Aktualisierung: Mit Urteil vom 18. Juni 2008 im Verfahren B 14 AS 55/07 R (Rdnrn. 31-44) hat das Bundessozialgericht (BSG) erstmals entscheidungsrelevant und umfassend zur Versicherungspauschale geurteilt. Diese BSG-Entscheidung deckt die von mir geäußerten Rechtsansichten voll ab. Dieser Artikel braucht daher nicht neu geschrieben zu werden. Zur Abrundung des Gesamtbilds und zwecks ergänzender Klarstellungen verweise ich an dieser Stelle auf den AlgII-Stichwort-Katalog (scrollen bis zum Stichwort „Versicherungspauschale“). (Herbert Masslau, 4.10.2008)
Die Versicherungspauschale ist ein Beispiel dafür, wie eine eigentlich klare Rechtslage dennoch dazu benützt wird, um betroffenen Leistungsempfängern rechtlich ihnen zustehende Leistungen vorzuenthalten.
Deshalb soll nachfolgend eine kurze Abhandlung über die Rechtsnorm, die möglichen Varianten der Berücksichtigung und die Vorgaben des Bundessozialgerichts das Thema erhellen.
Vorweg sei nur schon erwähnt, daß die rechtliche Konstruktion es ermöglicht, daß sowohl kein Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft die Pauschale erhält, als auch daß alle Mitglieder einer Bedarfs- und Haushaltsgemeinschaft die Pauschale erhalten.
Die Rechtsnorm
Die gemäß § 13 SGB II erlassene Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Alg II-V) bestimmte sowohl in der alten Fassung [BGBl. I, 2004, Nr. 55, S. 2622/2623] in § 3 Nr. 1 wie auch in der neuen Fassung [BGBl. I, 2005, Nr. 51, S. 2499/2500] in § 3 Abs. 1 Nr. 1:
„Als Pauschbeträge sind abzusetzen
1. von dem Einkommen volljähriger Hilfebedürftiger und von dem Einkommen minderjähriger Hilfebedürftiger, soweit diese nicht mit volljährigen Hilfebedürftigen in Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs. 3 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch leben, ein Betrag in Höhe von 30 Euro monatlich für die Beiträge zu privaten Versicherungen, die nach Grund und Höhe angemessen sind, gemäß § 11 Abs. 2 Nr. 3 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch“
Der Bezug auf § 11 SGB II ließe zunächst vermuten, daß damit nur Versicherungen bezüglich Krankheit, Pflege und Rente gemeint seien, es wird aber allgemein unterstellt, daß damit wie schon bei der alten Sozialhilfe (BSHG) auch Versicherungen wie eine Haftpflichtversicherung oder Hausratsversicherung gemeint seien, weil diese ja Kostenrisiken abdecken und für die Betroffenen sinnvoll seien.
Ob die Betroffenen eine solche Versicherung besitzen oder abschließen oder nicht, darüber sagt die Rechtsnorm nichts; die Pauschale ist den Berechtigten in jedem Falle zu gewähren.
Die Personenkonstellationen
Unstrittig, weil in der Rechtsnorm benannt, ist, daß die Versicherungspauschale volljährigen Hilfebedürftigen zusteht, sofern sie Einkommen haben, wozu auch der Fall zählt, daß als einziges Einkommen übersteigendes Kindergeld anfällt, weil der Einkommensbegriff im SGB II nicht auf das Arbeitseinkommen beschränkt ist.
Desweiteren unstrittig ist, daß minderjährigen Hilfebedürftigen, sofern sie nicht mit volljährigen Hilfebedürftigen in Bedarfsgemeinschaft leben (also Eltern und Kinder im Regelfall) ebenfalls Anspruch auf die Versicherungspauschale haben.
Was folgt daraus nun für die konkreten Personenkonstellationen, die denkbar sind?
