Zur Verfassungswidrigkeit der
Unterkunftskostenregelung im SGB II
(11. März 2015)
Der Gesetzgeber hat in § 22 SGB II den Begriff der ‚Unterkunft’
gewählt.
Der Begriff der ‚Unterkunft’ unterscheidet sich vom Begriff
der ‚Wohnung’.
‚Wohnung’ meint eine Unterkunft in Abhängigkeit vom
individuellen Lebensstandard, welcher sehr unterschiedlich ausfallen kann,
insbesondere im Falle des erstmaligen SGB II-Bezuges.
Der Gesetzgeber wollte aber nur den unteren Standard, wie er
das für die Regelleistung in § 4 RBEG geregelt hat.
Für den Unterkunftsbedarf fehlt eine vergleichbare Regelung.
Da aber der Unterkunftsbedarf aus sachlichen Gründen aus dem Regelbedarf herausgenommen
wurde, weil Unterkunftskosten regional größere Unterschiede aufweisen als
sonstige Konsumgüter und durch die Vermieter auch viel stärker einer erwarteten
Gewinnmaximierung unterworfen sind, hätte sich dem Gesetzgeber die
Normierungspflicht, wie sie sich aus BVerfG, Az.: 1 BvL 1/09 u.a., Rdnr. 133
ergibt, aufdrängen müssen.
‚Unterkunft’ meint auch nicht – worauf das BSG hinweist [BSG,
Urteil vom 17. Juni 2010, Az.: B 14 AS 58/09 R, Rdnr. 28; BSG, Urteil vom 16.
Dezember 2008, Az.: B 4 AS 1/08 R, Rdnr. 16] –, den nackten Schutz vor
Witterung (Regen, Wind, Kälte), sondern hat wie die Regelleistung eine
sozio-kulturelle Komponente.
So wie „Hartz IV“ beziehende Menschen in der Gesellschaft
nicht als solche auszuweisen sein sollen durch Deckung eines sozio-kulturellen
Existenzminimums über die Regelleistung, so darf auch die Deckung der
Unterkunftskosten über den Begriff der ‚Angemessenheit’ nicht dazu führen, daß
eine de facto Ghettoisierung stattfindet, die die Bewohner bestimmter
Stadtteile als „Hartz IV“ beziehende Menschen öffentlich kenntlich macht.
Das BSG hat allerdings zwar das Verbot der Ghettoisierung
hervorgehoben [stellvertretend: BSG, Urteil vom 17. Dezember 2009, Az.: B 4 AS
27/09 R, Rdnr. 18], dabei aber nicht berücksichtigt, daß die von ihm gewählte
sog. ‚Produkttheorie’ gerade in den letzten Jahren in krassem
Widerspruch zum Grundrecht auf Wohnen steht. Dadurch, daß Wohnungen
mittlerweile zu einem starken Spekulationsobjekt geworden sind für Fonds aller
Art, sind insbesondere in Metropolen wie München und Hamburg, aber auch in
allen Universitätsstädten trotz nicht gestiegener Bevölkerungszahlen die Mieten
überproportional gestiegen. Dabei drückt der Quadratmeterpreis eben nicht mehr,
wie immer noch vom BSG behauptet, den Wohnstandard aus. Gerade Städte wie
Hamburg oder München belegen, wie Wohnungen, die bisher von der sog.
Mittelschicht bewohnt wurden, für diese nicht mehr bezahlbar sind, nicht, weil
es sich um Luxuswohnungen handelt, sondern weil Luxusmieten gefordert werden,
weil es der Markt hergibt aufgrund des enormen Auseinanderdriftens der
Einkommensschere. Die früher gutbezahlte Mittelschicht zieht in Wohnungen
mittleren bis unteren Standards, die bisher von Menschen mit auskömmlichem
Einkommen bewohnt wurden. Für „Hartz IV“ beziehende Menschen bleibt oft nur der
unterste Standard oder es existiert gar kein Wohnungsmarkt mehr – so wurde in
den letzten 20 Jahren in Göttingen Wohnraum, wenn überhaupt, fast
ausschließlich im gehobenen Mietpreissegment geschaffen –, so daß die
Diskrepanz zwischen tatsächlichen Unterkunftskosten und ‚angemessenen’ immer
größer wird, weswegen diese Menschen mittlerweile im Wintermantel im Dunkeln
sitzen, weil sie zuerst an Heiz- und Stromkosten sparen und das Essen von den
sog. ‚Tafeln’ holen, um ihre Wohnung behalten zu können.
