Als am Heiligabend 2003, gleichsam als Weihnachtsgeschenk an die Arbeitslosen, das Vierte Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt [1], besser bekannt als HARTZ IV, vom Bundestag verabschiedet wurde, da ward mit diesem Artikelgesetz unter Artikel 1 nicht nur das ab 1. Januar 2005 geltende Zweite Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) mit dem Arbeitslosengeld II verabschiedet, sondern es wurde in Artikel 22 Änderung des Sozialgerichtsgesetzes auch festgelegt, daß die neue Leistung, Grundsicherung für Arbeitsuchende genannt, zum Zuständigkeitsbereich der Sozialgerichtsbarkeit gehören sollte.
Ebenso wurde mit dem Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch [2], vom Bundestag einen Tag nach Weihnachten verabschiedet, das neue Sozialhilferecht als Artikel 1 dieses Artikelgesetzes nicht nur als Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) in das Sozialgesetzbuch eingeführt, sondern mit Artikel 38 Änderung des Sozialgerichtsgesetzes bestimmt, daß die bisher der allgemeinen Verwaltungsgerichtsbarkeit zugeordnete Sozialhilfe (BSHG) nun auch der Sozialgerichtsbarkeit zugeordnet sein sollte.
Am 30. Juli 2004, wohl gebissen von den Hundstagen, hat dann der Bundestag das Gesetz zur optionalen Trägerschaft von Kommunen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (Kommunales Optionsgesetz) [3] verabschiedet.
In diesem Artikelgesetz wurde nun aber nicht nur im Hinblick auf die sogenannten Optionskommunen [4] nach § 6a SGB II mit Artikel 1 das SGB II entsprechend geändert, sondern hinsichtlich der Änderung anderer Artikel aus dem HARTZ IV-Gesetz unter Artikel 14 Änderung des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt unter Nummer 3b bestimmt: „Artikel 22 wird aufgehoben“.
Damit wurde gerade jener Artikel aus HARTZ IV aufgehoben, der bestimmte, daß für die Leistungen nach dem SGB II die Sozialgerichtsbarkeit zuständig ist.
Haarsträubend, wenn man bedenkt, daß seit Mai 2004 der Regierungsentwurf eines 7. Änderungsgesetzes zum Sozialgerichtsgesetz unterwegs war [5]. Bei der Beschlußempfehlung des zuständigen Bundestagsausschusses für Gesundheit und Soziale Sicherung vom September 2004 [6] hieß es dann in der Begründung zu Nummer 10, den § 51 SGG betreffend:
„Übernahme der Regelung des Regierungsentwurfs und redaktionelle Änderung. Die redaktionelle Änderung beruht auf dem Umstand, dass die Rechtswegzuweisung im Hinblick auf die Grundsicherung für Arbeitsuchende zu den Sozialgerichten durch Artikel 22 des Vierten Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt mittlerweile durch das Kommunale Optionsgesetz aufgehoben worden ist. Die Aufhebung erfolgte jedoch lediglich deshalb, weil von einer umfassenden Regelung durch das 7. SGGÄndG ausgegangen wurde.“
Ist wohl ein bißchen gelogen, denn schon der Regierungsentwurf vom Mai 2004 enthielt die Bemerkung, es handele sich um eine redaktionelle Änderung, was zu dem Zeitpunkt Sinn machte, weil ja mit Artikel 22 aus dem HARTZ IV-Gesetz die Zuordnung der SGB II-Angelegenheiten zur Sozialgerichtsbarkeit bereits gegeben war. Also doch keine „redaktionelle Änderung“ durch den Sozialausschuß, sondern eine rechtlich notwendige Bestimmung. Aber wer gibt schon gerne Schlampigkeit und Inkompetenz zu.
Am 26. November 2004 verabschiedete nun der Bundestag mit den Stimmen der Regierungskoalition das Siebte Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes (7.SGGÄndG) [7]. Gleichzeitig wurde der Einspruch des Bundesrates [8], der das Gesetz für zustimmungspflichtig hält, zurückgewiesen.
