Mit der geänderten Fassung des "Entwurfs einer Verordnung zur Berechnung von Einkommen sowie zur Nichtberücksichtigung von Einkommen und Vermögen beim Arbeitslosengeld II/Sozialgeld (Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung - Alg II-V -)" anerkennt die Bundesregierung die hier zitierte Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 22. April 2004. Demnach sollen per bundeseinheitlicher Rechtsverordnung (§ 13 SGB II) "laufende Einnahmen" Einkommen im Zuflußmonat sein (§ 2 Abs. 2 AlgII-V); "einmalige Einnahmen" und nicht monatlich gezahlte "laufende Einnahmen" sollen ab dem Zuflußmonat und unter Aufteilung auf einen angemessenen Zeitraum als Einkommen angerechnet werden (§ 2 Abs. 3 AlgII-V). Die Rechtsverordnung ist noch nicht beschlossen, soll aber zum 1. Januar 2005 in Kraft treten. (2. November 2004)
Vorbemerkung
Mit der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe und der Versozialhilferisierung (Arbeitslosengeld II) der „Arbeitsfähigen“ zwischen 15 und 65 Jahren sind ab 1. Januar 2005 alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert, bis auf die in § 11 Abs. 1 und Abs. 3 SGB II genannten Ausnahmen, als Einkommen anzurechnen.
Damit gerät ein Grundsatzurteil des Bundesverwaltungsgerichtes (BVerwG) vom April 2004 in den Blickpunkt des Interesses, wird doch die Frage aufgeworfen, ob diese Entscheidung zum bisherigen Sozialhilferecht auch auf das Arbeitslosengeld II übertragbar ist.
Die Relevanz könnte sich schon zum Jahreswechsel ergeben, für diejenigen, für die am 31. Dezember 2004 das bisherige Arbeitslosengeld, welches am Monatsende ausgezahlt wird, endet und die dann ab Januar 2005 das neue Arbeitslosengeld II erhalten, welches gemäß § 41 Abs. 1 SGB II monatlich im voraus gezahlt wird.
Begriffsdefinition
Doch zuvor ist eine kurze Begriffsdefinition unerläßlich.
Unter dem allgemeinsprachlichen Begriff der Nachzahlung werden drei verschiedene Begriffe zusammengefaßt:
– die echte Nachzahlung: hierbei handelt es sich darum, wenn z.B. der Arbeitslohn für März erst im April ausgezahlt wird oder wenn aufgrund tariflicher Vereinbarungen Lohnteile nachträglich erst ausgezahlt werden können (rückwirkende Lohnerhöhung)
– die Nachtragszahlung: wenn wie bei dem derzeitgen Arbeitslosengeld und der derzeitigen Arbeitslosenhilfe die Leistung erst am Ende eines Zeitabschnitts (hier: Kalendermonat) gezahlt wird
– die Spätzahlung: wenn bereits Bedürftigkeit besteht und die Zahlung der Sozialleistung erst später, aber noch im Bedarfszeitraum (in der Regel der Kalendermonat) eingeht.
Übertragbarkeit
Ferner stellt sich die Frage der Übertragbarkeit des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. April 2004 (Az.: BVerwG 5 C 68.03).
Denn ab 1. Januar 2005 ist für die Leistungen nach dem SGB II (Arbeitslosengeld II) bzw. SGB XII (Sozialhilfe) die Sozialgerichtsbarkeit zuständig [Artikel 22 des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt, BGBl. I , 2003, Nr. 66, S. 2985 und Artikel 38 des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch, BGBl. I, 2003, Nr. 67, S. 3065].
