Herbert Masslau

Alg II-Optimierung: Gesetz gegen Gerichtsentscheidungen

(8. Juni 2006)

Am 1. Juni 2006 wurde das sog. Optimierungsgesetz zum SGB II im Bundestag verabschiedet – durchgepeitscht in wenigen Wochen. Der Bundesrat muß noch zustimmen, wobei einige CDU-regierte Bundesländer noch Verschärfungen zu Lasten der „Hartz IV“-Empfänger wollen.

Was beim Lesen dieses sog. Optimierungsgesetzes zum SGB II auffällt sind die per Gesetz wieder rückgängig gemachten, für „Hartz IV“-Empfänger positiven Entscheidungen von Sozialgerichten.

In diesem Artikel soll das nicht akribisch herausgearbeitet, sondern lediglich grundsätzlich an Beispielen verdeutlicht werden.

Verschwiegen werden soll nicht, daß die Gesetzesänderung auch Positives für die „Hartz IV“-Empfänger bringt, allerdings handelt es sich hierbei eher um die Beseitigung peinlicher Regelungslücken, die in der Eile der SGB II-Erstellung wohl übersehen wurden und die vor dem Bundesverfassungsgericht ohnehin keinen Bestand gehabt hätten, von der Peinlichkeit einmal abgesehen, daß es zwar eine Erstausstattung für Möbel nicht aber für Babies gab. Obwohl, im Grunde ist dies „Versehen“ eigentlich nur Ausdruck der allgemeinen deutschen Kinderfeindlichkeit, wie sie sich nicht zuletzt in der Elterngeld-Politik der derzeitigen Bundesfamilienministerin von der Leyen, Tochter des ehemaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten und Bahlsen-Keksdirektors Ernst Albrecht, manifestiert: die Reichen brauchen das Geld nicht und den Armen wird’s genommen. Durch die grundgesetz- und menschenrechtswidrige Zwangsbeelterung der unter 25-Jährigen, wie sie nun das SGB II vorsieht, werden die Familien weiter in Existenznöte getrieben.

Anhand der nachfolgenden Beispiele soll verdeutlicht werden, wie mit dem SGB II-Optimierungsgesetz für „Hartz IV“-Empfänger positive Gerichtsentscheidungen rückgängig gemacht werden bzw. werden sollen, denn die eine oder andere Gesetzesänderung dürfte nach gerichtlicher Überprüfung so nicht bestehen bleiben.

Beispiel Eheähnliche Gemeinschaft

Vorweg: An dieser Stelle soll es lediglich um das 3-Jahres-Kriterium des Zusammenlebens von heterosexuellen Paaren gehen.

Aufsehen erregten gleich zu Beginn des Inkrafttretens von „Hartz IV“ Entscheidungen des SG Düsseldorf (S 35 SO 28/05 ER; S 35 SO 23/05 ER), die die Berücksichtigung von Einkommen und Vermögen eheähnlicher heterosexueller Partner in einer Haushaltsgemeinschaft schon deswegen für verfassungswidrig, weil gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 GG verstoßend, hielten, weil im SGB II (§ 7) vergleichbare homosexuelle Lebensgemeinschaften, die aber keine Beziehung nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz darstellten, nicht im Sinne einer Bedarfsgemeinschaft herangezogen wurden. Diese Sichtweise des SG Düsseldorf fand im Gefolge bei anderen Sozialgerichten keinen Rückhalt. So sahen sowohl das SG Dortmund (S 31 AS 82/05 ER) als auch das SG Dresden (S 23 AS 332/05 ER; mit weiteren Nachweisen zur gleichen Auffassung: z.B. Sächsisches LSG, LSG Hamburg) einen Verstoß gegen Art. 6 GG, der die Benachteiligung der Ehe verbietet, wenn aus der Nichtberücksichtigung homosexueller Partnerschaften außerhalb des Lebenspartnerschaftgesetzes eine Nichtberücksichtigung heterosexueller eheähnlicher Partnerschaften gefolgert würde; eine Lösung gäbe es nur dergestalt, daß dann neben heterosexuellen eheähnlichen Partnern auch in homosexuellen Partnerschaften außerhalb des Lebenspartnerschaftgesetzes die Partner zu berücksichtigen seien.

