Herbert Masslau

Warmwasser-Abzug – Betrug zu Gunsten der Kommunen

(4. Juni 2009)

  

 

„Die Regelleistung zur Sicherung des Lebensunterhalts umfasst insbesondere Ernährung, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Haushaltsenergie ohne die auf die Heizung entfallenden Anteile, Bedarfe des täglichen Lebens sowie in vertretbarem Umfang auch Beziehungen zur Umwelt und eine Teilnahme am kulturellen Leben.“

 

So lautet der erste Absatz des Regelleistungsparagraphen § 20 SGB II in der Fassung des sog. Fortentwicklungsgesetzes seit 1. August 2006 [Hervorhebung H. M.].

Damit sollte durch die ausdrückliche Hereinnahme der vorher fehlenden, hier fettgedruckten Passage verdeutlicht werden, daß der Warmwasser-Bedarf durch die Regelleistung gedeckt und mit einem entsprechenden Betrag von den Heizkosten § 22 SGB II abzuziehen ist.

 

Dieses Problem bestand schon zu Zeiten der alten Sozialhilfe (BSHG) und wurde dort so gelöst, daß nach Ermittlungen des Deutschen Vereins von 1991 für Warmwasser 30% des in der Regelleistung enthaltenen Anteils für Haushaltsenergie anzusetzen seien. Da in den Energieanteilen ein fester Grundpreis und ein variabler, verbrauchsabhängiger Arbeitspreis enthalten ist, hatte schon zu BSHG-Zeiten das OVG Lüneburg einschlägig entschieden, daß vom Energiepreis nur der Arbeitspreis zu berücksichtigen sei, so daß als Warmwasser-Abzug 30% vom Arbeitspreis des für Haushaltsenergie veranschlagten Betrages zu berücksichtigen seien:

So berücksichtigte das OVG Lüneburg zunächst 35% als Anteil für den Grundpreis und 65% als Anteil für den Arbeitspreis, änderte diese Rechtsprechung von 1991 aber schon 1994 ab: „Aufgrund neuerer Erhebungen des Niedersächsischen Landesamtes für Statistik nimmt er allerdings an, daß von diesem Betrag ab 1. Juli 1992 nur noch 22 v. H. (statt 35 v. H.) auf den ‚Grundpreis’ und dementsprechend 78 v. H. (statt 65 v. H.) auf den „Arbeitspreis“ entfallen.“ [Niedersächsisches Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 28. Oktober 1994, Az.: 4 M 1618/93, Leitsatz]. Diese Rechtsprechung hat das OVG Lüneburg dann 2001 nochmal bestätigt (OVG Lüneburg, Beschluß vom 28. November 2001, Az.: 4 PA 3693/01).

 

Bei der Bemessung der Regelleistung SGB II bzw. des Regelsatzes SGB XII wird auf die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) zurückgegriffen, anhand derer die Regelsatzverordnung (RSV) aufgestellt wird.

Die EVS 1998 (RSV 2004) enthielt unter der Position 04.511.01 den Stromverbrauch (Mieteranteil), die EVS 2003 (RSV 2006) diesen unter der Position 0451 010.

Allerdings ging und geht diese EVS-Position nicht vollständig in die Bemessung von Regelsatz SGB XII und Regelleistung SGB II ein, sondern nur zu 85%.

Begründet wird dieser Abschlag in der schriftlichen Stellungnahme des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) vom 28. November 2008 zu der Verfassungsbeschwerde 1 BvR 1523/08 wie folgt:

„Der Abschlag von 15%-Punkten beim Strom rechtfertigt sich dadurch, dass in den Stromkosten unter anderem Ausgaben für Heizungsstrom enthalten ist, der aber über die gesonderte Leistung für Unterkunft und Heizung zur Verfügung gestellt wird.“

[Stellungnahme BMAS vom 28. November 2008, Seite 41 – http://www.erwerbslosenforum.de/verfassungsbeschwerde/1_bvr_1523_08_st8.pdf].

