Der bisherige Artikel und die dort behandelte BGH-Entscheidung zum Pfändungsschutz bei Sozialleistungsbezug betraf Fälle, in denen vom Konto des Sozialleistungsempfängers gepfändet werden sollte.
Die Erweiterung dieses Artikels greift eine neuere Entscheidung des BGH auf, mit welcher der BGH die Unpfändbarkeit der Sozialleistungen auch dann bejaht, wenn der Sozialleistungsempfänger über kein eigenes Bankkonto verfügt, sondern die Leistungen in seinem Namen auf das Bankkonto eines Dritten eingehen.
Mit dieser zusätzlichen BGH-Entscheidung ist deutlich, daß Sozialleistungen in jedem Falle für den Zeitraum, für den sie zum Unterhalt des Sozialleistungsberechtigten dienen, auch vor der Pfändung geschützt sind.
I.
Bundesgerichtshof, Beschluß vom 20. Dezember 2006, Az.: VII ZB 56/06
Leitsatz des Gerichts:
„Hinsichtlich des gemäß § 55 Abs. 4 SGB I unpfändbaren Betrags laufender künftiger Sozialleistungen kann in entsprechender Anwendung des § 850 k ZPO Pfändungsschutz gewährt werden.“
§ 850 k Zivilprozeßordnung (in der Neufassung vom 5. Dezember 2005 [BGBl. I, 2005, Nr. 72, S. 3202 ff.]):
„(1) Werden wiederkehrende Einkünfte der in den §§ 850 bis 850b bezeichneten Art auf das Konto des Schuldners bei einem Geldinstitut überwiesen, so ist eine Pfändung des Guthabens auf Antrag des Schuldners vom Vollstreckungsgericht insoweit aufzuheben, als das Guthaben dem der Pfändung nicht unterworfenen Teil der Einkünfte für die Zeit von der Pfändung bis zu dem nächsten Zahlungstermin entspricht.
(2) Das Vollstreckungsgericht hebt die Pfändung des Guthabens für den Teil vorab auf, dessen der Schuldner bis zum nächsten Zahlungstermin dringend bedarf, um seinen notwendigen Unterhalt zu bestreiten und seine laufenden gesetzlichen Unterhaltspflichten … zu erfüllen … . …
(3)…“
Bisher war es so, daß, wollten Empfängerinnen und Empfänger von Arbeitslosengeld II, gegen die ein Gläubiger (=läßt pfänden) einen Pfändungsbeschluß vor einem Amtsgericht erwirkt hat, ihr Alg II schützen, sie das AlgII innerhalb der ersten 7 Tage nach Überweisung durch die Sozialbehörde vom Konto komplett abheben mußten. Dies, weil § 55 Abs. 1 Satz 1 SGB I die auf ein Konto überwiesene Sozialleistung nur für diese Zeit kraft Gesetzes ohne Pfändungsschutzantrag von der Pfändung ausnimmt, denjenigen Teil der Sozialleistung aber, der sich nach dem 7. Tag noch auf dem Konto befindet, für die Pfändung freigibt.
Wollte der Hilfeempfänger oder die Hilfeempfängerin auch den Rest des Sozialleistungsbetrags auch noch nach dem 7. Tag schützen, so war er oder sie gezwungen, beim Vollstreckungsgericht eine sogenannte Erinnerung einzulegen. Denn § 55 Abs. 4 SGB I bestimmt, daß der nicht pfändbare Teil der Sozialleistung – richtet sich nach den Pfändungsfreigrenzen des § 850 c ZPO (Zivilprozeßordnung) – auch nach dem 7. Tag nicht pfändbar ist, allerdings nur für den Zeitraum von der Pfändung bis zum nächsten Zahlungstermin der Sozialleistung. Das bedeutete aber, daß der Hilfeempfänger oder die Hilfeempfängerin gezwungen war, jeden Monat eine solche Erinnerung beim Vollstreckungsgericht einzulegen, um sich vor der Pfändung der Sozialleistung (Arbeitslosengeld II) zu schützen.
Mit Ausnahme der in § 54 Abs. 3 und Abs. 5 SGB I genannten Ausnahmen (z.B. keine Pfändung von medizinisch bedingtem Mehraufwand, Pfändung von Kindergeld nur zum Zwecke der Unterhaltssicherung des betreffenden Kindes) können gemäß § 54 Abs. 4 SGB I laufende Geldleistungen wie Arbeitseinkommen gepfändet werden. Das heißt, auch Alg II kann grundsätzlich gepfändet werden.
