Herbert Masslau

Alg II – der U-25-Terror

(27. Februar 2006)

 

 

Vorbemerkung und Ausblick

Schon in meinen Artikeln „Zwangsumzug…“, „…neue Qualität im Bestrafungssystem“ und „Arbeitsdienst 2005“ ist ja deutlich angesprochen, wo die Reise hingehen soll. In meinem Artikel „Der Dritte Weltkrieg“ habe ich kurz erwähnt, daß mit einer gutsituierten Bevölkerung kein Krieg zu machen ist, der Sozialraubbau also die Vorbereitung der „Heimatfront“ für den nächsten Weltkrieg ist.

Die Zeit zwischen diesen sozialen Tiefschlägen wird immer kürzer, die Praktiken immer brutaler und menschenverachtender.

Die Entmündigung der mit vollen Bürgerrechten ausgestatteten jungen Erwachsenen zwischen 18 und 25 Jahren, soweit sie beziehungsweise ihre Eltern nicht über entsprechendes Vermögen verfügen, ist nur logische Konsequenz und nur ein weiteres Mosaiksteinchen in diesem Spiel.

Nachdem also gemäß § 31 Abs. 5 SGB II 15- bis 25-Jährige schon einer härteren Sonderbestrafung unterliegen, stellt die jetzt in Kraft getretene Entmündigung, die 18- bis 25-Jährige vor die Wahl stellt, entweder zu Hause bei den Eltern wohnen zu bleiben oder keine Leistungen zu bekommen, mithin eine echte Nicht-Wahlmöglichkeit, die logische Fortsetzung der häppchenweise servierten Schaffung einer neuen Form von „Hörigen“ dar.

Andererseits: In anderen Ländern, z.B. Italien, funktioniert das ganz von selbst. Dort ist es mittlerweile üblich, daß 30-Jährige noch bei Mama und Papa wohnen, weil das bißchen Arbeitslosengeld, was es in den 1990er-Jahren mal für ein paar Jahre gab, längst wieder abgeschafft ist, es ansonsten keine staatliche Unterstützung in Form von Sozialleistungen gibt, also der Zwang, Miete zu sparen, sich geradezu ergibt, zumal die pensioneri noch die Einzigen sind, die als breite Bevölkerungsschicht über ein erträgliches Einkommen verfügen, von welchem andere Familienmitglieder noch mit durchgefüttert werden können. Zukünftig gibt es auch in Italien keine Rente mehr, jedenfalls keine, von der Nahrung, Kleidung und Wohnung bezahlbar wären.

Wohin die Reise insgesamt gehen wird, deuten das Auszugs-Verbot für Erwachsene unter 25 Jahren, die Erhöhung des Renteneintrittsalters auf 67 Jahre und die Besetzung regulärer Gärtner-, Hausmeister- und sonstiger Posten durch sogenannte „Ein-Euro-Jobber“ schon an.

Der Zynismus der Kapitalisten konnte am 15. Februar 2006 in einem Online-Bericht von „Focus“ nachgelesen werden [http://focus.msn.de/hps/fol/newsausgabe/newsausgabe.htm?id=24938]. Auf einer Sitzung der „Hanns Martin Schleyer-Stiftung“ schlugen verschiedene sogenannte Wissenschaftler u.a. vor, analog e-bay sollten die Sozialämter Arbeitslose als Arbeitskräfte ausschreiben für Unternehmen wie für Privathaushalte, der Meistbietende erhalte den Zuschlag, die Arbeitslosen erhielten nur ihr Alg II weiter, das dann durch die Einnahmen für den Staat billiger werde, so der Direktor für Arbeitsmarktpolitik am Bonner IZA-Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit, Hilmar Schneider. Oder der Geschäftsführer des Otto-Wolff-Instituts für Wirtschaftsforschung, Steffen Roth: Wer sich „fair verhalten“ (Zitat) und für sein Alg II eine Gegenleistung erbringen möchte, solle dies tun können, wobei die Wochenarbeitszeit und die Art der Tätigkeit keinerlei Einschränkungen wie derzeit bei den sog. „Ein-Euro-Jobs“ unterliegen sollten. Letzteres meint wohl Vollzeitarbeit gegen Kost und Logis, denn mehr ist Alg II ja nicht, womit wir dann auch in Deutschland Elemente der Sklavenhalter-Gesellschaft wieder eingeführt hätten – nur, vielen Sklaven im Alten Rom ging es da besser, weil es zum Statussymbol der Herren gehörte, der Öffentlichkeit zwecks Darstellung des eigenen Reichtums einen wohl gekleideten und gut ernährten Sklaven zu präsentieren.