Hier will ich mich auf einige wenige beschränken, insbesondere keine komplizierten patchwork-Verhältnisse konstruieren.
a) Alleinstehender mit Einkommen
Hier ist vom Einkommen die Versicherungspauschale abzuziehen, bevor das Einkommen angerechnet wird. (Sollte ein PKW zur Erzielung des Arbeitseinkommens nötig sein, so ist die PKW-Haftpflicht als notwendige, weil gesetzlich vorgeschriebene Ausgabe in tatsächlicher Höhe abzuziehen, unabhängig von der Versicherungspauschale).
b) Alleinstehender ohne Einkommen
Da die Voraussetzung ‚Einkommen’ fehlt, ist auch keine Versicherungspauschale abzuziehen.
c) Minderjährige hilfebedürftige Kinder ohne Erwachsene in der Bedarfsgemeinschaft
Zum Beispiel Großeltern, die Rente beziehen und ihre hilfebedürftigen Enkel mit in der Haushaltsgemeinschaft haben. Insoweit Unterhaltsleistungen oder zur Bedarfdeckung zu berücksichtigendes Kindergeld vorliegen, sind von dem Einkommen, und zwar je Kind, die 30 Euro Versicherungspauschale abzuziehen.
d) Familie (Eltern/Elternteil) mit minderjährigen Kindern nur mit Kindergeld-Einkommen
Hier liegt der Fall vor, daß kein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft die Versicherungspauschale geltend machen kann. Dies hat damit zu tun, daß § 11 Abs. 1 SGB II einerseits das Kindergeld-Einkommen den hilfebedürftigen minderjährigen Kindern der Bedarfsgemeinschaft zuordnet, somit, obwohl ein Elternteil der Kindergeldberechtigte ist, die Zuordnung des Kindergeldes als Einkommen im Rahmen des SGB II anders vorgenommen wird. Und zum anderen bestimmt ja die Alg II-Verordnung, daß nur minderjährige Hilfebedürftige die Versicherungspauschale bekommen, sofern sie eben nicht mit hilfebedürftigen Erwachsenen in einer Bedarfsgemeinschaft leben. Da aber gerade bezüglich Kinder eine Haftpflichtversicherung sinnvoll ist, um mögliche Verschuldungen der ganzen Familie zu vermeiden, bestimmt die Dienstanweisung DA 11.24 der BA für Arbeit [siehe: Online-Datenbank „SGB II-Hinweise“ zu § 11 SGB II auf www.tacheles-sozialfe.de], daß in einem solchen Fall auch bei minderjährigen hilfebedürftigen Kindern, obwohl sie mit hilfebedürftigen Erwachsenen in Bedarfsgemeinschaft leben, die allerdings nachzuweisende Versicherung in tatsächlicher Höhe (soweit angemessen) zu übernehmen ist; die Versicherungspauschale erhalten sie dann aber nicht, und die Versicherung muß auf den Namen der Kinder abgeschlossen sein.
e) Familie (Alleinerziehende/r) mit mindestens einem minderjährigen Kind, das nicht hilfebedürftig ist
Dies ist der Fall, wenn minderjährige Kinder mit alleinerziehenden Hilfebedürtigen (oder in patchwork-Familien mit entsprechender Zuordnung) aufgrund eigenen Einkommens, zum Beispiel aus Unterhalt plus Wohngeld plus Kindergeld (Zuordnung nach § 11 Abs. 1 SGB II) nicht hilfebedürftig sind und deshalb gemäß § 9 Abs. 5 [Korrektur: § 7 Abs. 3 Nr. 4] SGB II mit ihrem Elternteil in Haushaltsgemeinschaft leben. Hier besteht für jedes nicht hilfebedürftige minderjährige Kind Anspruch auf Abzug der Versicherungspauschale vom eigenen Einkommen. – Dieser Konstellationsfall ist insofern interessant, als daß die Alg II-Verordnung nur den Fall minderjähriger Hilfebedürftiger regelt, die zudem nicht mit ihren Eltern in Bedarfsgemeinschaft leben. Hier findet der Umkehrschluß Anwendung. Von Bedeutung ist die Sache, da durch den Abzug der Versicherungspauschale eventuell kein übersteigendes Kindergeld mehr verbleibt, welches beim hilfebedürftigen Elternteil als Einkommen anzurechnen wäre; lediglich hilfebedürftig wird das minderjährige Kind nicht dadurch, daß nach Abzug der Versicherungspauschale ein Betrag bis 30 Euro als rein rechnerischer Bedarf sich ergeben würde.