Die fehlende verfassungswidrige gesetzliche Regelung ist
einer politischen Entscheidung geschuldet, die den Kommunen ermöglichen sollte,
bei gemäß der aktuell praktizierten Austeritätspolitik und damit
einhergehend kurzgehaltenen Bundeszuschüssen, sich dennoch der steigenden
Kosten über den Begriff der ‚Angemessenheit’ entledigen zu können.
Das BSG übersieht dabei in seinen Entscheidungen B 4 AS
16/11 R und B 4 AS 87/12 R, daß gerade in den Städten, sofern sie nicht wie das
Ruhrgebiet teilweise sinkende Mietpreise aufzuweisen haben aufgrund der
dortigen De-Industrialisierung, die Mieten überproportional steigen und eben
nicht mehr per Deckelung durch die Tabellenwerte WoGG plus 10%
Sicherheitsaufschlag das Grundrecht Wohnen abdecken. Wenn in Göttingen seit
2009 die Mietpreise um 27,7 % gestiegen sind [http://www.immobilienscout24.de/content/dam/is24/documents/anbieten/gewerbliche-anbieter/is24-immobilienreport-2014.pdf],
dann wird dies nicht mehr aufgefangen durch um 10 % erhöhte Tabellenwerte WoGG
2009, zumal der Sicherheitsaufschlag eine andere Funktion hat als die Deckung
von Preissteigerung. Das heißt, neben dem Sicherheitsaufschlag müßten in
Göttingen die Tabellenwerte WoGG 2009 zusätzlich um 28 %, insgesamt also 38 %
erhöht werden – mindestens. Der Autor kommt aber selbst bei Aufschlägen von 55 %
– hier hat er seine Suche abgebrochen – zu keinem befriedigenden Ergebnis, weil
es einfach keinen Wohnraum mehr gibt, der anmietbar wäre, was seine Ursache in
fehlendem Wohnraum hat. Dann aber müßten auch die ‚nicht angemessenen’ Unterkunftskosten
übernommen werden. Dies wird aber von der Exekutive und den Sozialgerichten
verweigert mit Hinweis auf die BSG-Rechtsprechung [stellvertretend: BSG, Urteil
vom 22. März 2012, Az.: B 4 AS 16/11 R, Rdnr. 22; BSG, Urteil vom 12. Dezember 2013,
Az.: B 4 AS 87/12 R, Rdnr. 26] und deren Deckelung der KdU durch die
Tabellenwerte WoGG plus Sicherheitsaufschlag. Eine unlösbare Situation, solange
der Gesetzgeber (Legislative) die Judikative zwingt, den Begriff der
‚Angemessenheit’ auszulegen, ohne daß der Gesetzgeber den Rahmen für das
Existenzminimum Wohnen [BVerfG, Urteil vom 9. Februar 2010, Az.: 1 BvL 1/09
u.a., Rdnr. 135] abgesteckt hat. Daß dabei die Exekutive, aber leider auch die
Mehrheit der Judikative – erwähnt sei nur die Rechtsprechung des LSG NRW,
wonach ein Eilrechtsgrund erst besteht, wenn eine Räumungsklage gegen die „Hartz
IV“ Beziehenden vorliege – in menschenverachtender Weise dazu neigt, die
Unterkunftskosten nach unten zu drücken, ist nur möglich – aber politisch so
beabsichtigt ! –, weil der Gesetzgeber in verfassungswidriger Weise den unbestimmten
Rechtsbegriff ‚Angemessenheit’ nicht selber mit einer gesetzlichen
Rahmenbestimmung im § 22 SGB II ausgestaltet hat.
