Im Sauseschritt erfolgt jetzt der Sozialraubbau zu Lasten der Arbeitslosen und der Sozialhilfe beziehenden Menschen. Wie dies vonstatten geht, wird zunehmend konkreter je näher das Jahr 2004 rückt, genauer der 1. Juli 2004 [1. Januar 2005], der Tag, an dem Millionen von Menschen samt ihren Familien weitestgehend aus dem Markt genommen werden. Abschaffung der Arbeitslosenhilfe, aber auch Senkung der Sozialhilfe bei gleichzeitig steigenden Gebühren und Abgaben, Einführung von Zuzahlungen für fast Alles und Jedes im Gesundheitswesen, während auf der anderen Seite die Sozialraubritter immer unverschämter die öffentlichen Kassen plündern wie die kommunalen Korruptionsaffären in Köln und anderswo belegen, bis hin zum Chef der Bundesanstalt für Arbeit, der das Recht umging und beinahe einem Club mittelmäßiger und abgehalfteter Politiker in Form einer Werbefirma Gelder in Millionenhöhe zugeschustert hätte.
Hier also ein Beispiel, am Beispiel der Stadt Mannheim, wie Sozialhilfeleistungen regide gekürzt werden sollen. „Entlastend“ für die Stadt Mannheim sei lediglich angeführt, daß sie das Pech hat just mit ihrem Vorhaben im Internet gefunden werden zu können. Will sagen, die anderen Kommunen machen Vergleichbares oder werden es noch machen.
Und eines verdeutlicht das Beispiel Mannheim exemplarisch schon jetzt: den Versuch, sozusagen durch ein kommunales Rechtsmultikulti zukünftig der Wirkung übergeordneter Gerichtsurteile zu entgehen, und zwar schon vor dem 1. Juli 2004 [1. Januar 2005], bevor mit dem neuen SGB II und SGB XII ohnehin die „Regellosigkeit“ zur Gesetzesnorm erhoben wird. (*)
Blanker Zynismus
Die ab 1. Juli 2004 im – Zitat – „Echtbetrieb“ geplanten regiden Kürzungen bei der Sozialhilfe heißen – nach Änderung des Beschlußtextes auf der abschließenden Gemeinderatssitzung vom 16.12.2003 – „Programm des Fachbereiches Soziale Sicherung, Arbeitshilfen und Senioren zur aktivierenden Sozialhilfe und Anpassung von Leistungen“.
Was da jetzt etwas harmlos als „aktivierende Sozialhilfe und Anpassung von Leistungen“ daherkommt, hieß bis dahin „Programm des Fachbereiches Soziale Sicherung, Arbeitshilfen und Senioren zur Haushaltskonsolidierung durch Verbesserung der Sozialhilfe“.
Und in der Tat, das mußte schon im Zusammenhang gelesen werden, sonst könnte wer auf die Idee kommen, bei der Verbesserung der Sozialhilfe ginge es um Verbesserungen für die Sozialhilfe beziehenden Menschen. Nein, es geht um die Verbesserung der Sozialhilfe aus dem Blickwinkel des Stadtsäckels, und das meint „Anpassung von Leistungen“ der Sozialhilfe nach unten, also Kürzungen.
In der Kurzfassung des Sachverhaltes heißt es dazu:
„Das gezielte Ressourcen- und Kostenmanagement wird der zunehmenden Sozialhilfebedürtigkeit der Menschen in Mannheim entgegenwirken und nach heutigen, vorsichtigen Einschätzungen zu Einsparungen bei den Sozialhilfeausgaben von insgesamt mehr als 21 Mio. Euro in den Jahren 2004 bis 2006 führen.“
Der „Sozialhilfebedürftigkeit entgegenwirken“ meint aber nicht, die Menschen aus der Bedürftigkeit herauszubringen, sondern durch Kürzung der Sozialhilfeleistungen die Bedürftigkeit verringern. Also, wenn für Miete weniger gezahlt wird, wenn für Haushaltsgegenstände weniger an Einmaligen Leistungen gezahlt wird, dann sinkt auch die Bedürftigkeit der betreffenden Menschen. Sogenannte Minderbemittelte gemäß § 21 Abs. 2 BSHG oder Personen mit Anspruch auf ergänzende Sozialhilfe könnten aufgrund gekürzter Zahlungshöhe ganz herausfallen.