Der Autor bejaht die Übertragbarkeit. Zum Einen galten auch schon bisher Entscheidungen des BVerwG zur Sozialhilfe für die Arbeitslosenhilfe – die juristische Kommentierung zum Sozialgerichtsgesetz (SGG) strotzt nur so vor Verweisen auf Entcheidungen des Bundesverwaltungsgerichtes in Ermangelung vergleichbarer Entscheidungen des Bundessozialgerichtes (BSG) –, so zum Beispiel zur Frage der Zumutbarkeit von Arbeit bei Alleinerziehenden [siehe http://www.HerbertMasslau.de/pageID_673265.html oder links im Inhalts-Frame auf „Sozialhilfe“ und dann die Unterseite „Erziehungsurlaub und Sozialhilfe“ klicken]. Zum anderen ist das Arbeitslosengeld II keine Lohnersatzleistung mehr wie die bisherige Arbeitslosenhilfe, die allerdings in „vorauseilendem Gehorsam“ von den Sozialgerichten in den letzten Jahren im Interesse der Bundesregierung und der Arbeitsverwaltung nicht mehr als Lohnersatzleistung behandelt wurde, sondern wie die Sozialhilfe eine steuerfinanzierte Bedürftigenleistung, sogar gleichwertig mit der Nachrangigkeit der Sozialhilfe, da ihr Bezug in Zukunft alternativ ist (§ 21 SGB XII, § 5 Abs. 2 SGB II).
Und im Übrigen wird die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichtes nicht deswegen obsolet, weil – zumindest für die dann unter das neue SGB II fallenden „arbeitsfähigen“ Sozialhilfe beziehenden Personen – die gerichtliche Zuständigkeit per Gesetz geändert wurde.
Urteilstenor
Die vom Bundesverwaltungsgericht selbst formulierten Leitsätze geben den Urteilstenor wieder und lauten:
„Leitsätze:
1. Bei der Hilfe zum Lebensunterhalt ist ‚Bedarfszeitraum‘, in Bezug auf den die Hilfe zu berechnen und innerhalb dessen zufließendes Einkommen als Einkommen zu berücksichtigen ist, grundsätzlich der jeweilige Kalendermonat.
2. Auch Einkommen, das regelmäßig erst zum Ende eines Kalendermonats zufließt, ist grundsätzlich nur als Einkommen des Kalendermonats anzurechnen, in dem es tatsächlich zugeflossen ist.
Urteil des 5. Senats vom 22. April 2004 – BVerwG 5 C 68.03“
Damit bestätigte das BVerwG nicht nur die Urteile der Vorinstanzen (VG Köln und OVG Münster), sondern es übernahm damit nur etwas allgemeiner formuliert die Leitsätze, die das VG Neustadt (NRW) schon in seiner Entscheidung vom 16.1.2003 (Az.: 4 K 2259/02 NW) formuliert hatte.
Die Entscheidung steht ferner in der Konsequenz der Rechtsprechung des BVerwG seit 1999. Damals hatte das BVerwG seine bis dahin 30-jährige Rechtsauffassung geändert und war von der „Identitätstheorie“ (Zeitraumidentität und Zweckidentität von Einkommen) zur schon immer von den Sozialämtern verfolgten „Zuflußtheorie“ (Einkommen ist alles, was im Bedarfszeitraum zufließt) gewechselt (Urteil vom 18.2.1999 – Az.: BVerwG 5 C 35.97 – ; siehe auch: Urteil vom 19.2.2001 – Az.: BVerwG 5 C 4.00 –).
Ohne an dieser Stelle auf die Details des Urteils einzugehen, sei noch erwähnt, daß das Bundesverwaltungsgericht den Kalendermonat als den im Gesetz nicht weiter präzisierten Bedarfszeitraum festlegt. Es begründet dies wie folgt: „Wesentlich für den Kalendermonat als Regelbedarfszeit [also ausgenommen spezielle gesetzliche Regelungen wie die Aufteilung einmaliger Jahreseinkünfte auf die 12 Kalendermonate, H.M.] spricht indes, dass die Regelsatzleistungen, die bei der Bedarfsberechnung zu berücksichtigen sind, als Monatsleistungen bemessen sind (...)“ [Seite 6 Urteilskopie] – und schließt sich der Ansicht des OVG Münster an, daß eine solche Zuordnung der Lebenswirklichkeit Rechnung trage, da ja auch Arbeitsentgelt oder Leistungen wie Kindergeld und Wohngeld kalendermonatlich gezahlt würden oder Miete kalendermonatlich zu zahlen sei [Seite 4 Urteilskopie].