Dienstmädchen, das gab es ja noch im Kaiserreich und der Weimarer Republik; die heute 80-Jährigen können davon noch erzählen. Wie hieß das auch noch nach dem Zweiten Weltkrieg: lern erstmal dienen, dann kannst du den Mund aufmachen.
Daß schon mit der Sonderbestrafung gemäß § 31 Abs. 5 SGB II die U-25 im Gegensatz zu den Älteren, die vor Mitte der 1980er-Jahre noch andere Zeiten kennengelernt haben, frisch erzogen werden sollen für ein neues Duckmäusertum – jeder Weltkrieg braucht seine sozialpolitische Vorlaufphase – , war schon der erste Schritt. Jetzt kommt mit dem Auszugs-Verbot der nächste, und dann irgendwann werden sich, wie das heute schon bei vielen US-Soldaten im Irak-Krieg der Fall ist, die jungen Menschen freiwillig für den Krieg melden, weil das die einzige Art ist, einen bezahlten Job zu bekommen. Ach ja, weil wir gerade beim Thema Ausblick sind: Rente ist dann ohnehin abgeschafft für den, der nicht beizeiten was auf die hohe Kante legen konnte.

 

Historischer Vorlauf

Schon der Kommissionsbericht „Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt“ (August 2002) der sog. „Hartz-Kommission“ kannte eine Sonderbehandlung der jungen Erwachsenen unter 25 Jahren, dort „Jugendliche“ genannt:

„Jeder zweite Arbeitslose unter 25 Jahren ist heute ohne Berufsabschluss.

JobCenter übernehmen die Verpflichtung dafür zu sorgen, dass kein Jugendlicher ohne eine aktive beiderseitige Suche nach einer Praktikums- oder Ausbildungsstelle zu Hause sitzt und Transferleistungen erhält.“ (S. 106)

Im Angesicht der heutigen Praxis erscheint dies geradezu human und schon beinahe das Gegenteil der jetzt beschlossenen Änderungen, denn wer nicht Student oder Azubi ist darf gar nicht mehr ausziehen aus dem Elternhaus, und selbst jenen wird noch das Leben schwer gemacht, indem die Kürzung der Regelleistung auf 80 % des Eckregelsatzes dazu führen dürfte, daß viele gar nicht einmal mehr ergänzendes (sog. aufstockendes) Alg II erhalten.

Ebenso hatte schon die Stadt Mannheim, eine dieser Modell-Vorreiter wie Köln und Leipzig, in ihrem „Programm zur Haushaltskonsolidierung durch Verbesserung der Sozialhilfe“ [siehe meinen Artikel „Sozialraubbau…“], beschlossen vom Rat der Stadt Mannheim am 16. Dezember 2003 [Beschlußvorlage Nr. 583/2003], sich insbesondere junger Menschen angenommen:

„Für junge Alleinstehende werden die Mietobergrenzen auf das BAFöG-Niveau reduziert. Damit wird eine Gleichbehandlung mit Schülern/innen und Studenten/innen erreicht, … . Es wäre sehr hilfreich, wenn z.B. Wohnungsbaugesellschaften preiswerte möblierte Zimmer für Wohngemeinschaften anbieten würden.“

Zur Begründung hieß es:

„Das Ziel ist es, spätestens ab 2006 [wie aktuell! H.M.] eine Absenkung der Mietkosten … zu erreichen.“

Hier muß nur die geplante Zwangsverwohngemeinschaftung ersetzt werden durch das jetzige Auszugs-Verbot des SGB II.