Hier greift nun der Vorlagebeschluß des SG Mainz
[Beschluß vom 12. Dezember 2014, Az.: S 3 AS 130/14] an, indem das Gericht
unter Bezugnahme auf die Existenzsicherungsrelevanz, wie sie sich aus dem
ersten Regelleistungsurteil des Bundesverfassungsgerichts [BVerfG, Urteil vom
9. Februar 2010, Az.: 1 BvL 1/09 u.a.] ergibt, § 22 SGB II für
verfassungswidrig hält, weil der Gesetzgeber hinsichtlich der KdU nicht wie bei
der Regelleistung die wesentlichen Grundlagen selbst geregelt hat im Gesetz,
sondern mit dem unbestimmten Rechtsbegriff der ‚Angemessenheit’ der
Grundsicherungsverwaltung und den Sozialgerichten die Bestimmung des
Existenzminimums bezogen auf die KdU überläßt. Das SG Mainz konkret dazu:
„So ist im Gesetz bereits nicht geregelt, ob sich die
Angemessenheit (…) nach den örtlichen Wohnverhältnissen richtet und wie diese
räumlich abzugrenzen sind. Es fehlt eine Festlegung, welches Bevölkerungs- oder
Einkommenssegment als Bezugsgröße für einen angemessenen Wohnstandard verwendet
werden soll. Es gibt keine Regelung darüber, ob sich die Angemessenheitsgrenze
auf ein Individuum, eine Bedarfsgemeinschaft im Sinne des § 7 Abs. 3 SGB II
oder auf eine Haushaltsgemeinschaft beziehen soll. Auch für die Anwendung der ‚Produkttheorie’
gibt es keine Rechtsgrundlage, daher auch keine Regelungen dazu, welche
Wohnflächengrenzen gegebenenfalls zu Grunde zu legen wären. Es gibt weder eine
Regelung über die Verpflichtung oder gar über die Befugnis des Leistungsträgers
zur Datenerhebung, noch über deren Art und Umfang.“ [SG Mainz, Beschluß vom
12. Dezember 2014, Az.: S 3 AS 130/14, Punkt II.2.3.2 b) – zit.n. Abdruck auf http://srif.de/files/1424969902_SGMainz_12122014_Volltext.pdf
(S. 92) „Sozialrecht in Freiburg“]
Ohne die örtlichen Unterschiede, welche bei den
Unterkunftskosten erheblich größer sind als bei der Regelleistung, zu stark zu
nivellieren mit den entsprechenden Unterdeckungsfolgen, wäre es aber durchaus
möglich gewesen für den Gesetzgeber, den grundlegenden Rahmen bundesweit
einheitlich abzustecken. Stattdessen hat der Gesetzgeber sogar die
Verordnungsmöglichkeit § 27 SGB II a.F. wieder aus dem SGB II gestrichen. Der
Bundesgesetzgeber wie die Bundesregierung wollen im Rahmen der allgemeinen
Austeritätspolitik Gelder sparen, und damit das nicht zu hart zulasten der
Kommunen geht, die für die KdU zuständig sind, wurde von Anfang an in das
Wischi-Waschi-Gesetz SGB II der noch größere Wischi-Waschi-Paragraph 22
eingeführt, dessen unbestimmter Rechtsbegriff der ‚Angemessenheit’ der Willkür
Tür und Tor öffnet.
Dabei könnten bestimmte Dinge bundeseinheitlich geregelt
werden:
– die Wohnflächengröße
Hier hat das BSG die Aufgabe des Gesetzgebers übernommen,
nicht ohne am Verhalten des Gesetzgebers Kritik zu üben [BSG, Urteil vom 19.
Februar 2009, Az.: B 4 AS 30/08 R, Rdnrn. 15-18], weil durch den Rückgriff auf
die Länderbestimmungen zu den Richtlinien der Wohnbauförderung letztlich die
Bundesländer die Wohnungsgröße und damit letztendlich die ‚Angemessenheit’
bestimmen. Besonders krass wirkt sich dieses bei Alleinstehenden aus, wo es zu
Unterschieden von 10 Prozent kommt. Hier wäre auch eine unterste Wohnraumgröße
festlegbar, da mittlerweile bei Grundsicherungsträgern und unteren
Sozialgerichtsinstanzen die Bereitschaft besteht, selbst Klitschen noch für
‚angemessen’ groß zu halten.