Damit ist klar, daß nicht nur alle diejenigen „Hartz IV“-Empfängerinnen und -empfänger einen ungerechtfertigten Abzug bekommen, die ihre Heizkosten direkt beim Energielieferanten bezahlen (z.B. bei Fernwärme) und eben nicht an den Vermieter eine entsprechende Betriebskosten-Position abführen, sondern ganz generell stellt sich schon hier die Frage, ob dann überhaupt noch zusätzlich ein weiterer Betrag von den Heizkosten als sog. Warmwasseranteil abgezogen werden darf.

Mit dieser Problematik hat sich das Bundessozialgericht in seiner einschlägigen Entscheidung B 14/11b AS 15/07 R vom 27. Februar 2008 nicht auseinandergesetzt. Siehe auch meinen Artikel „Alg II: Warmwasser-Abzug“, der sich grundlegend kritisch mit dieser BSG-Entscheidung auseinandersetzt. Und dies, obwohl gerade die kritische Entscheidung des Sächsischen Landessozialgerichts vom 29. März 2007 (L 3 AS 101/06) dazu Anlaß gegeben hätte. Aber, nachdem das BSG mit fast begründungsloser Plumpheit bereits am 23. November 2006 im Verfahren B 11b AS 1/06 R die Regelleistung § 20 SGB II für verfassungskonform erklärt hatte, durfte dies nicht mehr anhand der Auseinandersetzung mit dem Warmwasser-Abzug in Frage gestellt werden.

 

Zunächst ist zu unterschieden zwischen Warmwasserbereitung und Warmwasserversorgung. Denn laut Begründung des sog. Fortentwicklungsgesetzes stellt die neu formulierte Regelung § 20 SGB II klar, „dass die Regelleistung auch die Bedarfe für Haushaltsenergie ohne die auf die Heizung entfallenden Anteile umfasst. Dies bedeutet, dass insbesondere Energiekosten für die Kochfeuerung, Warmwasserbereitung und Beleuchtung aus der Regelleistung zu bestreiten sind und nicht als Bestandteil von Kosten der Unterkunft und Heizung gesondert übernommen werden.“ [BTDrs. 16/1410; Hervorh. H. M.]

Warmwasserbereitung ist die Bereitung von Warmwasser im eigenen Haushalt. Warmwasserversorgung ist die Zurverfügungstsellung von Warmwasser durch den Vermieter oder einen Dritten/Energielieferanten.

 

Warmwasserbereitung

Die Warmwasserbereitung erfolgt auf zweierlei Weise, entweder im Rahmen einer Hauswohnung durch eine mit Gas oder Öl betriebene zentrale Heizungsanlage oder im Rahmen einer Wohnung durch mit Strom oder Gas betriebene Durchlauferhitzer.

Erfolgt die Warmwasserbereitung mit Durchlauferhitzern, so ist keine Warmwasser-Pauschale abzuziehen, da Strom ohnehin in der Regelleistung enthalten ist und nicht gesondert abgerechnet werden kann, was ebenso für mit anderen der Haushaltsenergie zuzuordnenden Energiearten zur Warmwasserbereitung der Fall ist. Hier sind Haushaltsenergie und Warmwasserbereitung in der Regelleistung enthalten und werden nicht gesondert geltend gemacht, also nur einmal geleistet.

Wird hingegen das Warmwasser im Heizungsraum mit einem mit Gas oder Öl betriebenen Brenner zusammen mit dem Warmwasser für die Heizung erzeugt, so sind die Kosten für Erdgas, Erdöl zunächst Heizkosten gemäß § 22 SGB II, die dann aber um die bereits in der RL gemäß § 20 enthaltene Warmwasserpauschale zu kürzen sind.

 

Warmwasserversorgung

Die Warmwasserversorgung ist die Versorgung mit Warmwasser, welches außerhalb der Wohnung zubereitet wird, und zwar entweder über den Vermieter oder direkt durch Lieferung eines Dritten/Energielieferanten.