Selbstgezogenes Fazit der Stadt Mannheim:
„Im Ergebnis werden vom 2. Halbjahr 2004 an jährlich mehrere hundert Fälle weniger im Fachbereich zu bearbeiten sein...“
Und das eben nicht durch Vermittlung in Arbeit!
Die gekürzten Leistungen
Beispiel: Kürzung der Unterkunftskosten
„Die Mietobergrenzen ... liegen gegenwärtig bei max. 6 Euro/qm. ... Eine Abfrage unter verschiedenen Sozialhilfeträgern ergab...: in Kassel liegt die Obergrenze bei 4,25 Euro, in Augsburg bei 4,00 Euro, in Karlsruhe bei 4,75 Euro, in Koblenz bei 4,40 Euro. Einige Träger haben zudem die für Alleinstehende akzeptierte maximale Wohnungsgröße von 45 qm abgesenkt [(*)], was selbstverständlich weitere Einsparungseffekte mit sich bringt.“
„Die Mieten werden entsprechend dem Durchschnittswert des aktuellen Mietspiegels auf mindestens 5,28 Euro/qm abgesenkt ... .“
„Für junge Alleinstehende werden die Mietobergrenzen auf das BAFöG-Niveau reduziert. Damit wird eine Gleichbehandlung mit Schülern/innen und Studenten/innen erreicht, die auch staatliche Transferleistungen erhalten. ... Es wäre sehr hilfreich, wenn z.B. Wohnungsbaugesellschaften preiswerte möblierte Zimmer für Wohngemeinschaften anbieten würden.“
Zunächst einmal ist eine statistische Augenwischerei – nicht zwecks Klarsicht, sondern zwecks Verschleierung – zu konstatieren: durch einen Quadratmeterpreisvergleich von Mannheim (1999: 320.000 Einw.) mit Städten, die wie Koblenz nur ein Drittel der Bevölkerung (2002: 107.000 Einw.) oder wie Kassel nur zwei Drittel der Bevölkerung (2001: 195.000 Einw.) haben; allenfalls Karlsruhe (2002: 295.000 Einw.) ist von ähnlicher Größenordnung.
Daß es bei Studenten zwar durchaus zum Sozialstatus gehört, in Wohngemeinschaften mit anderen Studierenden zu wohnen, dies aber allgemein auf die Gesellschaft nicht übertragbar ist, kommt den Mannheimer Sozialraubrittern nicht in den Sinn. Sicher, so wie sich Studenten einer Wohngemeinschaft über ihr Studium unterhalten, könnten sich zwangsverwohngemeinschaftete Sozialhilfebezieherinnen und -bezieher über Erfahrungen mit „ihrem“ Sozialamt austauschen – gäb bestimmt jede Menge Gesprächsstoff, vielleicht sogar kollektive Renitenz nach dem Motto „gemeinsam sind wir stark“.
Beispiel: Kürzung Einmaliger Leistungen für Möbel und Elektrogeräte
„Bei Möbeln und Elektrogeräten wird noch stärker als bisher auf den Gebrauchtwarenhandel bzw. die Möbellager sozialer Organisationen verwiesen. ... , sodass bis auf wenige Ausnahmen (z.B. Matratzen) auf gebrauchte Artikel zurückgegriffen werden kann. Die Neupreise für Möbel werden halbiert ... .“
Letzteres sieht dann – hier nur exemplarisch an einigen Beispielen – so aus:
Küchenschrank statt bisher 125 Euro dann nur noch 62,50 Euro; Küchentisch 70x100 cm statt bisher 90 Euro dann nur noch 45 Euro; Wohnzimmerschrank statt bisher 575 Euro dann nur noch 287,50 Euro; Wonhzimmertisch statt bisher 35 Euro dann nur noch 17,50 Euro; Einzelbett komplett statt bisher 132 Euro dann nur noch 66 Euro; Kinderbett komplett statt bisher 159 Euro dann nur noch 79,50 Euro.