Dem hat das sog. Optimierungsgesetz (BTDrs. 16/1410) dadurch Rechnung getragen, daß § 7 Abs. 3 Nr. 3 SGB II dahingehend geändert wurde, daß neben Ehepartnern und Partnern nach dem Lebenspartnerschaftsgesetz jetzt alle Personen aufgeführt sind, die mit dem Hilfebedürftigen zusammenwohnen und bei denen der Wille zum gegenseitigen einstehen vermutet wird; sozusagen geschlechtsneutral formuliert.

Dem wird – um zum Thema dieses Artikels zurück zu kommen – ein Absatz 3a hinzu gefügt, der bestimmt, daß dieser Wille füreinander einzustehen, dann vermutet wird, wenn die betreffenden Personen 1. länger als ein Jahr zusammenleben, 2. gemeinsame Kinder im Haushalt sind, 3. andere Kinder oder Angehörige gemeinsam versorgt werden oder 4. eine gegenseitige Verfügungsbefugnis über Einkommen und Vermögen besteht.

Zunächst einmal wurde hiermit eine Beweislastumkehr vollzogen. Daß eine Bedarfsgemeinschaft vorliegt, war bisher von der Sozialleistungsbehörde nachzuweisen. Dadurch, daß jetzt anhand von vier Kriterien abschließend eine Vermutung konstruiert wird, liegt der Beweis für das Nichtbestehen einer Bedarfsgemeinschaft nun bei den Betroffenen.

Ferner sind die Kriterien als Oder-Verknüpfung so formuliert, daß nicht alle vier additiv vorliegen müssen, sondern eines oder mehrere der vier Kriterien ausreichen für die Unterstellung einer eheähnlichen Gemeinschaft.

Verfassungsrechtlich interessant ist, daß die drei Kriterien gemeinsame Kinder, gemeinsamePflege von Angehörigen, gegenseitige Kontovollmachten als Faktum überprüfbar sind, nicht jedoch das Kriterium, um welches es eigentlich geht: das Zusammenleben im Sinne einer gegenseitigen Einstandsgemeinschaft.

Liegen aber keine nachweisbaren finanziellen Unterstützungen des „Partners“ vor und werden z.B. auch keine gemeinsamen Kinder in der Wohnung betreut, dann wird in Zukunft jede Zweier-WG zur Bedarfsgemeinschaft so sie denn seit einem Jahr zusammenwohnt und bis der Gegenbeweis durch die Betroffenen erbracht ist (im Zweifelsfall – oder Regelfall? – bis zur ersten Gerichtsentscheidung).

Bisher gingen die Sozialgerichte – auch hier prägte das SG Düsseldorf schon früh zu Beginn von „Hartz IV“ die Rechtsprechung (S 35 AS 107/05 ER; S 35 AS 119/05 ER; S 35 AS 112/05 ER) – von einem Kriterium einer Partnerschaftsdauer von im Regelfall 3 Jahren aus, um von einer eheähnlichen Gemeinschaft sprechen zu können, manche einschränkend, daß die Dauer kürzer sein könne, wenn die Betreuung gemeinsamer Kinder in der Wohnung vorliege (so LSG NRW, Beschluß vom 17. Februar 2006, Az.: L 19 B 85/05 AS ER).

Dies greift zurück auf eine diesbezügliche Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes aus dem Jahre 2002.