Die Warmwasserversorgung über den Vermieter ist Bestandteil der Betriebskosten für Heizung, die als Mietnebenkosten Teil der Unterkunftskosten gemäß § 22 SGB II sind. Hier erfolgt nicht unbedingt eine Trennung in KdU und Heizkosten.

Die Warmwasserversorgung über einen Dritten/Energielieferanten ist Bestandteil der Fernwärme-Heizkosten, die Heizkosten gemäß § 22 SGB II sind.

In beiden Fällen ist eine klare Trennung nicht möglich, da nicht wie bei der Warmwasserbereitung in der Wohnung lediglich Haushaltsenergie eingesetzt wird, sondern Bestandteile des Preises auch umgelegte Kosten für die Betriebstechnik (z.B. Zähler) sind, die aber nicht Bestandteil der Regelleistung sind.

Da hier also Kosten, die nicht Teil der Regelleistung sind, bei der Warmwasserversorgung hinzukommen, die bei der Warmwasserbereitung nicht hinzukommen, ist fraglich, ob die Warmwasserpauschale abgezogen werden darf, denn die Energiekosten, die ein Energieliefrant von Fernwärme hat, sind pro m³ Warmwasser erheblich geringer auf Grund seiner durch die größeren Abnahmemengen bedingten günstigeren Marktstellung, so daß wenn, dann ein geringerer Betrag als die Regelleistungspauschale für Warmwasser nur abgezogen werden darf, zumal nicht in der Regelleistung enthaltene Kosten der Warmwasserversorgung wie z.B. Zählergebühren im Endverbraucherpreis hinzukommen.

 

Regelleistung (§ 20 SGB II) / Heizkosten (§ 22 SGB II)

Insoweit, und nur so weit, wie in den Heizkosten ein Warmwasseranteil enthalten ist, käme es zu einer Doppelleistung des Sozialleistungsträgers, wenn nicht der in der Regelleistung für Warmwasser vorgesehene Anteil betragsmäßig von den Heizkosten abgezogen würde.

Das Problem aber ist, daß zum Einen die Regelleistung eine Pauschale ist, zum anderen im Gegensatz zu anderen EVS-Positionen der Betrag für Warmwasser nicht benannt ist.

Rechtsdogmatisch ist die Regelleistung eine Pauschale, also ein fester Betrag, durch den bestimmte Positionen als abgedeckt betrachtet sein sollen, ohne daß dabei im konkreten Fall die Über- oder Unterdeckung einer Position eine Rolle spielen soll. Die einzelnen EVS-Positionen und die für sie ermittelten Geldbeträge dienen also nicht dazu, einen in Höhe dieser einzelnen Positionsbeträge ermittelten Bedarf des Hilfeempfängers zu signalisieren, sondern dienen lediglich dazu, einen möglichst bedarfsgerechten Pauschalbetrag zu ermitteln.

Aber gerade deswegen und wegen des Abzugs der Warmwasserkosten von den Heizkosten, hätte hier der in die Pauschale eingehende Geldbetrag der Unterposition Warmwasser (Baden/Duschen, Küche, Waschmaschine) ermittelt und benannt sein müssen. So aber führte das Ganze zu einer Rechenakrobatik des BSG, die sowohl Spekulation als auch Pi-mal-Daumen-Rechnerei darstellt.