Und noch ein anderer Aspekt gewinnt Bedeutung, auch wenn dieser nur indirekt vorkommt: Im Entwurf zum SGB II war die gegenseitige Unterhaltsverpflichtung von Verwandten 1. Grades in auf- bzw. absteigender Linie, also Eltern und Kinder, vorgesehen, auch wenn diese keine Haushaltsgemeinschaft bildeten. Die Entwurfs-Fassung des § 33 Abs. 2 Nr. 2 SGB II (Übergang von Ansprüchen) [BTDrs. 15/1516 vom 5. September 2003 – http://dip.bundestag.de/btd/15/015/1501516.pdf] lautete:

„(2) Der Übergang eines Unterhaltsanspruchs nach bürgerlichem Recht darf nicht bewirkt werden, wenn die unterhaltsberechtigte Person …

2. mit dem Verpflichteten im zweiten oder in einem entfernteren Grade verwandt ist…“

Diese über die zivilrechtliche Unterhaltsverpflichtung hinausgehende Inanspruchnahme z.B. von Eltern gegenüber ihren nicht mehr im elterlichen Haushalt lebenden erwachsenen Kindern, wurde seinerzeit aufgrund starker Kritik gekippt und nicht mehr im endgültigen Gesetzentwurf (letzte Änderung 24. November 2003) zum SGB II belassen. Zum Vergleich die am 1. Januar 2005 in Kraft getretene Fassung des § 33 Abs. 2 Nr. 2 SGB II:

„(2) Der Übergang eines Unterhaltsanspruchs nach bürgerlichem Recht darf nicht bewirkt werden, wenn die unterhaltsberechtigte Person …

2. mit dem Verpflichteten verwandt ist und den Unterhaltsanspruch nicht geltend macht; dies gilt nicht für Unterhaltsansprüche“ a) minderjähriger Kinder, b) unter 25-Jähriger in Erstausbildung „gegen ihre Eltern“.

Mit dieser Einschränkung sollten zum einen Eltern erwachsener Hilfebedürftiger sozialrechtlich nicht mehr in Unterhaltsverpflichtung genommen werden als nach dem zivilen Unterhaltsrecht, zum anderen sollte z.B. bei minderjährigen Hilfebedürftigen, die Sozialgeld beziehen (etwa in Alleinerziehenden-Haushalten), der barunterhaltspflichtige Elternteil durch Nichtgeltendmachung des zivilen Unterhaltsanspruches nicht besser gestellt sein als bei Nicht-Hilfebedürftigkeit des minderjährigen Kindes.

Der ursprüngliche Gesetzentwurf aber machte schon 2003 deutlich, was eigentlich bezweckt ist: die Reduzierung des Sozialstaates zu Lasten der Familien. Um zu wissen, was das letztendlich bedeutet, braucht nur ein Blick in die sog. „Dritte Welt“ geworfen zu werden, wo es durchaus nicht selten vorkommt, daß ein junger Erwachsener als einziger mit einem Arbeitsplatz Geld verdient und davon seine Eltern und alle seine Geschwister miternähren muß.

 

Die Änderungen für 18- bis 25-Jährige

Manchmal geht es ganz schnell.

Die Sache wurde sogar so schnell durch den Bundestagsausschuß für Arbeit und Soziales gepeitscht, daß sich eine Reihe der um ihre Meinung gefragten Sachverständigen über die kurze Antwortfrist – in einem Beitrag ist von lediglich 24 Stunden die Rede – beschwerten, die ihnen gesetzt worden war [Anlagen zur Ausschußdrucksache 16(11)103].

Trotz massiver verfassungsrechtlicher Kritik an der Entmündigung der unter 25-jährigen Erwachsenen, wurde diesbezüglich lediglich der § 68 Abs. 2 SGB II aufgenommen, der besagt, daß Erwachsene unter 25 Jahren von dem Auszugs-Verbot ausgenommen seien, wenn sie am Stichtag 17. Februar 2006 nicht mehr bei ihren Eltern/einem Elternteil wohnten [Vergleich Ausschußdrucksache 16(11)80 vom 7. Februar 2006 zu 16(11)80neu vom 14. Februar 2006]. Die gegebene Gesetzesbegründung ist tautologisch, wiederholt nur den Tatbestand der gesetzlichen Regelung. Die Änderung dürfte ihren Grund aber darin haben, daß in der Regel Gesetzesänderungen aus verfassungsrechtlichen Gründen (sog. Vertrauensschutz) für die Zukunft gelten, Ausnahmen nur in begründeten Fällen möglich sind. Allerdings dürfte, so wie die Regierung die Verfassung mit Füßen tritt, ein schlichtes Faktum ausschlaggebend gewesen sein: die wohntechnische und kündigungsrechtliche Rückführung bereits Ausgezogener in den elterlichen Haushalt.