„Der Pfändungsbeschluss erfasst nach Ablauf der siebentägigen Schonfrist das Kontoguthaben des Schuldners in vollem Umfang. Dem Geldinstitut ist es gemäß § 829 Abs. 1 ZPO ab diesem Zeitpunkt verboten, an den Schuldner zu leisten. Ab diesem Zeitpunkt ist die Situation, in der sich der Empfänger laufender Sozialleistungen befindet, der des Empfängers von Arbeitseinkommen, das gemäß § 850 c ZPO der Pfändung nicht unterliegt, vergleichbar. In beiden Fällen kann der Gläubiger auf die dem Konto gutgeschriebenen Beträge Zugriff nehmen, obwohl sie bei der auszahlenden Stelle (Arbeitgeber/Träger der Sozialversicherung) unpfändbar wären.“ [BGH-Beschluß vom 20. Dezember 2006, Az.: VII ZB 56/06, Rdnr. 16].
Das heißt, obwohl direkt beim Arbeitgeber oder beim Sozialleistungsträger der insbesondere nach § 850 c ZPO nicht pfändbare Teil auch nicht pfändbar wäre, kann dieser unpfändbare Teil aufgrund der Regelung des § 829 Abs. 1 ZPO, der dem Drittschuldner (=hier: Geldinstitut) nach dem 7. Tag die Auszahlung an den Schuldner (=wird gepfändet) verbietet, dennoch gepfändet werden. Es sei denn, beim Vollstreckungsgericht legt der Schuldner zur Sicherung seines Existenzminimums Erinnerung ein, um sich den nach § 850 c ZPO unpfändbaren Teil an der Sozialleistung – bei Alg II in der Regel der gesamte Betrag – zu sichern.
Dies ist eine Benachteiligung von Sozialleistungen beziehenden Personen gegenüber Arbeitseinkommen beziehenden Personen, die der BGH mit seiner Entscheidung abgeschafft hat:
„Vielmehr ist mangels eines abschließend im SGB I geregelten verfahrensrechtlichen Pfändungsschutzes für auf ein Bankkonto überwiesene laufende Sozialleistungen insoweit nach § 54 Abs. 4 SGB I auf die für Arbeitseinkommen bestehenden Pfändungsvorschriften zurückzugreifen und damit § 850 k ZPO entsprechend anzuwenden.“ [BGH-Beschluß vom 20. Dezember 2006, Az.: VII ZB 56/06, Rdnr. 18]
„Gemäß § 54 Abs. 4 SGB I kann daher für die Pfändung künftiger Sozialleistungen entsprechend § 850 k ZPO Pfändungsschutz hinsichtlich des nach § 55 Abs. 4 SGB I unpfändbaren Guthabens gewährt werden,… .“ [BGH-Beschluß vom 20. Dezember 2006, Az.: VII ZB 56/06, Rdnr. 22]
Schon die Beschwerdeinstanz (Landgericht Darmstadt) hatte laut BGH moniert:
„Die Nichtanwendung des § 850 k ZPO sei mit dem Grundsatz der Waffengleichheit und dem Schutzzweck des § 55 Abs. 4 SGB I nicht in Einklang zu bringen. Der Gläubiger könnte über einen einmaligen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss Zugriff auf künftige Sozialgeldleistungen nehmen, während der Schuldner monatlich jeweils Vollstreckungserinnerung einlegen müsste, wenn er nicht innerhalb der Sieben-Tage-Frist über den vollen Gutschriftenbetrag verfüge.“ [BGH-Beschluß vom 20. Dezember 2006, Az.: VII ZB 56/06, Rdnr. 8]
Dem hat jetzt der BGH abgeholfen.
Die Entscheidung bezieht sich auf den Fall eines AlgII-Empfängers, dem auf Antrag die Befreiung von der Pfändung in den Vorinstanzen zugesprochen wurde, wogegen der Gläubiger vor dem BGH in Revision gegangen war.
Die BGH-Entscheidung ermöglicht es jetzt Empfängern und Empfängerinnen von Sozialleistungen am heute üblichen bargeldlosen Zahlungsverkehr teilzunehmen, ohne jeden Monat erneut beim Vollstreckungsgericht die Pfändungsfreistellung beantragen zu müssen. Es reicht jetzt die erstmonatliche Beantragung der Pfändungsfreistellung (sogenannte Erinnerung).
II.
