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Herbert Masslau

Antragszwang bei Alg II

Sozialhilfestopp wegen Nichtabgabe von Alg II-Anträgen

(9. November 2004)

 

 

Aktualisierung:

Mittlerweile soll auf Intervention des zuständigen niedersächsischen Landesministeriums die Maßnahme des Landkreises Wolfenbüttel rückgängig gemacht worden sein. (15. November 2004)

 

 

„Der Landkreis Wolfenbüttel hat in 150 Fällen die Zahlungen der Hilfeleistung zum 1. November vorerst eingestellt. „Die Hilfebedürftigkeit ist in Frage gestellt, weil die Anträge für Alg II nicht abgegeben wurden“, erklärte Wolfenbüttels Kreissprecherin Kornelia Vogt. Gesetzlich sei eine Mitwirkungspflicht festgelegt. Wenn dieser nicht nachgekommen werde, könne die Behörde die entsprechende Leistung versagen.“ [1]

 

So oder so ähnlich die Vorgehensweise und Argumentation vieler der entsprechenden Behörden gegenüber bisherigen Sozialhilfeempfängerinnen und -empfängern, die ab dem 1. Januar 2005 unter das SGB II fallen, weil „arbeitsfähig“.

Die Vorgehensweise ist allerdings rechtswidrig, und wer davon betroffen ist, sollte nicht nur sofort einen Antrag auf Einstweilige Anordnung [2] zwecks Weiterzahlung der Sozialhilfe stellen, sondern auch Strafanzeige wegen Nötigung gegen die betreffenden Mitarbeiter des Sozialamtes und den Chef der Verwaltung (Oberbürgermeister).

 

Kein Antragszwang

§ 37 Abs. 1 SGB II schreibt das Antragserfordernis für das Arbeitslosengeld II fest: „Die Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende werden auf Antrag erbracht.“ [3]

Niemand aber ist gezwungen, einen Antrag zu stellen. Gut, wer keinen Antrag stellt, bekommt auch keine Leistung, aber einen Zwang, einen Antrag auf eine Sozialleistung zu stellen, gibt es nicht. Im Gegenteil: „Auf Ansprüche auf Sozialleistungen kann durch schriftliche Erklärung gegenüber dem Leistungsträger verzichtet werden...“ (§ 46 SGB I).

 

Keine Mitwirkungspflicht vor Antragstellung

„Kommt derjenige, der eine Sozialleistung beantragt oder erhält, seinen Mitwirkungspflichten nach den §§ 60 bis 62, 65 nicht nach und wird hierdurch die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert, kann der Leistungsträger ohne weitere Ermittlungen die Leistungen bis zur Nachholung der Mitwirkung ganz oder teilweise versagen oder entziehen...“ (§ 66 SGB I).

Wer keinen Antrag auf Arbeitslosengeld II stellt, unterliegt auch keinen diesbezüglichen Mitwirkungspflichten!!!

Wer Sozialhilfe nach dem am 31. Dezember 2004 auslaufenden Bundessozialhilfegesetz (BSHG) bezieht, unterliegt nur hinsichtlich der Leistungen nach dem BSHG der Mitwirkungspflicht, nicht jedoch hinsichtlich einer anderen Sozialleistung (hier: Arbeitslosengeld II nach dem SGB II), die zudem erst in Zukunft existieren wird (1. Januar 2005)!!!

Folglich ist es eindeutig rechtswidrig, Sozialhilfe beziehenden Personen, die bisher keinen Antrag auf Arbeitslosengeld II gestellt haben, wegen Verstoßes gegen die Mitwirkungspflichten die laufende Leistung (Sozialhilfe) zu entziehen.

Für Sozialhilfeempfängerinnen und -empfänger kann sich die Mitwirkungspflicht nur auf die gegenwärtige Sozialhilfe beziehen.

Ferner kann ein Verstoß gegen die Mitwirkungspflichten hinsichtlich des Arbeitslosengeldes II überhaupt erst ab dem 1. Januar 2005 in Frage kommen, weil diese Leistung vorher noch gar nicht existiert. Also können die Betroffenen ihre Mitwirkungspflicht bei vorher abgegebenem Antrag bis zum 31. Dezember 2004 erfüllen, ohne das ihnen – außer einer verspäteten Auszahlung – ein Schaden drohen darf.