Klar, die ganzen Minijobber in Zukunft können sich dann auch nur noch gebrauchte Möbel leisten, und die stellen dann schließlich jenes untere Konsumbevölkerungsdrittel, an welchem sich die Sozialhilfe orientieren soll.
Beispiel: Bekleidungsbeihilfen
„Bei den Bekleidungsbeihilfen wird eine Kostensenkung durch eine verstärkte Inanspruchnahme von Pauschalen angestrebt: § 101a BSHG bietet schon heute die Möglichkeit...“
Hatten wir es nicht längst geahnt: die Pauschalierung dient eben doch nicht der immer wieder behaupteten Stärkung der „Eigenverantwortung“ der Sozialhilfe beziehenden Menschen, sondern der Kürzung der Leistungen der Sozialhilfe.
Auch hier wieder exemplarisch einige konkrete Zahlenbeispiele:
„Ergänzungspauschale für Bekleidung und Schuhe: bisher wurden in Mannheim durchschnittlich rund 260 Euro pro Jahr und Person gwährt. In Anpassung an den Wirtschaftsraum Rhein-Neckar wird die Pauschale einheitlich – alle für alle Altersgruppen und unabhängig vom Geschlecht – auf 240 Euro pro Jahr abgesenkt.“ – „Bekleidungsbeihilfe für Kleinstkinder bis zu einem Jahr: bisher wurden aufgrund eines Gemeinderatsbeschlusses aus dem Jahr 2000 608 Euro entgegen den Regelungen in den Sozialhilferichtlinien (dort sind 328 Euro vorgesehen) gewährt. In Anpassung an den Wirtschaftsraum Rhein-Neckar wird die Pauschale auf 255 Euro abgesenkt.“ – „Bekleidungspauschale für Schwangere: für Schwangere wird eine Bekleidungspauschale von 291 Euro gewährt. ... In Anpassung an den Wirtschaftsraum Rhein-Neckar wird die Pauschale auf 128 Euro abgesenkt.“
Soviel zum Geschwätz von der Förderung der Familien.
Bleibt nur noch die Frage, ob die Mannheimer Geschäftswelt ihre Preise auch auf das Rhein-Neckar-Niveau absenkt!
Beispiel: Mehraufwandsentschädigung für Gemeinnützige Arbeit
„Um mehr Hilfesuchenden die Chance zu geben, gemeinnützig zu arbeiten, wird die Mehraufwandsentschädigung je Arbeitsstunde auf 1 Euro abgesenkt, unabhängig davon, um welche Tätigkeit es sich handelt.“ Bisher zahlt die Stadt Mannheim im Regelfall 2 Euro bzw. 2,30 Euro bei besonders schwerer/schmutziger/gefährlicher Arbeit.
„Die so entstehenden Wenigerausgaben von 200.000 Euro werden dafür verwendet, weitere Hilfesuchende in gemeinnütziger Arbeit zu beschäftigen.“
Also, ganz deutlich: Verdopplung der Gemeinnützigen Arbeit durch Halbierung der Aufwandsentschädigung! Die Kosteneinsparung für die Stadt Mannheim ergibt sich in diesem Fall indirekt über den Wert der verdoppelten Zwangsarbeit.