Es ist absurd, wenn das BSG einerseits feststellt

„Das LSG verkennt bei seinen statistisch/mathematischen Betrachtungen der Ermittlung der Werte in der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 1998, dass die Festlegung des Regelsatzes bzw der Regelleistung letztlich ein normativ/wertender Prozess ist, der in seinen einzelnen Schritten keinen naturwissenschaftlich-mathematisch ableitbaren Richtigkeitsansprüchen unterliegt. Es ist geradezu das Wesen einer pauschalierten Regelleistung, dass sie dem Leistungsempfänger in ihrer Gesamtheit zur selbstverantwortlichen Gestaltung seines Lebens zur Verfügung gestellt wird. Dementsprechend ist es rechtlich nicht möglich, die in den einzelnen Abteilungen der EVS zum Ausdruck kommenden Verbrauchspositionen einer je gesonderten juristischen Richtigkeitsprüfung zu unterziehen.“ [BSG, Urteil vom 27. Februar 2008, Az.: B 14/11b AS 15/07 R, Rdnr. 22]

andererseits aber selber versucht, einen nicht bestimmbaren Betrag zu errechnen, indem es zudem auf schon 1991 spekulative Prozentsätze zurückgreift:

„Eine weitere Aufgliederung dieses Betrages von 20,74 EUR in Einzelpositionen kann weder den Materialien noch der EVS entnommen werden. Da in der Regel der gesamte elektrische Energieverbrauch eines Haushalts über einen Zähler gemessen wird, lässt sich der Energieaufwand für Warmwasserbereitung nicht exakt messen, sondern lediglich schätzen. Mangels anderer Anhaltspunkte greift der Senat daher auf die Empfehlung des Deutschen Vereins aus dem Jahre 1991 zurück, nach der auf der Grundlage verschiedener Modellrechnungen die Kosten der Warmwasserbereitung mit 30 % des im sozialhilferechtlichen Regelsatz enthaltenen Betrags für Haushaltsenergie anzusetzen sind (…).“ [BSG, Urteil vom 27. Februar 2008, Az.: B 14/11b AS 15/07 R, Rdnr. 26].

 

Fazit: entweder wird trotz Doppelleistung auf den Abzug eines nicht rechtmäßig ermittelbaren Betrages für Warmwasser im Rahmen der – ohnehin – Pauschale verzichtet oder aber es wird bei der Aufstellung der EVS-Positionen für Warmwasser eine gesondert ausgewiesene Unterposition betragsmäßig ermittelt. Letzteres ist sinnvoll, da gerade der Warmwasser-Abzug von den Heizkosten besondere Probleme aufwirft, die andere EVS-Positionen nicht aufwerfen. Besondere Sorgfalt gerade in diesem Punkt wäre angezeigt gewesen angesichts der Tatsache, daß je nach Höhe der Heizkosten und der Anzahl der Bedarfsgemeinschaftsmitglieder der Warmwasser-Abzug 20 bis 40 Prozent der Heizkosten ausmacht. Daß aber gerade hier völlig unkonkret geblieben wurde, kann nur als politisches Zugeständnis an die Kommunen bezeichnet werden, die, egal ob ARGE oder Optionskommune, die Kosten gemäß § 22 SGB II (Unterkunftskosten + Heizkosten) zu tragen haben.

Gespannt sein dürfen Hartz IV-Empängerinnen und -empfänger auf eine Entscheidung des LSG Berlin-Brandenburg. Dieses hat im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde die Berufung zugelassen mit der Begründung: „Die grundsätzliche Bedeutung liegt in den klärungsfähigen und -bedürftigen Fragen, ob vom Vermieter abschlagsweise geforderte Vorauszahlungen auf die zu erwartenden Warmwasseraufbereitungskosten überhaupt von den Leistungen für Unterkunft und Heizung im Sinne von § 22 Abs. 1 S. 1 des Zweiten Buchs des Sozialgesetzbuchs (SGB II) abgesetzt werden können … .“ [LSG Berlin-Brandenburg, Beschluß vom 29. April 2009, Az.: L 25 B 2322/08 AS NZB, zit.n. Rechtsprechungsdatenbank auf www.sozialgerichtsbarkeit.de]

 

Auf alle Fälle sollten sich die Betroffenen nicht durch die BSG-Entscheidung zum Warmwasser-Abzug entmutigen lassen und diesen Aspekt weiterhin als Klagepunkt vor die Sozialgerichte tragen.

 

 

 

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