Das Bundessozialgericht hatte 2002 in zwei Verfahren (B 7 AL 96/00 R und B 7 AL 72/00 R) nach Rücksprache mit dem und Zustimmung vom ebenfalls für das SGB III (AFG) zuständigen 11. BSG-Senat entschieden, daß zur Beurteilung des Vorliegens einer eheähnlichen Gemeinschaft „Hilfstatsachen“ herangezogen werden müssen, wovon „die bisherige Dauer des Zusammenlebens ein wesentliches Indiz ist“ [BSG, Urteil vom 17. Oktober 2002, Az.: B 7 AL 96/00 R, RN 41 – http://www.bundessozialgericht.de]. Allerdings: „Solche Merkmale dürfen nicht losgelöst von ihrem Zweck gewertet und mithin nicht ‚verabsolutiert’ werden. Sie haben nicht die Bedeutung von gesetzlichen Tatbestandsmerkmalen …“ [BSG, Urteile vom 17. Oktober 2002, Az.: B 7 AL 96/00 R, RN 41 und Az.: B 7 AL 72/00 R, RN 24 – http://www.bundessozialgericht.de]. „Der Senat hat in seiner Entscheidung vom heutigen Tage (B 7 AL 96/00 R) im Einzelnen begründet, dass die von ihm angenommene ‚Drei-Jahres-Grenze’ (…) nicht im Sinne einer absoluten zeitlichen Mindestvoraussetzung zu verstehen ist, unterhalb derer das Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft immer und in jedem Fall verneint werden müßte. Insofern kommt es vielmehr auf das Vorliegen aller Umstände des Einzelfalls an, die für eine dauerhafte Einstehensgemeinschaft der beiden Partner sprechen könnten. Dabei ist allerdings die bisherige Dauer des Zusammenlebens ein wesentliches Indiz für die Ernsthaftigkeit der Beziehung.“ [BSG, Az.: B 7 AL 72/00 R, RN 24] Damit begründete das Bundessozialgericht seinerzeit zugunsten der betroffenen Arbeitslosen, warum die vormals vom BSG angegebene 3-Jahres-Grenze bei der Beurteilung des Vorliegens einer eheähnlichen Gemeinschaft auch unterschritten werden kann.

In den dem BSG vorliegenden Fällen waren nach Arbeitsplatzaufgabe und Zuzug zum eheähnlichen Partner Sperrzeiten verhängt worden, weil das Vorliegen eines wichtigen Grundes in Form einer eheähnlichen Gemeinschaft von den jeweiligen Arbeitsämtern verneint worden war, da die Beziehungen noch nicht drei Jahre bestanden hätten. In dem einen Fall wertete das BSG aber „insbesondere auch die gemeinsame Erziehung und Verantwortung für das Kind des Klägers“ [BSG, B 7 AL 72/00 R, RN 25] als Anzeichen für das Vorliegen einer eheähnlichen Gemeinschaft. In dem anderen Fall kam das BSG über den Umweg des Eigentumsschutzes gemäß Art. 14 GG der Versicherungsleistung Arbeitslosengeld und über die Pflicht zur Kostenminimierung (keine zwei Wohnorte) im unterhaltsrechtlichen Sinne analog der ehelichen Unterhaltsverpflichtung zu dem Schluß, daß der jeweilige Umzug der Klägerin zuerst zum Partner an dessen Arbeitsort, dann nach Wechsel des Arbeitsortes an den neuen Arbeitsort des Partners die Ernsthaftigkeit und Dauerhaftigkeit der Beziehung im Sinne des Vorliegens einer eheähnlichen Gemeinschaft bewies [BSG, B 7 AL 96/00 R].

Bemerkenswert an der einen BSG-Entscheidung (B 7 AL 96/00 R, RN 37) ist zudem, daß das BSG hervorhob, daß nicht einmal, nämlich im Falle des Arbeitslosenhilfebezugs, von einer eheähnlichen Gemeinschaft ausgegangen werden könne, um das Einkommen des Partners mit anrechnen zu können, andererseits aber dieselbe eheähnliche Gemeinschaft verneint werde, wenn es im Rahmen der Sperrzeitregelungen darum ginge, Sperrzeiten verhängen zu können: „Findet ein solcher Partner nun eine Beschäftigung an einem räumlich entfernt liegenden Ort, so darf ein Versicherter, dessen Einkommen bislang die Alhi des Partners … mindern konnte, bei einer Beschäftigungsaufgabe zu Gunsten der Aufrechterhaltung der Gemeinschaft nicht so behandelt werden, als ob die Bindungen nicht bestanden hätten…“ [BSG, Az.: B 7 AL 96/00 R, RN 37].

Dieses vom BSG gewählte Beispiel macht deutlich, daß es in der Tat auf der behördlichen Ebene immer wieder darum geht, ein und dieselben Tatbestandsmerkmale mal anzuerkennen, mal nicht, je nachdem wie es für eine Leistungskürzung gerade günstig ist.