Bedeutung
Für bisherige Empfängerinnen und Empfänger von Arbeitslosenhilfe, sofern sie denn schon immer ergänzende Sozialhilfe bezogen haben, ist diese Entscheidung eher bedeutungslos, kann ihnen in der Praxis egal sein, ob das Sozialamt im April für März eine Bescheidänderung mit Neuberechnung vornimmt oder die März-Arbeitslosenhilfe auf die April-Sozialhilfe anrechnet und so weiter.
Bezogen auf den Lohnsteuerjahresausgleich aus einer früheren Beschäftigung, der aber immer erst durch Gesetz nachträglich erstattbar ist, ist die geänderte Rechtsprechung des BVerwG ärgerlich, weil etwas als aktuelles Einkommen angerechnet wird, welches den Betreffenden vorher gesetzlich als Einkommen durch zu hohen Steuerabzug entzogen worden ist.
Von Bedeutung ist die Entscheidung des BVerwG aber nicht nur aktuell für Personen, die Arbeitslosenhilfe bereits beziehen und erst im Laufe der Bezugszeit ergänzende Sozialhilfe (sei es aufgrund von Bedürftigkeit durch gestiegene Mieten, sei es aufgrund von Kinderzuwachs etc.) beantragen und wo das Sozialamt meinte, die am 30. des Vormonats ausgezahlte Arbeitslosenhilfe als Einkommen auf die Sozialhilfe des Folgemonats anrechnen zu können. Nach der Rechtsprechung des BVerwG ist in einem solchen Fall im Folgemonat verbliebenes Einkommen nicht mehr Einkommen, sondern Vermögen, welches bis zur Vermögensfreigrenze nicht angerechnet werden darf.
Bedeutung könnte die Entscheidung hinsichtlich des bisherigen Arbeitslosengeldes und der bisherigen Arbeitslosenhilfe schon zum Jahreswechsel erlangen, wenn die nachträglich gezahlte Arbeitslosenunterstützung (§ 337 Abs. 2 SGB III) in denjenigen Fällen des Arbeitslosengeldbezuges, deren Leistungsbezug zum 31. 12. 2004 ausläuft, und hinsichtlich der dann endenden Arbeitslosenhilfe ohnehin letztmalig im Dezember 2004 gezahlt wird und im Januar 2005 auf das Arbeitslosengeld II als Einkommen angerechnet würde.
Von Bedeutung ist die aktuelle Entscheidung des BVerwG nach Ansicht des Autors auch für zukünftige Fälle des Übergangs von Arbeitslosengeld I auf Arbeitslosengeld II und für Fälle des Hinzuverdienstes bei „erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die erwerbstätig sind“ (§ 30 SGB II).
Auch dürfte nach Ansicht des Autors in Fällen des § 6a SGB II, in denen die Kommunen die Trägeraufgaben der Arbeitsagenturen übernehmen, die Bedeutung gegeben sein, ist es doch gerade das rechtswidrige Verhalten der kommunalen (Sozialhilfe-)Träger gewesen, welches Ausgangspunkt des BVerwG-Urteils ist. Und der Autor teilt nicht die Selbstansicht der Kommunen, die Kompetenz liege vor Ort, wo ein direkter Bezug zu den konkreten Fällen gegeben sei. Vielmehr muß der Versuch, zum Beispiel des Landes Hessen, die Kommunen voll ins Spiel zu bringen, als Versuch betrachtet werden, unter Ausschaltung einer Gleichbehandlung, dort, wo die Bereitschaft zu Sozialsadismus besteht, diesen zu fördern. Bundesländer wie Hessen und Baden-Württemberg und Bayern, Regionen wie das Emsland und das Oldenburger Land in Niedersachsen kämen dafür in Frage. Die kritische Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte hinsichtlich der Pauschalierung von Unterkunftskosten (VG Kassel) oder der Pauschalierungen allgemein (VHG Bayern) legen beredtes Zeugnis ab.
Mit diesem Artikel soll nicht das Grauen an die Wand gemalt werden, aber die realen Vorkommnisse gemahnen zur Wachsamkeit gegenüber staatlichem Handeln.