Auch kann der Gesetzgeber bestimmen, ob der in den
Wohnraumförderrichtlinien in den meisten Bundesländern vorgesehene
Wohnflächenmehrbedarf für Alleinerziehende (sog. Wohnzimmerregelung) und für
Schwerbehinderte gegeben sein soll. Das BSG hatte dies in seiner
Osnabrück-Entscheidung erst bejaht [BSG, Urteil vom 18. Juni 2008, Az.: B 14/7b
AS 44/06 R, Rdnr. 12], dann aber in seiner Kiel-Entscheidung [BSG, Urteil vom
22. August 2012, Az.: B 14 AS 13/12 R, Rdnr. 19] diesen Ansatz wieder gekippt.
Dabei ist es nicht Aufgabe des BSG, sondern des
Bundesgesetzgebers festzulegen, ob Alleinerziehenden ein Wohnraummehrbedarf für
ein Wohnzimmer zusteht. Denn ein Paar (Ehepaar, eheähnliche Gemeinschaft, sog.
Partnerschaft) kann sich eines seiner zwei Zimmer als Wohnzimmer, das andere
als Schlafzimmer herrichten. Eine Alleinerziehende mit Kind, erst recht, wenn
dieses im Schulalter oder der Pubertät ist, kann nur ein eigenes Schlafzimmer
und ein Kinderzimmer einrichten, ohne über ein Wohnzimmer für Gästeempfang zu
verfügen. Solche Verhältnisse kann und muß der Bundesgesetzgeber in § 22 SGB II
bestimmen; dafür bedarf es eines einzigen Satzes.
Das Gleiche gilt für Schwerbehinderte. Derzeit müssen diese
Menschen nachweisen, daß sie aufgrund ihrer Behinderung auf Wohnraummehrbedarf
angewiesen sind. Bekommt ein Rollstuhlfahrer, der geschickt mit seinem
Rollstuhl manövrieren kann, keinen Aufschlag?
– der Wohnstandard
Der Wohnstandard ist nirgendwo definiert, schon gar nicht im
SGB II in § 22.
Das Bundessozialgericht hat nur den ‚untersten Wohnstandard’
ausgeschlossen. Diesen hat das BSG in einer seiner Berlin-Entscheidungen
definiert mit Wohnungen mit Ofenheizung und ohne Bad [BSG, Urteil vom 19.
Oktober 2010, Az.: B 14 AS 2/10 R, Rdnr. 24]. Ausgeschlossen sind auch
Souterrain-Wohnungen [BSG, Urteil vom 10. September 2013, Az.: B 4 AS 77/12 R,
Rdnr. 21]. Ansonsten bleibt völlig unklar, was der darüber liegende ‚untere
Wohnstandard’ meint. Laut BSG definiert dieser sich wie folgt: „Angemessen
sind die Aufwendungen für eine Wohnung, die nach Ausstattung, Lage und
Bausubstanz einfachen und grundlegenden Bedürfnissen genügt und keinen
gehobenen Wohnstandard aufweist. Die Wohnung muss im unteren Segment der nach
der Größe in Betracht kommenden Wohnungen in dem räumlichen Bezirk liegen, der
den Vergleichsmaßstab bildet.“ [BSG, Urteil vom 2. Juli 2009, Az.: B 14 AS
33/08 R, Rdnr. 16] Und weiter: „Dabei ist die Festlegung des unteren
Marktsegments zunächst in die Hände der Verwaltung gelegt, denn diese kann am
ehesten anhand der regionalen Gegebenheiten entscheiden, welche Wohnungsmerkmale
einen einfachen Wohnstandard ausmachen.“ [BSG, Urteil vom 10. September 2013,
Az.: B 4 AS 77/12 R, Rdnr. 21]. Das heißt, das BSG überläßt sogar dem
Grundsicherungsträger festzulegen, was der ‚untere Wohnstandard’ am Ort ist.