Das 3-Jahres-Kriterium darf also auch nach Ansicht des Bundessozialgerichts unterschritten werden, wenn die Gesamtschau des Einzelfalles andere wichtige Merkmale (z.B. Erziehung und Betreuung gemeinsamer Kinder) hergibt. Bleibt aber nur das Kriterium der Dauer einer Beziehung, dann ist weiterhin von dem 3-Jahres-Kriterium auszugehen.

Und hier will nun das sog. Optimierungsgesetz, um Sozialleistungen zu sparen, entgegen der gültigen Rechtsprechung eine 1-Jahres-Frist an Stelle der 3-Jahres-Frist etablieren.

Einschränkend muß allerdings gesagt werden, daß es überall „his masters voice“ gibt, also in diesem Fall ein Gericht, welches den Politikern rechtzeitig vorab in die Hand arbeitete. In diesem Fall spielte das Reichshauptstädtische Oberste Provinzgericht diese Rolle. In Vorbereitung des sog. Optimierungsgesetzes entschied das LSG Berlin-Brandenburg am 18. Januar 2006 im Verfahren L 5 B 1362/05 AS ER: Im Regelfall besteht jedenfalls bei einer Dauer des Zusammenlebens von bis zu einem Jahr – von besonderen Umständen (etwa der gemeinsamen Sorge um Kinder) abgesehen – regelmäßig kein Grund für die Annahme einer eheähnlichen Gemeinschaft als Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft im Sinne der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung.“ [zit.n. Entscheidungsdatenbank bei www.tacheles-sozialhilfe.de]

Daß die tatsächliche Formulierung des Gerichtes eine Negativ-Formulierung ist, nämlich keine eheähnliche Gemeinschaft wenn weniger als 1 Jahr zusammen – hier zugunsten des Antragstellers –, spielt hierbei keine Rolle. Wichtig ist, daß diese Entscheidung gerade zum richtigen Zeitpunkt kam, um in die Gesetzesbegründung (BTDrs. 16/1410) mit aufgenommen zu werden.

Allerdings darf angesichts der Rechtsprechung der Sozialgerichte, basierend auf den Entscheidungen des Bundessozialgerichtes, welches die verfassungsrechtlichen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes konkretisiert hat, nun nicht ein Furz aus dem Märkischen Sand überbewertet werden.

Beispiel Komplettkürzung bei U-25

Die ursprünglich im SGB II vorgesehene gegenseitige Unterhaltsverpflichtung von Eltern und Kindern – siehe zur Historie meinen Artikel „Alg II – der U-25-Terror“ – war seinerzeit u.a. wegen des Widerspruchs der Gewerkschaften nicht durchsetzbar; es sollte dann keine über das zivile Unterhaltsrecht hinausgehende Unterhaltsverpflichtung geben.

Doch schon mit der Regelung des § 31 Abs. 5 SGB II, der bei sog. Arbeitsverweigerung 15- bis 25-Jährige einer Sonderbehandlung unterzog, indem ihnen das Arbeitslosengeld II komplett gestrichen und nur die Unterkunftskosten übernommen werden sollten, wurde Druck in Richtung Eltern ausgeübt.

Begegnet schon die Bestrafung des § 31 SGB II als solches verfassungsrechtlichen Bedenken, da sie im Gegensatz zum alten Sozialhilferecht (BSHG), welches die Leistungskürzung als „pädagogische Maßnahme“ verstand, die bei Verhaltensänderung sofort aufzuheben war – siehe meinen Artikel: „Alg II – neue Qualität im Bestrafungssystem“ –, so ist eine Ungleichbehandlung junger Erwachsener gegenüber anderen Erwachsenen zudem ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz.