Damit beginnt aber das eigentliche Problem, das der Präsident des Oberverwaltungsgerichtes Münster in einer Pressemitteilung vom 29. November 2004 [9] so formulierte:
„Das Dilemma: Der Bundesrat hat dem Änderungsgesetz wegen sachlicher Bedenken die Zustimmung versagt. Der Bundestag ist auf diese Bedenken nicht eingegangen. Die Zustimmungsbedürftigkeit hat er verneint. Nun muss der Bundespräsident prüfen, ob er auch ohne Einigung zwischen Bundesrat und Bundestag das Gesetz unterzeichnen kann. Hält auch der Bundespräsident das Gesetz für zustimmungsbedürftig, wird er nicht unterzeichnen; das Gesetz kann nicht in Kraft treten. Konsequenz: In Streitigkeiten um das Arbeitslosengeld II fehlt eine gesetzliche Zuweisung an die Sozialgerichte. Ohne diese Zuweisung wären die Verwaltungsgerichte zuständig. Weitere Konsequenz: In sozialhilferechtlichen Streitigkeiten wäre die Besetzung der Richterbank weiterhin nicht geregelt. Hält der Bundespräsident das Gesetz im Gegensatz zum Bundesrat nicht für zustimmungsbedürftig, wird er unterzeichnen. Damit wäre die Frage nach dem verfassungsmäßigen Zustandekommen des Gesetzes allerdings nicht vom Tisch. Diese Frage – und damit die nach dem gesetzlichen Richter – wäre vielmehr fortan ein Sprengsatz für jede gerichtliche Streitigkeit um Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld II. Entschärfen müsste diesen Sprengsatz im Falle seiner Anrufung das Bundesverfassungsgericht.“
Also, zusammengefaßt:
Entweder kein 7.SGGÄndG und damit gilt die mit dem Kommunalen Optionsgesetz dämlicherweise abgeschaffte Zuständigkeit der Sozialgerichte, womit dann ab 1. Januar 2005 für die AlgII-Bescheide, weil es sich um Verwaltungsakte handelt, die Verwaltungsgerichtsbarkeit zuständig wäre.
Aktualisierung: Zumindest diese erste Variante hat sich erledigt: das Gesetz wurde am 9. Dezember 2004 unterzeichnet [BGBl. I, Nr. 66, 14. Dezember 2004, S. 3304]. Allerdings nicht durch den amtierenden Bundespräsidenten Horst Köhler von der CDU, sondern durch seinen Stellvertreter im Amt, dem amtierenden Präsidenten des Bundesrates und Ministerpräsident von Brandenburg, Matthias Platzeck von der SPD!
Oder ein unter Bruch von Verfassungsrechten zustande gekommenes 7.SGGÄndG, dann wäre bei jedem AlgII-Verfahren vor den Sozialgerichten erstmal deren Zuständigkeit zu klären, und zwar durch Vorlage an das Bundesverfassungsgericht, weil die Frage der Zuständigkeit in diesem Fall nicht eine Frage der Regelung unter Gesetzen ist, sondern mit der Frage nach dem verfassungskonformen Zustandekommen des 7.SGGÄndG unmittelbar verknüpft ist.
Wie dem auch sei, gearscht sind die Arbeitslosen, deren Verfahren verzögert werden, wenn erstmal die Zuständigkeit der Gerichte geprüft werden muß, oder wenn auch nur eine bei einem Sozialgericht erhobene Klage durch dieses möglicherweise per Verweisungsbeschluß an ein Verwaltungsgericht übertragen werden müßte. Dasselbe Dilemma gilt dann auch für Anträge auf Einstweilige Anordnungen, um im Januar 2005 kurzfristig im Falle von Leistungsversagungen gegen die AlgII-Bescheide vorgehen zu können.
Aber die Kompetenz – siehe auch die Schlampigkeit und Inkompetenz mit dem Nichtfunktionieren der A2LL-Software zur Berechnung des Arbeitslosengeldes II – ist ja mittlerweile arbeitslos.