Damit ist der Willkür nun wirklich Tür und Tor geöffnet.
Der Einbezug der Wohnlage
stellt schon an sich eine Konterkarrierung des Verbots der Ghettoisiserung dar,
da ganze Neubaugebiete schon von der Planung her für sog. Besserverdienende
geschaffen werden. Aber auch bestehende Stadtviertel – hier ist der Begriff der
Gentrifizierung zu nennen – führen durch baustrukturelle Maßnahmen zur
Segregation und damit letztlich einer de facto Ghettoisierung von „Hartz IV“
beziehenden Menschen. So gibt es in der Hamburger Hafencity keine „Hartz IV“
beziehenden Menschen, so wechseln ehemalige Stadtteile unterer
Einkommensschichten wie Berlin-Kreuzberg ins gehobene Segment, mit der Folge,
daß „Hartz IV“ beziehende Menschen nach Berlin-Spandau abwandern, so werden im
nördlichen Göttinger Statteil Weende im Umfeld der Universität zunehmend
Wohnungen für ausreichend betuchte Studenten gebaut, mit u.a. der Folge, daß
selbst Wohnungen unteren Baustandards nur noch an Studenten vermietet werden
und die „Hartz IV“-Ghettoisierung im Göttinger Westen weiter fortschreitet.
Auch auf Mietspiegel kann nicht zurückgegriffen werden, weil
diese in der Regel prozentuale Aufwertungen oder Abwertungen vornehmen, je nach
dem, was an Wohnmerkmalen zusätzlich ist oder fehlt. Damit bleibt ein ‚unterer
Wohnstandard’ zur Existenzsicherung unklar. Diesen zu erheben bedeutete zudem
einen Riesenaufwand für die Grundsicherungsträger. Insofern ist schon
verständlich, wenn das Bundessozialgericht in seiner Rolle als
Ersatzlegislative das Problem über den Quadratmeterpreis zu lösen versucht
(sog. Referenzmiete).
Hier taucht aber das Problem auf, daß, wie schon eingangs
beschrieben, in Städten wie München oder Hamburg der Quadratmeterpreis nicht
mehr Ausdruck von Wohnungsstandard ist, sondern Ausdruck der Marktsituation,
die es ermöglicht, daß ein exorbitant erhöhter Preis genommen werden kann, sei
es wie in München und Hamburg, wo eine internationale „Chickeria“ jeden Preis
zahlt, weil es dazu gehört, in New York, London, Paris, Mailand und München
eine Wohnung zu besitzen für ein paar Tage im Jahr und so der Preisdruck nach
unten weitergegeben wird, bis selbst Klitschen noch zu früher gewöhnlichen
Mietpreisen einen Mieter finden, weil mensch ja wohnen muß, oder sei es wie in
Göttingen, wo der Wohnraum schlichtweg fehlt und deshalb die Preise in die Höhe
getrieben werden. Es ist eben ein Irrtum, der Preis spiegele den
Wohnungsstandard wieder. „It’s the economy, you stupid“, wie US-Präsident Bill
Clinton mal zu seinem Vorgänger Bush sen. sagte.
– die Bruttokaltmiete
Dieses vom BSG zugrunde gelegte Konstrukt, funktioniert aber
auch nicht.
Eine Bruttowarmmiete, d.h. Kaltmiete plus Nebenkosten plus
Heizkosten hält das BSG nicht für praktikabel wegen der Probleme der
Ermittelbarkeit der Heizkosten in Abhängigkeit von den bausubstanzlichen und
klimatischen Gegebenheiten und der Energiepreisentwicklung [BSG, Urteil vom 2.
Juli 2009, Az.: B 14 AS 33/08 R, Rdnr. 29]. Also setzt das BSG auf die
Bruttokaltmiete.