Der 25. Senat des LSG Berlin-Brandenburg sah in seinem PKH-Beschluß vom 22. März 2006, Az.: L 25 B 1000/05 AS ER PKH keine verfassungsrechtlichen Probleme hinsichtlich dieser Sonderbehandlung für die U-25, aber das SG Regensburg entschied: „Vor allem aber bestehen erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Bestimmungen in § 31 Abs. 5 und Abs. 6 Satz 2 SGB II, die einen sofortigen Wegfall der Regelleistung für die Dauer von 3 Monaten bei jungen Hilfebedürftigen vorschreiben, ohne die Möglichkeit einer differenzierten Reaktion zu eröffnen. Das dürfte weder mit dem Sozialstaatsprinzip noch mit dem rechtsstaatlichen Übermaßverbot vereinbar sein“ [SG Regensburg, Beschluß vom 10. April 2006, Az.: S 13 AS 166/06 ER; zit.n.Entscheidungsdatenbank bei www.tacheles-sozialhilfe.de].

Hieraus haben die Asozialen von CDUCSUSPD, deren Gesetzentwurf für die U-25 zunächst nur eine Reduzierung der Bestrafung im Einzelfall von drei Monaten auf sechs Wochen vorsah (BTDrs. 16/1410), um diese für die „Hartz IV“-Empfänger günstige Rechtsprechung auszuschalten, kurzfristig durch den Änderungsantrag im Ausschuß für Arbeit und Soziales [Drs. 16(11)275 vom 30. Mai 2006] im Absatz 5 folgende Passage eingefügt: „Bei wiederholter Pflichtverletzung … wird das Arbeitslosengeld II um 100 vom Hundert gemindert. … Bei einer Minderung des Arbeitslosengeldes II nach Satz 2 [d.i. 100%, H.M.] kann der Träger unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls Leistungen für Unterkunft und Heizung erbringen, wenn der erwerbsfähige Hilfebedürftige sich nachträglich bereit erklärt, seinen Pflichten nachzukommen.“ Mit anderen Worten: es ändert sich nichts. Um einer Verurteilung durch die Sozialgerichte oder bei widersprüchlichen Entscheidungen letztlich des Bundesverfassungsgerichtes zu entgehen hinsichtlich der Bestrafung, ohne daß eine Verhaltensänderung des Hilfebedürftigen etwas daran änderte, wurde jetzt zwar die starre Bestrafung zu Gunsten der Berücksichtigung einer Verhaltensänderung geändert, da aber jetzt die Bestrafung in einer kompletten Leistungsversagung besteht, also einschließlich der Unterkunftskosten, stellt eine Zahlung der Unterkunftskosten im Falle der Verhaltensänderung des Hilfebedürftigen lediglich die Herstellung des bisherigen Rechtszustandes dar, nämlich Streichung der Regelleistung bei Zahlung der Unterkunftskosten.

Diese Konstruktion des sog. Optimierungsgesetzes ist ein Paradebeispiel dafür, wie bei gleichzeitiger Berücksichtigung für die Betroffenen positiver Gerichtsentscheidungen gegen die bisherigen rechtlichen Regelungen diese Regelungen nicht nur wiederhergestellt, sondern zusätzlich noch verschärft werden.

Daß jetzt alle mit einer Komplettkürzung des Alg II bestraft werden sollen bei sog. Arbeitsverweigerung und daß die U-25, die ihr Verhalten nicht ändern auch die Unterkunftskosten nicht bezahlt bekommen, ist eine generelle Verschärfung, die nicht Gegenstand dieser rechtlichen Betrachtung ist.

Beispiel Erweiterung § 23 SGB II

Schon die Frage, wie denn die noch im alten Sozialhilferecht (BSHG) über § 21 Abs. 1 BSHG geregelte Säuglingserstaustattung im Rahmen des SGB II gehändelt werden könnte, da § 23 Abs. 3 Nr. 2 SGB II als Einmalige Leistung nur eine Erstausstattung für Bekleidung zuließ, ließ die Gerichte zu einem Umweg über § 23 Abs. 3 Nr. 1 SGB II greifen und Gegenstände wie Bett, Matratze, Hochstuhl, Wickelkommode als Wohnungserstausstattung definieren (so LSG Berlin-Brandenburg, Beschluß vom 3. März 2006, Az.: L 10 B 106/06 AS ER oder LSG Rheinland-Pfalz, Beschluß vom 12. Juli 2005, Az.: L 3 ER 45/05 AS).