Und noch ein Beispiel
„Die Regelung in den Sozialhilferichtlinien Baden-Württemberg, dass bei Urlaubsaufenthalt bis zu drei Wochen die Hilfe weiter gewährt wird, wird aufgehoben.“ (*)
Juristisch interessant ist in diesem Zusammenhang die Frage, ob zum Beispiel Familien, wo ein Elternteil, der BAföG bezieht und wegen § 26 BSHG vom Sozialhilfebezug ausgeschlossen ist oder als Geringverdiener seinen Sozialhilfebedarf selber deckt, nur noch in Teilen in Urlaub fahren dürfen, was eindeutig ein Verstoß gegen Artikel 6 Grundgesetz (Schutz von Ehe und Familie) wäre.
Nachbemerkung
Die hier optisch in kursiv und Anführungszeichen wiedergegebenen Textpassagen stammen alle aus der Beschlußvorlage Nr. 583/2003 der Stadt Mannheim. Diese Beschlußvorlage wurde am 16.12.2003 in der Sitzung des Gemeinderates der Stadt Mannheim bei 45 teilnehmenden Ratsmitgliedern mit nur drei Gegenstimmen beschlossen.
Als Quelle für diesen Artikel diente mir die Internetseite der Stadt Mannheim, ferner eine Auskunft der Stadt Mannheim.
Wer sich auch später noch den Originaltext des Programms zu Gemüte führen möchte, greift besser auf den pdf-Download zurück, den „labournet.de“ auf seiner Internetseite eingestellt hat.
(*) Anmerkung: Bei der Sozialhilfe liegt die Gesetzgebungskompetenz beim Bund. Artikel 20 Grundgesetz bestimmt die Bundesrepublik als sozialen Rechtsstaat, was bedeutet, daß das Existenzminimum nicht der „Willkür“ des Förderalismus geopfert werden darf. Da aber gemäß § 96 BSHG die Kommunen als örtliche Träger der Sozialhilfe bestimmt sind und die Länder die überörtlichen Träger festlegen, ist dennoch eine gewisse Ungleichbehandlung, sprich: Willkür, möglich. So ist die Regelsatzverordnung, die die grundlegenden Inhalte, was mit den Regelsätzen umfaßt sein soll, Bundesrecht. Die Höhe der Regelsätze hingegen ist Länderrecht (§ 22 Abs. 2 BSHG). Die Länder erlassen Länderverordnungen zur Ausführung des Bundesrechts. Deshalb gibt es der Höhe nach unterschiedliche Regelsätze für die einzelnen Bundesländer; in Bayern sogar für einzelne besondere Kommunen (Münche/Land, München/Stadt, Nürnberg, Ingolstadt, Starnberg) auf der Maßgabe des § 22 Abs. 2 Satz 2 BSHG, wonach die Länder nur einen Mindestregelsatz festlegen müssen. Die Kommunen als Sozialhilfeträger insbesondere für die HLU erlassen ihrerseits örtliche Richtlinien, die nur für den Bereich des kommunalen Sozialhilfeträgers, also des jeweiligen Landkreises bzw. der jeweiligen kreisfreien Stadt, gelten. Hieraus ergibt sich zum Beispiel die Unterschiedlichkeit bei den Beträgen für Bekleidung. Zwar erlassen die Länder Empfehlungen für Richtlinien, zum Beispiel für die „angemessene“ Wohnungsgröße in m². Diese Empfehlungen der Länder sind aber für die örtlichen Sozialhilfeträger nur bindend, sofern die Kommunen sie in ihre Richtlinien übernehmen. – Zu den Richtlinien sei noch grundsätzlich angemerkt, daß sie keine Rechtsnorm (Gesetz, Verordnung oder dem Inhalt nach Gleichgestelltes) sind, mithin nicht die Gerichte binden, sondern lediglich die öffentliche Verwaltung. Aus dem Gleicheitsgrundsatz des Artikel 3 Grundgesetz folgt aber zwingend, daß im Regelfall alle Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger im Zuständigkeitsbereich des betreffenden Sozialhilfeträgers gleich behandelt werden müssen; eine eventuelle Ungleichbehandlung ist dann wieder, eben wegen der möglichen Verletzung von Verfassungsrecht, gerichtlich überprüfbar.