 

Argumente gegen vorzeitige Antragsabgabe

Es gibt sogar gute Argumente gegen eine vorzeitige Antragsabgabe:

–  Auch die Bundesagentur für Arbeit hatte ihre „TollCollect“-Pleite. Die A2LL-Software funktionierte nicht und der Starttermin für die Bearbeitung der Alg II-Anträge mußte immer wieder verschoben werden [4].

– Die umfangreichen Bedenken der Datenschutzbeauftragten, formuliert in „Hinweise der Bürgerbeauftragten für Soziale Angelegenheiten und des Unabhängigen Landeszentrums für Datenschutz Schleswig-Holstein (ULD) zum Antragsvordruck ALG II (Stand 01.10.2004)“ [5]. Und ferner die Kritik der Datenschutzbeauftragten des Bundes und der Länder an der A2LL-Software vom 28. Oktober 2004; diesbezüglich hat die Bundesregierung Besserung zugesagt [6].

Wer also einen ordnungsgemäßen Antrag abgeben will, braucht eben Zeit dafür. Nichtsdestotrotz sollten diejenigen, die rechtzeitig im Januar Geld erhalten wollen, ihren Antrag nicht erst einen Tag vor Weihnachten abgeben.

 

 

Ergänzung für Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosenhilfe

Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosenhilfe (Alhi) erhalten Aufforderungen, sich zwecks Information über Leistungsangelegenheiten bei ihrer Arbeitsagentur einzufinden und dann gleich den ausgefüllten Alg II-Antrag mitzubringen. Die Rechtsfolgenbelehrung droht bei Nichterscheinen mit einer Leistungssperre von zwei Wochen wegen Säumnis (§ 145 SGB III), weil es sich um eine (Ein-)Ladung gemäß § 309 SGB III handelt.

Zwar lautet § 59 SGB II: „Die Vorschriften über die allgemeine Meldepflicht, § 309 des Dritten Buches, ..., sind entsprechend anzuwenden“, dennoch bezieht sich dies erst ab 1. Januar 2005 auf das Arbeitslosengeld II, es kann nicht schon vor Inkrafttreten des Gesetzes (SGB II) auf eine dann nicht mehr existente Sozialleistung (Alhi) bezogen werden.

Hinsichtlich des Zwanges zur Abgabe des Alg II-Antrages gilt dasselbe wie eben bezüglich der Sozialhilfe dargelegt. Es gibt also keinen Zwang, den Alg II-Antrag überhaupt abzugeben. Auch gibt es die genannten guten Argumente gegen eine vorzeitige Antragsabgabe. Wer aber rechtzeitig seine Leistung erhalten will, sollte auch in diesem Fall den Alg II-Antrag nicht erst kurz vor Weihnachten abgeben.

Gleichwohl sollte der Ladungs-Termin wahrgenommen werden, weil zwar mit § 309 Abs. 2 Nr. 4 SGB III (Vorbereitung von Entscheidungen im Leistungsverfahren) nur das zukünftige Leistungsverfahren hinsichtlich des Alg II gemeint sein kann, aber dem Streß eines Gerichtsverfahrens lediglich die rein körperliche Anwesenheit gegenüber steht.

 

 

[Quellen;Links]

[1] Braunschweiger Zeitung etc. vom 5. November 2004 – http://www.newsclick.de/index.jsp/menuid/2162/artid/3422987

[2] siehe: http://www.HerbertMasslau.de/pageID_955368.html

[3] BGBl. I, Nr. 66, 29. Dezember 2003, S.2966

[4] http://www.heise.de/newsticker/meldung/51507 – http://www.heise.de/newsticker/meldung/51643 – http://www.heise.de/newsticker/meldung/51791]

[5] http://www.datenschutzzentrum.de/algemein/alg2.htm – http://www.datenschutzzentrum.de/download/alg2.pdf

[6] http://www.bmwa.bund.de/Navigation/arbeit,did=45240.html

 

 

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http://www.labournet.de/news/2004/Montag1511.html (am 15.11.2004)

http://www.labournet.de/diskussion/arbeit/realpolitik/hilfe/antraege.html (am 15.11.2004)

http://www.bi-torgau.de/bi_nz_04_47_5.htm (am 15.11.2004)

 

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