Was aber ist mit anderen einmaligen Bedarfen oder Regelsatzanteilen, deren Begleichung aus der Regelleistung nicht zumutbar ist?

Das LSG Niedersachsen-Bremen hat in einem etwas komplexeren Fall von Energiekostenrückstand, der eigentlich aus der Regelleistung zu bezahlen gewesen wäre, geurteilt:

„Bei der Energiekostennachforderung [in diesem speziellen Fall, da keine Schulden, H.M.] handelt es sich mithin um Bedarf iSd § 23 Abs 1 SGB II.“ „Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ist § 23 Abs 1 SGB II nicht nur im Rahmen der Anschaffung einmaliger Bedarfe anwendbar. Eine derart einschränkende Auslegung dieser Vorschrift ist dem Wortlaut der Vorschrift nicht zu entnehmen.“ „Ohne die Zahlung der nachgeforderten Energiekosten will das Energieversorgungsunternehmen Gas und Strom abstellen. Ohne diese Leistungen wäre den Antragstellern kein menschenwürdiges Dasein möglich.“ [LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluß vom 14. September 2005, Az.: L 8 AS 125/05 ER – http://www.sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/export.php?modul=esgb&id=25226&exportformat=PDF]

Um diese für die „Hartz IV“-Empfänger günstige Rechtsprechung auszuschalten, zumal sich langsam herauskristallisierte, daß immer mehr Sozialgerichte zu einer Ausweitung des § 23 Abs. 1 SGB II mangels anderer rechtlicher Möglichkeiten durch eine entsprechende Rechtsprechung tendieren würden, wurde das sog. Optimierungsgesetz selber noch kurzfristig geändert durch einen Änderungsantrag der CDUCSUSPD und der Absatz 1 in § 23 SGB II um folgenden Satz ergänzt: „Weitergehende Leistungen sind ausgeschlossen.“ [Ausschuß für Arbeit und Soziales Drs. 16(11)275 vom 30. Mai 2006]

Beispiel Urlaub

Grundsätzlich kann schon die Frage gestellt werden, warum die früher auch bei der Arbeitslosenhilfe gegolten habende Erreichbarkeitsanordnung (3 Wochen Urlaub im Jahr bei Fortzahlung der Sozialleistung) nicht ins SGB II übernommen wurde. Vielleicht einer dieser vielen handwerklichen Fehler in der Eile des Durchpeitschens von „Hartz IV“.

Jedenfalls führte dies dazu, daß als einziger Regelungsrahmen die Eingliederungsvereinbahrung gemäß § 15 SGB II in Frage kam, mit der Folge, daß bei denen, die noch keine Eingliederungsvereinbarung hatten, eine Sanktionierung von Ortsabwesenheit rechtlich nicht möglich war, „da … das Recht der Grundsicherung für Arbeitssuchende die Leistungsberechtigung – anders als das SGB III – nicht von der Frage der Verfügbarkeit abhängig macht“ [SG Bayreuth, Urteil vom 3. Mai 2006, Az.: S 5 AS 608/05 – http://www.sozialgerichtsbarkeit.de/sgb/esgb/export.php?modul=esgb&id=55275&exportformat=PDF – indirekt mit gleichem Tenor: SG Hamburg, Beschluß vom 30. Januar 2006, Az.: S 62 AS 133/06 ER].

Um diese für die „Hartz IV“-Empfänger günstige Rechtsprechung auszuschalten, wurde das sog. Optimierungsgesetz selber noch kurzfristig geändert durch einen Änderungsantrag der CDUCSUSPD und ein Absatz 4a in § 7 SGB II eingefügt, der bestimmt: „Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer sich ohne Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners außerhalb des in der Erreichbarkeits-Anordnung … definierten zeit- und ortsnahen Bereiches aufhält“ [Ausschuß für Arbeit und Soziales Drs. 16(11)275 vom 30. Mai 2006].

Hiergegen dürfte es kein rechtliches Argument geben, da dies schon früher für die alte Arbeitslosenhilfe und auch, übertragen, für die alte Sozialhilfe galt.

 

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http://verhartzt.piranho.de/news.html (am 8. Juni 2006)

 

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