Die Nettokaltmiete, umgangssprachlich Kaltmiete, unterliegt
ausschließlich dem Willen des Vermieters. Diese zugrunde zu legen bei der
Angemessenheitsprüfung machte Sinn. Die sog. kalten Nebenkosten, also
Müllabfuhr, Straßenreinigung, Abwasser, Regenwasser, Grundsteuer, Hausmeister,
Fahrstuhl etc. sind bis auf die Gebühren für Frischwasser und davon abhängig
für Abwasser, nicht vom Mieter zu beeinflussen. Insbesondere die Grundsteuer B,
über die sich die Kommunen finanziell gesund stoßen und die keinen weiteren
Anknüpfungspunkt an die Wohnqualität haben, werden von den Kommunen, in der
Regel die für die KdU zuständigen, festgelegt. Ebenso andere Gebühren. So wurde
die Stadt Göttingen verurteilt, ihre Müllabfuhrgebühren zu senken. Dies führte
bei dem Autor und seiner Familie zu einer Senkung von € 14,28 (2007/2008) auf €
10,40 (2009). Gleichzeitig aber erhöhte zum Ausgleich die Stadt Göttingen die
Abwassergebühren von € 1,79/m³ (2007) auf € 1,96/m³ (2008) auf € 2,10/m³
(2009), was bezogen auf eine gleiche Menge Wasserverbrauch (2009: 156 m³),
welche als Berechnungsbasis dient, eine Erhöhung der monatlichen Belastung von
€ 23,27 (2007) auf € 27,30 (2009) mit sich brachte. Aus den Zahlen wird
deutlich, daß der gerichtlich erzwungenen Einsparung bei der Müllgebühr von
mtl. ca. 4 € eine Mehrbelastung bei der Abwassergebühr von ebenfalls mtl. ca. 4
€ gegenüberstand. Das heißt, die Stadt Göttingen hat die gerichtlich erzwungene
Senkung der Müllgebühr durch die Erhöhung der Abwassergebühr ausgeglichen.
All dies kann nur durch eine vom Bundesgesetzgeber zu
schaffende Rahmenregelung verhindert werden. Denn andererseits können die sog.
kalten Nebenkosten auch nicht einfach übernommen werden, weil z.B. der
Wasserverbrauch sehrwohl vom Hilfebedürftigen durch sein Verhalten beeinflußbar
ist, egal, ob bei Drittanbieterbezug oder im Rahmen der Vermieterabrechnung.
Auch der reale Wohnungsmarkt präferiert nicht die
Bruttokaltmiete. Viele Wohnungsanzeigen geben überhaupt nicht an, um was für
eine Miete es sich handelt, viele geben nur die Kaltmiete (Nettokaltmiete) an,
manche die Warmmiete (Bruttowarmmiete).
Wenn das BSG eine Bruttowarmmiete für nicht praktikabel hält
u.a. wegen der Energiepreisschwankungen, dann ist eine Bruttokaltmiete nicht
praktikabel wegen der willkürlichen kommunalen Abgabenpraxis.
Hier erzwingt es geradezu, daß der Gesetzgeber selbst tätig
wird und bundesweit einheitliche Kriterien im Gesetz benennt.
Hinzu kommt, daß das Bundessozialgericht mit seiner
Ideologie vom ‚unteren Preissegment’ – wohl in Anlehnung an die unteren 15 %
bzw. 20 % der Einkommensbezieher bei der Regelleistung – der von ihm selbst
verbotenen Ghettoisierung überhaupt erst Vorschub leistet. Hier gilt analog das
schon zur Wohnlage Gesagte.
Wer eine Ghettoisierung verhindern will, muß eine
Mittelwert-Gewichtung vornehmen. Ein mietpreislich unteres Niveau ist immer mit
einer Ghettoisierung verbunden. So wohnt mittlerweile die Hälfte aller
Göttinger „Hartz IV“ beziehenden Menschen westlich der Bahnlinie (Stadtteile
Grone, Holtensen).
