage von § 48 SGB X auf § 45 SGB X wechselt, oder, wie im Falle des Autors, nach Kritik an der Unterstellung grob fahrlässiger oder bewußter Falschmitteilungen an die Behörde, auch umgekehrt von § 45 SGB X auf den weniger „scharfen“ § 48 SGB X (Änderung der Verhältnisse).

Dies hat mit der Grundeinstellung vieler Behördeninsassen zu tun, „Hartz IV“ beziehende Menschen zunächst einmal als Leistungsbetrüger und nicht als Rechteinhaber aufzufassen.

Allerdings steckt sicherlich auch eine die kommunalen Finanzen betreffende Berücksichtigung dahinter, denn § 48 Abs. 1 Nr. 2 SGB X erlaubt die Aufhebung eines Verwaltungsaktes, wenn der Betroffene „vorsätzlich oder grob fahrlässig“ seiner Pflicht zur Mitteilung einer Änderung in den Verhältnissen nicht nachgekommen ist, § 45 Abs. 2 Nr. 2 SGB X die Aufhebung, wenn der Verwaltungsakt von Anfang an rechtswidrig begünstigend war, weil der Betroffene „vorsätzlich oder grob fahrlässig“ unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht hat – beides zielt letztendlich auf den Betrugsvorwurf. Und in einem solchen Fall gilt nach § 40 Abs. 2 SGB II die Regelung nicht, daß bei einer Rückzahlung von erhaltenen Grundsicherungsleistungen nach dem SGB II 56 Prozent der Leistungen für Unterkunft (KdU) nicht zu erstatten sind, weil „Hartz IV“-Empfängerinnen und -empfänger ja keine Wohngeldleistungen beantragen konnten.

 

Der Ansicht des LSG Schleswig-Holstein, die auch von anderen Sozialgerichten vertreten wird, ein Bestehen auf die Erfüllung der Anhörung nach § 24 SGB X neben dem laufenden Gerichtsverfahren sei bloße Förmelei, hat jetzt das BSG einen Riegel vorgeschoben:

„Die Nachholung der fehlenden Anhörung setzt außerhalb des Verwaltungsverfahrens voraus, dass die Handlungen, die an sich nach § 24 Abs 1 SGB X bereits vor Erlass des belastenden Verwaltungsaktes hätten vorgenommen werden müssen, von der Verwaltung bis zum Abschluss der gerichtlichen Tatsacheninstanz vollzogen werden. Ein während des Gerichtsverfahrens zu diesem Zweck durchzuführendes förmliches Verwaltungsverfahren liegt vor, wenn die beklagte Behörde dem Kläger in angemessener Weise Gelegenheit zur Äußerung zu den entscheidungserheblichen Tatsachen gegeben hat und sie danach zu erkennen gibt, ob sie nach erneuter Prüfung dieser Tatsachen am bisher erlassenen Verwaltungsakt festhält. Dies setzt regelmäßig voraus, dass - ggf nach freigestellter Aussetzung des Verfahrens gemäß § 114 Abs 2 Satz 2 SGG - die Behörde den Kläger in einem gesonderten ‚Anhörungsschreiben’ alle Haupttatsachen mitteilt, auf die sie die belastende Entscheidung stützen will und sie ihm eine angemessene Frist zur Äußerung setzt. Ferner ist erforderlich, dass die Behörde das Vorbringen des Betroffenen zur Kenntnis nimmt und sich abschließend zum Ergebnis der Überprüfung äußert.“ [BSG, a.a.O., Rdnr. 15]

Denn nicht das Bestehen auf die Einhaltung formaler Rechte ist Förmelei, sondern die Haltung des LSG Schleswig-Holsteins und vieler anderer Sozialgerichte, die eine Verletzung von Verfahrensrechten nicht ernstnehmen, machen (machten) den § 24 SGB X zu einer inhaltsleeren Floskel,

„[denn die in § 24 SGB X normierte Anhörungspflicht verlöre jeglichen Gehalt, wenn der Verstoß im gerichtlichen Verfahren ohne jegliches formalisiertes Verfahren geheilt werden könnte.“ [BSG, a.a.O., Rdnr. 16] … „Befindet sich die Verwaltungsentscheidung hingegen nicht mehr im Verantwortungsbereich der Beklagten, so kann eine jedenfalls teilweise Verwirklichung der mit den Anhörungshandlungen verfolgten Zwecke nur noch erreicht werden, wenn durch die genannten verfahrensrechtlichen Vorkehrungen sichergestellt wird, dass die Nachholung der Verfahrenshandlung sich in einer dem Anhörungsverfahren möglichst vergleichbaren Situation vollzieht.“ [BSG, a.a.O., Rdnr. 17]

 

Überraschungsentscheidungen der „Hartz IV“-Behörden, die die Betroffenen sofort unter Fristendruck (Widerspruchsfrist, Klagefrist) setzen, sollten damit eigentlich zukünftig vom Tisch sein.

Diese Entscheidung des Bundessozialgerichts zum Anhörungsrecht § 24 SGB X gilt auch noch nach der für 2011 geplanten Veränderungen im SGB II-Leistungsrecht.

 

 

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