Das Erste Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch [BGBl. I, 2006, Nr. 14, S. 558-560 <noch nicht veröffentlicht>] bestimmt im Wesentlichen neben der Angleichung der Regelleistungen (§ 20 SGB II) in Ost und West auf das einheitliche Niveau von 345 Euro (Eckregelsatz) und der Halbierung des Rentenversicherungsbeitrages unter das gesetzliche Mindestniveau von derzeit 78 Euro, nämlich auf 40 Euro, daß junge Erwachsene, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, nur mit Zustimmung des örtlichen Kostenträgers (bei den ARGEn die Sozialämter der Gemeinden, bei den Optionskommunen diese selbst) eine eigene Wohnung beziehen dürfen. Dem die Unterkunftskosten regelnden § 22 SGB II wurde folgender Abs. 2a angefügt (Auszug):

„(2a) Sofern Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, umziehen, werden ihnen Leistungen für Unterkunft und Heizung für die Zeit nach einem Umzug bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres nur erbracht, wenn der kommunale Träger dies vor Abschluß des Vertrages über die Unterkunft zugesichert hat.“

Mit anderen Worten: Dem Sozialsadismus, auf den ich schon in meinem Artikel „Optionskommunen“ hingewiesen habe, werden die Tore noch weiter geöffnet. Da die Kommunen Kosten sparen wollen, zumal ihnen der Bund beim Finanzausgleich Schwierigkeiten macht, dürfte diese Zustimmungsregelung einem Auszugs-Verbot gleichkommen.

Ausgenommen sind lediglich, wie oben schon erwähnt, diejenigen, die bereits das Elternhaus vor dieser gesetzlichen Änderung verlassen hatten (§ 68 Abs. 2 SGB II):

„(2) § 22 Abs. 2a Satz 1 gilt nicht für Personen, die am 17. Februar 2006 nicht mehr zum Haushalt der Eltern oder eines Elternteils gehören.“

Für beide aber gilt hinsichtlich der Regelleistung die Kürzung von bisher 100 % auf nunmehr 80 % (§ 20 SGB II):

„(2) … . Die Regelleistung für sonstige erwerbsfähige Angehörige der Bedarfsgemeinschaft beträgt 80 vom Hundert der Regelleistung nach Satz 1.“

„(2a) Abweichend von Absatz 2 Satz 1 erhalten Personen, die das 25. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und ohne Zusicherung des zuständigen kommunalen Trägers nach § 22 Abs. 2a umziehen, bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres 80 vom Hundert der Regelleistung.“

Mit anderen Worten: Wer nicht aus Gründen der Ausbildung, eines Arbeitsplatzes oder zum Beispiel eines schwerwiegenden zerrütteten Verhältnisses mit seinen Eltern dennoch eine eigene Wohnung nimmt, um als junger Erwachsener sein eigenes Leben zu führen, der bekommt nicht nur keine Miete und keine Heizkosten bezahlt, sondern dem wird ohnehin die Regelleistung für einen Alleinstehenden auch noch auf 80 % gekürzt.

Die genannten Regelungen für Erwachsene unter 25 Jahren treten am 1. April 2006 (Auszugs-Verbot) bzw. am 1. Juli 2006 (Regelleistungs-Kürzung) in Kraft.

An dieser Stelle sei davor gewarnt, zu meinen, noch schnell zwischen dem 17. Februar und dem 1. April 2006 aus dem Elternhaus auszuziehen. Die Gerichte beurteilen den Vertrauensschutz anders: es zählt die Verabschiedung des Gesetzes, welches die Änderung vornehmen soll, nicht das Inkrafttreten.

Abschließend bleibt nur zu hoffen, daß sich neben denen, die sich den ganzen Tag mit outfit styling und SiMSen beschäftigen, es auch noch Betroffene gibt, die ihre Verfassungsrechte einklagen.

 

 

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Links zu diesem Artikel:

http://www.labournet,de/diskussion/arbeit/realpolitik/hilfe/kinder.html (am 28. Februar 2006)

http://www.labournet.de/news/2006/dienstag2802.html (am 28. Februar 2006)

 

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