– die Deckelung mit Tab. WoGG
Zwar hat das Bundessozialgericht den Begriff der ‚konkreten
Angemessenheit’ entwickelt – „Abschließend ist zu prüfen, ob der Hilfesuchende eine
solchermaßen abstrakt angemessene Wohnung auch tatsächlich hätte anmieten
können, ob also eine konkrete Unterkunftsalternative bestanden hat.“ [BSG,
Urteil vom 18. Februar 2010, Az.: B 14 AS 73/08 R, Rdnr. 21] –, gleichzeitig
aber eine Deckelung eingezogen, die mit den Tabellenwerten § 8 WoGG 2005 bzw.
Tabellenwerten § 12 Abs. 1 WoGG 2009 angegeben wird, erhöht um einen 10 %-igen
Sicherheitsaufschlag [BSG, Az.: B 4 AS 16/11 R und B 4 AS 87/12 R].
Hier ist das Bundessozialgericht definitiv als
Ersatzlegislative aufgetreten. Denn eine Begrenzung des Existenzminimums, also
eines laut Bundesverfassungsgericht auf Art. 1 und Art. 20 GG basierenden
Menschenrechts, darf nur der Gesetzgeber vornehmen, denn nur dem Gesetzgeber
obliegt es, durch ein allgemein gültiges Gesetz die Grundrechte einzuschränken
unter Beachtung dessen, daß der Kerngehalt eines Grundrechtes nicht angegriffen
werden darf.
Auch die Satzungsermächtigung §§ 22a - 22c SGB II
führt zu keinem anderen Ergebnis. Einerseits handelt es sich bei einer Satzung
um eine untergesetzliche Norm, die nach BSG nicht auf das SGB XII wirkt [BSG,
Urteil vom 17. Oktober 2013, Az.: B 14 AS 70/12 R, Rdnr. 12] und damit schon
Probleme in Mischhaushalten aus SGB II- und SGB XII-Leistungen verursacht.
Ferner hat das BSG festgestellt: „Die Wahrnehmung der Normsetzungskompetenz
nach § 22a Abs 1 SGB II erfordert die realitätsgerechte Erfassung des
Unterkunftsbedarfs in gleicher Weise, wie es der Verwaltung bei der Bestimmung
des abstrakt angemessenen Unterkunftsbedarfs nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II
vorgegeben ist.“ [BSG, a.a.O., Rdnr. 27; ebenso: BSG, Urteil vom 4. Juni
2014, Az.: B 14 AS 53/13 R, Rdnr. 23] Und dann verweist das BSG auf sich selbst
[BSG, Az.: B 14 AS 70/12, Rdnr. 29; Az.: B 14 AS 53/13 R, Rdnr. 26]. Zwar hat
der Gesetzgeber die bisherige BSG-Rechtsprechung berücksichtigt (örtlicher
Wohnungsmarkt, keine Ghettoisierung, Mischung aus Neuvertrags- und
Bestandsmieten, Tabellenwerte WoGG als Möglichkeit), aber die überaus meisten
Bundesländer dürften wegen des formal-juristisch schwierigen Terrains weiterhin
auf eine satzungsrechtliche Regelung verzichten., zumal die bisherige Regelung
§ 22 SGB II den Grundsicherungsträgern freie Hand läßt, soweit sich das BSG
nicht als Ersatzlegislative aufgeschwungen hat . Andererseits wurde die
‚Angemessenheit’ aber auch im Satzungsrecht §§ 22a – 22c SGB II wieder nicht
definiert, so daß das hier besprochene Grundproblem verfassungsrechtlicher Art auch
im Rahmen der Satzungsermächtigung weiterhin besteht.
Abschließend enthält sich der Autor jeglicher Spekulation
über eine mögliche Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes über den
Vorlagebeschluß des SG Mainz. Schon der enorme Qualitätsabfall zwischen der
ersten Regelleistung-Entscheidung vom 9. Februar 2010 und der zweiten vom 23.
Juli 2014 läßt Schlimmes befürchten, selbst für den Fall, daß das
Bundesverfassungsgericht den § 22 SGB II für verfassungswidrig erklärt und den
Gesetzgeber zur Nachbesserung unter Fristsetzung auffordert. Klar ist nur, daß
von einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes der § 35 SGB XII
mitbetroffen ist.