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Herbert Masslau

Arbeitslosengeld II und – kein Urlaub

(24. Juni 2004)

 

 

Mit der Abschaffung der Arbeitslosenhilfe zum 1. Januar 2005 und der damit verbundenen Versozialhilferisierung der Betroffenen stellt sich berechtigt die Frage: Wie steht es denn in Zukunft mit dem Familienurlaub?

Bisher beinhaltet die Erreichbarkeitsanordnung (EAO), daß ein Aufenthalt des Arbeitslosen „außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereiches“ einer „Verfügbarkeit bis zu drei Wochen im Kalenderjahr nicht entgegen“ steht (§ 3 Abs. 1 EAO).

Mit dem „Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ (=Hartz IV =SGB II – BGBl. I, Nr. 66, 29.12.2003, S. 2954 ff. –) wird keine entsprechende Regelung plaziert. Damit gilt für die zukünftigen Empfängerinnen und Empfänger des Arbeitslosengeldes II (SGB II) die dem SGB III (Arbeitslosengeld I) zugeordnete Erreichbarkeitsanordnung nicht mehr.

Um in der angesprochenen Frage weiter zu kommen, ist ein Rückgriff auf die Sozialhilfepraxis nötig.

Im bisherigen Sozialhilferecht ist zwar auf der gesetzlichen Ebene kein Urlaub (Ortsabwesenheit) vorgesehen, dieser wurde aber auch Sozialhilfe beziehenden Personen in der Vergangenheit zumindest in gleicher Dauer wie Arbeitslosenhilfe beziehenden Personen zugestanden.

Beispielhaft sei erwähnt, daß die Sozialhilferichtlinien des Bundeslandes Baden-Württemberg die Weitergewährung der Sozialhilfe bei einem Urlaubsaufenthalt bis zu drei Wochen vorsehen.

Dabei wurde in der Vergangenheit davon ausgegangen, daß die betreffenden Personen den alltäglichen Bedarf und die Fahrtkosten aus dem Regelsatz bestreiten, und daß die Miete weiterhin anfällt und entsprechend beglichen werden muß.

Aber: Da diese Richtlinien der Bundesländer keine Rechtsnormen sind und den örtlichen Sozialhilfeträgern (Kommunen) durch das Bundessozialhilfegesetz (§ 96 BSHG) ein eigenener Rechtsraum zugestanden ist, sind diese Richtlinien nicht rechtsverbindlich. Dies führte im Falle der Stadt Mannheim [Sitzung des Gemeinderates am 16.12.2003 – Beschlußvorlage 583/2003] bereits 2004 dazu, daß „(d)ie Regelung in den Sozialhilferichtlinien Baden-Württemberg, dass bei Urlaubsaufenthalt bis zu drei Wochen die Hilfe weiter gewährt wird, (...) aufgehoben (wird)“. [Siehe hierzu meinen Artikel „Sozialraubbau bei der Sozialhilfe“ unter http://www.HerbertMasslau.de/pageID_1048894.html oder im linken Inhalts-Frame unter „Sozialhilfe“ die Unterseite „Sozialhilfekürzung“.]

Die Stadt Mannheim hat hier sicherlich nicht in Erwartung baldiger Beseitigung dieser restriktiven Lösung so gehandelt. Vielmehr darf umgekehrt davon ausgegangen werden, daß hier bereits 2004 quasi als Vorwegnahme eine Regelung etabliert wurde, die im übertragenen Sinne ab Januar 2005 dann auch für die Arbeitslosengeld II beziehenden Personen auf höherer Ebene anvisiert wurde und wird.

Nun kann an dieser Stelle zwar noch nicht definitiv behauptet werden, daß es bis zum Beginn des Jahres 2005 auch auf untergesetzlicher Ebene keine Regelung geben wird (z.B. als Durchführungsanordnung – nicht zu verwechseln mit einer quasi-gesetzlichen Ausführungsverordnung –), aber alles Bisherige deutet nicht darauf hin.

Damit stellt sich die Frage nach den Konsequenzen jenseits der bloßen Versagung eines Urlaubs, insbesondere eines Familienurlaubs.

Das Problem soll hier nur angerissen werden. Wie es dann im jeweiligen konkreten Einzelfall aussieht, hängt von vielen Dingen ab.

Grundsätzlich läßt sich das Problem in zwei Fallgruppen trennen:

a) Alleinerziehende, die hilfebedürftig sind, deren Kinder aber aufgrund von Kindergeld und entsprechend hohem Unterhalt nicht hilfebedürftig sind (Fallgruppe § 9 Abs. 5 SGB II) sowie eheliche, partnerschaftliche und eheähnliche Gemeinschaften, in denen ein Partner nicht selber anspruchsberechtigt ist aufgrund bedarfsdeckenden Arbeitseinkommens [Zur Anspruchsproblematik Alleinerziehender mit eigenem Arbeitseinkommen, wo nur die Kinder hilfebedürftig sind siehe meinen Artikel „SGB II – Was ist eine Bedarfsgemeinschaft?“ unter http://www.HerbertMasslau.de/pageID_1371268.html oder im linken Inhalts-Frame unter „Alg II / SGB II“ die Unterseite „Alg II + Bedarfsgem.“]

b) Haushalte, wo alle Personen hilfebedürftig sind.

Im Falle von a) stellt sich die Verfassungsfrage. Und zwar einmal hinsichtlich des Artikel 2 Grundgesetz (freie Entfaltung der Persönlichkeit): Darf einem selber nicht anspruchsberechtigten, weil nicht hilfebedürftigen Elternteil der Familienurlaub verweigert werden bzw. dieser Elternteil, oder im Falle der Kinder diesen, der Urlaub ohne Kinder bzw. ohne Eltern aufgezwungen werden? Zum anderen hinsichtlich des Artikel 6 Grundgesetz, der die Familie unter den besonderen Schutz des Staates stellt.

Zwar sollen laut § 1 Abs. 1 Nr. 4 SGB II die „familienspezifischen Lebensverhältnisse von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen“ berücksichtigt werden, ob dies aber einen Anspruch auf Familienurlaub beinhaltet darf doch stark bezweifelt werden.

Im Falle von b) sind keine vergleichbaren Verfassungsrechte betroffen. Und Urlaub dürfte sicherlich nicht zur Würde des Menschen (Artikel 1 Grundgesetz) zählen, schon gar nicht, wenn die unteren Einkommensschichten – der bisherige Entwurf für eine Regelsatzverordnung zu § 28 SGB XII (Sozialhilfe) sieht in § 2 Abs. 3 die Verbrauchsausgaben der untersten 20 Prozent der Einkommenshaushalte ohne Sozialhilfehaushalte vor [http://www.bmgs.bund.de/download/gesetze/sozialhilfe/RSVBGBl.pdf] – aufgrund prekärer Einkommensverhältnisse keinen Urlaub mehr machen (können).

Abschließend kann nur festgestellt werden: Augen auf und klagen, sollten Familien nicht mehr gemeinsam oder gar überhaupt nicht mehr Urlaub machen dürfen.

 

 

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