Damit ist der Extremfall denkbar, daß kein Mitglied einer Bedarfsgemeinschaft die Versicherungspauschale erhält (Eltern mit minderjährigen Kindern in Bedarfsgemeinschaft und ausschließlich Kindergeld als Einkommen), wie auch der andere Extremfall, daß alle Mitglieder einer Haushaltsgemeinschaft (hilfebedürftige Alleinerziehende mit nicht hilfebedürftigen Kindern und übersteigendem Kindergeld) die Versicherungspauschale erhalten.
Die Rechtsprechung
Das Problem ins Rollen gebracht hatte der 8. Senat des LSG Niedersachsen-Bremen mit seinen Entscheidungen in den Verfahren L 8 AS 388/05 und L 8 AS 290/05:
„Der minderjährige Kläger zu 5) lebt zwar mit der volljährigen hilfebedürftigen Klägerin zu 1) zusammen, gehört jedoch, …, wegen fehlender Hilfebedürftigkeit nicht zu ihrer Bedarfsgemeinschaft. Mithin ist die Regelung des § 3 Nr 1 Alg II-VO auf ihn anwendbar. Sein den Bedarf übersteigendes Einkommen von 2,60 EUR bzw 8,60 EUR mindert sich um den Pauschbetrag von 30,00 EUR, das den Bedarf übersteigende Einkommen beträgt bei dieser Berechnung während der gesamten streitigen Zeit nunmehr null und kann als Einkommen der Klägerin zu 1) nicht mehr berücksichtigt werden.“ [LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23. März 2006, Az.: L 8 AS 388/05, zit.n. Online-Datenbank auf www.sozialgerichtsbarkeit.de]
„Der minderjährige G. lebt zwar mit der volljährigen hilfebedürftigen Klägerin zusammen, gehört jedoch, …, wegen fehlender Hilfebedürftigkeit nicht zu ihrer Bedarfsgemeinschaft. Mithin ist die Regelung des § 3 Nr 1 Alg II-VO auf ihn anwendbar. Dabei ist nicht erforderlich, dass überhaupt Versicherungen bestehen und Beiträge gezahlt werden. Sinn der Pauschbeträge ist vielmehr, dass ohne nähere Prüfung bei der Erzielung von Einkommen von diesen ein bestimmter Betrag abzusetzen ist.“ [LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23. März 2006, Az.: L 8 AS 290/05, zit.n. Online-Datenbank auf www.sozialgerichtsbarkeit.de]
In diesem Verfahren hatte der 8. LSG-Senat minderjährigen, nicht hilfebedürftigen Kindern die Versicherungspauschale zugestanden und ferner geurteilt, daß die Versicherungspauschale unabhängig vom tatsächlichen Bestehen einer Versicherung zu gewähren sei.