Bundesgerichtshof, Beschluß vom 4. Juli 2007, Az.: VII ZB 15/07
Leitsatz des Gerichts (auch Rdnr. 9 der Entscheidung):
„Pfändet der Gläubiger den dem Schuldner … zustehenden Auszahlungsanspruch gegen den Srittschuldner wegen der auf ein Konto des Drittschuldners eigehenden, dem Schuldner zustehenden Sozialleistung, kann der Schuldner unter den Voraussetzungen des § 765 a ZPO Vollstreckungsschutz beanspruchen.“
§ 765 a Zivilprozeßordnung (in der Neufassung vom 5. Dezember 2005 [BGBl. I, 2005, Nr. 72, S. 3202 ff.]):
„(1) Auf Antrag des Schuldners kann das Vollstreckungsgericht eine Maßnahme der Zwnagsvollstreckung ganz oder teilweise aufheben, untersagen oder einstweilen einstellen, wenn die Maßnahme unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist. …“
Bisher (siehe unter I.) hatte der Bundesgerichtshof (BGH) den Pfändungsschutz nur im Zusammenhang mit § 55 SGB I und § 850 k ZPO gewährt.
Voraussetzung dort aber ist, weil so im Gesetz benannt, das eigene Bankkonto, d.h. es ging in der unter I. behandelten Entscheidung um Fälle, in denen vom Bankkonto des Sozialleistungsempfänger gepfändet werden sollte.
In dem im Juli 2007 vom BGH entschiedenen Fall ging es darum, daß der Sozialleistungsempfänger, gegen den gepfändet werden sollte, selber gar kein Bankkonto besaß, weil er sein Bankkonto verloren hatte aufgrund früherer Pfändungen gegen ihn. Die Sozialleistungen wurden auf das von einem Dritten zur Verfügung gestellte Bankkonto überwiesen, womit dieser Dritte zum Drittschuldner wurde.
Der BGH hält nun mit seiner Entscheidung die Härtefallklausel des § 765 a ZPO für grundsätzlich anwendbar neben den anderen Vollstreckungsschutzvorschriften.
„Die Gewährung von Vollstreckungsschutz nach § 765 a ZPO kommt allerdings nur in Betracht, wenn andere Schutzvorschriften erschöpft sind oder nicht zur Anwendung kommen (…).“ [BGH-Beschluß vom 4. Juli 2007, Az.: VII ZB 15/07, Rdnr. 11]
Da, wie oben schon erwähnt, die Anwendung von § 55 Abs. 4 SGB I die Existenz eines eigenen Bankkontos des Sozialleistungsempfängers voraussetzt gilt:
„Pfändungsschutz nach § 55 SGB I besteht dagegen nicht für Forderungen aus der Gutschrift auf dem Konto eines Dritten, den der Berechtigte als Zahlungsempfänger der Geldleistung angegeben hat (…).“
„Eine Aufhebung der Pfändung im Umfang des gemäß § 55 Abs. 4 SGB I unpfändbaren Betrags laufender künftiger Sozialleistungen kommt in entsprechender Anwendung des § 850 k ZPO hinsichtlich solcher Leistungen in Betracht, die auf ein bei einem Geldinstitut unterhaltenes Konto des Schuldners überwiesen werden (…) § 850 k ZPO ist dagegen nicht entsprechend anwendbar, wenn die laufenden Sozialleistungen auf Weisung des Schuldners auf ein Konto eines Dritten überwiesen werden und der Gläubiger den Auszahlungsanspruch des Schuldners gegen den Dritten pfändet (…).“ [BGH-Beschluß vom 4. Juli 2007, Az.: VII ZB 15/07, Rdnrn. 12 und 13]
Mit der Überweisung der Sozialleistung auf das Konto eines Dritten wurde keine Verfügung zugunsten des Dritten getroffen, sondern lediglich eine „banktechnische Abwicklung der Leistungsbeziehung“ [BGH, a.a.O., Rdnr. 15] ermöglicht.
„Durch die Anwendung des § 765 a ZPO wird daher hier einer unzumutbaren Härte entgegengewirkt, die daraus resultiert, dass der Schuldner, der auf die betreffenden Beträge existentiell angewiesen ist, über kein eigenes Bankkonto verfügt.“ [BGH-Beschluß vom 4. Juli 2007, Az.: VII ZB 15/07, Rdnr. 16]
Ein Antrag auf Pfändungsschutz muß unverzüglich beim zuständigen Vollstreckungsgericht gestellt werden.
Zusammengefaßt:
Besitzt der Sozialleistungsempfänger/die Sozialleistungsempfängerin als Schuldner/in ein eigenes Bankkonto, so gilt für den Pfändungsschutz bezüglich der Sozialleistung § 55 Abs. 4 SGB I i.V.m. § 850 k ZPO (BGH-Beschluß vom 20. Dezember 2006, Az.: VII ZB 56/06).
Besitzt der Sozialleistungsempfänger/die Sozialleistungsempfängerin kein eigenes Konto und wird die Sozialleistung auf das Bankkonto eines Dritten in seinem/ihrem Namen überwiesen, so gilt für den Pfändungsschutz die Härteklausel des § 765 a ZPO (BGH-Beschluß vom 4. Juli 2007, Az.: VII ZB 15/07).