An dieser Stelle muß nun erwähnt werden, daß der 7. LSG-Senat sich dem nicht angeschlossen hat und als Voraussetzung das Bestehen einer auf die minderjährigen Kinder abgeschlossenen Versicherung verlangt:
„Nach dem Wortlaut … ist Voraussetzung für die Absetzung eines derartigen Pauschbetrags zum einen die Hilfebedürftigkeit des Leistungsberechtigten. Zum anderen läßt der Wortlaut der genannten Regelungen darauf schließen, dass eine Absetzung nur dann in Betracht kommt, wenn derartige Versicherungen auch tatsächlich bestehen und Beiträge … auch tatsächlich entrichtet werden (…; a.A. der 8. Senat des Landessozialgerichts, Urteil vom 23. o3. 2006 – L 8 AS 290/05).“ [LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluß vom 4. Oktober 2006, Az.: L 7 AS 364/06 ER; Verfahren Herbert Masslau u.a. ./. Landkreis Göttingen, nicht veröffentlicht]
Damit bleibt der 7. LSG-Senat Niedersachsen seiner Rechtsprechung treu, nicht hilfebedürftige, minderjährige Kinder von Hilfebedürftigen auf Sozailhilfeniveau runterzudrücken [so seit 2005 im Verfahren L 7 AS 73/05 ER, ebenfalls Herbert Masslau u.a. ./. Landkreis Göttingen, nicht veröffentlicht].
Dem Bundessozialgericht lag in seiner Entscheidung vom 7. November 2006 im Verfahren B 7b AS 18/06 R die Entscheidung L 8 AS 388/05 des LSG Niedersachsen-Bremen zugrunde.
Kurz gesagt hat das BSG entschieden, daß es keinen rechtlichen Bedenken begegnet, wenn minderjährige Hilfebedürftige, die mit volljährigen Hilfebedürftigen in Bedarfsgemeinschaft leben, keine Versicherungspauschale (als Abzug vom nach § 11 Abs. 1 SGB II zugerechneten Kindergeld-Einkommen) erhalten.
Bemerkenswert ist, daß das BSG damit aber auch die Entscheidung des 8. LSG-Senats billigte, dem einzigen minderjährigen Kind in der Familie, welches aufgrund eigenen Einkommens (aus Unterhalt und Kindergeld) nicht hilfebeürftig war und deshalb gemäß § 9 Abs. 5 [Korrektur: § 7 Abs. 3 Nr. 4] SGB II nicht zur Bedarfsgemeinschaft gehörte, die Versicherungspauschale zu gewähren.
Dazu das BSG im Urteil vom 7. November 2006 im Verfahren B 7b AS 18/06 R:
„Die Bedenken der Revision werden auch nicht geteilt, soweit im Rahmen des § 11 Abs 1 Satz 3 SGB II iVm § 3 Nr 1 aF bzw § 3 Abs 1 Nr 1 nF der Alg II-V der Fall eintreten kann, dass die Pauschale überhaupt nicht Berücksichtigung findet. Dies könnte zwar dann der Fall sein, wenn in einer Bedarfsgemeinschaft nur minderjährige Kinder Einkommen - in Form von Kindergeld - erzielen, während die Eltern bzw der Elternteil über keinerlei Einkommen verfügt. In diesem Fall ist einer Bedarfsgemeinschaft mithin ein Rückgriff auf den Pauschbetrag gänzlich verwehrt. Dies ist nicht zu beanstanden, denn dieser Pauschbetrag soll gerade keine zusätzliche den Bedarf erhöhende Leistung darstellen, sondern nur dann in Abzug gebracht werden, wenn auch tatsächlich Einkommen erzielt wird. Letztlich braucht dies hier jedoch nicht entschieden zu werden. Denn jedenfalls dem Kläger zu 5) steht die Pauschale gemäß § 3 Nr 1 aF bzw § 3 Abs 1 Nr 1 Alg II-V nF zu, sodass die Bedarfsgemeinschaft in jedem Fall eine Pauschale geltend machen konnte. Dies entspricht auch dem Willen des Verordnungsgebers, der in § 3 Nr 1 aF bzw § 3 Abs 1 Nr 1 nF Alg II-V für jeden Minderjährigen, der auf Grund eigenen Einkommens aus der Bedarfsgemeinschaft herausfällt, eine eigene Pauschale iHv 30,00 € monatlich vorsah.“ [Rdnr. 28 des Urteilsabdrucks]